Düstere Gedanken

Immer noch ziemlich genervt machte sich Severus Snape auf den Weg zu seinem Büro. Schon wieder dieser verdammte Potter. Der Junge hielt sich einfach an keine Regel, genauso wie sein nichtsnutziger Vater.

Er hatte James Potter schon immer gehasst. Weil er all das hatte, was er nicht gehabt hatte. Das gute Aussehen, Selbstbewusstsein und vor allem Freunde. Genauso wie Potter Junior, der ja mit Freundesbekundungen und Sonder-Erlaubnissen förmlich überschüttet wurde.

Natürlich wusste er, wie wichtig der Junge Harry Potter war, aber das führte nicht unbedingt dazu, dass er ihn lieber mochte. Man sollte für etwas arbeiten müssen, wie alle anderen auch, sonst hatte man es nicht verdient. Außerdem hatte der Junge Dinge über ihn gesehen, die ihn absolut nichts angingen.

Missmutig fegte er durch den Gang und wäre beinahe in eine Gestalt hineingerannt, die sich gerade um eine Ecke schlich. Gerade noch rechtzeitig kam er zum Stehen um diesen absolut unangebrachte Körperkontakt zu vermeiden. Und vor ihm stand:

„Mister Malfoy, könnten sie mir vielleicht gütigerweise erklären, was Sie hier tun? Sie gehören bereits in ihren Schlafsaal, ist Ihnen das klar?"

Der Schüler hob den Kopf und starrte ihn aus roten, mit dunklen Ringen unterzogenen Augen an. Snape war entsetzt.

„Mister Malfoy, sie sehen nicht gerade gut aus. Vielleicht sollte sie einige ihrer Nächte zur Abwechslung mal in ihrem eigenen Bett verbringen.", meinte er dann zynisch, denn der Ruf seines Vertrauens-Schülers war ihm sehr wohl geläufig.

„Ich werde es mir merken, Professor Snape.", murmelte der und wollte sich an dem Lehrer vorbeischleichen, doch der hielt ihm am Arm zurück.

„Wenn sie Schwierigkeiten haben sollten, ihren Schlafsaal zu finden, der liegt in der anderen Richtung. Ich werde sie wohl lieber selbst hinbringen."Mit diesen Worten schleifte er den müde aussehenden Draco in Richtung der Slytherin-Räume.

Dort angekommen, sagte er das Passwort und schob den Schüler durch die Tür. „Angenehme Nachtruhe dann, Mister Malfoy."

Zum zweiten Mal machte sich der Zaubertränke-Lehrer nun auf den Weg in sein Büro, um dort noch einige Aufsätze der Siebtklässler zu Ende zu korrigieren. Er hatte vorhin eine Pause gebraucht, bevor er es wagte, das Pergament von Neville Longbottom in die Hände zu nehmen.

Mit einem Seufzer und einem leicht unterdrückten Gähnen goss er sich noch eine Tasse Tee ein und begann zu lesen. Minuten später las er immer noch und die rote Tinte begann bereits wieder auf der Feder zu trocknen. Schließlich hatte er doch einen Fehler gefunden und schrieb befriedigt ein großes „F"neben den Text. Wäre doch auch gelacht gewesen, wenn hier nicht etwas zu finden gewesen wäre. Allerdings sollte die zu seinem großen Erstaunen der einzige Fehler bleiben. Woher konnte Longbottom auf einmal einen derartigen verständigen Aufsatz über die Bereitung eines Wachstrankes haben. Der konnte unmöglich von ihm selber stammen.

Na, der konnte sich auf etwas gefasst machen. Es mochte ja sein, dass sich andere Lehrer von so etwas täuschen ließen. Kopfschüttelnd dachte er kurz an diese hässliche Nebelkrähe Trelawney. Aber ihm würde so etwas nicht passieren.

Genüsslich lächelnd setzte er ein „Ergebnis ungültig"unter den Text. Die würden ihn schon kennen lernen.

Befriedigt legte er die Rolle beiseite und widmete sich dem nächsten Schriftstück.

Raja Banes, soso.

Wie immer war ihr Aufsatz fehlerfrei. In sauberer, ausdruckloser Schrift war die Vor- und Zubereitung des Trankes lehrbuchreif beschrieben. Er hätte sie ja zu gerne mal beim Kopieren dieser Schriften überführt, aber leider war ihm das Buch, dem sie diese entnommen zu haben schien, noch nie untergekommen. Sollte sie tatsächlich über ein solch großes Wissen verfügen?

Es schien ihm unwahrscheinlich, auch wenn er von Albus Dumbledore als Hauslehrer des Mädchens natürlich über ihre Herkunft und ihre Fähigkeiten unterrichtet worden war. Er erinnerte sich noch ziemlich genau, an die Szene mit dem nicht wirkenden Warzen-Frei-Trank, aber er hatte sie aufgrund der Bitte des Schulleiters, nichts nach außen dringen zu lassen, nicht zur Verantwortung ziehen können. Nach der Strafpredigt des Schulleiters waren solche Zwischenfälle zumindestens in seinem Unterricht aber unterblieben.

Mit müden Augen las er noch einmal den ganzen Text durch, konnte aber immer noch nichts feststellen und malte schließlich ein „E" darunter. Er wollte es ja nicht übertreiben, denn schließlich war immer zu erwarten, dass seine Schüler die Aufgaben gut erledigten. Auf ein fehlerfreies Ergebnis konnte er ja selten hoffen.

Ob sie wohl für das Ergebnis von Longbottom verantwortlich war? Die beiden verstanden sich ja ganz gut. Genauso wie seine Schülerin ziemlich viel Zeit mit diesem verdammten Potter-Jungen zu verbringen schien. Das passte ihm gar nicht. Er hatte zwar alle die Ermahnungen des Schulleiters wohl gehört, dass sie in diesen Zeiten zusammenstehen mussten, aber ein Spion konnte sich keine Verbrüderung leisten. Er war sich auch nicht sicher, ob er vom Dunklen Lord nicht schon längst genauer unter die Lupe genommen worden war.

Mit Schaudern dachte er an sein Zusammentreffen mit dem Herrn der Todesser nach dessen Wiederauferstehung. Rote, flammende Augen hatten tief in seine geblickt und eine Hand hatte nach seinen Gedanken gegriffen, wie ein Wanderer bei einem Spaziergang achtlos nach einer Kornähre greift um diese einfach abzureißen. Er hatte widerstanden und nichts von seinem Inneren preisgegeben. Doch er war sich nicht sicher, ob er sich nicht gerade dadurch verdächtig gemacht hatte.

Trotz seiner äußeren Kälte und Abgebrühtheit hatte Severus Angst vor dem Tod. Er wollte noch nicht sterben, auch wenn das Leben bis jetzt nur wenig Erfreuliches mit sich gebracht hatte. Immer allein hatte er sich immer wie ein Besessener in die Arbeit gestürzt, um dann von anderen mit Leichtigkeit überholt zu werden.

„Potter!", tauchte es wieder in seinen Gedanken auf und er ballte die Hand zu einer Faust. Der Mann war gestorben, bevor Severus die Gelegenheit gehabt hatte, ihm zu beweisen, dass er besser war als er. In den Tod gegangen als Held, ein Kind hinterlassend, das ebenfalls ein Held war. Es war so ungerecht.

Seufzend wand er sich wieder seiner Arbeit zu.

Malfoy!

Der blonde Schüler war in den letzten Wochen unkonzentriert und blass. Entgegen seiner Äußerung von vorhin hatte der Lehrer aber nicht wirklich die Vermutung, dass sich der Junge jede Nacht durch fremde Betten schlief. Nun ja, das war nicht sein Problem. Er mischte sich nicht in das Privatleben seiner Schüler ein. Sollte sie, wenn sie Beistand wollte, doch zu Dumbledore gehen. Der Alte war ein besserer Seelenklempner als er. Er hatte eigene Probleme. Missmutig betrachtete er den Schwachsinn den sein eigentlich in diesem Fach recht talentierter Schüler zusammengestottert hatte. Der Junge schien überhaupt nicht bei der Sache gewesen zu sein, denn Sätze endeten mitten in der leeren Luft und der Text ergab überhaupt keinen Sinn. Er hatte die Nase voll für heute. Sollte sie ihm doch alle mal gestohlen bleiben, er würde sich mit diesem stümperhaften Mist morgen weiter beschäftigen.

Müde löschte er die Kerzen und ging in seinen Schlafraum.

Morgen war auch noch ein Tag.

In einem gar nicht weit entfernten Teil des Schlosses lag Draco mit offenen Augen da und dachte über diesen seltsamen Abend nach. Es hatte alles mit dem Treffen mit dieser verdammten Banes begonnen. Dieses Mädchen war ihm inzwischen alles andere als geheuer. Er hatte sie unterschätzt und musste jetzt für diesen folgenschweren Fehler bezahlen. Einem perfiden Plan folgend schien sie Draco zielsicher aus seiner Position an der Spitze der Slytherins verdrängen zu wollen. Und sie war gut darin.

Verzweifelt drehte er sich von einer Seite zur anderen und ließ wieder und wieder die Geschehnisse der letzten Wochen Revue passieren.

Zuerst hatte sie ihm in dieser verhängnisvollen Nacht diesen Zauber aufgehalst. Dabei hatten die Lust und das Verlangen in ihren Augen so echt ausgesehen. Er hatte gedachte ein williges Spielzeug zu bekommen und war damit einer gewaltigen Fehleinschätzung unterlegen gewesen.

Als er von ihr verlangt hatte, den Zauber wieder von ihm zu nehmen, hatte sie ihn nur ausgelacht und gemeint, dass hätte er sich selbst zuzuschreiben. Was hatte er denn schon groß getan? Sie war schließlich ein Nichts im Gegensatz zu ihm, Keiner kannte sie und niemand hatte Achtung vor ihr.

Bitter mischte sich die kleine Stimme in seinem Kopf ein, dass das jetzt ja wohl nicht mehr so ganz stimmte. Nach dem offenen Kampf um McDougal und Zabini hatten einige Schüler bereits bewundernd von der Neuen gesprochen. Und seitdem er sich wegen dieser Sache mit Potter immer weiter in sich zurückgezogen hatte, waren es mehr geworden.

Ihre Art war subtiler als seine, wenn auch nicht weniger erfolgreich. Während er sich mit den Starken verbündet hatte, hatte sie durch ermunternde Unterstützung die Schwachen für sich gewonnen, die er immer übersehen hatte. Sie waren ihm nicht wichtig vorgekommen, doch jetzt erschreckte ihn ihre große Masse. Die Machtverhältnisse hatten sich verkehrt und nun begannen auch seine „Freunde"zu schwanken. Crabbe und Goyle waren Opfer ihres weiblichen Charmes geworden und Pansy das massiver Verleumdungen. Er hatte das Gespräch mitbekommen, war aber aus einer Laune heraus nicht eingeschritten. Dummerweise, wie er nun erkannte.

-RÜCKBLICK-

Pansy sitzt im Gemeinschaftsraum der Slytherins und liest ein Buch. Raja Banes betritt den Raum und setzt sich der blonden Schülerin gegenüber auf einen Sessel.

Na?", fragt sie freundlich

Pansy blickt misstrauisch auf. „Was willst da. Banes?", murrt sie.

Nichts!", antwortet die dunkelhaarige Schülerin unschuldig, holt eine Nagelfeile aus ihrem Umhang und fängt an sich die langen Nägel zu maniküren. „Ich hab nur bemerkt, dass du zur Zeit nicht grade glücklich aussiehst, Pansy."

Überrascht über die vertrauliche Anrede lässt die Blonde ihr Buch wieder sinken und schaut die andere ungläubig an. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht, Banes", faucht sie.

Ich dachte nur, du bräuchtest vielleicht eine Freundin zum Reden.", meint die immer noch freundlich.


"Dann komm ich bestimmt nicht zu dir, du falsche Schlange", stößt Pansy hervor und verkriecht sich wieder hinter ihrer Lektüre.

Es läuft nicht so gut mit deinem Freund Draco, nicht wahr?", bohrte die andere Schülerin aber weiter.

Rot im Gesicht fährt Pansy auf und knurrt: „Woher willst du das denn wissen?".

Mann hört ja so einiges...", lässt die andere sich vernehmen und beginnt mit dem Feilen der Finger der zweiten Hand.

WAS HÖRT MAN?", schreit Pansy völlig aufgelöst.

Dass er dich aus seinem Bett geschmissen hat, weil er in jemand anderen verschossen ist.", gibt die Dunkelhaarige zurück. „Aber nun reg dich doch nicht so auf. Der hat es gar nicht verdient."

DRACO LIEBT MICH UND ER HAT KEINE ANDERE!", brüllt Pansy nun, springt aus ihrem Sessel hoch und stellt sich wutschnaubend vor die andere Schülerin. „Was fällt dir eigentlich ein, so einen Schwachsinn zu erzählen?"

Ich erzähle nur, was die anderen mir gesagt haben", meint die, steht ebenfalls auf, steckt die Feile weg und legt der Blonden beruhigend die Hand auf den Arm. „Aber wahrscheinlich hast du recht. Er sollte wissen, was er an dir hat. Wenn nicht, wäre er ziemlich dumm."

Lächelnd geht sie an der frustrierten Pansy vorbei und meint im Hinausgehen noch: „Wenn er dir wehtut, sag mir bescheid. Dann soll er sich auf was gefasst machen."

Ungläubig sah die blonde Schülerin der anderen nach.

-RÜCKBLICK ENDE-

Daraufhin war Pansy zu Draco gerannt und hatte ihn zur Rede gestellt. Er hatte ihr ja aber schlecht erzählen können, dass er sich in seinen Todfeind Harry Potter verknallt hatte und so war nur ein unzusammenhängendes Gestammel aus seinem Mund gekommen, dass mehr verdrehte als erklärte, und Pansy war mit Tränen in den Augen aus dem Zimmer gestürzt. So hatte er auch sie verloren.

Inzwischen spürte er überall in den Slytherin-Räumen überall Misstrauen und Feindschaft. Niemand wand sich offen gegen ihm, aber selbst Crabbe und Goyle standen seinen Weisungen inzwischen manchmal skeptisch gegenüber. Vielleicht hätte er doch nicht so oft abschätzig über die mangelnde Intelligenz der beiden herziehen sollen. Raja lobte die beiden eher, wenn sie mal etwas in ihrem Sinne machten und die beiden schienen nicht abgeneigt, sich diesem Lob öfter unterziehen zu wollen.

Das konnte doch alle nicht so enden. Offiziell war er immer noch der ungekrönte Prinz der Slytherins. Sein Wort wurde befolgt und Banes machte nie den Fehler öffentlich gegen ihn zu agieren und seine Anweisungen irgendwie in Frage zu stellen. Er hatte Slytherin immer noch in der Gewalt. Aber wie lange noch.

Dann wand er seine Gedanken wieder seinem zweiten Problem zu: Potter.

Er hatte sich heute Abend gehen lassen und hatte Potter einfach geküsst.

Ihm wurde warm bei dem Gedanken an die weichen Lippen des Gryffindors auf seinen und wie der andere dann schüchtern auf seinen Kuss reagiert hatte, war unbeschreiblich gewesen. Doch er hatte gespürt, wie groß die Abneigung gegen seine Berührung gewesen war und es war ihm klar geworden, was er da gerade tat.

Dann war er geflüchtet und ziellos durch die Gänge geeilt, um dann schließlich Professor Snape in die Arme zu laufen. Der hatte ihn ziemlich zu Dracos Unmut aber nicht in Ruhe gelassen und hatte ihn hierher geschleppt.

Nun saß er hier in seinem Zimmer fest und konnte nichts anders tun, als wieder eine Nacht voller Alpträume zu erwarten.

Aber morgen musste er mit Potter reden. Das Ereignis von heute Abend durfte nicht auch noch öffentlich werden, sonst konnte er sich gleich von der höchsten Turmspitze stürzen.

Stöhnend drehte er sich auf den Bauch und sank langsam in einen unruhigen Schlaf.