Eulenpost
Harry wachte am nächsten Morgen gut ausgeschlafen auf. Sonntag! Genüsslich drehte er sich noch einmal um und schob die Gedanken, an die Hausaufgaben, die er noch zu machen hatte lieber erstmal beiseite. Stattdessen versuchte er seinen merkwürdigen Traum wieder zusammenzukriegen.
Er war wieder mit Cho Chang in Madame Pudifoots Cafe gegangen. Sie hatten sich eine Weile unterhalten und er war diesmal gar nicht so verlegen gewesen und hatte sie schließlich geküsst. Dann aber hatte die sich plötzlich in Draco Malfoy verwandelt und Hermine hatte neben dem Tisch gestanden und ihn gefragt, ob er denn wisse, wie Sex funktioniere. Schließlich wolle er Malfoy doch nicht enttäuschen. Daraufhin war er schreiend aus dem Cafe geflüchtet, während der Slytherin und das Mädchen Hand in Hand in der Tür gestanden und ihm nachgerufen hatten: „Weißt du eigentlich, was du willst, Harry Potter?"
Er schüttelte den Kopf und lachte kurz auf. Komischer Traum. Ob er wusste, was er wollte? Na auf jeden Fall erstmal frühstücken. Schnell machte er sich auf den Weg ins Badezimmer, wo er auf Seamus Finnigan traf, der sich grade die Zähne putzte. Er murmelte eine Begrüßung und verzog sich in die Dusche. Nachdem er eine Weile unter dem heißen Wasserstrahl gestanden hatte, hörte er den Iren eine Frage an ihn richten. Wegen des lauten Rauschens verstand er ihn aber nicht und rief nur: „Was?"
„Ich hab gefragt, ob du schon jemanden hast um nächstes Wochenende nach Hogsmeade zu gehen?", brüllte der andere Junge lauter.
„Na ich denke, ich gehe mit Ron und Hermine", brüllte er zurück und stellte dann das Wasser ab.
Sich in ein Handtuch hüllend trat er aus der Kabine und sah Seamus fragend an. „Warum?"
„Naja, man erzählt sich ja, dass du was mit der Slytherin hättest.", grinste der nur.
„Nein hab ich nicht.", brummte Harry ärgerlich und fing an sich abzutrocknen. Wieso waren im Moment eigentlich alle Leute so interessiert an seinem Liebesleben.
Plötzlich stand Seamus ganz dicht hinter ihm und flüsterte: „Und wer ist dann die Glückliche?"
„Ich hab doch schon gesagt, ich gehe mit Ron und Hermine.", murrte Harry, drehte sich um und wich einen Schritt zurück.
„Naja, weil hier aus unserem Schlafsaal nur Pärchen unterwegs sind. Ich geh mit Lavender und Dean geht mit einer Ravenclaw. Ron geht ja mit Hermine, das ist klar. Bleibst nur noch du.", grinste der große Junge ihn an.
„Ich brauch keine weibliche Begleitung, um mich nach Hogsmeade zu wagen.", muffelte Harry in sein Handtuch und begann sich dann anzuziehen. „Das schaff ich auch alleine."
„Na meinetwegen nimm ne männliche", flachste der Rotschopf und grinste über Harrys rötliche Gesichtsfarbe. „Mir ist das völlig gleich. Aber ich glaube Ron und Hermine sind auch gerne mal ne Weile alleine."
Damit verließ er das Bad und ließ Harry alleine zurück. Der starrte noch eine Weile auf die Tür, durch die der Andere so eben verschwunden war. Was sollte das denn jetzt heißen? Er stand doch nicht auf Jungs. Eine kleine Stimme flüsterte ein gehässiges: „Oder?"in sein inneres Ohr.
Plötzlich fielen ihm sein Traum und die Sache mit Malfoy im Kerker wieder ein. Er wurde rot. Hatte ihm das gefallen? Es hatte sich ganz gut angefühlt. Anders als mit Cho. Auf jeden Fall nicht so nass. Und ein bisschen kribbelig war es auch gewesen. Aber schließlich war das Malfoy.
Dann platzte plötzlich Ron ins Bad und meckerte rum, dass er ihn schon die ganze Zeit suchen würde und zerrte Harry in Richtung Ausgang. Das Sinnlos-in-die-Gegend-Denken wurde langsam zur Gewohnheit, dachte er noch bei sich und passte dann lieber auf, dass Ron ihn nicht auf dem Hosenboden an den Frühstückstisch schleifte.
Am Tisch ließ Rons Aufmerksamkeit schlagartig nach, denn er hatte Hermine entdeckt und musste diese erstmal ausgiebig begrüßen.
Währendessen nahm sich Harry schon mal einen Toast, strich Marmelade darauf und biss kräftig hinein. Dann sah er sich in der Halle um. Es waren schon ziemlich viele Schüler anwesend, doch er hatte den Slytherin-Tisch immer noch gut im Blick. An dessen Ende nahm gerade Raja Platz und er versuchte möglichst unauffällig ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Sie warf ihm einen finsteren Blick zu, verzog aber auf sein entschuldigendes Grinsen hin ihren Mund zu einem kleinen Lächeln. Gut, sie war ihm nicht mehr böse. Vielleicht sollte er sie doch fragen, ob sie mit ihm nach Hogsmeade kam, aber eigentlich hatte er nicht unbedingt Lust auf noch mehr dumme Gerüchte. Außerdem brachte das bestimmt nur wieder Probleme mit Malfoy mit sich.
Malfoy!
Wo war der blonde Slytherin eigentlich? Ach ja da. Er kam gerade zu Tür hinein, durchquerte zielstrebig die Distanz bis zum Tisch und ließ sich geschmeidig an seinen Platz gleiten. Dann hob er den Kopf und blickte Harry genau in die Augen.
Der erstarrte und brach kurz darauf in einen mächtigen Hustenanfall aus. Irgendwie hatte sein Gehirn beim Anblick dieser grauen Augen einfach vergessen, die richtigen Befehle an seine Schluckmuskeln weiterzugeben. Röchelnd und spuckend saß er Ron und Hermine gegenüber, die ihn erstaunt ansahen. Schnell nahm er einen Schluck Kürbissaft und murmelte etwas von „Verschluckt, tschuldigung."
Dann richtete sich sein Blick ohne sein Zutun wieder auf den Slytherin-Tisch. Dort sah Malfoy und sah ihn immer noch an. Als er jedoch bemerkte, dass Harry ebenfalls zu ihm rübersah, senkte er schnell den Kopf und fing an zu frühstücken. Ein schneller Blick zu Raja zeigte Harry, dass die das Ganze ebenfalls beobachtet hatte und wieder finster schaute. Was war da nur los?
Dann kam die Post und etliche Eulen nahmen auf den Haustischen Platz um ihre Fracht abzugeben. Vor Hermine landete wieder einmal ein großer Waldkauz mit dem Tagespropheten, den sie sogleich bezahlte und zusammen mit Ron dahinter verschwand. Ganz kurz fragte sich Harry, ob die beiden da wirklich nur lasen.
Da pickte ihn auf einmal eine der Schuleulen ungeduldig in den Finger und streckte ihm unmissverständlich den Fuß entgegen. Daran hing nur ein schmaler Zettel. Verwundert und durch Hermines Zeitungs-Arie auch unbeobachtet öffnete Harry den Zettel, während die Eule sich an den Resten seines Toastes gütlich tat.
„Heute Mittag um zwölf im Astronomie-Zimmer", stand darauf. Verwundert sah Harry sich um, konnte aber aufgrund der immer noch ausgebreiteten Zeitung nicht allzu viel erkennen. Er würde sich eben überraschen lassen, denn eigentlich kamen für diese Sache nur zwei Leute in Frage: Raja und Malfoy.
Da es bis zum Mittag nicht mehr lange hin war, entschloss sich Harry nur noch kurz ein wenig die wenigen Sonnenstrahlen draußen zu genießen und Ron und Hermine die von Seamus als so wichtig angedeutete Freizeit zu gönnen.
Blinzelnd saß er auf einer Bank vor dem großen Portal und hüllte sich enger in seinen Umhang denn schließlich war schon November. Er sollte mal gucken, ob es einen Wärmezauber für das Innere von Umhängen gab, überlegte er gerade, als sich ein Schatten über sein Gesicht legte. Ärgerlich öffnete er die Augen und sah in Rajas Gesicht.
„Hallo Harry, darf ich?", fragte sie und deutete auf den Platz neben ihm.
Er nickte und sie setzte sich. Schweigend blickte sie über den nassen Rasen, bis sie schließlich die Stille brach: „Es tut mir leid, dass ich dich gestern so angemacht habe. Ich hatte mich kurz vorher mit Malfoy gestritten und hatte keinen Bock schon wieder über ihn zu reden."
Er überlegt. Wusste sie nun, was er hatte sagen wollen, oder wollte sie ihm gestern nur ausweichen. Aber wenn sie hier mit ihm saß, dann musste die Nachricht von Malfoy sein. Und wenn die Nachricht von ihm war, dann sollte er Raja vielleicht erstmal nichts von der ganzen Sache sagen und abwarten, was der Slytherin wollte.
„Schon gut, ich bin danach Snape begegnet. Auf den hättest du mich dann auch nicht ansprechen dürfen.", grinste er daher.
„Also bist du mir nicht böse", fragte sie noch mal.
„Nein, lass mal. Dass wir uns wegen Goldlöckchen streiten, ist ja nun wirklich unnötig.", wiegelte er ihr Bedenken ab. Er musste bald los.
„Was wollte er gestern eigentlich von dir?", bohrte sie jedoch nach.
„Ach nichts, das typische dumme Gelaber", drückte er sich um eine konkrete Antwort. Er wusste, dass er nicht gut lügen konnte.
„Na dann.", meinte das Mädchen und stand auf. „Ich hab Hagrid versprochen, dass ich ihm noch helfe und außerdem muss ich dringend mal nach Emily sehen."
"Wieso, ist die nicht in deinem Zimmer?", wollte er noch wissen.„Nein, die wohnt jetzt bei Hagrid, bevor ihr noch jemand was ins Futter tut.", rief sie ihm zu und verschwand.
Wo sie Recht hatte.
Aber jetzt musste er sich zum Astronomie-Turm auf den Weg machen, sonst würde er noch zu spät kommen.
Seufzend erhob er sich und stapfte die Treppe zum Schloss wieder hoch. „Also ein Rendezvous mit Malfoy", überlegte er und kicherte bei dem Gedanken leise in sich hinein.
