Geständnisse
Langsam schritt Harry die Treppen zum Turm hinauf.
Würde Malfoy schon da sein? Was würde er wollen? Musste der Gryffindor sich mal wieder zu einem Duell bereitmachen? Und warum zum Kuckuck hatte er ihn gestern Abend geküsst? Die einzig logische Erklärung wäre gewesen, dass der Slytherin in ihn verliebt war, was sich aber von selber ausschloss, weil der andere garantiert nicht auf Jungs stand, so wie er sich McDougal und Zabini gegenüber aufführte und weil er Harry außerdem auf den Tod nicht ausstehen konnte.
Unruhig nahm er die letzten Stufen und öffnete die Tür zur Sternenwarte. Am Tag war er noch nie hier gewesen, außer um einmal eine Karte für Professor Binns zu holen, der doch tatsächlich Anschauungsmaterial für seinen Unterricht gebraucht hatte. Aber so würde wahrscheinlich auch kein anderer an einem ausnahmsweise mal sonnigen Novembertag hier herauf kommen. Er wusste noch nicht, ob ihm das gefiel oder nicht. Vorsichtig steckte er den Kopf durch die Tür und versuchte zu erkennen, ob Malfoy schon da war.
Ein mürrisches „Komm rein und schließ die Tür ab.", zeigte aber sofort, dass er nicht der Erste war.
„Du bist zu spät, Potter", motzte der auch gleich weiter.
„Wenn es dir nicht passt, kann ich ja auch wieder gehen.", gab der lässig zurück „Ich hätte ja aber Raja fragen können, ob sie mitkommt."Befriedigt sah er, dass der Blonde noch blasser um die Nase wurde, als er sowieso schon war. Jetzt bemerkte Harry auch, die dunklen Ringe unter den Augen und das gerötete Augenweiß. Der Junge wirkte schmal in seinem verwaschenen Pullover und der schwarzen Hose. Was war hier nur los? Malfoy achtete doch immer sehr auf sein Äußeres.
„Setz dich!", befahl Malfoy.
„Danke, ich steh lieber!", gab Harry zurück in der Absicht sich nicht von dem anderen rumkommandieren zu lassen. „Was willst du nun?"
Der Slytherin drehte sich abrupt zum Fenster um und starrte hinaus. „Es geht um gestern. Ich denke, wir müssen reden."
„Darüber dass du mich im Keller in eine dunkle Ecke gezerrt und abgeknutscht hast", warf Harry ihm an den Kopf und bereute das kurz darauf auch schon, als Malfoy mit zornesrotem Gesicht direkt auf ihn zustürmte, ihn am Kragen packte und ihn anbrüllte: „Das stimmt überhaupt gar nicht. Erstens bist du reingeplatzt und außerdem hast du mich genauso geküsst wie ich dich."
Nun wurde auch Harry rot. Teils weil es ihm peinlich war, teils weil der Slytherin seine Luftzufuhr erheblich einschränkte.
Als hätte er die unangenehme Nähe zwischen ihnen auch gerade in diesem Moment bemerkt ließ Malfoy ihn los, als hätte er sich verbrannt und trat einen Schritt zurück.
Das Spiel begann Harry Spaß zu machen und er beschloss sich noch ein wenig weiter zu amüsieren. Deshalb trat er näher an den blonden Jungen heran und sah ihm fest ins Gesicht. „Aber glaub nicht, das hätte mir Spaß gemacht.", zischte er.
Unbewusst hob der Angesprochene die Augen und Harry konnte einen verletzten Ausdruck darin erkennen. Hatte er Malfoy damit tatsächlich getroffen. Augenblicke verstrichen, in denen die beiden Jungen versuchten zu lesen, was im Kopf des jeweils anderen gerade vorging. Harry hätte etliche Galeonen dafür gegeben, über die Gabe der Legilimentik zu verfügen.
Dann wand der Slytherin zuerst den Blick ab und sah betreten zu Boden. Harry fühlte auf einmal das Bedürfnis in sich aufsteigen, ihn in die Arme zu nehmen. Er rief sich innerlich zur Ordnung. Schließlich war das immer noch Malfoy.
„Warum?", fragte er schließlich.
Der andere wand sich wieder von ihm ab und dem Fester zu. Als er antwortete hörte Harry ein Zittern in seiner Stimme. „Ist doch egal, Potter. Aber wenn du es jemandem erzählst, bring ich erst dich und dann mich um. Und vorher noch diese dämliche Banes."
„Was hat Raja damit zu tun?", wollte Harry nun wissen. Er brauchte Malfoy ja nicht unbedingt zu verraten, dass er bereits wusste, dass sie da irgendwie mit drin steckte.
Der Slytherin schluckte hörbar und antwortete nicht.
„Wenn du jetzt nicht gleich mit mir redest, geh ich wieder und erzähl es Pavarti und Lavender. Aber in meiner Version und dann weiß es morgen ganz Hogwarts.", drohte Harry ihm. Er hatte jetzt genug von dieser Herumrederei
Der Junge am Fenster fuhr herum. Sämtlich Farbe war nun endgültig aus seinem Gesicht gewichen. „Nein!", flüsterte er tonlos. „Bitte nicht."
Harry war erstaunt. Malfoy bat ihn um etwas? Das musste ja ein ganz schreckliches Geheimnis sein sein.
„Dann sag mir endlich was los ist!", schimpfte er, zog seinen Umhang aus und ließ sich nun doch auf einem der Stühle fallen. „Bist du etwa in mich verknallt?"
Als er sich klar wurde, was er da eben gesagt hatte, sah er den Slytherin an und konnte den Anblick, der sich ihm bot, nur einem Ereignis zu ordnen.
Er hatte Recht.
Ein völlig geknickter Draco Malfoy stand vor ihm, blass, die Hände um eine Stuhllehne verkrampft, die Augen gerötet. Vom Weinen, schoss es Harry durch den Kopf.
„Aber wie...", er brachte seine Frage nicht zu Ende.
„Banes!", war die einzige Antwort.
„Aber wie...", find Harry wieder an, doch er kam nicht weit.
„Was weiß denn ich.", brach es auf einmal aus dem Slytherin hervor und er schmiss sich ebenfalls auf einen Stuhl. „Sie hat mich gelinkt und mir irgendeinen bescheuerten Liebeszauber verpasst, deine dusselige Freundin. Seitdem hab ich feuchte Träume von Gryffindors Goldjungen. Und jetzt kannst du anfangen zu lachen.", grollte er.
Harry starrte den blonden Jungen an. Er hatte es gehört, aber seine kleinen, grauen Zellen schienen mit einem Mal alle zusammen beschlossen zu haben, in den Urlaub zu fahren. Malfoy war wirklich in ihn verliebt, aber das konnte alles nicht wahr sein.
„Nun sag doch mal was!", forderte der ihn auf. „Ich schlag mich schließlich schon seit fast zwei Monaten mit dem Problem rum, aber sie will ihn einfach nicht wieder rückgängig machen. Sie sagt, das ginge nicht."
Eigentlich war Malfoy ganz süß, wenn er so verzweifelt guckte und sich vor lauter Nervosität immer wieder eine Haarsträhne aus dem Gesicht blies, überlegte Harry. Er hat einen richtigen Dackelblick drauf. Und außerdem schmollte er.
„Harry...äh Potter, hör auf mich zu anzustarren und so dämlich zu grinsen.", murrte der Blonde nun und wand sich unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „Sonst könnte ich glauben, dir gefiele das auch noch."
Harry überlegte. Gefiele es ihm, wenn der Andere in ihn verliebt wäre? Nun ja, es war Malfoy und er hatte noch nie eine Beziehung zu einem Jungen gehabt. Allerdings hatte er auch noch nie eine Beziehung zu einem Mädchen gehabt.
Ihm fiel das Trimagische Turnier wieder ein. Fleur hatte damals eine Verwandte von den Wassermenschen wiederholen müssen. Viktor und Cedric hatten ihre Freundin geholt. Und er Ron. Aber er war nicht in Ron verliebt, soweit war er sich sicher. Nur verbrachte er eben lieber Zeit mit ihm, als mit einem Mädchen. Und als Raja ihm gesagt hatte, dass sie nicht an ihm interessiert war, hatte ihn das eigentlich auch nicht gestört.
Harry wurde bewusst, dass er Malfoy immer noch anstarrte. Ihm wurde heiß unter dessen fragenden Blick und er betrachtete auf einmal interessiert seine Schuhspitzen.
„Du stehst auf Jungen, Potter? Wie erbärmlich!", hörte er Malfoys auf einmal schon wieder leicht verächtlich klingende Stimme an seinem Ohr. Das war zu viel.
Er stürzte sich auf den Slytherin und warf ihn vom Stuhl. Ohne zu überlegen heftete er ihn mit seinem Körpergewicht auf dem Boden fest und knurrte ganz nahe an seinem Gesicht: „Na und wenn? Ich denke da sind wir im Moment schon zwei hier im Raum."
Der untenliegende sah ihn überrascht an. Seine grauen Augen waren weit aufgerissen, aber er wehrte sich nicht. Langsam beugte sich Harry immer näher zu ihm herunter, so dass er jetzt schon dessen warmen Atem an seinem Gesicht spüren konnte. Er überlegte noch kurz, ob er das jetzt wirklich tun sollte, oder ob ihm Malfoy einfach nur einen Streich gespielt hatte. Aber ein Blick in dessen jetzt irgendwie weich blickende Augen lies ihn auch diese Bedenken über Bord werfen und er überwand auch die letzten sie trennenden Zentimeter.
Erst vorsichtig, dann fester presste er seine Lippen auf die des blonden Jungen unter ihm, bis der ihm bedeutete, dass er keine Luft mehr kriegte.
„Doch nicht so.", murmelte der nur. Und ehe sich Harry versah, hatte der Slytherin ihn von sich runter befördert und beugte sich nun seinerseits über den Schwarzhaarigen. Wesentlich sanfter als Harry berührte er nun dessen Lippen und öffnete leicht den Mund. Da Harry sich nun wieder an das Gefühl ihres ersten Kusses erinnerte, überließ er Malfoy einfach die Führung, als der mit seiner Zunge über Harrys Lippen strich, öffnete er sie und lies den feuchten Gast eintreten. Vorsichtig tastete die Zungenspitze des Blonden nach seinen Zähnen und seinem Gaumen und nun wurde auch der Gryffindor mutiger. Er versuchte ebenfalls mit seiner Zunge in den Mund des anderen vorzudringen. Es fühlte sich wirklich ganz anders an, als mit irgendwem sonst, den er bisher geküsste hatte.
Nach einiger Zeit ließ er seine Hand zum Nacken des Blonden wandern und strich sanft durch die weichen Haare. Der wiederum legte seine Hand an Harrys Hemdkragen. Da er heute keine Uniform trug, war das das einzige Kleidungsstück, das seine Haut noch vor den Berührung des Blonden beschützte. Er fühlte unter den elektrisierenden Küssen, wie der Slytherin langsam die obersten Knöpfe öffnete und sanft mit dem Finger über sein Schlüsselbein strich.
Dann war es vorbei. Malfoy richtete sich abrupt auf und starrte Harry an, als wäre er der Osterhase persönlich.
„Warum hörst du auf?", fragte der Schwarzhaarige ihn enttäuscht. „Das fing gerade an Spaß zu machen."
„Potter!", keuchte der Gefragte nur. „Ist dir klar, was wir hier machen?".
„Wir knutschen mitten am Tag im Astronomie-Turm rum?", grinste er. Das hatte sich viel zu gut angefühlt, als das er es sich jetzt sofort wieder kaputt machen lassen wollte.
„Aber wir können uns nicht ausstehen.", quietschte Malfoy entsetzt. „Wie kannst du da nur so ruhig bleiben."
„Weil ich wichtigere Dinge kenne, über die ich mich aufregen könnte.", brummte Harry und ordnete seine Kleidung. „Und was machen wir jetzt?"
Malfoy überlegte.
„Einen Handel!", schlug er schließlich vor. „Du sorgst dafür, dass mich Banes wieder entzaubert und ich sag keinem, dass du auf Jungs stehst."
"Und wenn ich das gar nicht will?", meinte Harry trocken.Entsetzt sah der Slytherin ihn an. „Das meinst du nicht ernst, Potter."
„Vielleicht ja doch, denn du küsste eigentlich ziemlich gut und ein Malfoy, der mir mal verliebte Blicke statt Beschimpfungen hinterher wirft ist eigentlich gar keine so schlechte Vorstellung.", überlegte der Gryffindor laut.
„A-aber... das geht doch nicht. Ich meine... wir sind doch...", stotterte der Blonde.
„Wer hat denn nun wen zuerst geküsst.", begehrte Harry plötzlich auf. „Wer ist denn nun seit zwei Monaten um mich rumgeschlichen. Ich hatte schon manchmal so ein komisches Gefühl, aber auf dich wäre ich nun wirklich nicht gekommen. Hättest ja in deinem dummen Kerker bleiben können, bis du alt und runzlig bist."
Verschnupft nahm er seinen Umhang und wandte sich zum Gehen. An der Tür blieb er noch einmal stehen und sah dem immer noch am Boden sitzenden Jungen direkt ins Gesicht. „Vielleicht solltest du mal anfangen, nicht immer nur an dich selber zu denken, Draco Malfoy."
Damit schloss er die Tür wieder auf und lies einen völlig verwirrten Slytherin alleine zurück.
