Abmachungen
Draco war wieder alleine.
Minutenlang starrte er einfach nur auf die Tür, durch die der schwarzhaarige Gryffindor so eben verschwunden war. In ihm kämpften zwei Personen miteinander. Die eine, die sich so eben noch viel mehr in Harry verliebt hatte, und die andere, die die ganze Zeit über tobte und schrie, wie unmöglich er sich benommen hatte und dass jetzt alles nur noch schlimmer sein als vorher. Schließlich stand er auf, klopfte sich den Staub von der Hose und meinte missmutig: "Ach haltet doch beide die Klappe!"
Seinen Kopf voll mit tausend Gedanken machte er sich auf, um noch ein bisschen Schlaf zu bekommen. Er fühlte sich irgendwie seltsam. Doch als er im Gemeinschaftsraum der Slytherins ankam, hielt ihn Miles Bletchley an.
„Du sollst zu Professor Snape kommen."Und auf Dracos Gesichtsausdruck fügte er hämisch hinzu: „Und zwar sofort."
Draco verdrehte die Augen. Der unausstehliche Lehrer hatte ihm gerade noch gefehlt. Noch dazu am Sonntag. Seufzend machte er sich also auf den Weg in Snapes Büro. Dort angekommen klopfte er und trat auf einen barschen Befehl aus dem Inneren hin ein.
Snape saß an seinem Schreibtisch. Die schwarzen Haare hingen wie immer strähnig in sein Gesicht und mit seinen langen Armen und Beinen wirkte er insgesamt wie eine riesige Spinne, die darauf wartete, sich auf ihr nächste Opfer zu stürzen.
„Setzen Sie sich, Mister Malfoy!", fauchte er auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch weisend. „Und erklären Sie mir bitte mal, was das hier sein soll!"Mit diesen Worten feuerte er Draco ein Pergament vor die Nase, das er mit Mühe unter der vielen roten Tinte noch als sein eigenes erkennen konnte.
„Das ist meine Hausaufgabe?", fragte Draco vorsichtig. Er war zwar ein Slytherin und noch dazu ein Malfoy. Das hieß jedoch nicht, dass er bei dem Lehrer jede Freiheit genoss.
„Das hatte ich zunächst auch gedacht.", schnaubte Snape, stand von seinem Stuhl auf und fing an unruhig in dem kleinen, düstren Raum umherzugehen. Böses ahnend folgte Draco ihm mit den Augen. Trotzdem fuhr er erschrocken zusammen, als Snape ihn anbrüllte: Und was haben sie sich dabei gedacht? Das ist erbärmlich."
Dann fing sich der Lehrer wieder und fuhr mit mühsam unterdrückter Wut in der Stimme fort: „Sie sind sich doch im Klaren darüber, dass ihr Leistungen in der letzten Zeit rapide abgesackt sind, oder, Mister Malfoy? Ich hätte gerne eine Erklärung dafür."
Betreten schwieg der blonde Slytherin und sah wieder auf seinen verschmierten Aufsatz.
„Sie meinen wohl, Sie hätten es nicht nötig, mir zu antworten.", keifte Snape weiter. „Aber ich denke, Sie wissen, dass ich bei einer weiteren Leistungsverweigerung ihren Vater informieren werde."
„Nein!", fuhr der junge Mann nun auf. Alles nur nicht sein Vater. Der würde für ein solches Verhalten kein Verständnis haben und auf jeden Fall mit Nachdruck eine Erklärung fordern. Eine Erklärung, die Draco nicht bereit war, ihm zu geben.
„Dann sollten Sie sich vielleicht ein wenig zusammenreißen. Oder sollte ich mal versuchen an ihren übergroßen Stolz zu appellieren und Ihnen erzählen, dass sogar Mister Longbottom eine bessere Arbeit abgeliefert hat als Sie?", funkelte der dunkelhaarige Mann ihn an.
„Der hat ja auch Nachhilfe bei dieser dämlichen Banes gekriegt.", murrte Draco in der bescheidenen Hoffnung, dass sich der Lehrer nun auf dieses hausübergreifende Verhältnis stürzen würde.
Er wurde enttäuscht.
„Also doch... Nun, dann sollten sie sich vielleicht ein Beispiel an ihm nehmen.", meinte Snape süffisant. „Denn auch wenn Longbottom ein kompletter Idiot ist, so hat er doch einiges durch Fleiß wieder gut gemacht."
Sein Hauslehrer lies sich nun wieder auf seinen Stuhl sinken. „So gerne ich Ihren Vater auch habe, werde ich jedoch auch Ihnen nichts schenken, Mister Malfoy. Haben Sie mich da verstanden?"
Draco nickte.
„Daher verordne ich Ihnen hiermit ebenfalls Nachhilfe, denn sie haben viel aufzuholen. Sie werden mit Miss Banes zusammenarbeiten, bis sich ihre Leistungen wieder auf dem vorherigen Niveau befinden."
„Aber...", begann Draco zu protestieren, und wurde sofort wieder von Snape unterbrochen. „Ich denke, ich habe mich klar ausgedrückt. Und Sie werden diesen Anweisungen Folge leisten, es sei denn, Sie wollen sich mit ihrem Vater noch einmal über die Sache unterhalten."
Der Lehrer schrieb noch eine kurze Notiz auf ein Stück Pergament und überreichte es Draco. „Geben Sie das Miss Banes. Und nun machen Sie, dass Sie rauskommen."
Draco schluckte nochmal, sagte aber nichts mehr. Dann also Banes als Nachhilfe, stöhnte er innerlich. Was eigentlich noch? Millicent Bulstrode als Bettnachbarin?
Erschöpft stand er kurz darauf vor der Bürotür. Er fühlte sich wie erschlagen. „Schlafen!", dachte er noch und wankte in sein Bett, wo er wie ein Stein hinfiel und einschlief. Ausnahmsweise einmal ohne schlechte Träume.
In seinem Schlafsaal hatte Harry im Moment alle anderen Bedürfnisse als zu schlafen. Dazu war er viel zu aufgedreht. Den Abgang bei Malfoy hatte er so grade noch hingekriegt, dann war er mit klopfendem Herzen und weichen Knien in den Gryffindor-Turm gestürmt und hatte sich in seinem Bett verkrochen. Immer wieder drehte und wendete er das Gespräch mit dem Slytherin in seinem Kopf hin und her, ohne zu einem richtigen Ergebnis zu kommen. Was wollte er denn nun eigentlich tun? Es hatte Spaß gemacht Malfoy zu küssen. Und es hatte Spaß gemacht, ihn hinterher zu ärgern, auch wenn Harry das Thema genauso anging wie den Blondschopf.
Er hatte das dringende Bedürfnis mit jemandem darüber zu reden.
„Harry, sag mal schläfst du am helllichten Tag?", grölte plötzlich eine Stimme durch das Zimmer. Kurz darauf riss Seamus die Vorhänge an Harrys Bett auf. „Was sitzt du denn hier drinnen. Wir wollen draußen ne Runde Quidditch spielen. Nur mit dem Quaffel. Kommst du mit?"
Harry überlegte kurz, ob er den jungen Iren um ein Gespräch bitten konnte, aber er verwarf den Gedanken gleich wieder. Der würde es nicht für sich behalten und Lavender erzählen. Damit wusste es dann auch schon die ganze Schule. Er wusste das, schließlich hatte er Malfoy genau damit gedroht. Allerdings hatte er jetzt nicht mehr die Absicht, das auch wahr zu machen.
„Nee, lass mal", brummte er daher. „Kopfschmerzen."
An Seamus Gesicht war abzulesen, dass er das für eine Ausrede hielt. Aber er ließ Harry zufrieden und zog ab. Dabei murmelte er etwas vor sich hin, das ziemlich nach „Waschlappen"klang.
Harry überlegte weite. Sollte er mit Raja reden? Schließlich war sie auch an der Sache beteiligt. Aber sie war nicht unbedingt gut auf ihren Hauskameraden zu sprechen und Harry wollte nun mal einfach nicht darüber sprechen, wie blöd Malfoy war, sondern wie toll er „Draco"fand. Obwohl ihm immer noch schleierhaft warum auf einmal. Vielleicht weil es sich so viel richtiger angefühlt hatte als jedes Mal vorher...
Ron? Er schüttelte den Kopf. Das ging auch nicht Ron würde das nicht verstehen. Er hatte auch nicht viel mehr Erfahrung mit Beziehungen als Harry. Schließlich war Hermine...
HERMINE! Das war die Antwort. Das Mädchen hatte ihm doch selber angeboten, dass er zu ihr kommen sollte.
Also sprang er aus dem Bett und ging sie suchen. Er fand sie draußen auf dem Hof in einer innigen Umarmung mit Ron verschlungen. Aber das kümmerte Harry im Moment wenig. Er schnappte sich seine Freundin am Arm und zog sie in Richtung der Gewächshäuser.
„Aber was soll denn das?", schimpfte Ron hinter ihnen her.
„Du musst mir Hermine mal ausborgen!", rief Harry grinsend und fühlte sich doch sehr an die gestrige Szene erinnert.
Hinter den Gewächshäusern angekommen mussten die beiden Schüler erstmal zu Atem kommen.
Dann baute sich Hermine vor ihm auf. „Harry Potter, ich hoffe du hast einen guten Grund mich hierher zu schleppen.", drohte sie ihm lachend mit dem Finger auf seiner Brust.
„Ja hab ich...,"versuchte der seine Schilderung zu beginnen und brach dann aber ab. Wie sollte er ihr das erklären?
Sie sah ihm fest in die Augen. „Was ist los? Hast du dich wieder in einen Schlamassel gebracht, aus dem du alleine nicht wieder hervorkommst?", fragte sie misstrauisch.
Er sah sie mit großen Augen an. Woher wusste sie das nun wieder?
Sie setzte sich auf eine niedrige Mauer und hieß ihn neben sich Platz nehmen. „Nun rück schon raus mit der Sprache, es wird bald dunkel.", meinte sie verschmitzt und wies auf die einbrechende Dämmerung über dem Wald.
Stockend und dann immer flüssiger erzählte er ihr die ganze Geschichte. Irgendwie tat es gut darüber zu reden. Er verschwieg auch nicht, dass er Malfoy erst hatte ärgern wollen, und dass das Ganze sich dann irgendwie verselbstständigt hatte. Was er über Raja wusste, ließ er allerdings aus. Ihm entging allerdings völlig, dass sich das Gesicht seine Freundin mit jedem weiteren Satz verdüsterte.
Als er geendet hatte, saßen sie eine Weile im Halbdunkel. Dann sagte Hermine nur: „Du musst mit Raja reden, Harry. Sie muss diesen Zauber wieder lösen. Notfalls müsst ihr zu Dumbledore gehen. Das ist kein Scherz mehr. Das ist hohe Magie. Wieso kann sie das?"
Hermine war völlig schockiert. Allerdings weniger von Harrys Geständnis, in seinen Erzfeind verliebt zu sein, als von der Tatsache, dass das ganze durch einen verbotenen Zauber entstanden war.
„Ich weiß nicht, warum sie das kann. Aber sie hat doch wohl gesagt, dass sie es nicht mehr ändern kann.", meinte er mit trockenem Mund.
„Dann geh zu Dumbledore. Erzähl ihm alles. Lass dir helfen."Bittend sah Hermine ihn an.
Helfen? Er wollte aber inzwischen gar nicht mehr, dass dieser Zauber verschwand. Je öfter er sich an die Minuten heute im Turm mit Malfoy erinnerte, umso besser schienen sie ihm. Er wollte sich nicht mehr mit dem Slytherin streiten Ihm gefiel der „neue"Malfoy ausgesprochen gut.
Ihrem Blick ausweichend antwortete er: „Du hast ja Recht."„Aber gefallen muss es mir nicht", fügte er in Gedanken hinzu.
„Versprochen?", fragte sie nach.
„Ja klar!", seufzte er und machte sich auf die Suche nach Raja.
