Vertrauensfragen

Draco sah Raja erstaunt an. Sie erinnerte ihn doch ziemlich an das Mädchen, als das er sie am Anfang kennen gelernt hatte. Aber Snape war ein Lehrer... „Du solltest vielleicht etwas vorsichtiger sein.", meinte er dann. „Mit Snape ist nicht gut Kirschen essen. Auch wenn du in Slytherin bist und gut im Unterricht. Wenn du nicht nach seiner Pfeife tanzt, lässt er dich fallen, wie eine heiße Kartoffel."

Auf einen verwunderte Blick von Harry hin fügte er rasch hinzu: „Ich weiß wovon ich rede. Schließlich hat mir das „Nachhilfe" eingebracht. Aber inzwischen kann ich das gar nicht mehr so schlimm finden."Er grinste und drückte Harry einen kleinen Kuss auf die Wange. „Eigentlich ist mit Raja ganz gut auszukommen."

Der Gryffindor wandte sich nun ebenfalls wieder an das Mädchen. „Was hast du dir denn dabei gedacht? Das bringt uns doch nur noch weiter in Schwierigkeiten. Snape ist nun wirklich der Letzte, der was von Draco und mir erfahren sollte."Einem plötzlichen Impuls folgend stellte sich Draco hinter Harry und schlang die Arme um seine Taille. Die Sahne war inzwischen entfernt. Eng drückte er sich an den größeren Jungen. Plötzlich hatte er Angst ihn zu verlieren.

Doch Raja sagte nichts und blickte immer noch unverwandt zur Tür. Hinter ihrer Stirn schien es fieberhaft zu arbeiten. Abrupt drehte sie sich um und sagte: „Ihr solltet jetzt wirklich gehen. Ich räum hier noch ein bisschen auf und komm dann nach. Und seht zu, dass euch keiner mehr erwischt."Ihre Stimme war plötzlich kalt und ein eigenartiges Funkeln lag in ihren Augen.

Draco schauderte. Das hatte er schon mal gesehen. Damals. „Mach bloß keinen Mist.", merkte er noch an, bevor er seinen Freund aus der Tür zog. Was immer Raja auch vorhatte, er wollte lieber nicht in der Nähe sein, wenn es passierte. Wenn sie sich tatsächlich auf Snape stürzte, wären ihre Tage in Hogwarts wohl gezählt.

Viel zu schnell musste er sich von Harry trennen, als der in Richtung des Gryffindor-Turms verschwand. Seufzend ging er in den Kerker und machte es sich im Aufenthaltsraum auf der Couch gemütlich. Er musste mit Raja reden. Inzwischen war er ihr gegenüber nicht mehr auf den Zauber und seine Aufhebung zurückgekommen. Er wollte es auch nicht mehr. Er mochte sein neues Leben und seine neuen Freunde. Auch wenn er immer noch den Eisprinzen der Slytherins gab, der an seiner Seite eine kühle, weibliche Schönheit hatte, war dies inzwischen nicht mehr als eine Fassade, die er zum Beispiel seinem Vater zuliebe aufrecht erhielt. Und natürlich um Harry und sich selber zu schützen. Er hatte selbst die Ungerechtigkeit in Slytherin oft genug ausgenutzt, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Wenn er jetzt aus der Rolle fiel, würde er unweigerlich untergehen und seine Freunde mit ihm. Seit Harry ihm in einer ihrer wenigen Stunden allein mal auseinandergesetzt hatte, warum das Mädchen ihm damals den Zauber auf den Hals gehetzt hatte, war er sich sicher, dass er in diese Welt von Macht, Hass und Intrigen nicht mehr zurückkehren wollte. Er hatte es ihr nie gesagt, aber inzwischen war er dankbar, für das, was sie getan hatte. Und jetzt machte er sich Sorgen. Er wollte nicht, dass das Mädchen wieder etwas tat, das ihr später Leid tat. Mit diesen Gedanken schlief er ein.

Er erwachte, als eine Hand ihn sanft an der Schulter rüttelte. „Draco, steh auf. Es ist fast vier."

Verschlafen richtete er sich auf und sah Rajas Gesicht über sich. Sie grinste ihn an. „Schlafmütze!"

„Wo kommst du denn jetzt erst her?", murmelte er und gähnte, während er sich ausgiebig streckte.

Doch sie streckte ihm nur die Zunge raus und antwortete frech: „Das geht dich gar nichts an, Draco Malfoy. Sieh lieber auch zu, dass du in dein Bett kommst."

Sie ging einige Schritte in Richtung der Schlafräume und drehte noch einmal kurz den Kopf zu ihm um. „Aber falls es dich interessiert: Ich habe mich gut amüsiert. Snape wird uns nicht mehr in die Quere kommen."Und mit einem bösen Lächeln auf dem Gesicht verschwand sie endgültig in ihrem Zimmer.

Er stöhnte auf. Das durfte alles nicht wahr sein. Er versuchte sie den Sonntag über noch einmal zu erwischen, aber sie war wie vom Erdboden verschluckt. Auch Harry war ziemlich beunruhigt, ob dieser Nachricht.

„Wenn sie nur nichts Dummes macht.", seufzte der Gryffindor und vergrub sein Gesicht in Dracos Armen.

„Du weißt nicht, wie unangenehm sie sein kann.", fügte Draco noch hinzu, doch der andere murmelte nur: „So lange sie es zu Snape ist, ist mir das herzlich egal." Danach zog er Draco zu einem tiefen Kuss an sich und sie hatten andere Sachen zu tun, als sich über eine wildgewordene Raja Gedanken zu machen.

Doch auch am nächsten Morgen war beim Frühstück nichts aus ihr herauszukriegen. Als sie ihm schließlich drohte, für den Rest des Jahres seine Hausaufgaben zu vernichten, gab er schließlich auf. Mit solchen Aussagen pflegte sie nicht nur zu drohen, sie führte sie meistens auch aus. Und wenn er etwas nicht gebrauchen konnte, waren das schlechte Noten im Abschluss-Jahr. Missmutig machte er sich auf den Weg zu „Zaubertränke". Danach würden sie mit dem Lehrer reden müssen. „Ich hasse Montage.", brummte er und schlich langsam hinter Raja her.

Aber was auch immer zwischen dem Mädchen und dem Lehrer vorgefallen war, der schwarzhaarige Mann hatte sich gut im Griff. Nicht eine gehässige Bemerkung mehr oder weniger als sonst kam über seine schmalen Lippen und es war eine Stunde wie so viele vorher auch. Lediglich das Lob, das er Neville Longbottom gegenüber kurz von sich gab, fiel aus dem Rahmen.

Nach der Stunde stieg Dracos Puls jedoch kurzzeitig an, als der Lehrer ihn aufhielt. „Sie bleiben bitte noch kurz, Mister Malfoy."Und mit einem Blick in Richtung Harry und Raja fügte er hinzu. „Alle anderen haben sicherlich etwas zu tun. Also raus mit Ihnen!"

Nachdem auch der letzte Nachzügler den Raum verlassen hatte, stand Snape auf und ging langsam auf Draco zu. Der schluckte. Was würde jetzt kommen?

Doch der Lehrer sah ihn nur an und meinte ohne eine Regung in der Stimme: „Ich habe einen Brief von ihrem Vater bekommen, Mister Malfoy. Sie sollen einigen wichtigen Ereignissen beiwohnen. Er bittet mich, Sie über die Weihnachtsferien nach hause zu begleiten. Machen sie sich bereit, Ende der nächsten Woche aufzubrechen. Für Sie fangen die Ferien dieses Jahr etwas früher an."

Draco blinzelte ungläubig. Nicht nur, dass Snape so...naja zumindestens nicht anders als vor der Sache in der Küche war, irritierte ihn. Auch die Tatsache, dass sein Vater, der sonst größten Wert auf eine gute Ausbildung legte, ihn vier Tage vor Beginn der Ferien bereits zu sich rief. Der Gipfel dieser Sache war allerdings, dass sein Lehrer nun auch noch zu hause in seiner Nähe sein sollte. Er wusste nicht, ob ihm das gefallen sollte.

Er wartete, ob noch etwas von dem Mann vor ihm kam, doch der schien alles gesagt zu haben, was zu sagen war. Also antwortete er möglichst ruhig: „Ist gut, Professor. Ich werde fertig sein. Brauchen Sie mich noch?"

Doch der Lehrer verneinte und machte sich daran den Raum zu verlassen. Doch kurz bevor er aus der Tür war, verharrte er kurz und knurrte unfreundlich: „Vielleicht sollten sie noch einmal mit Professor Dumbledore reden. Es war auch sein Wunsch, dass ich Sie begleite."

Damit rauschte er aus der Tür und Draco war alleine. Langsam machte er sich auf den Weg zur nächsten Stunde. Doch die lief ebenso wie der Rest des Vormittags und das Mittagessen irgendwie an ihm vorbei, so sehr war er in seine Gedanken versunken. Nach der letzten Stunde machte er sich unverzüglich auf, um den Schulleiter zu besuchen.

„Ich werde schon genauso wie Harry.", schmunzelte er über sich selber. „Hängen wir uns mal Dumbledore an den Rockzipfel, der wird es schon richten."Doch dann überwog seine Sorge um den Besuch bei seinen Eltern. Denn dass er glücklich darüber war, konnte er nicht behaupten. Seine Beziehung zu Harry war nicht unbedingt etwas, über das er mit Lucius Malfoy reden wollte. Doch es war so sicher, wie es morgen wieder hell werden würde, dass Snape es seinem Vater verraten würde.

Vor dem Wasserspeier angekommen, stoppte er. Er wusste nur, dass das Büro hier war. Wie er hinein kommen sollte, war ihm schleierhaft. Und ob der Schulleiter eigentlich da war, war ebenfalls fraglich. Was er eigentlich genau von ihm wollte ebenso.

Er wollte schon wieder umdrehen, als sich der Eingang zum Büro von selbst öffnete und sich die steile Steintreppe langsam nach oben wand. Er wurde also erwartet. Denn eine andere Erklärung schien es nicht zu geben, nachdem auch nach ein paar Minuten niemand die Treppe hinunter gekommen war. Er gab sich einen Ruck und machte sich an den Aufstieg.

Oben angekommen saß der weißbärtige Mann wie so oft in seinem Schreibtisch-Stuhl und blickte nachdenklich auf ein paar Pergament-Rollen. Draco räusperte sich leise und Professor Dumbledore sah auf.

„Mister Malfoy, ich hatte schon gedacht, Sie hätten meine Einladung nicht verstanden. Bitte setzen Sie sich."

Also setzte sich der junge Slytherin auf einen, wie immer von Geisterhand erschienenen Stuhl und wartete neugierig, was nun kam.

Es kam nichts, außer einem fragenden Blick von der anderen Seite des Schreibtisches.

„Was wollten Sie von mir, Professor?", wagte er schließlich das Wort zu ergreifen.

„Nun, Mister Malfoy, so wie ich die Sache sehe, sind Sie doch zu mir gekommen, habe ich nicht recht?", schmunzelte der Schulleiter. „Tee? Oder lieber Saft? Wobei mir Miss Banes verraten hat, dass Sie, genauso wie sie, lieber Kaffee trinken."

„Raja war hier?", keuchte Draco erstaunt. „Was hat sie gesagt? Ging es um mich und Harry?"Dann biss er sich auf die Zunge. Verdammt, jetzt hatte er sich verplappert.

Doch der alte Mann sah ihn nur vergnügt an. „Sie hatte eigentlich ein anderes Thema, jedoch ist mir die Entwicklung der Beziehung zwischen Ihnen und Mister Potter nicht entgangen. Gibt es dort etwas, über dass sie reden wollen?"

Draco schüttelte entschieden den Kopf. Mit Dumbledore wollte er bestimmt nicht über sein Liebesleben reden. Außerdem wollte er Raja nicht in Schwierigkeiten bringen. „Es ist alles in Ordnung."

Doch weil er nicht wusste, ob der Schulleiter nicht doch über den Zauber bescheid wusste fügte er hinzu: „Ich gedenke meine Beziehung aber in dieser Richtung zu vertiefen und ihr nicht wieder die alte Qualität zu geben wie vor einigen Monaten."Er hoffte inständig, dass Dumbledore ihn verstanden hatte. Sonst war der weißhaarige Mann doch Meister der tiefsinnigen Bemerkungen. Insgeheim war er Draco daher immer etwas unheimlich gewesen. Vor ihm blieb keine Missetat unerkannt.

Zufrieden mit dem Kopf nickend ließ der Mann eine Tasse Kaffe vor Draco auftauchen, daneben eine Dose mit Zucker. Woher wusste er das schon wieder? Um etwas tun zu können, nahm der Slytherin die Tasse und gab den Zucker dazu. Während er umrührte, überlegte er fieberhaft, wie er das Gespräch beginnen sollte.

Doch der Schulleiter kam ihm freundlicherweise nun doch zu Hilfe. „Sie sind sicher hier, weil Sie sich erkundigen wollen, ob sie früher nach hause fahren könne, nicht wahr Mister Malfoy?"

Er wusste also davon? Draco seufzte innerlich. Da seinem Gegenüber eh nichts verborgen blieb, konnte er genauso gut sagen, was ihn beschäftigte.

„Ich denke, dass man in meiner Familie nicht gerade erfreut sein wird über die Entwicklung meiner Beziehung zu Harry. Außerdem spricht die Formulierung des Briefes dafür, dass auch noch...andere Dinge geschehen werden."

Er unterbrach sich. Schließlich waren das seine Eltern. Seiner Mutter traute er zwar durchaus zu, mit dieser Sache umgehen zu können. Aber sie war seit einer schweren Krankheit im letzten Sommer sowieso ziemlich empfindlich. Insgeheim wusste Draco, dass sein Vater seine Mutter mit einem Bann belegt hatte, der sie außerhalb des Hauses, wie eine Puppe wirken ließ, die sich nicht im Geringsten für ihre Umwelt interessierte. Bis jetzt hatte ihn das nie sonderlich gestört, denn innerhalb der Mauern von Malfoy Manor, war seine Mutter immer diejenige gewesen, die ihm am ehesten etwas wie Liebe und Zuneigung gezeigt hatte. Er hatte sie jedoch für ihre Schwäche seinem Vater gegenüber verachtet. Damals. Er seufzte abermals und erinnerte sich daran, dass er immer noch in Dumbledores Büro saß.

Der Schulleiter sah ihn aus unergründlichen blauen Augen an und fragte nachdenklich: „Also sind meine Vermutungen den Besuch einer gewissen Person in ihrem Heim betreffend nicht unbegründet?"

Draco nickte. Er war sich ziemlich sicher, dass Dumbledore ebenso wie er vermutete, dass der Dunkle Lord ihn in seine Reihen berufen wollte. Er hatte es bei anderen aus seinem Haus schon vermutet, dass es begonnen hatte. Nur war sich der junge Mann inzwischen ziemlich sicher, dass er das nicht mehr wollte. Er hatte den Herrn der Todesser jedoch noch nie persönlich getroffen und wusste daher nicht, was ihn erwartete.

Dumbledore sah ihn nun ernst an. „Mister Malfoy, ich möchte Ihnen nun einige Dinge anvertrauen, die mein Vertrauen in ihre Absichten ausdrücken werden. Ich wünsche sehr, dass Sie mich nicht enttäuschen."

Mit einem Mal konnte Draco Harry verstehen, dass dieser meist so positiv von dem Schulleiter sprach. Der Mann fuhr etwas lauter fort: „Ich habe Professor Snape gebeten, dem Wunsch Ihres Vaters zu entsprechen und Sie zu begleiten. Zu ihrem Schutz."

Der junge Slytherin schaute ungläubig. Snape war doch ebenso ein Todesser wie sein Vater. Wie sollte der ihn vor dem Dunklen Lord beschützen wollen.

„Ich sehe das Unverständnis auf ihrem Gesicht. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass sich Professor Snape nicht nur Ihretwegen in diese Situation begibt, sondern auch, weil wir einige Informationen benötigen. Über die Vorgänge im Kreise Voldemorts. Es ist sicher unnötig zu erwähnen, dass diese Sache für sie beide sehr gefährlich werden wird. Wenn Sie es wünschen, werde ich ihrem Vater sagen, dass sie über die Ferien hier bleiben."

Er sah Draco fragend an.

Der überlegte kurz und lachte dann auf. „Wollen Sie mir erzählen, Professor Snape ist ein Spion? Ich hoffe für ihn, dass mein Vater das nie herausbekommt."

„Eben darum wäre es wichtig, dass Sie trotz ihrer Situation ihre Familie wie gewünscht besuchen. Es geht nicht nur um ihre Sicherheit. Ich vertraue darauf, dass Sie die richtige Entscheidung treffen."

„Aber wie soll ich die Sache verhindern?", meinte der blonde Junge gequält.

„Ich in sicher, Sie werden eine Lösung finden.", sagte der Schulleiter lediglich. „Sie haben Freunde, Mister Malfoy. Vergessen Sie das nicht."

Dann drehte er sich um und schwieg. Zögernd verließ Draco das Büro. Nicht viel schlauer als vorher, bis auf die Tatsache, dass er nun wusste, dass der Zaubertränkelehrer auf Seite der „Guten" stand. Ein unglaubliches Wissen, das Dumbledore ihm da anvertraut hatte. Doch er hatte nicht die Absicht es zu nutzen. Es bestand keine Notwendigkeit dafür.

Lächelnd machte er sich auf den Weg in den Gemeinschaftsraum der Slytherins. Er hatte sich wirklich verändert. Früher wäre das die Gelegenheit gewesen. Doch jetzt? Er wollte noch nicht einmal, dass Snape etwas passierte.

„Weichei!", schimpfte er sich selbst.

Und dann ging er seine beiden Freunde suchen.