Schreie in der Nacht

Severus Snape war sauer. Ziemlich Sauer. So sauer, wie man eben war, wenn man mit einer völlig blödsinnigen Begründung von einer Hauselfe aus dem Tiefschlaf gerissen wurde, in den man sich nach stundenlangem Umherwälzen gerade hat fallen lassen. Er war sich sicher, dass sich die Welt gegen ihn verschworen hatte. Oder dass sich zumindestens diese kleine Schlage, Banes, einen Spaß daraus machte, ihn zu quälen. Fluchend versuchte er die Erinnerung an ihr Gespräch vor ein paar Tagen zu unterdrücken, dass sich seit Tagen nicht mehr aus seinem Kopf verbannen ließ. Und jetzt wieder diese Ghul-Geschichte. Pah!

Die zitternde Hauselfe hatte ihm gesagt, dass Dumbledore seine sofortige Anwesenheit in der Großen Halle für erforderlich hielt. Die Ghule hatten angeblich angegriffen. Wieder so ein dämliches Hirngespinst von dem Mädchen. Konnte sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen. Er hatte doch getan, was sie wollte. Er hatte Potter und den jungen Malfoy, weder gemeldet noch bestraft. Er hatte sie nicht gemeldet, obwohl er davon ausgehen konnte, dass Dumbledore ihm glauben würde. Aber er wollte sich nicht schon wieder hinter dem Schulleiter verstecken. Diesmal nicht. Er würde sich doch nicht von so einer Rotzgöre unterkriegen lassen.

Missmutig lief er durch das dunkle Schloss und erreichte schließlich die Tür zum Saal. Beinahe wäre er dort mit Professor Arimas zusammengestoßen. Der große Mann war bleich und sein dunkler, sonst sehr gepflegter Bart, stand wirr in alle Richtungen ab. Man musste auch ihn aus dem Bett geholt haben.

„Severus, gut dass Sie kommen.", begrüßte der Kollege ihn. „Wir wollen so schnell wie möglich aufbrechen. Diese Treiben muss heute Nacht ein Ende finden."

„Was denn für ein Treiben. Hat Miss Banes wieder schlecht geträumt", knurrte der Lehrer der Zaubertränke und ließ den verdutzten Mann einfach and der Tür stehen. Was für ein Aufstand!

„Was ist los, Professor?", wand er sich im Saal sofort an Dumbledore. „Hat mal wieder jemand die Ausgangs-Sperre nicht beachtet und ist über Mister Filchs Katze gefallen."

Aber statt des Schulleiters antwortete ihm die zynische Stimme seiner impertinente Schülerin: "Das ist wohl kaum eine Katze, Professor Snape. Oder trauen Sie auch ihren eigenen Augen nicht?"

Wütend drehte er sich um, doch die scharfe Bemerkung blieb ihm im Halse stecken. Neben Raja Banes lag eine abscheuliche Kreatur auf einem der Haustische. Den toten Körper des Ghuls zierten etliche tiefe Wunden, die klauenbewehrten Gliedmaßen standen grotesk verdreht vom dem plumpen Körper ab und die riesigen roten Augen, stierten nur noch gebrochen zur Decke des Raumes, an dem ein heller, fast voller Mond die ganze Szene beleuchtete. Ein Bein der Kreatur fehlte völlig.

„Aber wie", begann er eine Frage.

„Schattenfell hat ihn erledigt.", schnitt ihm die Schülerin das Wort ab. „Die Ghule haben die Hippogreife angegriffen und das Männchen hat seine Familie verteidigt. Einen der Ghule hat er erwischt, der Rest konnte flüchten."Sie warf einen hasserfüllten Blick auf den Kadaver. „Die beiden anderen Tiere sind ebenfalls tot. Mutter und Tochter."Sie kam mit einem schnellen Schritt auf ihn zu und bohrte ihm den Finger schmerzhaft in die Brust. „Zerrissen von einer Horde Hirngespinste, wie Sie sie ja nennen."

„Miss Banes, mäßigen Sie sich.", erklang jetzt die Stimme des Schulleiters. Dumbledore nahm das Mädchen sanft am Arm und zog sie einige Schritte weg von ihm. „Es trifft höchstens mich eine Schuld, weil ich nicht daran geglaubt habe, was sich direkt vor unserer Nase abspielte. Wir hätten besser auf Sie hören sollen."

„Von wegen!", schnaubte Snape nun und setzte ein dünnes Lächeln auf. „Wegen ein paar toter Tiere machen Sie mitten in der Nacht so einen Aufstand. Hätte das nicht bis morgen früh warten können?", setzte er ärgerlich hinzu.

Da hörte er Hagrids tiefen Bass hinter sich. „Aber Schattenfell war stark. Und sein Weibchen, Rosenpranke, hat wie eine Furie um die kleine Perlenauge gekämpft. Aber es waren einfach zu viele."Bäche von Tränen liefen in den Bart des großen Wildhüters und er schnäuzte sich geräuschvoll in ein Taschentuch von der Größe eines kleinen Bettlakens. „Das war ein riesiger Haufen, bestimmt zwanzig. Wir haben sie nicht retten können."Dann verstummte er und fing wieder laut an zu schluchzen.

Snape trat vorsichtshalber einen Schritt zurück und murmelte: „Himmel, kann der sich nicht mal zusammenreißen."

Doch dann ergriff Professor Dumbledore wieder das Wort. „Aufgrund der deutlichen Spuren, wird es möglich sein, den Ausgangspunkt dieser Wesen zu bestimmen und ihren geschwächten Zustand nach dem Kampf auszunutzen, um sie zu beseitigen. Wir erwarten noch einige Unterstützung vom Zauberei-Ministerium, der jeden Moment per Kamin hier eintreffen sollte. Dann brechen wir sofort auf."

Er wandte sich an den Zaubertränke-Lehrer. „Ich möchte sie bitten, eine Notfall-Ausrüstung zur Versorgung eventueller Verletzter dieser Aktion zusammenzustellen und diese zu betreuen. Denn Miss Pomfrey würde ich nur ungern mit dieser Aufgabe betrauen. Etwas Glut-Trank zur Vermeidung von Unterkühlungen im Schnee wäre ebenfalls von Vorteil. Nehmen sie Miss Banes zur Unterstützung mit. Ich möchte nicht, dass sie sich in die Kämpfe einmischt."Mit einem nachdenklichen Blick auf die Schülerin fügte er hinzu: „Ich denke jedoch nicht, dass ich sie ihm Haus halten kann."

Erst jetzt wurde sich der Lehrer des Aufzugs des Mädchens bewusst. Sie trug eine schwarze Lederhose und etwas, dass sich am ehesten mit einer Korsage vergleichen ließ, jedoch den gesamten Oberkörper bedeckte. Über ihren Schultern hing ein langer, schwarzer Umhang, der definitiv nicht zur Schuluniform gehörte, da er keine Ärmel hatte. Sie sah ihn immer noch wütend an und ihre Hände hatte sie angriffslustig in die Hüften gestemmt. Unter anderen Umständen, wäre sie vielleicht, aber auch nur vielleicht, beeindruckend gewesen.

„Ich denke nicht, dass ich Miss Banes´ Unterstützung brauchen werde.", knirschte er. „Aber ich werde sie natürlich beaufsichtigen, damit sie nicht wieder etwas Dummes anstellt." Befriedigt nahm er das zornige Aufblitzen in ihren Augen war. Er würde nicht vor ihr kuschen.

Eine Gruppe von acht Ministeriums-Zauberern betrat nun die Große Halle und begann nach einer kurzen Untersuchung des toten Ghuls, die Einzelheiten der geplanten Suchaktion mit den anderen Lehrern zu besprechen. Befehlend winkte Snape dem dunkelhaarigen Mädchen, das ihm widerwillig folgte. Gemeinsam eilten sie die Treppen in sein Labor hinunter, wo er anfing, die nötigen Sachen zusammenzusuchen.

„Stehen Sie nicht so herum. Machen Sie sich nützlich und packen sie die Flaschen in eine Tasche. Wir haben nur wenig Zeit.", schnauzte er sie an.

„Das hat Sie vorhin doch auch nicht interessiert.", giftete sie zurück und machte sich aber gehorsam an die Arbeit. Als sie alles zusammen hatten, wollte sie schon aus der Tür schlüpfen, als er sie am Arm zurückhielt.

„Das da draußen ist kein Spiel, Miss Banes.", zischte er leise. „Das ist blutiger Ernst. Nehmen sie Vernunft an und tun Sie endlich mal, was man Ihnen sagt. Sie sind noch zu jung, um das alles richtig beurteilen zu können."

„Und Sie, Professor", gab sie eben so leise zurück und sah ihm dabei direkt in die Augen, „sollten mich besser nicht unterschätzen. Sie haben schon einmal verloren, und sie werden es wieder tun. Also lassen Sie meinen Arm los, bevor ich sie dazu zwingen muss."

Damit entwand sie sich seinem Griff, und jagte die Treppen hinauf. Schnell folgte er ihr und rief im Vorbeigehen noch seinen wärmeren Umhang zu sich. Schließlich sollte er jetzt im Wald rumstreunen, anstatt sich seiner verdienten Nachtruhe zu widmen.

Draußen war es, wie er erwartet hatte, bitterkalt. Schnee lag in der Luft. Er machte sich noch daran, an alle Beteiligten etwas von dem Glut-Trank auszuteilen, dann machte sich die Gesellschaft auf den Weg in den Wald. Immer in Gruppen zu zweit oder zu dritt durchkämmten die Zauberer den Wald von der Angriffsstelle ausgehend. Immer auf der Hut vor einem Hinterhalt, denn keiner konnte genau sagen, wie organisiert die Ghule waren. Wenn sie schon so untypische Angriffe wagten konnte es durchaus sein, dass sie auch sonst über weitergehende Fähigkeiten verfügten.

Die Spuren führten immer tiefer in den Wald und ab und an zeugte einige Rufe und Lichtblitze davon, dass die Mitglieder dieser Expedition wieder einen der Ghule erwischt hatten. Snape und das Mädchen folgten den anderen in einigem Abstand, doch nur einmal mussten sie einen der Zauberer des Ministeriums versorgen, weil einer Ghule ihm fast den Fuß abgebissen hatte. Er sah zu, wie sie die Wunde reinigte und dann mit einem seiner Tränke versorgte. Kurz darauf, begann die Schwellung bereits zurückzugehen und die tiefen Biss-Spuren sich zu schließen.

„Gibt's es eigentlich etwas, dass sich nicht können, Miss Banes?", fragte er spöttisch, nachdem der andere Mann wieder gegangen war. „Sie müssen sich ja unheimlich schlau und wichtig vorkommen."

Sie schnellte aus der Hocke hoch und packte ihn an seinem Umhang. „Es gibt bestimmt eine Menge, dass ich nicht kann.", funkelte sie böse. „Doch vor allem kann ich Sie nicht leiden."

„Das beruht durchaus auf Gegenseitigkeit, darauf können sie Gift nehmen.", gab er ärgerlich zurück und riss ihr den Stoff aus der Hand. „Und wagen Sie nicht, mich noch einmal anzurühren."

Sie kam jedoch noch näher und wisperte: „Wieso, Professor. Haben sie Angst, ich könnte sie verzaubern? So wie neulich Nacht?"

Dann fuhr sie plötzlich herum und sah sich hektisch nach allen Seiten um. Sie hob warnend die Hand und flüsterte: „Ein Ghul. Er ist hier. Sie müssen ihn übersehen haben."

Er versuchte im Dunkeln etwas zu erkennen, doch als er nach seinem Zauberstab greifen wollte, schüttelte sie energisch den Kopf. „Er wird uns sehen. Wenn er uns nicht sowieso schon gewittert hat. Wir müssen uns verstecken. Verletzt sind sie zu gefährlich." Er sah, dass ihre Augen nun unruhig flackerten.

„Sie haben doch nicht etwa Angst, Miss Banes?", amüsierte er sich trotz ihrer durchaus ernstzunehmenden Lage.

Sie sah ihn nun kalt an. „Nein, aber eine gewisse Vorsicht ist wohl geboten, waren das nicht in etwa ihre Worte?"

Dann hörten sie ein lautes Knacken und etwas Großes schien durch das Unterholz zu brechen. Ohne zu überlegen, ließ er sich von dem Mädchen mitziehen, das nun seine Hand nahm und ihn hinter einen Baum beförderte. Dort presste sie sich eng an ihn und knurrte: „Keinen Mucks, vielleicht krieg ich´s hin."
Sie legte den Kopf an seine Brust, atmete tief ein und schloss die Augen. Ein Schleier schien sich über die Welt zu legen und er hörte die Laute des Ghuls nur noch gedämpft an sein Ohr dringen. Das Wort „ruhig"flog durch seinen Geist und er versuchte nun ebenfalls kein Geräusch mehr zu verursachen, als der Ghul aus dem Wald brach. Kurz darauf betrat jedoch noch ein zweites Geschöpf die Lichtung und sog prüfend die Luft ein. Grunzend schien es sich mit seinem Kameraden zu verständigen. Er hielt den Atem an, als der Blick des größeren Tieres in seine Richtung fiel und er sich langsam in Bewegung setzte. Er schien ihm genau in die Augen zu sehen.

„Nicht hingucken, Sie Idiot!", hörte er eine Stimme in seinem Kopf und schloss die Augen. Er hörte bereits das Schnauben des Ghuls und spannte sich um aufzuspringen, da ertönten mit einem Mal Stimmen ganz in der Nähe.

„Hier sind noch zwei."

„Hier rüber John, gleich haben wir sie."

„Haltet euch bereit, auf drei!"

„Eins, zwei, drei ... Stupor!"

Geräusche von durch die Luft fliegenden Flüche zischten durch die Nacht, dann heulten die zwei Ghule auf und fielen vor seinen nun wieder geöffneten Augen zu Boden. Drei Ministeriums-Zauberer, sowie Professor Arimas betraten die Lichtung und löschten mit einem Feuer-Zauber das Leben der geschockten Wesen aus. Beißender Rauch stieg empor, als sie Kadaver verbrannten.

Er ließ den Kopf zurücksinken und atmete ein paar Mal tief aus und ein. Dann wurde er sich bewusst, dass er immer noch die Arme um seine Schülerin geschlungen hatte. Sie hob den Kopf und blickte kurz auf die Lichtung. „Schwein gehabt", murmelte sie und stieß sich dann von ihm ab. Spöttisch sah sie ihn an. „Das bleibt wohl besser unter uns, Professor. Sie wollten doch auf mich aufpassen."

Dann drehte sie sich um und ging auf die beiden vor sich hin kohlenden Leichen zu und begann mit Professor Arimas zu sprechen. Wütend sah er ihr nach. Wie konnte sie es wagen, ihn so lächerlich zu machen. Der Zauber „Schattenschmelze", mit dem sie sie offenbar geschützt hatte, war nicht Teil der Ausbildung an Hogwarts. Das war etwas, das Auroren lernten, um sich besser vor ihren Feinden verbergen zu können. Er musste jedoch zugeben, dass sie zu zweit wahrscheinlich keine Chance gehabt hätten, zumal er wusste, dass sie in Angriffszaubern keine große Leuchte war. Insofern war ihre Aktion durchaus logisch gewesen. Trotzdem ärgerte er sich. Er hätte die Führung übernehmen sollen und ihr sagen, was zu tun war.

Dann stutzte er plötzlich. Hatte er vorhin wirklich ihre Gedanken gehört. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Nein, das war nicht möglich. Eine Schülerin konnte nicht über diese Gabe verfügen. Sie war erst nach langer Ausbildung zu erreichen. Das konnte sie nu wirklich nicht können.

Grimmig stand er auf und klopfte sich den Schnee vom Umhang. Dann nahm er die Glückwünsche von Professor Arimas über seine Mitarbeit zum guten Ausgang dieses Zusammen-Treffens in Empfang, sammelte er auf der Lichtung seine Sachen zusammen und folgte den anderen Männern zum Schloss.