Voldemorts Auftrag
Draco lag mit offenen Augen auf seinem Bett und starrte die Decke an. Er war immer noch aufgewühlt von dem kurzen Gespräch, das er mit seiner Mutter geführt hatte. Obwohl Gespräch nicht gerade das richtige Wort, für seine Fragerei gewesen war, auf die die blonde Frau nur einsilbige Antworten gegeben hatte. Sie war fast völlig weggetreten und er ballte immer noch die Fäuste, wenn er an die toten, leeren Augen dachte, die ihn nicht einmal richtig angesehen hatten. Sein Vater musste inzwischen noch andere Mittel einsetzen, um sie ruhig zu stellen und Draco hasste ihn jetzt dafür.
Sehnsüchtig dachte der junge Mann an Harry und wünschte sich bei ihm zu sein. Auch Rajas Gesellschaft wäre tröstlich, in dieser tödlichen Stille, die ihm immer mehr wie ein Grab vorkam. Sogar Voldemort wäre ihm jetzt recht gewesen, um dieser untätigen Warterei zu entkommen, die sich endlos hinzuziehen schien. Doch dann brach langsam die Dämmerung herein. Er entschied sich noch einmal gründlich zu baden, bevor er zum Abendessen ging. So würde wenigstens etwas Zeit schneller vergehen.
Als er jedoch nur mit einem Bademantel bekleidet nach der Klinke der Badezimmertür greifen wollte, öffnete die sich von alleine und er stand vor seinem Lehrer. Misstrauisch starrte sich die beiden unterschiedlichen Männer an. Draco bemerkte zum ersten Mal wirklich, dass sich das Äußere seines Lehrers verändert hatte. Seit der Sache mit dem Haarwuchs-Trank, hingen seine Haare nicht mehr so strähnig herunter wie früher. Sein Gang war aufrechter und die Falten um seine Augen ein bisschen weniger tief. Snape war ja eigentlich auch noch gar nicht so alt, wie ihn seine ständige Leichenbittermiene immer wirken ließ. Und doch waren die Schatten unter seinen Augen tiefer denn je und der harte Zug um den Mund hatte sich nicht um ein Quäntchen gemildert, als er nun widerlich grinsend zischte: „Mister Malfoy. Da habe ich ja Glück, dass sie mich nicht mit ihrer Anwesenheit erfreut haben. Ich teile mein Bad nicht gerne mit jemandem, der mit Potter ins Bett steigt."
Draco schäumte vor Wut. „Sie sind immer noch in meinem Zuhause, Professor, vergessen Sie das nicht. Und ziehen Sie nicht über Harry her, sonst sehe ich mich gezwungen von meinem Zauberstab Gebrauch zu machen."
Doch der Schwarzhaarige lächelte nur: „Den Sie wo genau versteckt haben, Mister Malfoy?"Doch dann winkte er ab. „Vergessen Sie es! Ich will es gar nicht wissen." Dann verschwand er am Ende des Ganges in seinem Zimmer.
„So ein Arsch.", murmelte Draco und ging ins Bad. Er schloss vorsichtshalber die Tür ab und stellte sich vor den Spiegel. Ein blasses, schmales Gesicht sah ihn an. Ein Gesicht, das heute Abend dem Dunklen Lord gegenübertreten sollte. Offensichtlich ohne die Unterstützung seines Lehrers. Seufzend ließ er sich auf den Badewannenrand sinken und schaute dem einlaufenden Wasser zu. Als die Wanne fast voll war, entledigte er sich seines Bademantels und sank in das duftende Wasser.
„Du denkst zu viel nach.", hatte Raja ihm gesagt. „Lass dein Herz die Richtung und deinen Verstand den Weg bestimmen. Leere deinen Geist. Sei wachsam, aber nicht ängstlich."Das war leichter gesagt, als getan.
Er drehte langsam den kleinen Bergkristall-Anhänger in Händen, den sie ihm zu Abschied gegeben hatte. Er versuchte sich auf den Stein und seine innere Klarheit zu konzentriere. Die kleine Übung, so wie das warme Wasser taten ihre Wirkung, and als er das Bad nach einer weiteren halben Stunde verließ, fühlte er sich wieder stark genug, für das was kommen sollte.
Das Abendessen verlief mit der üblichen, höflichen Kälte ab, die schon sein ganzes Leben lang immer mit seinen Eltern verbunden gewesen war. Sein Vater schien sich zwar durchaus auf den Abend zu freuen, doch Snape starrte immer nur stumm vor sich hin und seine Mutter war immer noch die gleiche leblose Puppe, wie noch vor ein paar Stunden.
Einige dumpfe Geräusche von draußen kündigten schließlich das Apparieren mehrerer Personen an, die Tür wurde geöffnet und mehrere Männer so wie eine Frau betraten die Eingangshalle. Lucius Malfoy begrüßte jeden von ihnen und führte sie in den Salon.
Draco sah sich um. Einige der Gesichter kannte er natürlich, doch es waren auch neue dabei. Alte und junge, Er schauderte, wenn er darüber nachdachte, dass auch er heute Abend „berufen"werden sollte.
Die Todesser machten keinen großen Hehl daraus, dass sie noch auf jemanden warteten. Unruhige Blicke flackerten durch den Raum und blieben immer wieder and einem großen Ziffernblatt hängen, die schon fast neun Uhr abends anzeigte. Keiner sprach viel.
Als die Zeiger endlich die volle Stunde anzeigten, steigerte sich die Spannung ins schier Unermessliche. Alle sahen sich fragend um, als solle der Dunkle Lord plötzlich hinter einer Ecke hervorspringen.
Er tat ihnen diesen Gefallen nicht, sondern schritt mit einem Male beinahe gemächlich aus dem Schatten am Fenster hervor. Kälte legte sich über den Raum, als die bleiche, dürre Gestalt ihre tückischen roten Augen durch die Reihen seiner Diener streifen ließ, die ausnahmslos auf die Knie sanken, sobald er sich ihnen näherte. Auch Draco wurde von seinem Vater zu Boden gezogen, als der ausgemergelte Mann sich auf sie zubewegte, doch Voldemort hatte bereits seinen Blick festgehalten und hielt seinen Kopf oben.
„Ah, der junge Malfoy.", sagte eine hohe, kalte Stimme. „Ich freue mich, einmal persönlich deine Bekanntschaft zu machen. Dein Vater redet viel von dir."Ein leichter Tadel in der Stimme ließ seinen Vater noch mehr ihn sich zusammensinken, als erwarte er eine Bestrafung. Wie mächtig war dieser Zauberer?
Dann wand er sich der Person neben ihm zu. „Severus! Auch du wieder einmal bei einem Treffen. Du entziehst dich mir.", der spielerisch verletzte Ton, erzeugte eine Spannung, die Draco fast auf die Füße springen ließ. „Ich sollte mir überlegen, ob du wirklich noch ein so treuer Gefolgsmann bist."
Mit einer beiläufigen Geste holte der Herr der Todesser seinen Zauberstab hervor und richtete ihn auf den knienden Mann. „Crucio!"
Stumm krampfend saß sein Lehrer neben ihm, die Hände zu Fäusten geballt, so dass die Fingerknöchel weiß hervor traten. Das Gesicht war eine Maske des Schmerzes, der in seinem Inneren wütete. Doch es kam kein Laut über seine Lippen, bis auf ein leises Keuchen, als der Fluch wieder von ihm genommen wurde. „Danke, Meister, dass Ihr mich an meine Pflichten erinnert.", presste er dann mühsam hervor. „Ich werde mich Eurer würdig erweisen."
Doch Voldemort hatte seine Aufmerksamkeit schon wieder Draco zugewandt. Der junge Mann spürte die raue, kratzende Kraft, die in seine Gedanken einzudringen versuchte. Er senkte den Blick und konzentrierte sich, wie er es gelernt hatte. Er spürte, wie die Kraft verstärkt wurde und dann plötzlich nachließ.
„Interessant.", amüsierte sich der Dunkle Lord und ging zu einem Der Sessel hinüber. Groß und bleich, ließ er sich darauf nieder, legte die dünnen Finger aneinander und ein dünnes Lächeln verzog sein schlangenähnliches Gesicht zu einer belustigten Grimasse. Stumm blickte er einzelne Mitglieder der Runde an, welche kurz darauf zu zittern begannen und dann nach einigen Minuten seufzend in sich zusammensanken. Schließlich öffnete er den Mund wieder und sagte: „Ihr habt eure Order und nun verschwindet. Lucius, Severus und Draco bleiben hier."
Eilig verließen die anderen Todesser den Raum, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her.
Als sie alleine waren, musterte Voldemort die drei stumm und hieß sie dann Platz nehmen. Er selbst stand wieder auf und begann im Raum umher zu wandern. „Der junge Malfoy scheint das Talent seines Vaters geerbt zu haben.", nahm er nach unendlich scheinender Zeit das Gespräch wieder auf. „Doch er scheint auch einen guten Lehrer gehabt zu haben. Nicht wahr, Severus?"Er sah den Lehrer nun wieder prüfend an.
„Ich weiß nicht, was ihr meint, Herr.", ließ der sich hinreißen zu sagen und fand sich wenige Augenblicke später auf dem Fußboden wieder, als der Schmerz des erneut angebrachten Fluches langsam aus seinem Körper wich. Draco begann feuchte Hände zu kriegen. Das war wirklich alles andere als lustig.
„Ich rede davon, du Nichts von einem Diener, dass ich seine Gedanken nicht erfasse.", fauchte Voldemort ungeduldig. „Sie sind geschützt. Und auch wenn ich diesen Widerstand natürlich mit Leichtigkeit brechen könnte, wüsste ich gerne, woher er dieses Wissen hat."
Snape atmete heftig. „Das weiß ich nicht Herr."
„Falsche Antwort.", seufzte der Dunkle Lord und strafte seinen am Boden liegenden Jünger erneut. „Du hast vor mich zu hintergehen. Ich weiß das, Severus. Wie erbärmlich, dass du deine Unterstützung bei einem Kind suchst."
Mit bleichem Gesicht versuchte der schwarzhaarige Mann wieder auf die Beine zu kommen. Blut lief in einem dünnen Rinnsal aus seiner Nase und zeichnete eine scharlachrote Spur in das kranke Weiß der Haut. Er keuchte nun hörbar. „Herr, ich habe aber eine Vermutung, wer es ihm beigebracht hat.", konnte er endlich hervorbringen. Die Augen seines Herrn glitzerten erfreut und er ließ den Zauberstab sinken.
„Berichte mir, Severus!", forderte er ihn ungeduldig auf und setzte sich auf die Lehne des Sessels, vor dem der bebende Mann kniete. Draco rutschte ungemütlich auf seinem Sitz hin und her, was ihm nur einen spöttischen Blick seines Vaters einbrachte, der offensichtlich zufrieden mit deiner Position als Nicht-Bestrafter war.
Langsam begann Snape zu sprechen. „Wir haben seit dem Sommer eine neue Schülerin. Sie ist ungefähr zwanzig, nicht besonders groß. Ein Ebenbild ihrer Mutter."
„Langweile den Herrn nicht mit Details, Sev.", unterbrach Lucius Malfoy ihn unsanft. „Du stielst uns die Zeit."
„Das kann ich alleine regeln, Lucius.", sagte der Dunkle Lord kalt, als sich auch Dracos Vater unter dem Cruciatus-Fluch wand. „Ich schätze solche Unterbrechungen nicht. Doch fahre fort, Severus. Ich weiß nicht, was mir dein Bericht nützen sollte. Viele Töchter sehen ihren Müttern ähnlich."
„Doch nicht sehr viele sehen aus wie Lydia Jones.", beendete der Zaubertränkelehrer seine Antwort.
Die Wirkung des Satzes war sehenswert. Die roten Augen, mit den schlitzartigen Pupillen glühten förmlich auf, als der Name fiel. „Lydia Jones? Die Mutter von...Raja? Das Mädchen ist tot, wie du weißt. Lucius selbst hat mit von ihrem Tod berichtet."
Ein angestrengtes Lächeln machte sich nun auf dem Gesicht von Dracos Lehrer breit. „Dann wird sich der gute Lucius wohl geirrt haben, dann Raja Banes läuft ziemlich lebendig durch unsere Schule. Ich selbst habe ihre Kräfte gesehen. Und der junge Mister Malfoy scheint sich gut mit ihr zu verstehen. Ich vermute, sie hat ihn unterrichtet."
Draco sah seinen Lehrer fassungslos an. Hatte er die ganze Zeit ein solch falsches Spiel getrieben? Nur um dem jungen Slytherin und seinen Freunden jetzt hier in den Rücken zu fallen? Die Reaktion des Dunklen Lords sprach Bände. Er war sichtlich erfreut über diese Nachricht.
„Das ist wirklich eine gute Nachricht. Deine Tätigkeit in Hogwarts scheint sich doch auszuzahlen, mein lieber Severus. Wenn wir dieses Mädchen endlich in unsere Gewalt kriegen und sie gefügig machen, wird es ein leichtes sein, Dumbledore zu vernichten."
„Aber Meister", wand Dracos Vater nun ein, bevor er realisierte, was er tat. Doch Voldemort sah ihn diesmal nur kalt an, so dass er wagte weiter zu sprechen. „Das Mädchen ist gefährlich. Wir haben schon einmal versagt, sie zu kontrollieren."
„Du meinst, DU hast versagt.", konterte der bleiche Zauberer. „Ich werde nicht so dumm sein und einen Zauber für sie verwenden. Sie wird mir freiwillig folgen, da bin ich mir sicher."
Sein Blick heftete sich auf Draco. „Denn es wird die Aufgabe deines Sohnes sein, deinen Fehler wieder gut zu machen. Bring mir dieses Mädchen, Draco, und deiner Familie wird nichts geschehen. Erweise dich als wertvoller, als dein Vater und du wirst reich belohnt werden. Solltest du scheitern..."Er ließ das Ende des Satzes als unverhohlene Drohung im Raum schweben.
Draco schluckte und überlegte fieberhaft. Er wusste, dass er nun etwas sagen musste. Doch was hatte er schon für eine Wahl. So nickte er nur. Gehorsam. Demütig. Schweigend. So wie ein angehender Diener des Dunklen Lords zu sein hatte. Da er die wahren Gedanken seines blonden Gegenübers nicht spüren konnte, nahm Voldemort die Antwort als selbstverständlich hin und erhob sich wieder.
„Es ist alles gesagt. Ich erwarte alsbald Nachricht von dir, junger Draco."
Dann drehte er sich um und verschwand ebenso lautlos, wie er gekommen war, wieder in den Schatten.
Die der Männer im Raum atmeten auf.
Sie erhoben sie sich und verließen schweigend das Zimmer. Alle froh noch am Leben zu sein, doch mit unterschiedlichen Gefühlen.
Einer verwirrt.
Einer verletzt.
Einer voller Scham.
