Sylvesternacht

Harry wanderte schon den ganzen Tag unruhig hin und her. Ron und Hermine leisteten ihm im Aufenthaltsraum Gesellschaft, konnten ihn jedoch auch nicht beruhigen. Seit Draco und Raja verschwunden waren, hatten sie nicht eine Nachricht über den Stand der Dinge erhalten und die drei Gryffindors hatten ohne Information einfach nur abwarten müssen.

Als dann zwei Tage nach Weihnachten die Leiche von Snape die Schule erreicht hatte, war der Schulleiter mit den Worten: „Macht euch keine Sorgen. Wir werden einen Weg finden.", verschwunden und sie waren in ein dumpfes Brüten verfallen.

Zum wiederholten Male schmiss Harry nun schon einen Gegenstand, der ihm in die Quere kam gegen die Wand. Diesmal war es ein Buch.

Doch er hatte seine Rechnung ohne Hermine gemacht. „Sag mal spinnst du jetzt völlig? Ich verstehe ja, dass dich die Situation nervt. Das tut sie uns alle. Aber das ist noch lange kein Grund, dich an unschuldiger Literatur zu vergreifen.", fauchte das braunhaarige Mädchen böse. Was Bücher anging, verstand Hermine eben keinen Spaß.

„Entschuldige!", brummte Harry verlegen. Sie hatte ja Recht.

Doch dann stand auch Ron auf. „Wir kriegen auch mal wieder nix erzählt.", empörte er sich. „Hinter den Kulissen geht es zu wie im Tollhaus und uns lässt man verhungern. Ich verstehe Harry vollkommen."

„Wie wäre es dann, wenn wir etwas Sinnvolles tun und in der großen Halle beim Schmücken helfen", fragte Hermine die beiden Jungen.

Doch die sahen sich nur genervt an. „Hermine! Wie kannst du jetzt ans Feiern denken?"

Sie schien beleidigt. „Ich will auch nicht Feiern, aber wenn wir uns hier zu Tode nerven, wird es auch nicht besser. Diese Anspannung im Schloss... seit der Sache mit Snape sucht sich eben ein Ventil. Dieses Fest ist für die Schüler die Gelegenheit, mal auf andere Gedanken zu kommen. Und auch wenn uns nicht danach ist, sollte wir vielleicht mal daran denken, dass es hier auch noch hunderte von anderen Schülern gibt, die überhaupt keine Ahnung haben, in was für einer Gefahr sie schweben."

Nach dieser Standpauke holte sie erst einmal tief Luft und funkelte die beiden anderen Gryffindors an. Die sahen ein, dass es sowieso keinen Unterschied machte und trollte sich hinter ihr her nach unten. Lustlos begannen sie die bunten Girlanden zu verteilen und als Peeves die Arbeit einer halben Stunde mit einem höhnischen Meckern wieder zerstörte, waren sie froh, ihre aufgestaute Aggression an dem Poltergeist auslassen zu können. Doch bevor sie ihn erwischten, trat ihnen Professor McGonagall in den Weg.

„Miss Granger, Mister Weasley, Mister Potter, der Schulleiter erwartet sie in seinem Büro Es ist dringend, bitte folgen sie mir umgehend." Damit drehte sie sich energisch wie immer um und eilte die Treppe hinauf. Neugierig folgten ihr die drei Schüler. Gab es etwa Nachricht von Raja und Draco?

Im Büro des Schulleiters erwartete sie jedoch zunächst eine andere Überraschung.

Ron keuchte und wurde kreidebleich, als er durch die Tür des Büros trat. "Harry!", piepste er schwach. „Ich glaube, ich sehe Gespenster."

„Was ist los?", fragte der schwarzhaarige Jung, der immer noch hinter seinem Freund auf der Treppe stand. Doch auch Hermine stand wie angewurzelt da und bewegte sich nicht mehr. Daraufhin drängte sich Harry einfach an den beiden vorbei und erstarrte ebenfalls.

Vor ihm stand der Schulleiter, Professor McGonagall und...

SNAPE!

Der Meister der Zaubertränke sah aus wie immer. Blass, schwarze Haare, die ihm ein bisschen ins Gesicht hingen und die dunklen Augen, die Harry böse anstarrten. Snape, wie er leibte und offensichtlich lebte.

„Was?", mehr brachte Harry nicht hervor.

Doch Professor Dumbledore stand auf und lächelte milde wie immer. „Die Überraschung ist uns gelungen, wie ich sehe. Wir mussten aus Gründen der Vorsicht bis heute warten, um Professor Snape zu uns zurückzuholen. Es hätten Informationen zur anderen Seite durchdringen können und das musste auf jeden Fall vermieden werden. Aber jetzt haben wir Nachricht, dass Draco auf dem Weg hierher ist. Wir erwarten in weniger als einer Stunde seine Ankunft in Hogwarts."

Hermine war wieder einmal die Erste, die sich von dem Schock erholte. Sie wand sich an Snape. „Wie kann es sein, dass sie noch am Leben sind. Wir alle haben ihre Leiche gesehen."

Der Lehrer lächelte dünn. „Miss Granger, wenn sie, wie sie es sonst doch immer tun, die Nase mal ausnahmsweise in die richtigen Bücher gesteckt hätten, wüssten sie, dass es durchaus Mittel gibt, den Tod eines Menschen glaubwürdig vorzutäuschen. Miss Banes war da offensichtlich besser informiert als Sie, so dass sie mich lediglich betäubte um mich dann hierher zu bringen."

Nun mischte sich auch Professor Dumbledore wieder in das Gespräch ein. „Wir wissen zwar nicht, wie sie die trotz allem für einen fähigen Zauberer mit einem Spruch noch erkennbaren Lebenszeichen unseres geschätzten Kollegen maskiert hat. Doch ich denke, dass dies ein Geheimnis sein wird, dass uns Raja nach ihrer Rückkehr sicher gerne erklären wird. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass sie dies mit ihrem speziellen Talent bewirkt hat." Seine blauen Augen funkelten belustigt. „Jetzt verstehe ich auch, warum Raja von mir die alten Zeugnisse meines ehemaligen Schülers Tom Riddle haben wollte. Information scheint in diesen Tagen wichtiger zu sein, denn je."

Doch dann öffnete sich die Tür des Büros erneut und Draco trat ein. Harry fiel seinem blonden Freund um den Hals und begrüßte ihn stürmisch. Auch Ron und Hermine ließen es sich nicht nehmen, den Slytherin kurz zu begrüßen, wobei Ron immer noch einen gewissen Sicherheits-Abstand einhielt, während Hermine sich direkt zu einer kleinen Umarmung hinreißen ließ.

Dann jedoch trat Draco an den beiden vorbei und sah seinen Zaubertrank-Lehrer mit fast ebenso großen Augen an, wie die drei anderen Schüler zuvor. Doch dann lächelte er. „Also hat Raja nicht gelogen.", sagte er erleichtert. „Doch wir haben leider wichtigeres zu besprechen."

Der angesprochene Lehrer war offensichtlich froh, nicht mehr Gegenstand des allgemeinen Interesses zu sein und fragte daher: „Was gibt es also Neues, Mister Malfoy? Wie kommt es, dass sie schon wieder hier sind?"

Draco holte noch einmal tief Luft und erläuterte dann Voldemorts Plan und dass höchste Eile geboten war, da es nur noch wenige Stunden bis Mitternacht waren, also dem Zeitpunkt, an dem Draco spätestens mit dem Schulleiter zusammen im Verbotenen Wald erscheinen sollte.

Der weißhaarige Mann strich sich einige Minuten in Gedanken versunken über seinen Bart. Dann sagte er laut: „Also schön, so soll es dann heute passieren. Ich werde diese Herausforderung annehmen, auch wenn wir dieses Ereignis eigentlich erst für einen späteren Zeitpunkt erwartet hatten. Unsere Vorbereitungen sind lange nicht so weit, wie sie sein sollte, doch wir werden improvisieren müssen."

„Aber, Albus, das kann doch nicht dein Ernst sein.", wand Professor McGonagall entsetzt ein. „Die anderen Mitglieder des Ordens sind nicht so schnell verfügbar. Und ich werde dir keine so große Stütze sein könne, wie du sie brauchen wirst."

„Ich bin ja schließlich auch noch da.", warf Snape etwas überheblich ein.

Er ist wirklich ganz der Alte.", dachte Harry erbost. Doch dann sah er seinem Lehrer erneut in die Augen. Dort war etwas, das er vorher dort nicht erblickt hatte. War das tatsächlich Sorge um das Schicksal seines Vorgesetzten? Sollte sich Snape tatsächlich auch mal um jemand andere sorgen, als sich selber? Und schließlich war er noch hier. Er hätte nach seinem inszenierten Tod ja leicht untertauchen können, in der Hoffnung, das Voldemort ihn niemals fand.

Doch die Stimme des Schulleiters riss in aus seinen Betrachtungen. „Minerva, Severus, ich weiß eure Sorge und Unterstützung wirklich zu schätzen, doch wenn wir das Leben von Raja Banes nicht gefährden wollen, muss ich mich dieser Sache alleine stellen, denn sonst verliert die Sache ihre Glaubwürdigkeit. Lediglich Draco und Harry werden mich begleiten."Mit einem Seitenblick auf die beiden anderen Gryffindors fügte er hinzu. „Und natürlich auch Ron und Hermine, so sie dies denn wünschen."Die beiden nickten eifrig.

„Diese Zusammenstellung wird noch glaubwürdig sein. Haltet euch für den Notfall im Hintergrund, wenn die Sache wirklich außer Kontrolle gerät. Doch es sollte besser niemand erfahren, dass du noch lebst, Severus, bevor diese Sache vorbei ist."Er sah den schwarzhaarigen Lehrer ernst an. „Die Gefahr, das Voldemort im letzten Moment noch Wind von der Sache bekommt ist zu groß. Setze dich aber mit den übrigen Ordens-Mitgliedern in Verbindung. Ich selbst werde einige ausgesuchte Leute aus dem Ministerium informieren. Unter anderem natürlich auch, deine Eltern, Ron."

Er stand auf und hob auffordern die Arme. „Nun denn, wir haben nur wenig Zeit. Fangen wir an."

Somit verließen sie alle das Büro und machten sich in verschiedene Richtungen auf den Weg.

Draco kam der Einfachheit halber einfach mit in den verwaisten Gryffindor-Gemeinschaftsraum. Dort ließ er sich auf einen der Sessel fallen und sah sich neugierig um. „Gemütlich!", brummte er und schloss kurz die Augen.

„Ein Slytherin in der Höhle des Löwen.", witzelte Ron und fing sich dafür einen giftigen Blick seiner Freundin ein. „Wir haben nun wirklich wichtigeres zu tun, als uns anzuzicken, Ron", schalt sie ihn und gab ihm dann aber auch seinen gespielt verzweifelten Blick hin einen Kuss auf die Nasenspitze. „Du spinnst, Ron Weasley, weißt du das?"

Harry setzte sich neben Draco auf die Lehne des Polstermöbels und sah seinen Freund an. Der Blonde wirkte müde. Die letzten Tage schienen ziemlich an seinen Nerven gezerrt zu haben. „Wie geht es Raja?", fragte er daher, um dem andere Gelegenheit zu geben, erstmal ein unverfänglicheres Thema als seine eigenen Gedanken zu offenbaren.

„Sie ist Ok, denke ich.", meinte der andere matt kichernd. „Aber ich möchte ehrlich nicht mit ihr tauschen. Mein Vater wirft ihr den ganzen Tag lang entweder Flüche oder schmachtende Blicke nach." Auf einem irritierten Blick der anderen drei fügte er hinzu. „Sie macht ihre Sache gut. Noch hat keiner Verdacht geschöpft. Ich selber wusste teilweise auch nicht so recht, was ich von ihr halten sollte. Sie scheint ihre Rolle an irgendeiner Stelle auch zu genießen."

„Wollen wir hoffen, dass sie sich nicht überschätzt.", murmelte Harry und ließ sich dann von Draco in eine Umarmung ziehen. Stumm saßen die zwei Pärchen eine Weile das und sahen einfach ins Feuer. Keiner wusste, was sie heute Nacht erwarten würde. Sie hatten alle Angst, doch nach den endlosen Stunden des Wartens schien diese Nacht nun endlich Erlösung zu versprechen.

Als sich die Tür des Gemeinschaftsraumes um kurz nach elf öffnete und eine ziemlich blasse Professor McGonagall wortlos den Raum betrat, machten sich die vier fertig, zogen ihre warmen Winterumhänge an, steckten die Zauberstäbe griffbereit in die Taschen und verließen zusammen mit der Lehrerin das Zimmer.

Es hatte begonnen.