Kapitel 3

Es war bereits spät am Nachmittag und die Sonne zog langsam ihre Bahn gen Westen, als Legolas im Garten Elronds spazieren ging. Er und die Zwillinge hatten kurz davor ihre Schwertübungen beendet, bei denen sich mal wieder erwiesen hatte, dass Legolas zwar mit dem Bogen unschlagbar war, aber im Schwertkampf bei weitem nicht so fähig wie Elladan und Elrohir. Außerdem war er heute nicht so gut in Form wie sonst, denn der kleine Zwischenfall des Morgens machte ihn übervorsichtig und ein wenig empfindlich. Wenigstens waren die Schmerzen mittlerweile verschwunden.

Legolas atmete tief ein, um die Düfte der mannigfaltigen Blumen, die in dem wunderschönen Garten wuchsen, zu genießen. Sehr gerne war er hier, wenn er Imladris besuchte, denn die Gärten boten genügend Abgeschiedenheit, um den Gedanken freien Lauf zu lassen, und dennoch wirkten sie sich erheiternder auf sein Gemüt aus als die dunklen Wälder seiner Heimat. Er liebte sein Zuhause, doch ein Besuch in Imladris war jedes Mal wieder ein atemberaubendes Erlebnis, wenn es auch diesmal teilweise ein wenig unglücklich zu verlaufen schien.

Der sanft geschlängelte Pfad zwischen den lichten Bäumen brachte ihn zu einem kleinen Bach, an dessen Ufer er sich in das weiche Gras setze, und dem Gesang der Vögel lauschte, während er die Augen schloss und die sanfte Frühlingssonne sein Gesicht wärmen ließ.

Es war ein so schöner Tag und das Gezwitscher der Vögel hatte so lockend gerufen, dass Elenael sich irgendwann davongestohlen hatte, um für ein paar Minuten die Sonne auf ihrem Gesicht genießen zu können. Über die Zeit hatte sie eine besondere Vorliebe für verschiedene Orte in Bruchtal entwickelt, und nun war sie auf dem Weg zu einen von ihnen. Die junge Elbin lauschte dem Lied der Vögel, während sie unter Bäumen barfuss durch das weiche Gras lief, bis sie schließlich zu einem Bach kam, der lustig vor ihren Füßen dahinplätscherte. Eine alte, majestätische Weide wuchs an dessen Ufer und Elenael ließ sich im Gras nieder, an den Stamm gelehnt, die Augen geschlossen. Sie spürte, wie die Ruhe dieses Ortes von ihr Besitz ergriff und sich ein tiefer Frieden in ihr ausbreitete. So war es kein Wunder, dass sie, von niemandem außer den kleinen Tieren in diesem Wäldchen gesehen, ein Lied zu singen begann, das sie während ihres Aufenthalts in Lorien gelernt hatte.

Einst lebte eine Elbenmaid

So wie der Morgen hold;

Ihr Kleid, ihr Schuh war wie Geschmeid

Aus Silberglanz und Gold …

Legolas hörte plötzlich aus der Ferne eine liebliche Frauenstimme, die ein sanftes, melodisches Lied sang. Er kniff die Augen zusammen und spähte in die Richtung, aus der der Gesang kam und sein Blick fiel auf eine große Weide, die etwas weiter entfernt am Bach stand, und hinter ihrem Stamm schauten die Füße der Sängerin hervor. Er stand auf und näherte sich geräuschlos dem Baum, um mehr von der wunderschönen Weise zu hören. Er blieb kurz vor der Weide stehen und lauschte. Noch nie zuvor hatte er dieses Lied gehört, doch es war wahrlich bezaubernd, und noch bezaubernder war Stimme der Elbenmaid, samtig weich, und doch glockenhell.

Vorsichtig schlich er sich an den Baum heran, und spähte herum, denn er wollte das Lied nicht unterbrechen, doch war er neugierig zu wissen, welche Elbin in Bruchtal eine so wundervolle Stimme hatte. Als seine Augen sie erblickten, hätte er beinahe einen überraschten Laut von sich gegeben. Es war Elenael, die mit geschlossenen Augen im weichen Gras saß und diese lieblichen Klänge zum Leben erweckte. Legolas befürchtete schon ein nächstes Missgeschick, denn aus irgendeinem Grund schien ihre Gegenwart diese Wirkung auf ihn zu haben. Er könnte stolpern und in den Bach fallen, und wenn nicht, so würde sich Eru etwas anderes für ihn einfallen lassen, denn er schien Freude daran zu haben, Legolas in peinliche Situationen zu versetzen, wann immer er Elenael traf. Doch das Befürchtete trat nicht ein. Als die Elbenmaid ihr Lied beendet hatte, trat Legolas langsam hervor und räusperte sich dann kurz, um sich bemerkt zu machen.

„Das war ein wunderschönes Lied", sagte er lächelnd.

Elenael hatte sich völlig in ihrem Lied über Nimrodel verloren, hatte beinahe alles andere vergessen. Sie bereute es schon fast, als das Lied nach vielen Strophen ein Ende nahm und die letzten Töne vom Wind weiter getragen wurden und verklungen. Für einen Augenblick war es still, doch als sie neben sich eine Stimme hörte, schrak sie leicht zusammen und öffnete die Augen. Elenael sah auf und ihr Blick fiel auf Legolas, der lächelnd auf sie herabsah. Sie hatte ihn überhaupt nicht kommen hören, doch ihre Überraschung war schnell verflogen und machte einem Hauch Röte Platz, der sich bei seinen Worten auf ihren Wangen ausbreitete. Schnell stand sie auf und erwiderte leise: „Ich danke Euch."

Sie wusste nicht warum, aber bei dem Gedanken, dass er sie vielleicht die ganze Zeit gehört hatte, spürte sie, wie sich ihre Wangen noch stärker röteten, obwohl sie es zu unterdrücken versuchte.

Ein leises Lachen entfloh Legolas Kehle, als er den Anflug von Röte auf Elenaels Wangen sah.

„Es war wirklich sehr schön, und ihr habt eine wunderschöne Stimme." Bei den letzten Worten wich er ihrem Blick aus, da er nun seine eigenen Wangen leicht glühen spürte, als er ihr dieses Kompliment gemacht hatte.

„Wollen wir uns wieder setzen?" fragte er schließlich. „Ich befürchte, ich könnte sonst in den Bach fallen, denn irgendwie scheint mich das Missgeschick zu verfolgen." Dass dies nur in ihrer Gegenwart geschah, verschwieg er.

Bei seinen letzten Worten konnte Elenael das helle Lachen, das ihrer Kehle entlockt wurde, nicht unterdrücken. Sie wusste, dass er selbst es wahrscheinlich nicht so amüsant finden musste, aber sie konnte sich nicht helfen. Dennoch zwang sie sich dazu, wieder still zu sein. „Das tut mir leid ... Obwohl ich wirklich nicht glaube, dass der Bach Euch gefährlich werden könnte", lächelte sie und setzte sich zusammen mit ihm wieder ins Gras.

„Es freut mich, dass es Euch gefallen hat", kam sie noch einmal auf sein Kompliment zurück. „Sicher kennt ihr die Geschichte Nimrodels?"

Legolas musste ein Schmollen unterdrücken, als sich die Elbin über ihn lustig zu machen schien. Doch hatte er ihre Reaktion herausgefordert, und zugegeben klang es wohl auch recht witzig, wenn man nicht selbst der jenige war, der von einem Missgeschick zum nächsten stolperte.

„Ich muss gestehen, nein. Ich kenne sie nicht. Aber Ihr könntet sie mir erzählen?"

„Sehr gerne", antwortete Elenael leise. „Was letztendlich mit ihr geschah, habt Ihr ja schon aus dem Lied erfahren. Doch ich denke, ich sollte von vorne beginnen ..." Mit leiser Stimme, die über dem Plätschern des Baches für nicht elbische Ohren nur schwer verständlich war, begann sie, Nimrodels Geschichte zu erzählen. Von Amroth, ihrem Geliebten, den goldenen Zeiten Loriens, dem traurigen Ende, das sie letztendlich nahmen. Und sie fühlte sich plötzlich zurückversetzt nach Lorien, als sie selbst diese Geschichte erzählt bekommen hatte, wie jetzt auch vom Rauschen eines Baches begleitet, der Nimrodels Stimme selbst in sich zu tragen schien.

„Das ist eine wirklich traurige Geschichte", sagte Legolas leise und ließ seinen Blick über den fröhlichen Bach Bruchtals schweifen, der so gänzlich anders sein musste als der Wasserlauf in Lorien, welcher Nimrodel seinen Namen verdankte. „Seid Ihr schon eimal in Lorien gewesen?"

„Ich habe die goldenen Wälder erblickt", erwiderte Elenael leise, den Blick ebenfalls auf das klare Wasser gerichtet. „Ich habe sie durchwandert und fürchte, in ihnen einen Teil von mir verloren zu haben, bevor ich hierher zurückkehrte." Ihre Stimme hatte einen leicht traurigen Ton angenommen, als sie sich an die Jahre in Lorien zurückerinnerte. Sie liebte Imladris, ihre Heimat, doch Lorien war so völlig anders.

„Das klingt, als sei es ein wahrhaft wunderschöner Ort", erwiderte Legolas ebenso leise, als er die Schwermütigkeit in Elenaels Stimme erkannte. Er hatte schon viel von den goldenen Wald gehört, und ein Jeder, der ihm je von Lorien berichtete, war wie verzaubert gewesen. Legolas hoffte, dass auch er einmal die Gelegenheit haben würde, dort hin zu reisen. 

„Wann wart ihr dort, und was habt ihr dort getan?"

Elenael war ein wenig überrascht zu hören, dass der Prinz Düsterwalds wohl noch nicht in Lorien gewesen war. Sie hatte angenommen, dass gerade er schon weiter herumgekommen sein musste als sie selbst.

„Ich bin erst vor Kurzem nach Imladris zurückgekehrt", antwortete sie und sah zu Legolas hinüber. „Ich war einige Jahre bei Arwen und habe sie besucht."

„Arwen habe ich lange Jahre nicht mehr gesehen, doch ich hörte bereits, es geht ihr gut", sagte Legolas und blickte zu Elenael herüber, die immer noch leicht verträumt auf das Wasser schaute.

„Vielleicht kann ich meinen Vater überreden, ihr dort einen Besuch abzustatten. Doch befürchte ich fast, er wird es mir nicht gestatten. Seit die Schatten über Düsterwald bedrohlicher werden, sieht er es nicht gerne, wenn ich durch die Wälder reise. Der Weg nach Bruchtal führt nicht am Süden Düsterwalds vorbei und ist deswegen eine relativ sichere Strecke, jedoch wünschte ich mir manchmal, er würde aufhören, mich wie einen unreifen Elbling zu behandeln."

„Ich kann ihn jedoch verstehen", sagte Elenael und suchte seinen Blick. „Nicht das mit dem unreifen Elbling", unterbrach sie sich schnell, ein wenig verlegen. „Doch die Welt ist wirklich gefährlicher geworden – Herr Elrond hat auch mich nicht ohne Begleitung reisen lassen. Doch ich kann Euren Vater verstehen ..." Als ihr bewusst wurde, was sie sagen würde, wandte sie ihren Blick schnell wieder von Legolas' Augen ab; ihre Stimme wurde ein wenig leiser. „Ich würde ebenfalls nicht wollen, dass Euch etwas zustößt."

Aus irgendeinem Grund setzte Legolas Herz bei ihren letzten Worten einen Schlag aus. Hatte sie gemeint, dass sie selbst es nicht wollen würde, oder konnte sie sich nur in führsorgliche Eltern hinein versetzen? Ein ungewolltes Lächeln legte sich auf seine Lippen, doch schnell verebbte es, als er sich darüber gewahr wurde, was er am Morgen gesehen hatte. Offensichtlich verband sie etwas mit Elrohir, und Legolas schalt sich selbst dafür, dass er auch nur annähernd anders an Elenael dachte, als nur an die Liebste eines seiner besten Freunde.

„Nun ja, Ihr habt wohl recht. Sollte ich je selbst Kinder haben, so werde ich mich sicherlich an Eure Worte erinnern."

Bei seinen Worten senkte Elenael ein wenig den Kopf. „Vielleicht werdet Ihr das ... also habt Ihr noch keine Kinder?" Sobald die Worte ihre Lippen verlassen hatten, schalt sie sich selbst dafür, so gerade heraus gefragt zu haben. Wer wusste schon, wie Legolas so eine intime Frage auffassen würde? Die Elbin wagte es nicht mehr, ihn anzusehen und so sah sie auch nicht den Ausdruck, der über sein Gesicht huschte.

Legolas schüttelte leicht den Kopf und blickte dann wieder in die Weite des Gartens. „Nein. Ich habe leider bisher noch keine Elbenmaid gefunden, mit der ich eine Familie gründen möchte", antwortete er ehrlich. Er hatte bemerkt, dass Elenael auf Grund ihrer Frage leicht verunsichert schien, doch schämte er sich nicht, Angelegenheiten dieser Art offen auszusprechen. Er entschied sich jedoch, sie nicht dasselbe zu fragen.

„Ist es nicht merkwürdig?" fragte er und blickte sie wieder an.

„Was?", fragte Elenael, seinem Blick noch immer nicht begegnend, obwohl sie erleichtert war, dass er nichts gegen die Frage gehabt zu haben schien.

„Nun, wir Elben leben Tausende von Jahren und viele von uns sind in ihrer langen Existenz nicht im Stande, wahre Liebe zu finden, während die Menschen in ihrem kurzen Dasein meist zu diesem Ziel gelangen, sich verlieben, heiraten, Kinder bekommen, und das alles in einer Zeit, die für unser Eins nicht einmal ausreicht, um erwachsen zu werden." Legolas hielt kurz inne, um die richtigen Worte zu finden. „Geduldig und weise sind wir, so sagt man, doch manchmal frage ich mich, ob diese Geduld denn wirklich sinnvoll ist, ob wir nicht etwas verpassen. Manchmal scheine ich die Geduld eines Sterblichen zu haben." Er lächelte die dunkelhaarige Elbin an und konnte nicht umher, zu bemerken, wie hübsch sie war. Ihre Augen strahlten hell und doch warm in einem sanften Grau und ihre Züge waren so edel und sanft, ihr Lächeln liebreizend.

Einen langen Augenblick konnte Elenael nicht anders, als Legolas doch wieder anzusehen. Zwar wollte sie etwas antworten, doch das intensive Blau seiner Augen, die auf sie gerichtet waren, ließen ihre Worte noch auf ihrem schon ein wenig geöffneten Mund verstummen. Er hatte recht. Menschen hatten gelernt, die kurze Zeit, die sie hatten, in vollen Zügen auszukosten, etwas, das man schnell verlernte, wenn man die ganze Ewigkeit vor sich hatte. Noch als sie über das nachdachte, was er gesagt hatte, fragte sich eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf, was genau er damit meinte, dass er die Geduld eines Sterblichen zu haben schien. Recht plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie ihn noch immer ansah, konnte sich aber nicht dazu bringen, ihren Blick abzuwenden.

„Die Weisheit Eurer Worte scheint eurem Alter um einiges voraus zu sein", erwiderte sie schließlich leise, obwohl sie nicht genau wusste, wie alt Legolas wirklich war. „Sie hätten auch von Herr Elrond stammen können."

Legolas spürte, wie sein Lächeln sich verbreiterte, als er Elenaels Worte vernahm. „Das war wahrhaftig ein großzügiges Kompliment, doch solltet ihr diese Worte nicht vor Elrond wiederholen. Er könnte gekränkt sein." Verschmitzt lächelte er sie an und erfreute sich alsbald daran, wie ihr helles Lachen durch die Bäume getragen wurde.

Elenael fiel auf, wie oft sie in Legolas' Gegenwart schon gelacht hatte, in der kurzen Zeit, die sie miteinander verbracht hatten - zwar einige Male wohl auf seine Kosten, aber dennoch konnte sie nicht umhin zu bemerken, dass er und seine Art ihr mehr und mehr ans Herz wuchsen.

„Und habt Ihr das Gefühl, schon etwas verpasst zu haben?", fragte sie dann, seine Worte wieder aufgreifend.

Der Klang ihres Lachens war beinahe ebenso liebreizend wie ihr Gesang zuvor, und er freute sich, dass Elenael ihre anfängliche Scham zu überwinden schien und ihm offen die Fragen stellte, die ihr in den Sinn kamen, ohne darauf zu achten, dass er der Prinz von Düsterwald war und sie eine Dienerin. Ein leichtes Runzeln kräuselte sich auf seiner Stirn, als er überlegte, wie er auf ihre Frage antworten sollte.

„Nun, ich weiß es nicht, denn wenn ich es wüsste, hätte ich es wahrscheinlich nicht verpasst. Doch fühlt es sich manchmal an, als würde in meinem Leben etwas fehlen, versteht Ihr? Ich bin nicht unglücklich oder dergleichen, doch glaube ich nicht, dass ich wahres Glück je erfahren habe, und die Tatsache, dass ich bereits 2760 Jahre in dieser Welt verweile und dieses Glück noch nicht gefunden habe, lässt mich fürchten, es nie zu tun."

Sie wusste nicht warum, doch irgendetwas an Legolas' Worten ließ Elenael ein wenig traurig werden.

„Wieso sagt Ihr so etwas? Ich kann nicht glauben, dass dies Euer Schicksal sein wird, nicht mit einer Seele so schön wie die Eure. Das ist nicht der Weg, den Eru für Euch vorgesehen hat, da bin ich mir sicher." Die junge Elbin wusste selbst nicht, was sie dazu brachte, so etwas zu ihm zu sagen, und doch tat sie es ohne zu zögern und aus vollem Herzen.

Legolas spürte, wie er bei ihren Worten zunehmend verlegen wurde und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Ihre Worte waren wohl nur freundschaftlich gemeint und sie wollte ihn aufheitern, doch wusste sie anscheinend nicht, dass diese Worte ihn eher noch melancholischer stimmten. Er wusste nicht, wie es möglich war, doch irgendwie hatte sie ihn verzaubert. Vielleicht war es ihr Lied gewesen, aber vielleicht auch ihr Lachen und ihre freundliche Art, oder ihr stürmisches Temperament, das er gestern noch hatte beobachten können. Doch war da noch Elrohir, und Legolas würde nichts unternehmen, um seinen Freund zu verletzen.

„Ich hoffe, Ihr habt recht", sagte er und zwang sich dazu, ein wenig fröhlicher drein zu blicken. „Nun habe ich Euch mein Alter verraten, also nennt mir doch Eures", sagte er herausfordernd, um die Unterhaltung wieder in eine beschwingtere Richtung zu lenken.

Elenael beobachtete, wie er mit einer Hand durch sein in der Sonne golden glänzendes Haar fuhr und fragte sich unwillkürlich, wie es sich wohl anfühlen würde. Doch sobald sie dem bewusst wurde, verscheuchte sie sofort ihre Gedanken und zwang sich, sich auf seine Worte zu konzentrieren. Elenael musste lächeln, als er nach ihrem Alter fragte und antwortete: „Es scheint, als wäre es nur gerecht, wenn ich das tun würde. Doch ich habe noch längst nicht so viele Sommer erlebt wie Ihr, mit meinen 1921 Jahren …"

Doch schien sie ihm um einiges voraus zu sein, denn sie hatte wohl Liebe gefunden. Legolas lächelte sie nur kurz an und fragte sich dann, was sie schon alles in ihrem Leben erlebt hatte. „Wo sind Eure Eltern?" fragte er dann.

Bei der Erwähnung ihrer Eltern huschte für einen kurzen Augenblick ein Ausdruck über ihr Gesicht, der von Wunden sprach, die noch nicht völlig verheilt waren. Nur einen Moment zögerte Elenael, bevor sie Legolas antwortete.

„Meine Mutter war in Celebríans Gefolge, als sie angegriffen wurden. Sie starb bei dem Überfall. Mein Vater hat es nicht verkraftet, sie zu verlieren und ist über das Meer zu den Unsterblichenlanden gesegelt."

Legolas blickte Elenael mitleidig an und wünschte sich, er hätte nicht danach gefragt, denn er konnte sehen, dass sie die Erinnerung immer noch schmerzte.

„Das tut mir sehr leid", sagte er sanft und wollte schon tröstend eine Hand auf ihre Schulter legen, zog sie dann jedoch zurück. „Ich hätte nicht gefragt, hätte ich dies gewusst. Doch auch ich weiß, wie es ist, die Mutter zu verlieren."

Elenael bemerkte Legolas' Bewegung und fragte sich, ein wenig enttäuscht, wieso er seine Hand wieder zurückgezogen hatte. Stattdessen schlang sie ihre Arme um ihren Körper und sah ihn an. „Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen. Anscheinend teilt Ihr teilweise mein Schicksal …" Sie brauchte nicht zu fragen um zu wissen, dass auch ihm seine Mutter noch immer fehlte, wie lange es inzwischen auch her sein mochte, dass er sie verloren hatte. Sein Gesichtsausdruck ließ sie sich wünschen, sie könnte ihn irgendwie trösten.

Eine Weile blickten sie beide wortlos über das Wasser, das fröhlich dahin plätscherte und beruhigend rauschte.

„Es ist so wunderschön hier", sagte Legolas leise und ließ seinen Blick über die hohen, grünen Bäume schweifen, die den Bach umsäumten und deren Blätter sanft in der Frühlingsbrise tanzten.

„Ja, das ist es", erwiderte Elenael leise. „Man vergisst schnell, dass Imladris nur eine Insel ist und die Welt um uns dunkler und gefährlicher wird ..." Wieder sah sie zu Legolas hinüber und erneut blieb ihr Blick auf seinem Haar hängen, das die inzwischen untergehende Sonne in pures Gold zu tauchen schien. So sehr sie es auch versuchte, sie konnte ihren Blick nicht abwenden.

„Manchmal wünschte ich, ich könnte einfach hier bleiben", sagte Legolas. „Meine Heimat ist nicht mehr das, was sie einmal war, denn die Schatten breiten sich aus und tauchen das Königreich meines Vaters in Finsternis. Die Orks wagen sich immer weiter in den Norden, und es gibt viele Kreaturen, die es einem nicht ermöglichen, so frei und unbeschwert durch die Wälder zu ziehen wie einst. Selbst die Tiere sind sich der Gefahr bewusst und verschwinden langsam aus ihrem Lebensraum. Ich fürchte mich davor, dass die Bedrohung irgendwann so groß wird, dass auch wir bald unsere Heimat verlassen müssen und alles was übrig bleibt ein toter, dunkler Wald ist."

Legolas' Worte schmerzten Elenael, obwohl sie Düsterwald noch nie gesehen hatte. Der Gedanke daran, dass eines der Elbenreiche in Dunkelheit fallen würde, war für jeden Elben schwer und doch wusste sie nicht, wie sie ihn trösten konnte. Stattdessen hob sie eine Hand und legte sie leicht zögernd auf seine, die auf dem Oberschenkel seines ausgestreckten Beines ruhte, stummen Trost anbietend. Es war alles, was sie tun konnte.

Als Legolas die Berührung ihrer Hand spürte, war ihm als strahle eine ungeahnte Wärme von ihr aus, die sich langsam über seinen ganzen Arm ausstreckte und bald ein leichtes Glühen auf seine Wangen brachte. Er senkte seinen Blick, um seine Reaktion zu verbergen. Er wollte schon aus Scham seine Hand weg ziehen, doch fühlte er sich in diesem Moment so geborgen und verstanden. Er hatte bereits am Abend zuvor mit Elrond und seinen Söhnen über die Situation in Düsterwald geredet, doch war es vielmehr ein Gespräch über die Fakten und die daraus resultierenden Maßnahmen gewesen, eine diplomatische Verhandlung und taktische Überlegungen, doch hatte ihn niemand danach gefragt, wie er sich dabei fühlte, welche Ängste und Befürchtungen die Bedrohung aus dem Süden in ihm hervor rief. Er hatte Elenael seine Gefühle anvertrauen können und sie hatte ihm zugehört. Dankbar lächelte er sie an. Er hatte kaum bemerkt, dass die Sonne schon beinahe untergegangen war. Bald schon würde in Elronds Haus das Abendmahl serviert werden.

„Müsst Ihr nicht an die Arbeit?" fragte er, und biss sich gleich darauf auf die Unterlippe. Diese Frage musste wie eine Aufforderung geklungen haben. „Ich meine … ich möchte nicht, dass Ihr wegen mir Euren Dienst verspätetet beginnt."

Elenael war ein wenig überrascht, als sie unter ihren Fingern spürte, wie weich die Haut seiner schlanken und doch kräftigen Hand war. Von einem Bogenschützen hätte sie das nicht erwartet. Sie konnte sich nicht helfen, aber die Wärme, die von ihm ausging, schickte seltsame Empfindungen durch ihren Körper, von denen sie nicht genau wusste, was sie davon halten sollte. Und als er sie ansah und lächelte …

Seine Worte trafen sie völlig unerwartet und als sie realisierte, was er gesagt hatte, zog sie ihre Hand recht plötzlich wieder weg und stand auf. Für einen Augenblick wandte sie sich von ihm ab, damit er nicht sehen konnte, dass er sie mit ihren Worten doch verletzt hatte, mehr als sie zugeben wollte. In ihren Ohren hatte es sich ganz so angehört, als wolle er sie loswerden.

„Ihr habt recht", antwortete sie, automatisch distanzierter, und sah wieder auf ihn hinab, als sie sich sicher war, dass sie ihre Gesichtszüge unter Kontrolle hatte. „Ich werde sicherlich schon erwartet."

Legolas wusste, dass sie seine Worte falsch aufgefasst hatte, doch wie sollte er erklären, dass er es nicht so gemeint hatte? Er stand ebenfalls auf und suchte ihren Blick um sie freundlich anzulächeln, doch waren ihre Züge plötzlich kühler als zuvor. Er musste irgendetwas tun um die Situation aufzulockern.

„Gut, dann sehen wir uns bestimmt später. Und ich werde versuchen, Euch nicht schon wieder Wein über Euer Kleid zu gießen."

Es war nur ein schwaches, flüchtiges Lächeln, das ihre Lippen fand und es war schnell wieder verflogen. „Es wird schon nichts geschehen. Ich sehe Euch dann später." Mit diesen Worten hatte sie sich umgewandt und verschwand zwischen den Bäumen, so leise wie der Wind, der ihr zu folgen schien.

Für einen langen Augenblick blieb Legolas wie angewurzelt an der Stelle stehen. Warum hatte sie über seine letzte Bemerkung nicht gelacht? Er hatte sie wohl mit seinen Worten zuvor wirklich verärgert, dabei war dies ganz und gar nicht seine Absicht gewesen. Vielleicht würde er es ihr erklären können, wenn er sie das nächste Mal sah. Ein leises Seufzen entfloh seinen Lippen, als er sich auf den Weg zum Haus machte. Die Sonne war bereits untergegangen, und nur noch wenig Licht erhellte seinen Weg. Er hoffte, dass Elenael nicht zu spät kommen würde und keinen Ärger bekam, und so hatte er es vorhin auch gemeint.

~ TBC ~

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