Kapitel
10
Die Küche war fast völlig leer, doch die beiden jungen Elbinnen darin waren
noch damit beschäftigt, die letzten Geschirrreste fertig zu spülen und
wegzuräumen. Es war recht still zwischen den beiden. Tarawen
säuberte die letzten Teller, während Elenael einige von ihnen recht energisch
auf ihren Platz zurückstellte. Ein leises Klirren hallte dabei durch den Raum,
was sie aber kaum bemerkte – oder was sie besser gesagt nicht sehr kümmerte.
Tarawen hielt einen Augenblick in ihrer Arbeit inne
und beäugte Elenael etwas skeptisch.
„Was ist denn heute mit dir los?" fragte sie verwundert. „Du machst ja fast
mehr Krach als eine Horde Orks."
Ein schwaches Grinsen huschte über Elenaels Lippen.
„So, findest du? Vielleicht war ich vorher einfach zu leise."
Tarawen hob ob der sarkastischen Bemerkung eine ihrer
fein geschwungenen Augenbrauen und betrachtete ihre Freundin mit zunehmender
Skepsis.
„Gut, dann sagen wir, du verhältst dich wie ein Olifant
auf einem Markt", sagte sie kichernd, doch zwang sich dann wieder zu einem
ernsteren Gesicht. „Nun sag schon, was ist passiert?"
Elenael seufzte leise und fragte sich kurz, ob sie es ihrer Freundin erzählen
sollte. Sie erinnerte sich aber daran, wie gut es getan hatte, mit Elladan
darüber zu reden und die Last des Wissens nicht mehr alleine tragen zu müssen,
deshalb entschied sie sich letztendlich dafür.
„Unter der Bedingung, dass du es für dich behältst, in Ordnung?"
Tarawen nickte und beugte sich näher zu Elenael, um
dem Geheimnis zu lauschen, und die Neugier stand ihr förmlich ins Gesicht
geschrieben.
Für einen Moment biss Elenael sich ein wenig nervös auf ihre Unterlippe und
wich dem Blick ihrer Freundin aus.
„Ich habe mich verliebt", sagte sie schließlich und hoffte, dass diese
Offenbarung nicht Grund für Tarawen war, sie nun
weiter auszufragen.
Für einige Zeit sagte keine der beiden etwas, bis Tarawen
Elenael leicht mit ihrem Ellenbogen in die Seite stieß.
„Und weiter? Wer ist es? Und warum bist du deswegen so schlecht gelaunt?"
„Warum, denkst du, könnte man in so einem Fall schon schlecht gelaunt sein?",
fragte Elenael ein wenig bitter zurück, fügte dann aber, als hätte sie Angst,
dass es noch jemand hören könnte, leiser hinzu: „Es ist Legolas."
„Oh." Tarawens Augen weiteten sich leicht, und sie
blickte ihre Freundin überrascht an, doch dann nickte sie. „Nun, das kann ich
verstehen. Er sieht wirklich sehr gut aus. Doch er erwidert deine Gefühle
nicht?"
Bei Tarawens Kommentar über Legolas' Aussehen musste
Elenael leicht lächeln. Nun, es war wirklich so, doch war dies auf keinen Fall
der einzige Grund.
„Nein, das tut er nicht", antwortete sie schließlich und ihr Lächeln wurde
wieder trauriger. „Aber wieso sollte er auch?"
Tarawen legte ihre hohe Stirn in Falten und schaute
ihre Freundin mitleidig an.
„Nun, vielleicht ist unser Düsterwald-Prinzchen einfach zu eingebildet, eine
Dienstmagd als mögliche Frau zu betrachten. Oder vielleicht, weil du eine Noldo bist? Vielleicht hätte König Thranduil ein wenig
Bedenken … hmm … Aber ansonsten würde mir jetzt
wirklich kein Grund einfallen, warum er eine bezaubernde, wunderhübsche,
überaus freundliche und manchmal recht temperamentvolle Elbin wie dich
verschmähen sollte." Die letzten Worte untermalte sie mit einem Zwinkern und
einem breiten Grinsen.
Gespielt beleidigt stieß Elenael ihrer Freundin liebevoll in die Seite. „Ja ja, ich freue mich immer wieder, wenn du meine Vorzüge
aufzählst. Aber ist dir schon einmal eingefallen, dass er vielleicht sein Herz
ebenfalls bereits vergeben hat?"
Wieder quittierte Tarawen dies nur mit einem leisen
‚Oh' und schaute Elenael dann fragend an.
Sie wusste, was ihre Freundin wissen wollte, doch schüttelte Elenael diesmal
nur leise den Kopf. „Aber ich glaube, ich habe bereits zu viel gesagt – schon
wieder. Es ist auch eigentlich nicht wichtig, wichtig ist nur, dass er sich
nicht auf diese Weise für mich interessiert und damit muss ich wohl leben."
Tarawen nickte verstehend, doch es war unschwer
erkennbar, dass sie etwas enttäuscht war. Neugier war wohl ihr größtes Laster.
Die beiden Elbinnen waren so in ihr Gespräch vertieft gewesen, dass sie gar
nicht bemerkt hatten, wie Anaraen in die Küche
gekommen war und nun mit in die Hüften gestemmten Händen hinter ihnen stand.
„Seid ihr fertig mit dem Geschirr?" fragte sie mit leicht gereiztem Tonfall und
die beiden Freundinnen drehten sich erschrocken zu ihr um.
„Ja … ja, wir sind fertig", antwortete Elenael schnell, während sie spürte, wie
sich ihre Wangen röteten. Bei allen Valar, sie hoffte nur, Anaraen
hatte nichts von dem gehört, das sie eben ihrer Freundin erzählt hatte …
Schnell stellte sie noch den letzten Teller weg und wandte sich dann wieder um,
einen unschuldigen Ausdruck im Gesicht.
Anaraen stand immer noch recht mürrisch hinter ihnen,
doch dann heiterten sich ihre Züge etwas auf.
„Gut, dann könnt ihr jetzt gehen." Die beiden Elbinnen wollten bereits den Raum
verlassen, als die Köchin wieder das Wort ergriff. „Das heißt warte, Tawaren, ich brauche noch jemanden, der mir beim Auslesen
der Kräuter hilft, damit ich sie für den Tee trocknen kann."
Die blonde Elbin wand sich schmollend und mit leicht hängenden Schultern an die
ältere. „Na gut", sagte sie leise und schaute dann noch mal in die Richtung von
Elenael. „Wir sehen uns später."
„In Ordnung, bis nachher", erwiderte Elenael leicht lächelnd und wandte sich
dann um, um die Küche zu verlassen.
Kaum war sie nach draußen getreten in die helle Spätmittagssonne, als ihr eine
Gestalt auffiel, die mit schnellen, aufgebrachten Schritten auf sie zukam.
„Elladan?", fragte sie und bemerkte überrascht seinen Gesichtsausdruck – eine
Mischung aus Wut und leiser Trauer. Schnell stellte sie sich ihm in den Weg.
„Was ist los?"
Elladan unterbrach seinen schnellen Gang und blieb vor der Elbin stehen. Er
seufzte tief.
„Ich bin so wütend!" sagte er nur und ballte seine Hände zu Fäusten. „Ich
wollte mit Elrohir reden, aber er stellt sich immer noch dumm und tut so als
wäre nichts. Ich begreife es nicht! Ich kann einfach überhaupt nicht verstehen,
warum er plötzlich Geheimnisse vor mir hat." Wieder seufzte er resignierend und
schüttelte dann traurig den Kopf.
„Das tut mir leid", sagte Elenael leise. „Ich verstehe es selbst nicht … ich
weiß, dass du es richtig verstehst, wenn ich sage, dass dies völlig untypisch
für euch beide ist." Die Elbin sah, wie Elladans Hände noch immer vor Wut
leicht zitterten, so nahm sie seine Hände in die ihren in einer beruhigenden
Geste.
Elladan erwiderte den tröstenden Händedruck und sagte dann leise: „Wann ist all
dies nur geschehen? Wie konnte es nur so weit kommen?"
Etwas hilflos sah Elenael Elladan an. Sie selbst hatte sich diese Fragen
gestellt und keine Antwort darauf gefunden. Und sie konnte das leise
Schuldgefühl, das sich jedes Mal in ihr regte, wenn sie daran dachte, einfach
nicht ignorieren. Schnell senkte sie ihren Blick wieder.
„Ich weiß nicht. Auch wenn das vielleicht nicht richtig ist, irgendwie habe ich
das Gefühl, es ist meine Schuld."
Elladan blickte sie stirnrunzelnd an. „Sag das nicht.
Und wieso überhaupt sollte es deine Schuld sein? Wenn dann ist es die von …"
Er biss sich auf die Unterlippe, um die Worte nicht auszusprechen, die er
soeben gedacht hatte, doch dann fuhr er fort. „Ich sage es nur ungern, und ich
möchte nicht so klingen, als wäre ich wütend auf ihn, doch ist Legolas der
jenige, wegen dem wir alle in dieser Situation sind. Ich weiß, ihn trifft keine
Schuld, denn er kann nichts für seine Gefühle, aber dennoch habe ich diese
Gedanken, und ein Teil von mir hasst mich selbst dafür, denn er ist auch mein
Freund."
„Ähnliche Gedanken hatte ich auch schon, doch nur sehr kurz", gab Elenael zu.
Etwas zögernd sah sie Elladan wieder in die Augen. „Glaubst du denn, du kannst
es akzeptieren, selbst diese Beziehung?"
Elladan zuckte mit den Schultern. „Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich weiß
es wirklich nicht. Wenn er es mir wenigstens gesagt hätte, aber so …"
Er zögerte kurz und blickte auf seine und Elenaels
ineinander verschränkte Hände. „Fast 3000 Jahre gab es nur uns, Elrohir und
mich, und niemand dazwischen. Vor langer Zeit haben wir uns einmal geschworen,
dass wir nur zwei Geschwister als Partner akzeptieren würde, die genauso
miteinander verbunden sind wie wir auch, und damals war nur die Rede von
Schwestern, auch wenn es für mich keinen Unterschied macht, ob es eine Frau
oder wie nun ein Mann ist, der den Weg zu Elrohirs
Herz gefunden hat. Und dennoch … es tut einfach weh, verstehst du?"
Tiefes Mitgefühl fand den Weg auf Elenaels Gesicht.
Sie selbst schmerzte es, diese Worte zu hören, denn auch sie hatte immer
gedacht, dass sich nichts zwischen die beiden drängen konnte, überhaupt nichts.
Die Enttäuschung, die Elladan nun verspüren musste, konnte sie sich wohl nur
ansatzweise vorstellen.
„Ja", antwortete sie leise. „Ich denke, das tue ich …"
Elladan nickte zaghaft. „Und für dich ist es sicherlich auch nicht leicht",
sagte er und strich ihr sanft mit dem Daumen über den Handrücken, um ihr mit
dieser Berührung Trost zu spenden. Und es tröstete auch ihn selbst, dass es
jemanden gab, der ebenso litt wie er und mit dem er seine Gefühle teilen
konnte. Sonst war dies immer Elrohir gewesen, doch die Dinge hatten sich
verändert, und Elladan fürchtete sich, es könnte für immer sein.
„Das ist es nicht, doch werde ich schon damit fertig werden", antwortete
Elenael leise. „Und ich bin mir sicher du ebenso. Du weißt doch, dass Elrohir
es auch nicht aushalten wird, noch länger ohne dich zu sein, nicht mit dir zu
reden – dafür braucht er dich viel zu sehr."
„Ich hoffe, du hast Recht", sagte Elladan. „Denn was wäre ich nur ohne meinen
Bruder? Nur eine Hälfte ohne ihr Gegenstück."
Einen Augenblick zögerte Elenael noch, bevor sie ihre Hände aus seinen löste,
Elladan dafür aber umarmte. Sie wusste, dass er den Trost brauchte und würde
alles tun, damit es ihm besser ging – schließlich war sie ja in der Sache trotz
allem nicht ganz unschuldig. Sie war es gewesen, die sich verplappert hatte.
„Siehst du?", fragte sie dabei leise. „Wenn es dir so geht, dann Elrohir
sicherlich nicht anders."
Elladan zwang sich zu einem milden Lächeln. „Ich hoffe, du hast Recht, und es
ist nur momentane Sturheit, die ihn so handeln lässt. Doch nun lass uns
versuchen, auf andere Gedanken zu kommen. Es dauert noch einige Stunden bis zum
Abendessen. Fällt dir etwas ein, womit wir uns die Zeit ein wenig vertreiben
können?"
Elenael löste sich aus der Umarmung und sah ihn an. „Nun ja, ich könnte dich
jetzt fragen, was aus deiner üblichen Nachmittags-Aktivität geworden ist." Ein
leicht schelmisches Lächeln umspielte ihre Lippen. „Doch glaube ich kaum, dass
du mich da dabei haben möchtest."
Auch Elladans Züge heiterten sich wieder ein wenig auf. „Nun, es wäre mal eine
nette Abwechslung, und sicherlich könnte ich dir noch einiges in Sachen
Schwertkampf beibringen", sagte er. „Doch zunächst müsste ich mein Schwert
holen und auch eines für dich. Ich habe noch ein etwas leichteres, kleineres. Genau das richtige für zarte Frauenhände", fügte
er neckend hinzu.
„Zarte Frauenhände?" empörte sich Elenael spielerisch. „Wenn ich dich daran
erinnern darf, gibt es diese Unterschiede vielleicht bei Menschen." Sie rümpfte
leicht die Nase. „Diesen Vorsprung hast du sowieso nur, weil du dein Schwert ja
kaum aus der Hand legst."
Elladan lächelte nun wieder vergnügt. „Nun, als ich deine Hände zum letzten Mal
hielt – und das ist noch gar nicht lange her – waren sie doch sehr viel kleiner
und zarter als die von männlichen Elben. Aber na gut, dann werden wir mal
sehen, ob deine Schwertkünste genauso gefährlich sind wie dein Mundwerk." Er
zwinkerte ihr spielerisch zu.
Lachend verdrehte Elenael die Augen – sie wusste sehr wohl, dass sie zwar mit
dem Schwert umgehen konnte, doch keinesfalls umwerfend gut. Dazu fehlte ihr
auch vor allem, wie sie bereits gesagt hatte, die Übung.
„Oh ja, fürchte dich!", entgegnete sie mit funkelnden Augen und machte sich
dann daran, dem lachenden Elladan zu folgen, der sich bereits umgewandt hatte
und die Flucht ergriff.
…………………………
Bald schon war er vom vielen Grübeln so erschöpft, dass er in einen tiefen Schlaf fiel. Jedoch ließen ihn auch dort unangenehme Bilder und Gedanken nicht in Frieden. Er befand sich im Wald seiner Heimat, ganz allein und es war Nacht. Nur ein heller Stern leuchtete auf dem schwarzen Himmel, doch plötzlich verebbte er und es wurde gänzlich dunkel. Legolas fürchtete sich, denn noch nie zuvor hatte er solche Finsternis gesehen. Wie blind lief er umher, stolperte über Wurzeln und Steine, bis er kaum noch voran kam und auf der Stelle, an der er zuletzt gefallen war, liegen blieb. Plötzlich hörte er ein leises Lachen in der Ferne und erkannte, dass es Elenaels war, doch es klang nicht fröhlich und freundlich wie sonst, sondern eiskalt und gehässig. Schauer liefen Legolas' Rücken hinunter, und er versuchte krampfhaft, etwas in dem Dunkel zu erspähen, doch außer Schwärze sah er nichts, bis plötzlich in der Ferne ein kleines Licht erschien. Erst jetzt erkannte er, dass es förmlich auf ihn zuzurasen schien, rot glimmend und unheilvoll. Er wollte sich erheben und weg rennen, doch konnte er seine Beine nicht mehr bewegen, denn die Wurzeln eines Baumes hatten sich um seine Füße geschlungen und hinderten ihn daran, aufzustehen. Panik überkam ihn, als das rote Glühen näher kam, und plötzlich hörte er einen ohrenbetäubenden, grässlichen Lärm, einen Schrei, der ihm durch Mark und Bein ging, und dann sah er sie: Die schwarzen Reiter, und er schrie.
Mit sicheren Schritten ging Elenael den Gang hinunter, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Manchmal erstaune es sie immer wieder, welche Bitten manchmal von einem der beiden höchsten Berater Elronds kamen … Heute hatte Glorfindel vor kurzer Zeit in der Küche gefragt, ob sie noch Erdbeeren und Schlagsahne hätten, einen unschuldigen Ausdruck in den Augen. So war sie nun, wenige Minuten später, noch einmal zu seinem Schlafzimmer gekommen und hatte die gewünschten Früchte mit Beilage abgegeben. Zwar hatte sie nur Glorfindel an der Tür angetroffen, doch war sie sicher gewesen, aus dem Zimmer ein leises Kichern vernommen zu haben, dessen Ursprung sie nur erraten konnte … doch war dies nicht sonderlich schwer.
Ein leiser, gedämpfter Schrei riss sie aus ihren Gedanken und ließ sie zusammenzucken. Verwirrt sah sie sich um und ihr Blick fiel auf eine der Türen, an der sie gerade vorbeigekommen war. Leicht beunruhigt stellte sie fest, dass es die Tür zu Legolas' Zimmer war. Ohne weiter darüber nachzudenken öffnete sie sie leise und betrat geräuschlos das Gemach.
Zu ihrer Erleichterung war es im Zimmer ruhig, nichts Ungewöhnliches war zu sehen. Legolas lag noch immer in seinem Bett, doch warf er sich unruhig umher und Elenael hatte keine Zweifel mehr daran, dass er es gewesen war, den sie gehört hatte. Offensichtlich war er in einem Alptraum gefangen, aus dem er nicht aufzuwachen schien. Mit nur wenigen Schritten war sie an seinem Bett und streckte vorsichtig eine Hand aus, um Legolas' Schulter zu ergreifen und ihn sanft zu schütteln.
„Legolas?", sagte sie leise. „Legolas, wach auf!"
Immer noch war Legolas in dem eisernen Griff der Wurzel gefangen und schrie aus Leibeskräften, doch kein Laut kam über seine Lippen. Er dachte schon, er wäre taub, doch dann hörte er die leisen Stimmen der Nazgul, die sich bedrohlich über ihn beugten. Einer von ihnen hatte sein Schwert gezogen und richtete es auf den Elben, der sich panisch umher wand, um sich zu befreien, doch es war vergebens. Nun beugte sich der Bewaffnete weiter zu ihm herunter und streckte seine Hand nach ihm aus, um nach ihm zu greifen. Seine Worte waren für Legolas unverständlich, doch allmählich schienen sie ihm vertrauter. Der schwarze Reiter rief seinen Namen, immer und immer wieder.
„Wach auf!" In diesem Moment verschwand das Bild und Legolas' Blick klärte sich wieder, als er in das Antlitz von Elenael schaute, die über ihn gebeugt an seinem Bett stand, ihre Hand auf seiner Schulter. Es war nur ein Traum gewesen. Noch immer erschüttert und verängstigt holte er ein paar Mal tief Luft und zwang sich dann zu Fassung.
„Elenael, was … was tust du hier?" fragte er schließlich, als der Schrecken des Traumes nur langsam verebbte.
Als Elenael sah, dass Legolas schließlich aufgewacht war, atmete sie erleichtert auf und ließ sich auf der Bettkante nieder, während Legolas sich aufsetzte.
„Ich hatte dich gehört … du hast geschrieen", antwortete sie leise, mit gesenktem Blick. Schließlich sah sie zu ihm auf, und als sie bemerkte, wie Legolas' Haut im schwachen Licht durch einen sehr dünnen Angstschweißfilm leicht glitzerte, hob sie unwillkürlich eine Hand und fuhr ihm vorsichtig über Stirn und Wangen, ohne darüber nachzudenken, was diese Berührungen in ihr auslösten. „Geht es dir gut?"
Legolas schloss kurz die Augen, als er Elenaels zarte Hand auf seinem Gesicht spürte.
„Ich hatte einen schrecklichen Traum", sagte er schließlich, doch sein Herz klopfte nicht nur wegen der zuvor erlebten Angst nun lauter in seiner Brust. „Ich war wieder in Düsterwald. Es war Nacht und ich war ganz allein, bis die Nazgul kamen", erzählte er ihr leise. Das Bild war immer noch da, wenn er die Augen schloss, so real war es gewesen.
Nur zu deutlich sah Elenael die Nachwirkungen des Traumes in Legolas' Gesicht und irgendwie wünschte sie sich nichts weiter, als ihn zu trösten. Ihre Hand auf seiner Wange löste ein leichtes Flattern in ihr aus, doch sie konnte sie nicht zurückziehen, auch wenn sie gewollt hätte. Sie zögerte, etwas anderes zu tun, denn noch schien Legolas ihre Berührung als willkommen zu sehen.
„Úlaire?", fragte sie fast flüsternd und ein leichtes Schaudern erfasste für einen Augenblick ihren Körper.
Legolas nickte nur stumm und senkte leicht den Blick, als ihre Finger immer noch auf seiner Wange lagen. Die Berührung war trostspendend, und dennoch erlitt er durch sie Qualen, die ihm fast größer erschienen als die seines Traumes, denn er wusste, dass es für sie nur eine freundschaftliche Geste war. Er jedoch wünschte sich nichts mehr, als dass Elenael dasselbe ersehnte wie er. Einen Augenblick schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, sie einfach an sich zu ziehen, seine Lippen stürmisch auf die ihren zu pressen, so wie er es sich unzählige Male vorgestellt hatte. Vielleicht würde sie nicht einmal Widerstand leisten, vielleicht würde auch sie den Kuss geschehen lassen, vielleicht noch mehr. Doch Legolas durfte so nicht über sie denken. Sie konnten nichts mehr sein als Freunde.
Zwar spürte Elenael den inneren Kampf, den Legolas ausfocht, wusste aber nicht, woran er wirklich dachte. Sie befürchtete, dass er noch immer in den Schrecken seines Traumes gefangen war, und so ließ sie langsam ihre Hand von seiner Wange sinken und legte ihre Arme stattdessen langsam um ihn. Sie hatte ein wenig Angst, dass er vor ihr zurückschrecken würde, doch würde sie es dennoch versuchen – sie konnte es kaum ertragen, ihn so zu sehen.
Legolas war überrascht, die sanfte Umarmung zu spüren, doch er gab sich ihr hin und vergrub sein Gesicht an Elenaels Schulter. Er sog den lieblichen Duft ein, der von ihrem Haar ausging und schlang nun seinerseits seine Arme eng um sie. Für einige Zeit vergaß er fast alles um sich herum, sogar die Tatsache, dass Elenael vergeben war, denn seine Hände fingen an, langsam über ihren Rücken zu streicheln und seine Lippen fanden wie von selbst ihren Nacken, um ihn zu küssen.
Langsam schlossen sich die Lider der Elbin, als sie Legolas' Körper gegen ihren spürte, so nah, dass sie selbst das kaum wahrnehmbare Zittern in ihm noch fühlen konnte. Ihre Hände lagen auf der nackten Haut seines Rückens, sie genoss das Gefühl, seinen Kopf an ihrer Schulter zu spüren, seine Arme um sie geschlungen … Als sie das erste Mal seine Lippen auf ihrem Nacken spürte, entfloh ihr ein leises, kaum hörbares Seufzen, bis ihr plötzlich bewusst wurde, was er tat. Unwillkürlich erstarrte sie.
Ihre Haut war so schön weich, Elenael roch süß und fühlte sich gut in seinen Armen an, doch plötzlich spürte Legolas, wie sie erschauderte und dann bewegungslos in seiner Umarmung verharrte. Als ihm bewusst wurde, was er da gerade tat, riss er sich schnell von ihr los und starrte ihr dann erschrocken in die großen, grauen Augen.
Innerlich schrie Elenael auf, als Legolas sich plötzlich von ihr losriss. Egal, was ihr Verstand auch sagte, ihr Herz wollte ihn wieder spüren, so wie eben … Kein Wort kam über ihre Lippen. Sie hätte auch nicht gewusst, was sie denn sagen sollte, und so sah sie Legolas ebenfalls direkt an, erwiderte den Blick und spürte, wie etwas in ihren Augen brannte, als das leuchtend klare Blau der seinen sie wieder einmal überraschte. Es war so leicht, sich in ihnen zu verlieren.
Legolas' Herz sprang schmerzhaft in seiner Brust auf und ab, als er Elenael vor sich sah. Auch sie hatte sich von dem Moment hinreißen lassen, und für einen Augenblick verging Legolas vor Wut gegen sich selbst, dass er ihn zerstört hatte. Wie sehr sehnte er sich danach, sie wieder zu berühren, sie nah an sich zu spüren, ihre Lippen und ihren Körper mit Küssen zu bedecken, doch es durfte nicht sein.
„Was machst du bloß mit mir?", fragte er leise und schalt sich innerlich dafür, die Schuld auf sie zu schieben. Immerhin war sie die jenige, die in festen Händen war und er hatte sie zu etwas gebracht, das sie bestimmt nicht hatte tun wollen, auch wenn glücklicherweise nichts weiter geschehen war.
Elenael wusste nicht, was sie von seinen Worten halten sollte. Was machte sie mit ihm? Sie wollte sich nicht zwischen ihn und Elrohir drängen, es war das letzte, was sie wollte. Und in dem Moment wurde ihr klar, dass sie vielleicht falsch gehandelt hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Ausdruck des Schmerzes über ihr Gesicht.
Legolas wurde sich darüber klar, dass seine Worte verletzend geklungen haben mussten, denn schließlich war er ja der Schuldige, der ihre Beziehung zu Elrohir gefährdete.
„Es … es tut mir lei…"
Doch noch bevor er das letzte Wort völlig hatte aussprechen können, lagen plötzlich Elenaels Finger auf seinen Lippen, die ihn verstummen ließen.
„Sssh, sag das nicht …" Sie war sich darüber bewusst, dass ihre Stimme ein wenig zitterte und sie musste kurz die Augen schließen, um die aufsteigenden Tränen in ihnen zurückhalten zu können. „Bitte, sag es nicht …"
Als sie ihre Augen wieder öffnete, blickte sie noch einmal direkt in seine und wie als habe sie sich verbrannt, zog sie ihre Hand zurück und stand plötzlich auf. Mit wenigen schnellen Schritten hatte sie die Tür erreicht und den Raum verlassen, leise wie ein rascher Windzug.
Legolas wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er immer noch verwirrt und mit leicht geöffnetem Mund auf seinem Bett saß und zur Tür blickte, durch die Elenael soeben verschwunden war. Warum hatte sie nicht gewollt, dass er sich entschuldigte? Vielleicht machte es das, was geschehen war dadurch noch wirklicher, und sicherlich war der Gedanke ihr nicht angenehm. Doch irgendetwas musste sie ja für ihn fühlen, sonst hätte sie ihm gleich gesagt, dass sie nichts für ihn empfand, dass es nicht sein durfte und konnte, nicht nur wegen Elrohir sonder auch wegen Elenael selbst. Doch diese Worte hatte er nie gehört, und so machte er sich unterbewusst ständig wieder Hoffnungen. Er konnte es einfach nicht mehr ertragen, in ihrer Gegenwart zu sein, ohne sie haben zu können, so wie er es sich wünschte – nicht nur als Freundin. Allmählich wurde ihm klar, was der einzig erträgliche Ausweg aus dieser Misere war. Er musste abreisen, und dies würde er gleich morgen tun.
…………………….Stille hatte sich wie eine bleierne Decke in seinem Zimmer ausgebreitet, ebenso wie in seinem Herzen. Nur das schwache Licht der Sterne fand von draußen seinen Weg in die Dunkelheit von Elrohirs Schlafgemach, zeichnete blasse Schatten auf den Boden und gab den Formen der Dinge in seinem Zimmer Konturen.
Der jüngere Zwilling saß aufrecht am Kopfende seines Bettes, in seinen Armen ein Kissen, das er auf der Suche nach etwas Wärme an sich gedrückt hatte, die Beine angezogen. Fast wie ein kleines Kind fühlte er sich, eines, das die Einsamkeit und die Schatten der Nacht fürchtete. Lange waren seine Augen unfokussiert, doch schlief er nicht. Unbeweglich starrte er auf einen Punkt, dennoch unsehend, kein einziger Gedanke fand sein Bewusstsein. Nur entmutigende Leere.
Erinnerungen spielten sich vor seinem inneren Auge ab, Gedanken an Sommer, die nie zu enden schienen und deren Winde Geschichten erzählten, an schweigende Gespräche und leuchtende Stille. Alle Geheimnisse geteilt – Worte und Bilder, die im Gedächtnis blieben. Er konnte sich daran erinnern, als die Sonne sie immer gewärmt hatte.
Irgendwie schien es nun kälter zu sein.
Sein Blick fiel auf die Sterne dort draußen am schwarzen Nachthimmel. Wie von selbst erhob sich Elrohir und verließ sein Bett, ließ seine Schritte ihn leiten bis hin zum dünnen Vorhang, der sein Zimmer von dem Balkon draußen trennte und das Sternenlicht hineinließ. Er wollte heraustreten und die erdrückende Stille in seinem Zimmer hinter sich lassen, doch fiel sein Blick auf den Balkon neben dem seinen und er erstarrte.
Elladan saß auf der breiten Brüstung, den Rücken an die Hauswand gelehnt, an die die Balustrade grenzte, die Beine leicht angezogen, die Arme um seinen Oberkörper geschlungen. So wie er dasaß … Elrohir wurde plötzlich schmerzhaft bewusst, dass es so sehr der Art glich wie er selbst zuvor in seinem Bett gesessen hatte. Seine ganze Körperhaltung strahlte Einsamkeit aus und für einen Moment wollte der jüngere Zwilling nur noch zu ihm.
Ein leichter Windstoß bewegte den Vorhang und für kurze Zeit war sein Bruder seinem Blick verborgen. Der Augenblick war verflogen und Elrohir wandte sich ab, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand neben sich und schloss die Augen.
Sah die Vergangenheit und wünschte, er könnte zurück.
……………………….Ein leichter Wind wehte durch sein langes Haar, als Elladan über das friedliche Tal in die Ferne blickte. Die Nacht hatte sich über das Land gelegt und nur das helle Strahlen der Sterne erleuchtete die Umgebung. Es war still, denn die meisten Bewohner Bruchtals waren bereits in Schlaf gesunken, nur Elladan fand keine Ruhe. Er blickte hinauf zum fernen Firmament, zu den funkelnden Himmelskörpern, doch nur wenig Trost fand er in dem schönen Anblick.
Die Idylle dieser Nacht schien ihn zu erdrücken, ihn fast zu verspotten, denn sie reflektierte seine Empfindungen in keinster Weise. Elladan war es nicht nach einer sterneklaren Nacht zu Mute, nicht nach einer lauen Brise oder sanftem Vogelgezwitscher. Ein wolkenverhangener Himmel und Regen hätten seinem Gemütszustand eher entsprochen, und doch fand er dort oben einen Verbündeten. Einsam und nur schwach strahlend hing die schmale Sichel des Mondes dort, nicht voll und ganz wie in seiner vollen Schönheit, sondern nur die Hälfte einer Einheit – ebenso wie Elladan.
Er fühlte sich entzwei gerissen, als fehle ein Teil seiner selbst, der Teil, der immer zu ihm gehört hatte. Dort, wo früher Verbundenheit herrschte, klaffte nun eine tiefe Schlucht, die ihm so unüberwindbar vorkam, wie die Distanz zu dem sichelförmigen Himmelskörper. Doch er würde sich bald wieder füllen, wieder vollständig werden und in all seiner Pracht erstrahlen.
Elladan senkte den Blick und schloss für einen Moment die Augen. Doch immer wieder sah er das Gesicht vor sich, das so sehr dem seinen glich. Eine tiefe Sehnsucht überfiel ihn, zu seinem Bruder zu gehen und ihn in den Arm zu nehmen, doch zu viel war geschehen, zu viel hatte sie einander entfremdet, und Elladan fragte sich, ob er und sein Zwilling je einen Weg finden würden, die Distanz zwischen ihnen zu überwinden.
Fast unbeabsichtigt fiel sein Blick plötzlich in Richtung von Elrohirs Zimmer, das auch hinauf auf den benachbarten Balkon führte, und es war Elladan, als sähe er seinen Zwilling dort stehen, doch dann brachte ein Windstoß den weichen Stoff des Vorhangs zum Wehen und das Bild war verschwunden.
Wieder schloss er die Augen und unwillkürlich sah er Bilder von glücklicheren Tagen vor seinem geistigen Auge und wünschte sich sehnlichst, wieder dorthin zurückkehren zu können.
………………………….Eine einsame Träne suchte sich ihren Weg über zarte Haut, folgte den salzigen Spuren, die ihre Vorgänger hinterlassen hatten, verlor sich wie die anderen zuvor im weichen Kissen.
Erinnerungen an seine Berührungen überkamen sie, Arme um ihren Körper geschlungen, Hände über ihren Rücken streichend, Lippen auf ihrem Nacken … Wie sehr sie zurück wollte zu diesen Empfindungen, selbst, wenn sie nur Illusionen waren. Selbst diese schien sie eher ertragen zu können als die Leere.
Wieder fragte Elenael sich, ob er an sie dachte, in diesem Moment – überhaupt. Es waren dunkle Gedanken, die sich den Weg in ihr Bewusstsein suchten, doch konnte sie nichts gegen sie tun. Und manchmal ertappte sie sich dabei, sich zu wünschen, nie zu wissen, wie es sich anfühlte, so zu lieben.
Die Einsamkeit, die das schwache Licht der Sterne in ihr Zimmer malte, schien sie zu verhöhnen und die junge Elbin schloss die Augen um dem zu entgehen. In Gedanken, vor ihren geschlossenen Augen, konnte sie ihn sehen. Und tief in ihr regte sich der Wunsch, sie nie wieder zu öffnen, weil sie wusste, dass von ihm nichts bleiben würde außer der harten Wirklichkeit. Waren Illusionen denn so falsch?
Eine Träne suchte stumm die Spuren auf ihrer Wange um ihnen zu folgen, und fand schließlich klagend das Ende ihres Weges im feuchten Stoff des Kissens. Glitzernd vergehend.
………………………..Die Nacht neigte sich bereits ihrem Ende entgegen, als Legolas noch immer wach auf seinem Bett lag und in die schwarze Leere seines Zimmers blickte. So sehr er sich auch nach Schlaf sehnte, so konnte er keine Ruhe finden, denn immer wieder rankten sich seine Gedanken um die Geschehnisse der letzten Tage. Und immer wieder sah er ihr wunderschönes Gesicht vor sich, wenn er ins Dunkel blickte. Fast war ihm, als spürte er ihre seidig zarte Haut unter seinen Lippen, als fühlte er die Wärme ihres Körpers noch immer so wie in der Umarmung, mit der sie ihm nur hatte Trost spenden wollen. Eine einsame Träne rann seine Wange hinunter, als er die Augen schloss und sein Gesicht in den weichen Kissen vergrub, sich an sie klammerte, und verzweifelt nach der Geborgenheit suchte, die er sich von Elenael so sehr ersehnte.
Warum musste er sich ausgerechnet in Elenael verlieben, die ihr Herz bereits verschenkt hatte? Und doch schien auch sie etwas für ihn zu empfinden. Es war einfach nicht richtig, nichts war richtig daran, weder dass Elenael Legolas nicht einfach sagen konnte, dass sie nichts für ihn empfand, noch, dass er diese Gefühle für sie hatte. Es war alles so falsch. Und unter jeder neuen Verbindung schien eine alte zu zerbrechen. Die Liebe kam ihm mittlerweile vor wie ein Fluch, nicht wie ein Geschenk sondern ein schwere Bürde, die er nun alleine zu tragen hatte. Müde und erschöpft von der Last seiner Gedanken driftete er endlich in den Schlaf, das letzte Mal hier in Imladris.
Úlaire= anderes Wort für Nazgul.
TBC
Bitte sagt uns, wie es euch gefallen hat.
