Kapitel 6
Nachdenklich
Heute Abend fahre ich nach Hause. In diesem Moment bin ich im Zug.
Sind alle Versprechen dazu gemacht, gehalten zu werden? Ich hatte die Gewohnheit, meine zu brechen, weil keins davon wichtig war. Ich habe den Bedingungen der Leute nur zugestimmt, damit sie die Klappe halten. Ich habe vielen Mädchen Versprechungen gemacht, daß ich sie wiedersehen würde und solchen Unsinn. Ich breche meine Versprechen oft unbedacht. Aber dieses Mädchen …
Dieses Mal habe ich ihr kein Versprechen gegeben, weil ich wußte, daß ich es brechen würde. Dieses Mal war es anders.
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Draco machte seinen Koffer zu und schloß ihn ab. In Gedanken kreuzte er Dinge ab: Unterwäsche, Hosen, Hemden, Roben, Socken, Schuhe, Schulbücher, Taschenbücher, Zauberstab … Er zog seinen Umhang enger um seinen Hals. Er hob seinen Koffer an der Seite an und bewegte ihn zur Tür. Er warf einen Blick auf die Standuhr, die in der Nähe der Badezimmertür tickte. Die Kutsche würde ihn um halb acht auflesen, jetzt war es viertel nach sieben.
Ginny betrat mit gesenktem Kopf den Gryffindor–Turm. Die Fette Dame ließ sie das Paßwort ganze dreimal wiederholen. Daraufhin hielt ihr das Portrait einen Vortrag darüber, daß sie lauter sprechen sollte, den Ginny aber ignorierte. Sie schleppte sich in den Gemeinschaftsraum. Leute liefen herum und begannen zu packen. Hermine, Harry und Ron gehörten zu den wenigen, die über die Ferien blieben. Viele fuhren nach Hause wie Draco, nur daß er schon heute aufbrechen würde.
Harry und Hermine saßen schlummernd auf dem Sofa, während Ron und Seamus Schach spielten. Ginny legte ihre Robe ab und zog die aus, die sie anhatte.
„Hallo, Gin", begrüßte Ron sie ohne aufzublicken.
„Hallo."
„Wo warst du?"
„Spazieren."
Ginny setzte sich auf den Stuhl, der am dichtesten am Feuer stand. Nachdem sie Draco alleingelassen hatte, war sie im Schloß umhergelaufen. Von Zeit zu Zeit wollte sie weinen, weil sie nicht wußte, was noch kommen würde. Sie waren immer noch freundlich zueinander, sie hatte das Wort „befreundet" benutzt. Die Wurzel dieses Wortes war natürlich „Freund". War es das, was sie für ihn war? Draco hatte ihr einige dunkle Geheimnisse anvertraut, bedeutete das, daß er ihr vertraute, oder hatte er nur diese Last auf seinen Schultern erleichtern müssen? Und wenn sie Freunde waren, würden sie das auch noch sein, wenn er zurückkam? Unter all den Fragen, die ihr im Kopf herumschwirrten, stach eine heraus: Was würde passieren, wenn er zurückkehrte?
Ginny konnte die Antwort nicht abwarten. Sie mußte es jetztwissen. Sie sprintete aus dem Aufenthaltsraum und ließ Ron und Seamus fassungslos zurück.
Draco steckte die Hände in die Taschen. Er stand allein an den großen Toren, seinen Koffer neben sich, als er auf die Kutsche wartete. Ihm begann vor dem bevorstehenden Weihnachtsfest zu grausen. Er konnte es vor sich sehen:
Am Weihnachtsmorgen würde er zum Frühstück hinuntergehen. Er würde an der linken Seite seines Vaters sitzen, seine Mutter gegenüber. Sie würden in angemessenem Schweigen essen. Dann würde Mutter sich nach der Schule erkundigen, nach Pansy, nach seinen Zensuren, Pansy, Quidditch, Pansy … So sehr er seine Mutter auch liebte, sie hatte keine Ahnung wie nervig Parkinsons Tochter wirklich war. Den Tag würden sie getrennt verbringen, wie üblich, bis zum späten Nachmittag, wenn sie die Weihnachtsgala des Ministeriums besuchten. Dieses Jahr würde Draco unter den Bekannten seines Vaters stehen, gemeinsam mit Crabbe und Goyle. Und ein paar Tage bevor die Schule wieder anfing würde der Dunkle Lord Kontakt zu ihm aufnehmen.
Er drehte sich um, als er aus dem Schloß herüberhallende, schnelle Schritte hörte. Er sah eine Gestalt in grauer Weste und Rock. Ihr rotes Haar verriet, wer sie war.
Ginny stoppte vor Draco und beugte sich plötzlich keuchend vornüber, als sie versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Ihre Sommersprossen waren verschwunden, und ihr Gesicht war rosig vom Rennen.
Draco sah zu ihr hinunter.
„Was?" fragte er, barscher als er es beabsichtigt hatte.
Nachdem sich ihre Atmung wieder beruhigt hatte, blickte sie auf und sagte: „Draco … ich … der Handel gilt nicht mehr."
„Welcher Handel?"
„Daß du mir beim Lesen hilfst und niemand etwas erfährt von deinen Gefühlen gegenüber deiner …", Ginny blickte finster drein, „Arbeit."
Draco grinste beinahe. „Du gibst also klein bei?" Er war frei. Wenn er jetzt nur noch dieses Angstgefühl in seinem Magen unterdrücken könnte.
„Wegen der … Umstände."
„Mitleid mit mir?"
Sie schüttelte den Kopf. Schnee begann sachte vom Himmel zu fallen. Die Kutsche kam vor Draco zum Stehen.
„Ich hab dir schon mal gesagt, daß du eine schreckliche Lügnerin bist." Er wuchtete seinen Koffer in die Kutsche.
„Es ist nur, daß ich dich nach Weihnachten sehen möchte. Du weißt schon, ohne Verpflichtungen."
Das ließ Draco erstarren. „Was?" Er drehte sich zu ihr. „Nach allem, was du weißt, willst du immer noch mit mir reden? Jede normale Person würde um ihr Leben rennen." Er kicherte fast. „Du bist ein Idiot."
Ginny seufzte. „Alles, was ich weiß, ist, daß ich gerne Zeit mit dir verbringe. Es war … nett."
Das versetzte Draco in Panik – so sehr ein Malfoy in Panik geraten konnte. Sie wollte Zeit mit ihm verbringen, und noch irrsinniger war, er wollte das auch.
„Ich weiß nicht." Er sah Ginny enttäuscht blicken. „Erwartest du eine Abmachung irgendeiner Art? Denn ich …"
„Keine Abmachung", sagte Ginny. „Keine Bedingungen. Wenn du zurückkommst, werde ich mit dir reden. Wenn du mich dann nicht wiedersehen willst, sag's mir. Einverstanden?"
Draco verengte die Augen. Es klang, als würde sie sich festlegen. „Ich muß dir keine Versprechen geben, wir sind schließlich kein Liebespaar oder so was."
Sie lächelte, und der Blick, den sie ihm zuwarf, erschütterte seine Abwehr. „Keine Versprechen, nur zwei Menschen, die die Gesellschaft des anderen wollen."
Es war ausgesprochen uncharakteristisch für Draco. Er streckte die Hand aus und berührte ihre Wange. Behutsam strich er mit dem Daumen die Schneeflocken von ihren Wimpern. Ginny wurde augenblicklich warm unter Dracos Berührung. Wie er sie ansah … Was dachte er? Würde er sie schlagen? Lachen? Sie vielleicht küssen?
So plötzlich, wie er sie berührt hatte, zog er seine Hand zurück und stieg in die Kutsche ein. Sie setzte sich in Bewegung in Richtung Hogsmeade–Bahnhof. Draco warf ihr einen letzten Blick zu, bevor er sich abwandte.
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Dracos Zugfahrt war ermüdend. Allein zu sein gab ihm die Möglichkeit, über die Zukunft nachzudenken. Wo würde er in einem Jahr sein? Würde er sein wie sein Vater, und Reichtum und Macht haben, die ihn zu einem gemachten Mann machen würden? Oder würde er in Askaban sein und dahinvegetieren, dem Erbarmen der Dementoren ausgeliefert. Paßte Red da irgendwo hinein? Draco schüttelte den Kopf. Das war ein seltsamer Gedanke.
Er wurde abgeholt und direkt zur Villa gebracht. Als er ankam, nahm eine Hauselfe, die einen verblichenen, rosafarbenen Kissenbezug trug, seinen Koffer.
„Hallo, junger Herr. Ihr Vater wartet in seinem oberen Arbeitszimmer auf Sie. 's is dringend, Sir."
Draco nickte. Er erklomm die Treppe und blieb vor der ersten Tür auf der rechten Seite stehen. Er klopfte vorsichtig, bis sein Vater ihm gestattete einzutreten.
Der Raum war schwach beleuchtet, das einzige Licht rührte von dem Feuer im Kamin her. Lucius Malfoy lächelte spöttisch aus seinem Stuhl hinter dem Mahagonischreibtisch, während er Unterlagen auf dem Tisch durchblätterte. Eine Ader entlang des Ansatzes seines schneeweißen, langen Haares schien ihm vor Zorn platzen zu wollen. Draco konnte spüren, daß etwas nicht stimmte. Lucius blickte auf.
„Ah, Draco. Willkommen zu Hause." Er bedeutete Draco mit einer Handbewegung, sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch zu setzen. „Wie war die Schule?"
„Einfach", antwortete Draco. „Ich hatte gerade heute Probe–UTZs."
„Da siehst du, was du erreichen kannst, wenn du dich einsetzt. Das heißt wohl, du kommst mit deinen Studien jetzt besser voran." Lucius strich ein Blatt Papier glatt. „Sonst noch irgendwas Interessantes?"
Draco überlegte einen Augenblick. Das Bild eines speziellen rothaarigen Mädchens kam ihm plötzlich in den Sinn. Er schluckte.
„Nein, außer meinem bevorstehendem Quidditchspiel gegen Ravenclaw, das ist alles."
„Ich verstehe."
Lucius stand auf und lehnte sich vor Draco an den Schreibtisch.
„Lernen, Quidditch … Nimmt noch irgendwas anderes deine Zeit in Anspruch?"
Ok, irgendwas war definitiv nicht in Ordnung, Draco konnte es fühlen.
„Meine Pflichten als Schulsprecher, aber das …"
Lucius warf Draco daraufhin ein gefaltetes Stück Pergament in den Schoß. Verwirrt wandte sich Draco seinem Vater zu. Die Lippe seines Vaters zuckte, als würde er versuchen, seinen Ärger zu unterdrücken. Langsam und nachdenklich entfaltete er das Pergament und begann zu lesen. Draco biß die Zähne zusammen, um seine siedenden Empfindungen zurückzuhalten.
Lieber Mr Malfoy,
Ich bin Schülerin in Hogwarts, und ich habe Neuigkeiten betreffs Ihres Sohnes, Draco Malfoy. Die Nachricht, die ich habe, wird ein Schock für Sie sein, wie sie es auch für mich war, denn ich bin im selben Haus wie Draco und habe geglaubt, mit ihm dieselben Tugenden zu teilen.
Draco ist mehr als einmal in der Gesellschaft von Arthur Weasleys Tochter gesehen worden. Das erste Mal, daß ich Zeuge wurde, war vor einigen Monaten, als die beiden mit einer Schneeballschlacht beschäftigt waren. Bald darauf wurde diese gefolgt von ihren Besuchen in seinem Zimmer. Sie kommt nach dem Abendessen und verläßt ihn nach nicht weniger als zwei oder drei Stunden.
Ich würde Sie nicht anlügen, Sir, denn ich habe den größten Respekt vor Ihnen. Ich bin eine Person, die über Dracos Entscheidungen besorgt ist. Anbei sind Fotos als Beweis meiner Behauptungen. Ich hoffe, es Ihnen mitzuteilen hilft Draco, seine Moral und Prioritäten zu bewahren.
Danke für Ihre Zeit,
Anonym
‚Von wegen anonym', höhnte Draco. Er hätte Pansys Handschrift überall wiedererkannt.
„Diese Person ist ein Idiot."
„Wirklich?"
Lucius schlug mit der Hand auf den Schreibtisch, wobei er drei Fotos über die Kante beförderte: Draco und Ginny im Schnee, Draco und Ginny in der Bibliothek, und die beiden vor Dracos Zimmer.
„Ich dachte, ich hätte dich besser erzogen", fauchte Lucius.
Draco schwieg. Er konnte nichts sagen.
„Ich bin wirklich erleichtert, daß unser Meister es noch nicht herausgefunden hat. Hätte er das …" Lucius schnalzte mit der Zunge. „So eine Demütigung."
Draco starrte nur auf die Bilder, insbesondere das, auf dem er sie vor seinem Zimmer selbstgefällig anlächelte. Oh, das sah nicht gut aus.
„Ich habe sehr hart gearbeitet, um dir ein angenehmes Leben zu ermöglichen", zischte Lucius. „Wenn du dieses Leben vermasselst für billige Sex–Eskapaden, wirst du das bitter bereuen, und auch deine Freundin."
Er mußte scherzen! Sex mit Red? Nicht, daß ihm die Idee nie gekommen wäre, besonders als sie in seinem Bett eingeschlafen war. Als sie sich auf die Seite gedreht hatte, war ihr Rock leicht hochgerutscht und hatte ihre cremigen Oberschenkel enthüllt … Unnötig zu erwähnen, daß er niemals tatsächlich Sex mit ihr haben würde!
Lucius hatte soeben Draco bedroht – und Ginny auch. Alles, was sie wollte, war jemand, der ihr half, Shakespeare zu verstehen. Sie war wahrhaft unschuldig.
„Du kannst keine Ablenkungen gebrauchen, vor allem jetzt nicht."
Lucius sammelte die Fotos ein, entriß ihm den Brief und schloß alles in seinem Schreibtisch ein.
„Der Dunkle Lord wird bald mit einer neuen Mission eintreffen. Wenn du die unnötigen Ablenkungen nicht los wirst, merk dir meine Worte, dann werde ich es auf meine eigene Weise tun."
Draco erhob sich von seinem Stuhl und starrte seinen Vater an. Er hatte immer zu seinem Vater aufgesehen, im übertragenen und im wörtlichen Sinn. Inzwischen waren sie nahezu gleich groß, und alles, was Draco sah, war der Lakai eines heuchlerischen, irrsinnigen Mannes. Er weigerte sich, auf das Niveau seines Vaters zu sinken. Dennoch, die Kriecherei seines Vaters verschaffte seinem Namen Respekt und Macht – und das Vermögen der Familie hatte dazu ebenfalls beigetragen. Lucius Malfoy, den Draco einst für einen Gott gehalten hatte, sprach Drohungen aus. Und das Beängstigendste daran war, daß sie nicht müßig waren.
Draco verließ das Arbeitszimmer.
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Er saß gegen das Kopfende seines Bettes gelehnt, die seidenen Bettücher über dem Schoß drapiert. Er war bereits zum Schlafen angezogen: Satin–Pyjamahosen. Heute Nacht war es dunkles Violett. Seine Haare waren zerzaust, nicht wie gewöhnlich glatt nach hinten frisiert. Niemand wußte, daß er eine dünne, silberne Lesebrille trug. Er lehnte es ab, während des Unterrichts eine Brille zu tragen, und benutzte sie nur privat in seinem eigenen Zimmer, es sei denn, Ginny schaute vorbei. Er trug sie nicht in Gegenwart anderer, abgesehen von seiner Familie. Das letzte, was er wollte, war, mit dem verdammten Potter verglichen zu werden.
Er blickte von seinem Buch auf, als sich seine Tür öffnete. Eine Frau stand im Türrahmen, sie trug eine weinrote Robe und passende Slipper. Ihr langes, platinblondes Haar hing mit einem schwarzen Band zusammengefaßt über ihre linke Schulter. Er wandte sich wieder seinem Buch zu.
Narzissa Malfoy nahm sich die Freiheit, sich auf seine Bettkante zu setzen, dicht bei ihm. Sie lächelte nicht oder zeigte Mitleid, als sie sagte:
„Dein Vater hat mir von dem Brief erzählt."
„Hat er?"
Draco hielt seine Augen auf die Seite vor sich gerichtet. Narzissa legte eine Hand auf seinen Unterarm und strich mit den Fingern über das Dunkle Mal.
„Bist du nicht glücklich, Draco?" Sie sah ihn an, als wäre dieser unglückselige Vorfall ihre Schuld.
„Was ist los, Mutter?" Das alles verwirrte ihn.
„Es ist nur, wenn du deinem Vater nachfolgst, wirst du ein sehr angenehmes Leben führen. Willst du das nicht?"
Hatte sie irgendeine Ahnung, was Todesser wirklich taten?
„Draco, Liebling, ich will nur, daß du stolz darauf bist, wer du bist: ein Malfoy. Wir gelten als bedeutsam in der Zaubererwelt", erklärte Narzissa. „Und dein Vater hat gewährleistet, daß wir glücklich sein können. Ich hoffe, du wirst dasselbe für deine Familie tun."
‚Meine Familie?' überlegte Draco.
„Mutter, ich bin erst siebzehn."
„Und es wird die Zeit kommen, wenn ein Erbe gezeugt werden muß. Und nach dem, was ich so höre, ist Parkinsons Tochter nicht geeignet, dein Kind zu gebären. Zumindest nicht aus deiner Sicht."
War das ihre Version der „Unterhaltung"?
„Sehr lustig, Mutter."
Sie schmunzelte, etwas, das er eine ganze Weile nicht bei ihr gesehen hatte.
„Du hast mir nicht geantwortet, Liebling. Bist du glücklich?"
„Ich diene der Mission meines Meisters, um mein eigenes Leben zu verbessern. Warum sollte ich nicht glücklich sein?"
Narzissa legte die Stirn in Falten. „Versuch nicht, dich rauszuwinden. Du magst vielleicht schon ein Mann sein, aber ich bin immer noch deine Mutter."
Sie sah hinunter in seinen Schoß, um das Buch anzusehen, dem er seine Aufmerksamkeit widmete. Sie hob es an und drehte den Buchrücken.
„Schöne Wahl, Liebling. ‚Zwei Häuser, gleich an Würde und Gebot …' Es ist, passend, meinst du nicht?"
Draco verengte die Augen und schlug das Buch zu. „Mutter, wage es nicht …"
„Ich habe nichts gesagt. Erinnerst du dich an das erste Mal, als ich dir dieses Buch vorgelesen habe?" Als er schwieg, fuhr sie fort. „Du warst sechs, glaube ich. Du hast es gefunden und verlangt, daß ich es dir vorlese. Du hingst unglaublich an dieser Geschichte. Ich habe nie verstanden weshalb. Es handelte von der Liebe zweier Teenager, warum um alles auf der Welt sollte ein sechsjähriges Kind sich dafür interessieren? Ich habe deine Besessenheit mit dieser Geschichte nie verstanden, bis …"
Draco hob eine Augenbraue. „Bis?" Nervös erwartete er ihre Antwort. Ihre eisblauen Augen blickten in seine stahlgrauen.
„Bis du vor eine Wahl gestellt wurdest." Sie erhob sich und legte eine Hand auf seine Schulter. „Draco, ich finde, du solltest eine kluge Entscheidung treffen. Für dein eigenes Wohlergehen." Sie drehte sich um und ging davon.
„Gute Nacht, Mutter", rief er ihr nach, als sie die Tür öffnete.
Sie lächelte sanft, noch etwas, das er seit einiger Zeit nicht mehr gesehen hatte.
„Gute Nacht, Liebling."
Sie schloß die Tür hinter sich. Draco schlug sein Buch wieder auf. Er konnte nicht anders, als die Frau zu bedauern. So sehr er sie liebte, für das Wissen um gewisse Dinge war sie einfach nicht geschaffen.
Zu früh, befürcht ich; denn mein Herz erbangt
Und ahnet ein Verhängnis, welches, noch
Verborgen in den Sternen, heute nacht
Bei dieser Lustbarkeit den furchtbaren Zeitlauf
Beginnen und das Ziel des läst'gen Lebens,
Das meine Brust verschließt, mir kürzen wird
Durch irgendeinen Frevel frühen Todes …
Eine verirrte blonde Haarsträhne fiel auf Dracos Brillengläser. Er strich sie flüchtig beiseite.
Ginnys Gesicht war in sein Gedächtnis eingebrannt.
