Kapitel 1: Ankunft
Die Augen fielen ihm immer öfter zu, als er versuchte den Ausführungen des dunkelhaarigen Elben vor ihm zu folgen. Ein kurzer Blick zu seiner Schwester zeigte ihm, dass auch ihr es nicht anders erging. Sie schien genauso gelangweilt, wie er.
„Junger Elb, es ist mir bekannt, das dieses Thema keines der Interessantesten ist, doch bitte ich Euch, mir ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu schenken", erklang die schneidende Stimme des Älteren an seinem Ohr. Erschrocken blickte er auf, in das leicht verärgerte Gesicht seines Lehrmeisters.
„Verzeiht…", antwortete er und senkte etwas verschämt den Blick, er hatte den Freund seines Vaters nicht verärgern wollen. So übersah er aber auch das leichte Lächeln, das über die Züge des älteren Elben glitt.
„Vielleicht sollten wir diesen Teil für heute beenden. Wenn ihr beiden wollt, so werde ich nun eure Fragen beantworten."
Erstaunt blickte er wieder auf in die lachenden Augen des Anderen, und sein Geist war wieder hellwach.
„Ja, ich habe eine Frage. Wie sah die Armeeaufstellung Gondolins aus? Wieso ist es so schnell gefallen?", fragte er aufgeregt, sodass er nicht bemerkte, wie seine Schwester ihm einen mahnenden Blick zuwarf.
„Gondolin fiel aufgrund von Verrat", erklang die knappe Antwort. „Was die Heeraufstellung betrifft, Legolas, so muss ich sagen, dass es nicht aufgestellt war. Der Feind schlug zu überraschend zu."
Melelhídhril sah das belustigte Funkeln in den Augen des dunkelhaarigen Elben und verkniff sich nur mit Mühe ein Auflachen. Schnell schlug die junge Elbenmaid eine Hand vor den Mund und so drang nur ein leises Glucksen nach außen. Melelhídhril verstand zwar, wie wenig ihr Bruder sich für dieses trockene Unterrichtsthema interessierte, schließlich empfand sie genauso, dennoch musste sie zugeben, dass er manchmal ein wenig voreilig war. Beide Geschwister waren zwar erwachsen, doch nach elbischen Maßstäben noch jung an Jahren und dies zeigte sich gelegentlich besonders in manch unbedachten Handlungen.
Melelhídhril stieß ihren Bruder kurz an und schüttelte rasch den Kopf. Schon sah sie wie Legolas den Mund öffnete, um etwas zu sagen, als es an der Tür klopfte.
Auf eine knappe Antwort Erestors trat ein Bediensteter hinein.
Der junge Elb war nervös, er schien es nicht gewohnt zu sein, sich in solcher Gesellschaft zu befinden. Um ihm etwas die Nervosität zu nehmen lächelte der dunkelhaarige Berater Elronds ihm zu. Die Stimme des Elben zitterte etwas, als er endlich zu sprechen begann.
„Der König schickt mich, ich soll ausrichten, Ihr werdet in der Halle erwartet aufgrund unerwarteten Besuchs", stammelte der junge Elb und verbeugte sich, nur um schnell wieder aus der Tür zu huschen, nachdem Erestor ihm ein Zeichen gegeben hatte.
Kurz darauf waren die drei Elben auf dem Weg zu Thranduil.
Der Tag ging bereits auf den Mittag zu, als sich eine kleine Elbengruppe langsam den Grenzen des Waldelbenreiches im Düsterwald näherte. Die Sonne stand hoch am Himmel und schickte ihre wärmenden Strahlen gen Erde, aber Gwiwileth warf nur einen kurzen Blick hinauf. Sie hatte die Grenzen bereits des Morgens erreichen wollen, jedoch war die Gruppe durch einen Angriff von Orks aufgehalten worden. Die dunklen Kreaturen waren schnell besiegt, aber es hatte die Reise trotzdem um einiges verzögert.
Es war Gwiwileths erste Reise als Botschafterin. Trotz ihres noch jungen Alters war sie ausgewählt worden in den Düsterwald zu reisen, an einigen Verhandlungen teilzunehmen und das Volk ihrer Elbenkolonie würdig zu vertreten.
Gwiwileth konnte nicht leugnen, dass sie aufgeregt, aber auch nervös war, hatte sie doch nur wenig Erfahrung auf diesen Gebieten.
Wach blickte sich die Elbenmaid um und betrachtete aufmerksam die Bäume, welche dicht beieinander standen und hoch in den Himmel wuchsen. Nicht viel von dem Sonnenlicht traf tatsächlich den Boden. Gwiwileth durchfuhr ein kleiner Schauer. Der Düsterwald schien seinen Namen zu Recht zu tragen.
Während die Elbenmaid so in Gedanken versunken war, bemerkte sie kaum, dass sie nun die Grenzen des Waldelbenreiches überschritten hatten.
Vorsichtig spähte er durch die Blätter, als er den Tross bemerkte, der sich ihnen näherte. Gwaithion lächelte etwas, als er das Banner Cilliens bemerkte, das ihm entgegenstrahlte. Auf ein kurzes Zeichen seinerseits ließen die Grenzwachen die Bögen sinken.
„Halt!", erscholl seine Stimme durch den Wald, und geschmeidig sprang er hinab, den Elben entgegen.
Als Gwiwileth die laute und klare Stimme des Elben vernahm, schrak sie aus ihren Gedanken hoch und zügelte ihr Pferd. Mit einer raschen Handbewegung gab sie den mit ihr reisenden Elben zu verstehen, es ihr gleich zu tun.
„Seid gegrüßt", sprach die Elbenmaid dann ebenso klar und deutlich und deutete dem Elben, der vor ihr auf dem Waldweg stand, eine Verbeugung an und musterte ihn danach aufmerksam.
Neugierig musterte er die junge Elbenmaid, die ihn angesprochen hatte. Er vermutete, dass sie nicht viel älter war als er selbst und war erstaunt darüber, dass sie die Gruppe zu führen schien. Doch war sie auch schön: langes, silbrigblondes Haar fiel über ihre Schulter, glänzte in der Sonne, grüne Augen blickten stechend in die seinen und etwas in ihm reagierte auf ihr Gesicht, schien ihm vertraut.
„Was wollt Ihr hier im Reiche Thranduils?", fragte er klar und nickte ihr zur Begrüßung zu.
Gwiwileth lächelte und ihre Nervosität schwand ein wenig, als sie in seinen Augen ein gewisses Erstaunen bemerkte.
„Von meinem Volk wurde ich als Botschafterin geschickt, um über die Handelswege zu verhandeln", erwiderte sie ruhig. Ihr war klar, dass die Elben des Waldlandreiches angesichts ihres Alters darüber wohl überrascht sein mochten, sie war es schließlich auch gewesen, als sie vernahm, dass sie für diese Aufgabe ausgewählt worden war. Aber Gwiwileth war entschlossen, sie so gut es ihr möglich war auszuführen.
Ein kurzes, anerkennendes Lächeln glitt über Gwaithions Züge.
„Gut, dann werde ich Euch zu meinem Vater führen, folgt mir", erwiderte er nicht unfreundlich und machte sich auf den Weg zu dem Palast seines Vaters. Er hoffte, sie hatten die Zugbrücke über den Fluss noch heruntergelassen und mussten deswegen nicht warten.
Gwiwileth hatte das Lächeln mit einer gewissen Genugtuung hingenommen, bestärkte es sie doch immerhin in ihren Fragen ob sie dieser Aufgabe gewachsen war. Dann stutze sie jedoch bei seinen nächsten Worten. Wenn er sie zu seinem Vater führen wollte, so hieße dies wohl, dass der Elb, der vor ihnen stand, einer der Söhne Thranduils sein musste. Die Elbenmaid sagte zwar nichts, doch verfiel sie in ein weiteres nachdenkliches Schweigen. Trotzdem saß sie aufrecht auf ihrem Pferd, während sie dem Elben folgten, der leichtfüßig voran ging. Ein wenig verhalten ließ Gwiwileth ihren Blick streifen. Sie war noch nie im Düsterwald gewesen, bis zu diesem Zeitpunkt hatte es keinen Anlass dazu gegeben. Ihre Jugend und auch die darauf folgenden Jahre des Erwachsenwerdens, hatte sie allesamt in Cillien verbracht, nahezu behütet von ihrer Mutter. Seit diese dahinschwand, hatte sich vieles in Gwiwileths Leben verändert, diese Reise war nur der vorläufige Höhepunkt, das fühlte die Elbenmaid.
Die großen Tore der Festung starrten ihnen entgegen und Gwaithion stellte erfreut fest, dass die Zugbrücke heruntergelassen war. Schnellen Schrittes eilte er auf die Tore zu, winkte einen Stallknecht herbei und flüsterte einem Dienstboten einige Befehle zu.
„Herrin, wenn Ihr wünscht, kann ich Euch direkt zu meinem Vater bringen, dieser Diener hier wird Euren Gefährten ihre Zimmer zeigen. Sollte es Euch jedoch lieber sein, Euch frisch zu machen, so wäre auch dies machbar."
„Ich danke Euch", erwiderte Gwiwileth. „Nach der anstrengenden Reise würde ich gerne die Gelegenheit wahrnehmen, mich kurz zu erfrischen, bevor man mich zu Eurem Vater bringt."
Die Elbenmaid sah beeindruckt auf die Festung, nachdem sie gesprochen hatte. Viel hatte sie gehört, doch in diesem Ausmaße hatte sie sich diese nicht vorgestellt.
Der dunkelblonde Elb lächelte und nickte dem Diener zu.
„Dann folgt ihm, ich werde veranlassen, dass Ihr in einer Stunde abgeholt werdet." Mit diesen Worten verbeugte er sich und ging hinein.
Gwiwileth lächelte ihm ebenfalls zu und wandte sich dann an einen Stallknecht, um ihm ihr Reittier zu übergeben. Kurz klopfte sie den Hals des braunen Hengstes, bevor sie sich anschickte, dem Diener zu folgen. Ihre Reisegefährten taten es ihr gleich. Und so betrat die Elbenmaid immer noch recht erstaunt die Festung des Düsterwaldes.
Erfreut blickte Thranduil auf, als er seine beiden jüngeren Kinder sah, die gerade in Begleitung Erestors den großen Saal betraten. Das Lächeln verstärkte sich noch, als er sah, wie Erestor sich verneigte.
„Mein Freund, du brauchst dich nicht vor mir zu verneigen. Setzt euch alle zu mir, es wird sicherlich interessant, welche Nachrichten aus Cillien kommen", sprach er und lächelte seinen Kindern zu.
Legolas sah seinen Vater fragend an, er hatte nur selten etwas über die Elben Cilliens gehört, und dass sie nun zu Besuch waren, verwunderte ihn doch sehr. Noch mehr fragte er sich jedoch, warum sein Vater dem obersten Berater Elronds gestattete, anwesend zu sein. Als hätte Erestor seine Gedanken gelesen, wandte er sich an das jüngste Kind Thranduils.
„Dein Vater und ich kennen uns schon Ewigkeiten, und für Bruchtal ist es nicht im Geringsten interessant, wieviel Handel Cillien mit dem Düsterwald treibt. Außerdem können wir später darüber diskutieren", erklärte der Noldo lächelnd.
Melelhídhril hatte der Konversation gelauscht und mischte sich nun ebenfalls ein.
„Mir war nicht bewusst, dass wir Boten aus Cillien erwarten, Adar!", bemerkte sie ein wenig erstaunt. „Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass schon einmal jemand von dort hier gewesen sein sollte. Warum nun, und wird einer von den obersten Elben kommen?"
Auch wenn die Elbenmaid sich manchmal um einiges erwachsener fühlte, als ihr jüngerer Bruder, in einigen Dingen - wie auch der Neugier und dem Hang zum Fragenstellen - stand sie ihm in nichts nach.
Thranduil lächelte auf seine Tochter hinab.
„Ja, sie waren selten hier, doch gibt es nun einiges zu besprechen. Ich glaube jedoch nicht, dass Anordil oder sein Vater kommen werden. Sie dürften einen Boten geschickt haben", erklärte er und dachte an den blonden Elb, der schon des Öfteren im Düsterwald geweilt hatte.
Melelhídhril zog kurz die Stirn kraus und dachte nach. Doch selbst beim besten Willen vermochte sie sich nicht an den Elben zu erinnern, von dem ihr Vater gesprochen hatte. Trotzdem schien es ihr einleuchtend, dass ein Botschafter geschickt wurde. Sie wollte etwas erwidern, doch wurde unterbrochen, als ein Diener den Saal betrat, sich knapp verbeugte und darauf wartete, sprechen zu dürfen.
Legolas beobachtete gespannt, wie sein Vater dem Diener zunickte, und war nun doch neugierig, wer aus Cillien kommen würde. Er selbst erinnerte sich an den Sohn des Herrschers und hätte sich gefreut, ihn noch einmal zu treffen.
Gwiwileths Nervosität war nun, nachdem sie sich frisch gemacht hatte und vor dem Saal wartete, doch wieder gestiegen. Ein wenig unruhig strich sie ihr Haar nach hinten. In sanften Wellen fiel die silberblonde Haarpracht über ihren Rücken.
Trotz ihrer Unruhe wartete die Elbenmaid geduldig, bis der Diener ihr schließlich bedeutete, sie könne eintreten. Gwiwileth atmete tief durch und schritt - äußerlich völlig gelassen - in den Saal.
„Seid gegrüßt, wir haben Eure Ankunft erwartet", erscholl Thranduils Stimme durch den Saal, als er aufstand und der jungen Elbenmaid entgegen ging.
Erestors eindringlicher, nachdenklicher Blick entging ihm, genauso wie das Starren seines Jüngsten.
Er traute seinen Augen kaum, als er die Schönheit sah, die den Saal betreten hatte. Auf den langen, weich wirkenden Locken spielten die aus den hohen Fenstern einfallenden Sonnenstrahlen, sodass es wirkte wie flüssiges Silber. Ein Körper, schlank wie eine junge Birke und anmutig wie ein Reh, raubte ihm den Atem. Grüne Augen fanden seinen Blick. Er konnte nicht verhindern, dass sein Mund ein wenig offen stand, konnte nicht verhindern, dass er dieses Geschöpf des Lichtes anstarrte, völlig bezaubert. Sein Herzschlag beschleunigte sich, und er befürchtete, dass seine Stimme zittern würde, wenn er nun etwas sagen müsse. Zu seinem Glück stellte Thranduil zuerst Erestor vor.
„Darf ich Euch Erestor aus dem Hause Ecthelions vorstellen. Er weilt einige Zeit hier im Düsterwald, um meine Kinder zu lehren", sprach der König freundlich, ergriff den Arm der Elbenmaid und führte sie zu dem dunkelhaarigen Berater, der sich galant vor ihr verbeugte.
„Seid mir gegrüßt", sagte dieser sanft und doch zurückhaltend.
Gwiwileth lächelte angesichts der vielen fremden Elben fast schüchtern. Der Elb, der auf sie zueilte - es musste wohl Thranduil sein - überging dies jedoch, nachdem er sie freundlich begrüßt hatte, und stellte die Elbenmaid den anderen anwesenden Elben vor. Gwiwileth spürte die Zurückhaltung des dunkelhaarigen Elben, der ihr als erster vorgestellt wurde, doch hinterfragte sie nicht und grüßte ebenfalls höflich. Ihr Blick glitt kurz zu den beiden Blonden hinüber, die neben ihm standen und so bemerkte sie auch den starrenden Blick Legolas'.
Etwas überrascht lächelte sie ihm kurz zu, nicht wissend wie sie anders reagieren sollte, und wandte sich dann wieder Thranduil und Erestor zu.
Legolas erbebte, als er ihr Lächeln sah, erzitterte gar. Doch wusste er nicht zu reagieren, und so schlich sich nur ein scheues Lächeln auf sein Gesicht.
„Und dies sind meine beiden jüngeren Kinder, Melelhídhril und Legolas, meinen Ältesten lerntet Ihr ja schon kennen, er brachte Euch hierher", stellte Thranduil nun auch die anderen beiden Elben vor.
Erestor hätte den Blick Legolas' wohl bemerkt, hätte er nicht weiterhin so nachdenklich die junge Elbenmaid aus Cillien gemustert.
Der jüngste Sohn Thranduils verbeugte sich etwas linkisch vor der Botschafterin und hoffte, die Röte seiner Wangen würde nicht so sehr auffallen.
„Es ist erfreulich Euch kennen zu lernen", sprach er leise und seine Stimme bebte nur sehr leicht.
„Es erfreut mich ebenfalls", erwiderte sie höflich und mit sanfter Stimme. Ihre Augen blickten den jüngeren Sohn Thranduils an und fast war die Elbenmaid enttäuscht, dass er ihrem Blick auszuweichen schien.
Dann wandte sich Gwiwileth zu Melelhídhril. Die Tochter Thranduils lächelte ebenfalls freundlich und offen und so fiel es Gwiwileth nicht schwer, ihr ebenso offen zu begegnen. Freundlich begrüßten sie sich und schließlich wurde es ruhig in dem Saal. Alle schienen abzuwarten, was nun als nächstes kam.
