Kapitel 9: Erkenntnisse
Der erste Schnee knirschte leicht unter seinen Schritten und Thranduil konnte nicht anders, als aufzulachen. Er liebte es, durch die weißen Gärten zu wandern, um sich herum nur Stille und das Geräusch seiner weichen Lederschuhe, wie sie den jungfräulichen Schnee brachen. Auch wenn er, wie alle Elben, nur leichte Abdrücke hinterließ, reichte es doch, um sein Herz mit Freude zu füllen.
Ein klein wenig Scham stieg in ihm auf, als er daran dachte, Erestor und Lothion alle Arbeit für diesen Tag überlassen zu haben, doch zu sehr genoss er das Gefühl, endlich wieder einmal alleine seinen Gedanken und Erinnerungen nachhängen zu können.
Die Wege vor ihm schlängelten sich ungesehen durch die weißen Wiesen, und wie ein kleiner Junge begann Thranduil über sie hinwegzueilen, einfach nur den Geruch wahrnehmend, das leichte Schlagen seines Herzens, die Bewegungen seiner Muskeln, einfach nur sich frei zu fühlen.
Gwiwileth liebte den Winter, genauso wie die herabfallenden Schneeflocken, die sich sanft und federleicht auf ihre Haare legten. Mehr denn je erinnerte es sie an Cillien, ihre Heimat. Manchmal wünschte sie sich dorthin zurück, doch konnte sie sich nicht vorstellen, ohne Legolas zu leben. Legolas...
Allein der Gedanke an ihn ließ sie lächeln, während sie durch die Gärten streifte und ihren Blick herum schweifen ließ. Seitdem sie den Bund geschlossen hatten, war einige Zeit verstrichen, und ihr junger Gemahl umsorgte sie mit einer enthusiastischen Fürsorge, die Viele schmunzeln ließ. An diesem Tag war Legolas jedoch mit einigen Wächtern an den Grenzen des Reiches seines Vaters, und so war Gwiwileth zum ersten Mal von ihm getrennt worden.
Ein Knirschen ließ die Elbenmaid aufschrecken, und verwundert sah sich Gwiwileth um.
„Ist dort jemand?", fragte sie in die Stille der Natur hinein.
Die klare Stimme seiner Schwiegertochter holte ihn in die Wirklichkeit zurück, und leise lachend trat Thranduil auf sie zu.
„Sei gegrüßt. Ich nutzte nur die seltenen freien Stunden, die ich mir erobern kann, ohne von Laurelin, Haltharon, Lothion oder Erestor mit Arbeit eingedeckt zu werden", erklärte er fröhlich und musterte die werdende Mutter nachdenklich. „Es ist kühl hier draußen, doch möchte ich dich dennoch bitten, mich ein Stück zu begleiten."
„Gerne", erwiderte Gwiwileth lächelnd. Der Blick Thranduils war ihr nicht entgangen, doch war sie froh, dass er ihr nicht mehr so reserviert gegenüber trat, wie er es des Anfangs getan hatte.
„Was wollt ihr denn mit mir besprechen?", fragte die Elbenmaid dann, als die beiden Elben bereits eine Weile schweigend den Weg entlang geschritten waren.
Diese Frage entlockte dem Herrn de Grünwaldes wieder ein leises Lachen, und er schüttelte den Kopf.
„Ganz die Diplomatin, nicht wahr? Ich wollte lediglich die Möglichkeit haben, deine Gegenwart ein wenig genießen zu können. Und die meines Enkelkindes."
Fröhlich blickte er auf ihren Bauch, dessen Rundung jetzt schon mehr als deutlich sichtbar wurde. Legolas hatte erzählt, das Kind solle in etwa zu der Zeit auf die Welt kommen, in der der letzte Schnee schmelzen würde und die ersten Blumen sprossen. Dass sich sein Sohn also sehr beeilt hatte, um Vater zu werden, amüsierte Thranduil ungemein, und er nutzte jede Gelegenheit, diesen damit aufzuziehen. Seine Augen funkelten spöttisch, und er wirbelte Gwiwileth plötzlich herum. Der erste Schnee hatte des Öfteren einen merkwürdigen Effekt auf ihn.
„Weißt du, Legolas und du, ihr habt es beide geschafft, dass ich mich zum ersten Mal seit seiner Geburt wieder wirklich glücklich fühle."
Auf Gwiwileths Wangen zeigte sich eine zarte Rötung, und sie senkte den Blick.
„Dies freut mich", erwiderte sie dann ehrlich und lächelte leicht. „Doch sagt mir, warum. Ihr habt drei Kinder und eine Frau, die Euch liebt. Wart Ihr denn nicht glücklich?"
„Natürlich war ich glücklich, aber nicht so frei, wie jetzt. Zudem schenkt es meinem Herzen einen gewissen Frieden, meinen Sohn so zu sehen, so voller Leben und Liebe", erzählte der blonde König des Grünwaldes sanft. „Manchmal lastet das Vergangene zu schwer auf meinen Schultern, zu viele Erinnerungen, die einen immer und immer wieder quälen. Ich wünsche mir oft genug, ich hätte Laurelin früher kennen gelernt."
„Dann müssen Eure Erfahrungen zuvor sehr schmerzlich gewesen sein", erwiderte Gwiwileth und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme bedrückt klang. Sie wusste zwar nicht wirklich, was Legolas' Vater so quälte, doch kannte sie dieses Gefühl, denn es war auch ihr oft genug widerfahren.
„Teilweise…", antwortete er leise und versuchte die ungebetenen Erinnerungen zu verdrängen. „Weißt du eigentlich, wie Caras Amarth gebaut wurde? Und wann? Mein eigener Vater erbaute sie, als er im Jahre Tausend des zweiten Zeitalters mit Vielen unseres Volkes von Lindon hierher zog."
„Nein, dies weiß ich nicht", entgegnete Gwiwileth und runzelte leicht die Stirn. „Warum fragt Ihr mich dies?" Ein wenig verwirrt sah die Elbenmaid ihren Schwiegervater an und fragte sich, was es mit seiner Frage auf sich hatte.
Doch dieser lächelte nur still in sich hinein und führte die junge Elbenmaid in eine kleine Laube, geschützt vor Schnee, und ließ sie sich hinsetzen, er selbst setze sich ihr gegenüber auf eine der Bänke.
„Wenn man als Botschafter unterwegs ist, sollte man solche Dinge genauso wissen, wie die Namen und Titel der wichtigen Elben des zu besuchenden Reiches. Doch bist du noch sehr jung, und es gibt für dich noch Vieles zu lernen."
Gwiwileth errötete erneut.
„Ihr habt Recht", gab sie leise zu und senkte verlegen den Kopf. „Jedoch sagte ich nie, dass ich nichts mehr zu lernen habe. Ich möchte meine Aufgaben so erledigen können, dass mein Volk zufrieden ist, und so werde ich wohl nie aufhören zu lernen."
„Nein, das wirst du wohl nicht. Aber sogar ein alter Kauz, wie Erestor oder ich, kann noch ab und an etwas lernen. Sag, wie viel weißt du von der Politik vor der letzen Schlacht? Von den Verhältnissen der Elbenreiche zueinander?", fragte er sie neugierig, nun in der Stimmung, ihr ein wenig von seiner Vergangenheit und der Familie zu erzählen, derer sie nun ein Teil war.
„Oh, meine Mutter erzählte mir viel davon, doch dies ist bereits lange her. Sie war ebenfalls Botschafterin und wurde besonders oft nach Imladris ausgesandt, soviel ich weiß. Trotzdem... Ich habe nicht alles behalten, was sie mir von der damaligen Zeit erzählte", sprach Gwiwileth und lächelte ein wenig wehmütig.
„Dass deine Mutter Botschafterin war, war mir bekannt, aber dass sie mit Bruchtal in Verhandlungen stand… Sag, war sie dies auch während der Schlacht des letzten Bündnisses? Damals verbrachte ich viel Zeit an der Seite Elrond Peredhils, auch wenn er mein Volk verriet", überlegte der blonde Sinda, und seine Augen bekamen einen merkwürdigen Glanz.
„Ja, sie war nicht nur Botschafterin, sondern auch eine Kriegerin unseres Volkes und gehörte zu den Elben, die Elrond zu dieser Zeit unterstützten", erwiderte Gwiwileth und sah mit Überraschen den Ausdruck in Thranduils Augen.
„Die uns hätten unterstützen sollen", fügte der König bitter hinzu und lehnte sich zurück, die Erinnerungen drohten, ihn zu überwältigen, genauso wie das Wissen, das sich langsam, aber unaufhörlich in sein Gehirn schlich. „Seit dieser Schlacht sind die Beziehungen zwischen dem Düsterwald und Imladris nicht mehr so gut wie früher. In meinen ersten Jahrhunderten, als ich mit Celebrian aufwuchs, in Lindon, und die Zwillinge kennen lernte, hingen wir vier aneinander wie Kletten, waren kaum auseinander zu bekommen, sodass Erestor, Celeborn und Gil-Galad…", den Namen des letzen Hochkönigs spie er fast aus. „…sowie mein Vater regelmäßig fast um den Verstand gebracht wurden. Doch dann brach dieser enge Zusammenhalt, als Elros die Sterblichkeit wählte. Seinem Bruder hat es fast das Herz gebrochen, er hat dies nie überwunden. Und mein Vater und ich zogen wenig später nach Caras Amarth. Lange sah ich weder Celebrian, die mit ihren Eltern in Eregion lebte, noch Elrond. Erst als sich alle Elbenreiche sammelten, um den dunklen Herrscher endgültig nieder zu werfen, sah ich den, den ich einst Freund nannte, wieder. Es war eine dunkle Zeit, doch freute ich mich, ihn endlich wieder zu sehen, auch wenn mein Vater ihm misstraute. Während der Schlacht lernte ich, dass er Recht hatte. Wie viel von dieser Geschichte wurde dir erzählt? Wie viel weißt du, wie wir alle zu Cillien stehen?", fragte er sie und schloss die Augen.
Gwiwileth sah Thranduil verwundert an.
„Ich bin erstaunt, wie Ihr über diese Zeit redet. Cillien pflegte immer gute Kontakte zu jedem der Elbenreiche, soweit mir meine Mutter verriet, doch viel mehr weiß ich auch darüber nicht", erklärte sie dann und wandte den Blick ab, um ihn durch die Gärten schweifen zu lassen. Die Elbenmaid wusste nicht wirklich, was sie von diesem Gespräch halten sollte, und wartete demnach recht unsicher auf die Antwort Thranduils.
„Deine Mutter hat dir nicht die Unwahrheit gesagt. Cillien war immer sehr neutral, in allen Belangen", antwortete der blonde Elb leise und sah die werdende Mutter wieder an. Das Gespräch hatte viel aufgewühlt, doch sie musste diese Aspekte kennen, um wirklich zu verstehen, was ihre Aufgaben mit sich brachten. Wäre Erestor nicht hier gewesen, wären die Verhandlungen für sie wesentlich schwerer verlaufen und Thranduil wollte, dass sie das nächste Mal auch so etwas berücksichtigen konnte. „Wenn deine Mutter zumeist mit Bruchtal in Verhandlungen stand, so muss sie doch sehr geschickt gewesen sein, sonst hätte sie nichts erreichen können. Erestor ist einfach zu erfahren und geschickt als Diplomat. Sag, über deinen Vater hast du nie etwas erwähnt?"
„Nein, meine Mutter Thurinil erzählte nicht viel von ihm. Ich weiß nur, dass er in der Schlacht des letzten Bündnisses gekämpft hatte und dort auch starb", antwortete Gwiwileth mit einem traurigen Unterton in der Stimme. Besonders als Kind hatte sie sich immer gewünscht, einen Vater zu haben, doch dies war ihr verwehrt gewesen. So freute sie sich umso mehr, dass sie hier bei Legolas endlich eine Familie gefunden hatte.
„Deine Mutter war Thurinil?" Thranduil hatte sich kerzengerade aufgesetzt und starrte die junge Elbenmaid überrascht an. Ein Bild tauchte in seinem Geist auf: große blaue Augen, fast weißes Haar, helle Haut und die schlanken berechnenden Bewegungen eines Kriegers.
„Ja, sie war es", nickte Gwiwileth. „Ihr kennt sie? Es würde mich nicht wundern, da sie oft als Botschafterin ausgesendet wurde. Ihr seid ihr sicherlich begegnet, wenn nicht sogar in der Schlacht des letzten Bündnisses."
Langsam nickte Thranduil, er fühlte sich nicht so ganz wohl in seiner Haut, doch ließ er es sich nicht anmerken und beantwortete Gwiwileths Frage.
„Ja, ich kannte sie. Wir wurden einander kurz vor der Schlacht vorgestellt, als ich im Zelt des Halbelben weilte. Später sah ich sie noch einmal kurz nach der Schlacht, in der mein Vater den Tod fand. Sie war sehr geschickt in der Diplomatie, nun, sie war eine der Wenigen, die Erestor einfach über den Mund fahren konnten, wenn man von seiner eigenen Geliebten absah", erklärte er lächelnd. „Da fällt mir etwas auf. Du sagtest, dein Vater fiel in der Schlacht… Das heißt, du bist im zweiten Zeitalter geboren?"
„Nein... Zwar liegt mein Zeugungstag noch im zweiten Zeitalter, doch geboren wurde ich anfangs des Dritten Zeitalters. Meine Mutter starb etwa zweihundert Jahre später."
„Es ist traurig zu hören, dass solch eine brilliante Strategin starb. Auch wenn sie mich einmal übervorteilte, und mein Vater recht ungehalten mit mir war", sprach der Herr des Grünwaldes und schüttelte traurig den Kopf. „Doch nun, lass uns zurückgehen. Legolas erwartet dich sicher schon, und Laurelin wird mir den Kopf abreißen, sollte ich nicht wenigstens einem Teil meiner Pflichten nachkommen."
„Oh, dafür möchte ich nicht verantwortlich sein", lachte Gwiwileth als Antwort, und ihre Augen blitzten auf. Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht der Elbenmaid. „Und ich kann es auch nicht erwarten, Legolas wieder zu sehen. Nie hätte ich gedacht, dass ich ihn selbst nach einem Tag der Trennung so schmerzlich vermissen könnte."
„So ist die Liebe", scherzte der Herr der Grünwaldelben und verabschiedete sich herzlich von der werdenden Mutter. Seine Augen wurden traurig, als er ihr nachblickte, nicht wusste, was er sagen oder denken sollte.
Kurz wartete er noch, bis sie außer Sichtweite war, dann hechtete er zu den Räumen des Beraters Elronds, aber auch seines Freundes. Ohne anzuklopfen schmiss er die Tür auf und betrat das Gemach.
Erschrocken blickte der Noldo von dem Buch auf, das er gerade las, als Thranduil sein Zimmer betrat, viel eher hineinstürmte, und ihn mit entsetztem Blick musterte. In seinen Augen spiegelte sich so etwas wie Panik, und sofort war Erestor aufgestanden und legte seinem Freund die Arme auf die Schultern, fühlte das Zittern, das durch den kampferprobten Körper ging. Tausend Fragen lagen ihm auf der Zunge, doch wurden sie durch einen Satz beantwortet, einen Kleinen, geflüstert nur und doch bedeutend.
„Erestor, ich weiß endlich, was uns an ihr gestört hat."
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Ele:
Dann gibt's auch hier die Antwort: DANKÖÖÖÖÖÖ für das Review süße, fühl dich umgeknuddelt ;). Alsooooo, hast du jetzt eine Ahnung??? Hach sind wir gemein… ich könnte… ich weiß Cliffys sind fieeeees… aber naja Val und ich sind ja Sadisten in der Hinsicht, das müsstest du ja schon wissen ;). Wenn wir es schaffen, gibt's im nächsten Kap vielleicht die Auflösung.
Narwain:
Auch dir vielen Dank… fühl dich mit umgeknuddelt ;). Wir wollten die Zeremonie nicht so lang machen… wir mögen beide Kitsch nicht so sehr… außerdem hat diese FF ja nen anderen Schwerpunkt…
Nichan:
Danke auch dir für dein Review, fühl dich mir in den Boden geknuddelt ;). Wir hoffen, dass die auch dieser Teil gefallen hat… oki, bei dem Cliffy bezweifle ich es, aber es soll ja ein wenig spannend bleiben ;)
