Kapitel 14: Schmerzhaftes Vergessen

Mühsam beherrscht schritt Legolas die Gänge zu seinen Räumen entlang. Er wusste, er durfte nicht wütend sein, doch half es ihm in diesem Moment, hielt den Schmerz in Schach, und so gestattete er sich ein gewisses Maß an Zorn, dass Erestor, der ihm entgegen geeilt war, zu spüren bekommen hatte. Er hatte gesehen, wie der Noldo unter seinem fast hasserfüllten Blick erbleicht war und hatte voller Genugtuung gelächelt. Tief in seinem Inneren warnte ihn eine Stimme, all dies auf den dunkelhaarigen Berater zu projizieren, doch konnte er nicht anders.

Seine blauen Augen waren noch immer vor Wut verdunkelt, als er endlich vor seiner Tür zum Stehen kam und einmal tief durchatmete, um wenigstens äußerlich ruhig zu erscheinen. Mit einem dünnen, täuschend echten Lächeln auf den Lippen betrat er das erste Zimmer und fand dort auch direkt Gwiwileth, die ruhig auf einem Sessel saß, die Hände auf dem gerundeten Bauch gefaltet, und in die Flammen starrte.

„Sei gegrüßt, Gwiwileth", begrüßte er sie, und sein Lächeln verbreiterte sich, als er bemerkte, wie sie unter seiner kühlen Stimme zusammenzuckte.

Gwiwileth wusste kaum noch, wie sie es geschafft hatte, den Weg von der Bank in den Gärten zu ihrem Gemach zurückzulegen. Es war einer der Momente, in dem sie seine Gegenwart und Hilfe trotz aller Unsicherheit und Abweisung hätte brauchen können. Doch sie hatte es geschafft und war anschließend erschöpft und müde in den Sessel gesunken.

Nun starrte sie bereits eine Weile in die prasselnden und tanzenden Flammen, ohne diese jedoch wirklich wahrzunehmen.

Als die Elbenmaid plötzlich Legolas' Stimme vernahm, in der etwas mitschwang wie unterdrückte Wut, zuckte sie so unwillkürlich zusammen und fuhr zu ihm herum.

„Legolas..."

Gwiwileth wusste nicht, warum sie plötzlich Angst empfand, als sie ihn ansah. Etwas lag in seiner Erscheinung, das sie einschüchterte.

Elegant wie ein großer Kater ließ er sich vor ihr in dem anderen Sessel nieder, und sein Blick richtete sich auf ihre leuchtend grünen Augen. Kühl musterte er sie, versuchte, auf den Grund ihrer Seele zu tauchen.

„Gwiwileth, ich denke, wir sollten uns einmal unterhalten", begann er und lächelte sie dann an, doch es überzog nur seine Lippen, erreichte seine Augen kaum.

Die Elbenmaid konnte erkennen, wie seine Augen sie leicht spöttisch anfunkelten, und es verunsicherte sie noch mehr. Nun wusste sie endgültig nicht mehr, wie sie sich noch verhalten konnte.

„Und worüber willst du reden?", fragte sie so matt zurück.

Sie hatte keine Kraft, ihn genauso anzufunkeln, wie er es tat, sie wollte es gar nicht.

„Darüber, was du vor mir verbirgst", antwortete er leichthin, und sein Grinsen wurde immer breiter. „Weißt du, ich habe ein Problem damit, wenn meine Liebste sich so verhält." Bei dem Wort ‚Liebste' war seine Stimme seltsam ausdruckslos. Erst hatte er spotten wollen, ihr zeigen wollen, wie sehr ihn ihr Verhalten verletze, doch konnte er es nicht.

Gwiwileth bemerkte den Schalk in seinem Tonfall, aber es schien sie kaum noch zu interessieren. Sie wollte nur noch ihre Ruhe, nicht mehr mit seiner Anwesenheit, seinen Bemühungen oder seinem Spott gequält zu werden. Die Elbenmaid wusste, dass er allen Grund dazu hatte, aber sie liebte den Elben immer noch und war überzeugt davon, dass er noch mehr leiden würde, wenn er wusste, dass sie seine Halbschwester war.

„Legolas, ich weiß nicht, wie du denken kannst, dass ich dir etwas verheimliche", erwiderte sie deshalb, doch ihre Stimme zitterte, und die Lüge in den Worten war mehr als offensichtlich.

„Ach, du ziehst dich also ohne Grund von mir zurück? Einfach so?", spottete er, und seine Wut kochte langsam hoch. Es tat so verdammt weh, dass sie immer noch nicht mit ihm reden wollte, ihn lieber wieder von sich schob. „Ist es dir also so egal, wie ich fühle?"

Heftig schüttelte Gwiwileth den Kopf.

„Nein, Legolas, glaube mir... Es ist mir keineswegs egal, wie du fühlst... Aber ich... Ich kann es dir nicht sagen, bitte, Legolas."

Ein Flehen lag in Gwiwileths Augen, und ihre Stimme schwankte zwischen lauten Tönen und leisem Wispern. Fast spürte die Elbenmaid, wie ihr Tränen in die Augen zu steigen drohten. Wenn er ihr nicht glaubte, was sollte sie dann noch tun?

„Nicht?", fragte er kalt, und jegliches Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, so wie jegliche andere Emotion. „Weißt du, Gwiwileth, was du mit mir tust, verletzt mich, reißt mein Herz auseinander. Doch kann ich nichts dagegen unternehmen, denn du möchtest ja nicht reden. In den letzen Wochen fragte ich mich immer wieder, warum du überhaupt den Bund mit mir eingegangen bist, denn Lieben tust du mich ja offensichtlich nicht."

Seine Stimme hatte einen völlig leidenschaftslosen Klang, war nur sachlich, selbst die Bitterkeit war daraus verschwunden.

„Aber... Ich liebe dich wirklich."

Gwiwileth kämpfte mit den Tränen, die unaufhaltsam in ihre Augen strömen wollten. Verzweifelt rang sie um ihre Fassung, konnte seine Kälte kaum noch ertragen.

„Und... Deshalb kann ich es dir nicht sagen, es würde Alles nur noch schlimmer machen, so glaube mir doch."

„Alles noch schlimmer?", fragte er sie gefährlich leise, zog sich ein Stück tiefer in den Sessel zurück und warf den Kopf in den Nacken. Sein Lachen hatte einen bitteren, zynischen Klang, und seine Augen blitzten. „Was könnte denn schlimmer sein, als von der Frau angelogen zu werden, die man mehr liebt, als alles andere? Was könnte schlimmer sein, als verraten zu werden? Was könnte schlimmer sein, als zu glauben, man stirbt innerlich Stück für Stück? Nun, Gwiwileth, ich weiß nicht, was Ihr bezwecken wolltet, mit dem, was Ihr getan habt, aber glaubt mir, es funktioniert."

„Legolas, du verstehst es einfach nicht!"

Kaum hatte die Elbenmaid es geglaubt, doch Legolas' Unverständnis machte sie nun ebenso wütend, wie er es wahr.

„Was verstehst du nicht an meinen Worten? Du hast keine Ahnung, keine Ahnung was geschehen ist, und was ich von deinem Vater erfahren habe. Also wage es ja NICHT zu beurteilen, ob es nicht noch schlimmer sein könnte. Denn das ist... DAS IST ES!"

Die letzten Worte hatte Gwiwileth unter Tränen herausgeschrieen. Im nächsten Moment senkte die Elbenmaid zwar ihre Stimme, doch war sie immer noch laut. Vor Aufregung und Anspannung zitterte die Elbenmaid am ganzen Körper. „Du hast keine Ahnung, wie es mich zerreißt, wie es mich zerstört, und es würde dich genauso zerstören, wenn du es wüsstest!"

„Ach, und das wisst Ihr so sicher? Weil Ihr mich auch so kennt? Wisst Ihr überhaupt, wie es ist, wenn man weiß, dass etwas vor einem verheimlicht wird, etwas, das einen immer weiter von der Frau entfernt, die man LIEBT? Was versteht Ihr daran nicht? ICH LIEBE DICH!". Auch seine Stimme nahm an Kraft zu, als er bemerkte, wie er immer mehr gegen eine Wand redete. Verzweifelt versuchte er, irgendwie durch die Mauer zu brechen, die sie um sich errichtet hatte.

Seine Worte schienen Gwiwileth zu verspotten, und immer mehr begann ihr Körper, sich zu verkrampfen. Nun sprang sie sogar von ihrem Sessel auf und stützte sich auf der Sessellehne ab, bevor sie verzweifelt schrie: „Ich verstehe alles, Legolas, alles! Jedes einzelne Wort! Aber das ändert nichts daran, dass ich es nicht vermag, dir zu sagen, weil ich Angst davor habe, was dann geschieht! Und wenn du mich wirklich liebst, warum versuchst du dann nicht, mich zu verstehen?!"

Nach diesem Ausbruch schwankte die Elbenmaid leicht, alle Kraft schien sie zu verlassen, und nicht nur das. Gwiwileth spürte, wie eine warme Flüssigkeit ihre Beine hinunterlief, und starrte erschrocken an sich herunter auf den Boden, auf dem sich zu ihren Füßen eine Lache gebildet hatte. Dann durchzuckte sie die erste Wehe, und reflexartig krümmte die Elbenmaid sich mit schmerzerfülltem Gesicht zusammen.

Legolas reagierte sofort, alle verletzenden Worte waren vergessen. Mit einem Schritt war er bei ihr, hielt sie fest und geleitete sie zum Bett.

„Bleib liegen, Liebste, ich rufe die Hebamme", flüsterte er ihr sanft zu und eilte schon hinaus, nach der Elbenfrau schickend.

Auch für Gwiwileth schien jedes Wort des Streites, als wäre es nie gefallen. Die Gedanken der Elbenmaid waren nur noch erfüllt von dem Schmerz, der sie durchzuckte, sie bekam kaum mit, wie Legolas sie zum Bett führte und ihr half, sich hinzulegen.

Als der Schmerz nachließ, war der Elb schon längst unterwegs, und Gwiwileth starrte angsterfüllt auf die Türe, wartete bis endlich jemand kam, und wartete genauso angstvoll auf die nächste Wehe.

Schnell war die Hebamme herbeigeeilt und lächelte den werdenden Vater aufmunternd an.

„Nun seht doch nicht so erschüttert aus, junger Herr. Eurer Gemahlin wird es bald besser gehen. Versucht bitte, ruhig zu bleiben, ich möchte nicht, dass sie sich aufregt", erklärte diese mütterlich und begann leise, auf Gwiwileth einzureden, dass sie sich entspannen sollte.

Die Elbenmaid schüttelte den Kopf bei den Worten der Hebamme. Ihr war es schleierhaft, wie sie sich entspannen sollte, gerade da in diesem Moment die nächste Wehe über sie hereinzubrechen schien. Und die Schmerzen, welche sie durchzuckten, welche sie nie zuvor gespürt hatte, schienen ihr den Verstand zu nehmen.

Mit sanften Worten begann die Frau auf die junge Elbenmaid einzureden, sie zu beruhigen, sodass sie ihre Atmung unter Kontrolle hatte und gut durch den Vorgang der Geburt kommen konnte. Sie spürte immer wieder, wie die werdende Mutter nach Kraft suchte, bis der Vater des Kindes sich zu ihr setze, sie stützte und ihr seine Kraft lieh.

Legolas spürte, wie die frühere Einheit zurückkehrte, als sie gemeinsam darum kämpften, das Leben zur Welt zu bringen. Es schien ihm, als würde er ihre Schmerzen spüren, ihre Erschöpfung, als würde er einen Teil seiner Stärke ihr geben.

Endlos zog sich die Geburt hin. Gwiwileths Haare klebten schweißnass an ihrer Stirn, sie begann vor Erschöpfung zu zittern, und Legolas fing an sich zu Sorgen, doch die Hebamme wirkte immer noch zuversichtlich.

Gwiwileth war unendlich dankbar für Legolas' Beistand, den sie jetzt dringender denn je brauchte. Und die Anstrengungen der Geburt, die Ablenkung, ließ ihren Körper zum ersten Mal seit langer Zeit vergessen, sich in üblicher Weise anzuspannen, wenn der Elb die Elbenmaid berührte. Diese hatte mittlerweile kaum noch Kraft, gänzlich schien sie ihren Körper verlassen zu haben. Gwiwileth zitterte nur noch, stieß einen leisen Schrei aus, als die nächste Wehe ihren Körper von innen zu zerreißen schien.

Die Hebamme hatte diese letzte Kraftanstrengung erwartet, trieb die Elbenmaid dazu an, dem Kind endlich den Weg in die Welt zu weisen ,und nur kurz darauf schallte der Schrei eines viel kleineren, jüngeren Wesens durch den Raum.

Lächelnd nahm die Hebamme das winzige Kind, durchtrennte die Nabelschnur und legte es auf den entblößten Körper der jungen Mutter, der sie noch bei der Nachgeburt half.

„Herrin, darf ich Euch zu Eurer Tochter gratulieren?", lächelte die ältere Elbenfrau und wartete.

Legolas blickte voller Zärtlichkeit auf das kleine, noch sehr rote und runzelige Geschöpf auf Gwiwileths Bauch hinab, und in seinen Augen war das kleine Würmchen das schönste Wesen, dass er je erblickt hatte.

„Unsere Tochter…"

Gwiwileth lag derweil erschöpft in den Kissen. Ihr Körper fühlte sich kraftlos und schlaff an, doch der Anblick des kleinen Kindes, ihrer und Legolas' Tochter, entschädigten sie für die Anstrengungen und Schmerzen der Geburt. Die Elbenmaid brachte sogar ein schwaches Lächeln zustande, nur zum Sprechen schien ihr die Kraft zu fehlen.

„Ich werde die Kleine nun baden und dann wieder zu Euch bringen. Gwiwileth, bitte denkt daran, ihr dann einen Namen zu geben", erklärte die Elbenfrau, hob das Kind sanft hoch und verschwand in einem Nebenraum.

Lagolas blickte derweil lächelnd auf seine Gefährtin hinab, hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn.

„Hast du sie gesehen? Sie ist perfekt", flüsterte er und drückte Gwiwileth eng an sich.

Die Elbenmaid nickte nur leicht. Sie war zu schwach, um sich jetzt noch gegen seine Umarmung zu wehren, und sie wollte es auch nicht mehr, sie wollte nur noch das Glücksgefühl genießen, das sie erfüllte.

„Ja, das ist sie", flüsterte sie so leise und nachdenklich.

In diesem Moment trat die Hebamme wieder zu ihnen, lächelte auf das erschöpfte Paar hinab und legte das Kind in die Arme der Mutter.

„Der Kleinen geht es gut. Ich werde mich nun zurückziehen, doch ruft, sollte noch etwas sein", sprach sie freundlich und verabschiedete sich.

Legolas lächelte hinab zu den beiden weiblichen Wesen, die er mehr liebte, als alles andere, und fuhr mit zitternden Händen über das Gesicht seiner Tochter.

„Einfach wunderschön, so wie du, mein Licht", flüsterte er sanft.

Gwiwileth schluckte und nickte.

„Danke, Legolas", flüstere sie zurück und berührte mit der rechten Hand zitternd, aber sanft die Wange ihres Kindes.

„Aber jetzt bin ich so müde", sprach sie mit matter Stimme weiter und suchte mit der linken Hand Legolas' Arm.

„Dann schlaf, Geliebte", forderte Legolas sie auf und legte sich so neben die Beiden, dass er sie zwar berühren konnte, aber nicht zuviel Platz wegnahm. Lächelnd wachte er darüber, wie Gwiwileth in den Schlaf driftete, und auch das Kind, das wohl erst in wenigen Stunden Hunger haben würde, ruhte. Kurze Zeit später gab auch er der Müdigkeit nach, und zum ersten Mal seit Wochen war er wieder völlig glücklich.

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Ele:

Danke für dein Review süße, fühl dich weggeknuffelt ;). Alsoooo, jop, sie wissen nicht was sie tuen… woher auch, sie sind das erste mal in einer solchen Situation… ich bezweifle, das Erestor Niniel kannte… und ansonsten weiß ich von keinem Fall in der Geschichte MEs, in der Geschwister heiraten und es nicht wissen. Und wie das ausging wissen wir ja… Und was sagt deine Seele zu diesem Kapitel? ;). Also, ich würde den beiden glaube ich auch mal einen Paartherapeuten empfehlen… nur wer sollte das machen, Elrond vielleicht?

Narwain:

Danke für dein Review, fühl dich umgeknuddelt ;). Elbische Scheidung??? Die ganze Bundschließung war doch gar nicht rechtmäßig ;). Aber mal ganz ehrlich, ich finde es auch nicht unbedingt so schlecht Legolas leiden zu lassen, dennoch ist es echt hart so was zu schreiben, wenn man sich an die Charas gewöhnt hat (nur Erestor kann ich mit Leichtigkeit quälen). Nun gut, wir werden sehen, wie es ausgeht, es sind nach diesem ja nur noch zwei Teile… und dann haben wir es hinter uns gebracht.

Galu:

Erstmal vielen Danke, dass du über den Realismus dieses Kapitels drüber geschaut hast ;). Und auch danke für dein Review, fühl dich platt- und in den Boden geknuddelt. DANKE DANKE DANKE!!!. Du kannst davon ausgehen, dass Erestor und Thranduil die beiden unterstützen versuchen, doch Gwiwileth lehnt jegliche Hilfe ab, und sie dürfen Legolas ja nichts sagen… Ich denke, beiden geht es deswegen sehr, sehr dreckig, aber sie sind alt genug, um sich nichts anmerken zu lassen, außerdem ist ja kein Glorfindel in der Nähe, der das für Erestor unmöglich macht ;). Wie das mit Gwiwi insgesamt ausgeht, wird in den nächsten beiden Kapiteln stehen… ich hoffe für Legolas, dass er es irgendwann, sollte er es erfahren auch lernt zu akzeptieren… irgendwie tut er mir leid (kein Wunder wenn man bedenkt, das ich immer aus seiner Sicht schreiben musste)…