Sarah: Bist ja wirklich schwer im Stress, was? Na, wenn dir unsere Geschichte das lernen erleichtert, freut uns das ungemein!
Es war Kandor in seiner gewohnt liebenswerten Art, der zu Mariel sagte dass Ameron ihr richtiger Vater sei.
Ohja, Ameron ist schwer traumatisiert, das Ganze war eindeutig zuviel für seine Nerven, aber alle helfen ihm so gut sie können. Dieser „Trick"war zwar nicht die feinste, aber die einzig mögliche Art, ihn ohne Zwang zu behandeln.
Aragorns Verletzungen heilen, der Waldläufer in ihm wird mit dieser Wunde eigentlich ganz gut fertig! ;-)
ZURÜCK INS LEBEN
Der Morgen dämmerte und Legolas döste selbst etwas vor sich hin, als die Tür aufging und Mariel ihren Kopf ins Zimmer steckte. Sie stand mit kleinen Augen im Raum und sah Legolas fragend an, der sie bereits bemerkt hatte. "Darf ich reinkommen?", fragte sie leise.
"Du bist doch schon drin", antwortete Legolas mit einem Lächeln.
"Darf ich zu Papa?", fragte sie weiter.
Legolas nickte und beobachtete dann, wie Mariel zu Ameron ging, sich hinlegte und sich neben ihn kuschelte. Sie rollte sich zusammen und zog einen winzigen Zipfel der Decke, mit der Ameron zugedeckt war, über sich. Es reichte jedoch hinten und vorne nicht, aber das kleine Mädchen wollte ihrem kranken Papa nicht mehr von der wärmespendenden Decke wegnehmen und so blieb sie fröstelnd liegen. Legolas nahm sich, nachdem er das gesehen hatte, eine kleine Decke, die hinter ihm über der Lehne hing und dazu noch ein Kissen und ging zu Mariel hinüber. Er hüllte das Mädchen in die Decke damit sie nicht frieren musste und schob ihr ein Kissen unter den Kopf. "Du erkältest dich sonst noch", flüsterte er und Mariel lächelte dankbar, steckte dann den Daumen in den Mund und schloss die Augen.
Als Ameron erwachte, fand er Mariel neben sich schlafen vor. Die Kleine lag auf der Seite und der Daumen war ihr im Schlaf aus dem Mund gefallen. Ameron ließ seinen Blick über sie schweifen und merkte, wie das Glück und die Freude ihn durchströmten. Sie halfen, gegen die dunkle Angst und Erinnerungen anzukämpfen. Legolas kam zu ihm rübergeschlichen, als er merkte, dass Ameron erwacht war. Er kniete sich vor ihn und flüsterte: "Wie geht es dir?"
"Besser, glaube ich", flüsterte Ameron leise zurück.
"Darf ich...", fragte Legolas und streckte die Hand nach ihm aus. Ameron nickte nur und der Elb legte ihm die Hand auf die Stirn. "Dein Fieber ist gesunken", stellte er zufrieden fest.
"Dank dir...", fügte Ameron hinzu und sah ihn dankbar an.
"Ich glaube fast, sie hat mehr dazu beigetragen...", sagte Legolas und deutete auf Mariel. "Du bist so lange nicht wach geworden, dass ich schon arge Befürchtungen hatte. Erst als Mariel zu dir gekommen ist, bist du aufgewacht, ich glaube fast, sie hatte mehr heilende Wirkung auf dich, als ich", fügte Legolas hinzu.
"Ihr habt beide einen guten Teil dazu beigetragen, ich verdanke euch viel, ebenso Aragorn", flüsterte Ameron.
"Hallo Papa", unterbrach Mariel das Gespräch.
"Guten Morgen, meine Kleine", antwortete Ameron und streichelte ihr durch das schwarze Haar.
"Oh, hallo Onkel Legolas", sagte Mariel überrascht als sie den Elb erblickte.
"Na Mariel, hast du gut geschlafen", fragte Legolas.
Das kleine Mädchen nickte eifrig. "Und mir war auch gar nicht kalt, weil du mir die Decke gegeben hast. Aber Papa wollte sie mir vorhin im Schlaf wegziehen..." Die Kleine kicherte. "Ich habe sie aber festgehalten...", sagte sie stolz.
"Sehr richtig, so geht es ja nicht", bemerkte Ameron.
Mariel brabbelte daraufhin fröhlich los und Legolas verließ nach einiger Zeit den Raum, trotzdem Aagorn noch nicht gekommen war, um ihn abzulösen. Der Elb wusste, dass es Ameron jetzt besser ging, es war nicht mehr zwingend nötig, dass ständig jemand bei ihm war. Das Fieber war endlich gesunken und Legolas hatte nun keine Zweifel mehr, dass er bald wieder gesund sein würde.
In den nächsten Tagen schlief Ameron viel und sammelte neue Kraft. In den Nächten blieb stets jemand bei Ameron, weil Aragorn bemerkt hatte, dass es ihm schwer fiel ganz allein in dunklen Räumen zu bleiben. Zu Viel Gesellschaft machte ihm jedoch auch manchmal nervös, es war teilweise recht schwierig einzuschätzen, was Ameron wollte, denn er sagte es nicht. Aragorn und Legolas bemerkten bald, dass er immer weniger sprach und sich veränderte, es sei denn seine kleine Tochter war bei ihm. Mariel war tagsüber, wenn er wach war viel bei Ameron. Selbst als die anderen Hobbitkinder zusammen mit Rosie von Bauer Kattun zurückkamen, wollte sie viel lieber bei ihrem Vater sein, als mit ihnen zu spielen. Sie lieh sich ein Stofftier von ihnen, nahm ihre Puppe und ging damit zu Ameron. Dort forderte sie ihn auf zu spielen und Ameron freute sich jedes mal, wenn die Kleine zu ihm kam und ganz aufgeregt war, wenn er mitspielte.
Obwohl Ameron des öfteren wenn er schlief von Kandor und seinen Erlebnissen träumte und danach jedes mal wieder einige Zeit brauchte, bis er realisierte, dass er in Sicherheit war, machte es ihm jetzt nicht mehr ganz so viel aus, wenn andere Personen im Raum waren. Im Gegenteil, meistens freute er sich sogar über ein wenig Gesellschaft. Liliane nähte ihm einen Schlafanzug und kam des öfters hinein um ganz schnell Maß zu nehmen. Sie tat es absichtlich, weil sie Ameron seine Ruhe lassen wollte, doch der junge Mann freute sich jedes Mal, wenn die kleine Hobbitdame mit diesem unsicheren und entschuldigenden Blick ins Zimmer kam und nur murmelte: "Es tut mir leid, aber einmal muss ich noch die Länge von deinem Arm haben."
"Noch einmal" war ein guter Ausdruck. Liliane benutzte ihn jedes mal, wenn sie wieder ins Zimmer kam. Ameron störte das nicht, er beobachtete gerne, wie unbeschwert und fröhlich die Hobbitfrau war. Er fragte sich immer, ob er diesen Frohsinn auch irgendwann wiederfinden würde.
"Warum sprichst du nicht", fragte Liliane eines Tages, als sie zu ihm ins Zimmer kam und ihm den neuen Schlafanzug zeigte. Ameron starrte nur auf das neue Kleidungsstück, doch irgendwie gingen seine Augen durch ihn hindurch. Seine Gedanken verirrten sich wieder in den Wald.
"Ameron, gefällt er dir nicht, oder..."
"Doch, er ist schön, danke", antwortete Ameron knapp, als er Liliane mit fragendem Blick vor sich stehen sah.
Er hatte seit einigen Tagen ein Problem, dass ihn selbst etwas ängstigte. Ohne das er es wollte, war er gedanklich plötzlich im Wald. Er konnte nichts dagegen tun, er merkte es nicht einmal. Ebenso vermied er es mit den Leuten zu sprechen, er hatte nicht die geringste Ahnung über was er reden sollte. Außerdem musste er bei jedem Gespräch an das denken, was passiert war. Er hatte Liliane neulich vom Fleischklopfen erzählen hören, ein Thema, dass eigentlich gar nichts mit dem zu tun hatte, was geschehen war. Und doch musste Ameron unweigerlich daran denken, wie Kandor auf ihn eingeschlagen hatte.
Frodo hatte berichtet, dass die Kinder baden würden und Ameron lief ein Schauer über den Rücken, weil er sofort daran dachte, wie die Männer ihn unter Wasser gedrückt hatten. Sam war mit der Zügel eines Ponys durch Beutelsend gelaufen und Ameron hatte sie sofort mit einer Peitsche verglichen. Der junge Mann konnte nichts dagegen tun, die Erinnerungen daran holten ihn ständig wieder ein, ob er es wollte oder nicht. Sie verfolgten ihn des Tags und in der Nacht, er wurde sie nicht los.
"Tut mir leid Ameron, du musst nicht mit mir sprechen, wenn du nicht willst, es wäre nur schön, wenn du es tun würdest...", riss ihn Lilianes Stimme plötzlich aus seinen Gedanken. Erst jetzt wurde der junge Mann sich gewahr, dass sie wohl irgendetwas zu ihm gesagt haben musste. Er hätte jetzt nachfragen können, so hätte er es auch getan, wenn alles in Ordnung gewesen wäre, aber das war es nicht. Er wollte nicht sprechen, er fand keine Worte und so sah er Liliane nur schweigend an, die mit einem schwachen Lächeln das Zimmer verließ und den Schlafanzug wieder mitnahm.
"Was ist denn", wollte Aragorn wissen, der Lilianes nachdenklichen Blick sah.
"Es geht um Ameron... Ich war gerade bei ihm, aber irgendwie... Aragorn, er ist so anders! Ich verstehe ja die Gründe dafür, aber es gibt Augenblicke, da glaube ich, den Mann, der da im Zimmer ist nicht zu kennen. Er sieht mich mit leeren Augen an, sagt kein Wort und scheint ständig mit seinen Gedanken woanders zu sein. Es hat ihn so sehr verändert..."
Aragorn nickte verständnisvoll. Dann hob er den Arm und wedelte demonstrativ mit einem Stück Papier herum.
"Diesen Brief werde ich nach Gondor schicken, zu Arwen, damit sie sich keine Sorgen dort machen. Ich habe darin nur kurz geschrieben, dass es einen Zwischenfall gab, dass Ameron und ich verletzt wurden, dass es uns aber schon wieder recht gut ginge und wir aber noch eine Weile brauchen würden, bis wir zu Hause sind." Aragorn machte eine Pause bevor er fortfuhr: "Ich habe in dem Brief geschrieben, dass Arwen Tabea benachrichtigen soll, ich wollte erst auch noch einen Brief an sie schreiben, aber ich hab keine Worte finden können. Wirklich nicht. Was sollte ich schreiben? Ihm geht es gesundheitlich wieder ganz gut, aber ansonsten fühlt er sich schlecht und das weiß ich. Er hat sich verändert, ich hoffe, Tabea erkennt noch den Mann in ihm wieder, der er einmal war. Und ich hoffe sehr, dass sie ihm helfen wird, wieder ganz der Mann zu werden."
Liliane nickte und zuckte dann nur mit den Schultern. "Hier, den hab ich ihm gemacht, er hat nichts dazu gesagt...", begann Liliane den Satz und deutete auf den Schlafanzug in ihren Händen.
"Gib ihn mir, ich werde mich nachher darum kümmern, dass er ihn anzieht. Er braucht ohnehin neue Kleidung."
Er nahm der kleinen Hobbitfrau den Schlafanzug ab und ging dann mit dem Brief in Frodos Arbeitszimmer um ihn notdürftig zu versiegeln. Er hatte vor ihn noch heute nach Minas Tirith zu schicken und da es schon fast Nachmittag war, musste er sich beeilen.
Mit einem lauten Schrei erwachte Ameron und sah sich hektisch um. Ein Alptraum! Schon wieder, immer wieder träumte er von Kandor. Es machte ihn noch wahnsinnig, immer wieder glaubte er die Peitsche zu hören oder das Sirren des Pfeils, der sein Bein durchbohrte. Immer wieder das Gleiche! Der junge Mann fuhr hoch, als er das leise Knarren der Tür vernahm, sein Herz begann zu rasen. Aber als er einen schwarzen Schopf sah, der sich durch den Türspalt schob, atmete er auf. "Mariel, was tust du hier! Du solltest doch schon im Bett sein." Ameron lächelte seine kleine Tochter an und sah zu, wie sie zu ihm ins Bett kroch. "Du hast geschrieen, Papa. Hast du wieder einen schlimmen Traum gehabt?" fragte sie mit ihrer piepsigen Stimme und sah ihn aufmerksam an. Langsam nickte Ameron. Dass sie ihn Papa nannte, war noch immer wie ein Wunder für ihn. "Ja, aber der ist nun vorüber, mach dir keine Sorgen, Mäuschen." Mariel sah ihn ernst an. "Ich werde bei dir bleiben, dann brauchst du keine Angst mehr zu haben." erklärte sie bestimmt und kroch unter seine Decke, bevor er noch etwas sagen konnte. Das kleine Mädchen schmiegte sich eng an ihn und er legte seinen Arm um sie. "Nun habe ich bestimmt keinen schlimmen Traum mehr, wenn du auf mich aufpasst." Behauptete Ameron lachend und ließ sich wieder zurück in die Kissen sinken. Es tat ihm gut, Mariel um sich zu haben, die Kleine gab ihm etwas, dass er verloren hatte...Sicherheit und Geborgenheit. Leise seufzte Ameron und schloss wieder die Augen. Er lauschte den gleichmäßigen Atemzügen des Kindes, das schläferte auch ihn langsam wieder ein.
Ameron hatte nicht gemerkt, dass Aragorn wenig später ins Zimmer gekommen war und die Beiden eine Zeit lang beobachtet hatte. Leise schlich er sich wieder in die Küche, wo er sich zu Legolas und den Hobbits gesellte. "Mariel ist bei ihm. Ameron schläft wieder, aber seine Alpträume machen mir Angst." Legolas nickte: "Ja, mich beunruhigen sie auch sehr. Sein Körper befindet sich auf dem Weg der Besserung, aber es sind die Wunden seiner Seele, die mir Sorge bereiten. Ameron verkraftet nicht, was er erlebt hat, es zerstört ihn langsam."
Die Freunde Amerons machten sich große Sorgen um den jungen Mann, seit er wieder zu sich gekommen war, sprach er kaum und war manchmal so weit weg mit seinen Gedanken, dass er kaum reagierte, wenn jemand bei ihm war. So konnte es nicht weitergehen, aber wie konnten sie ihm nur helfen? Einzig Kinder schienen Zugang zu Ameron zu finden, in ihrer Gegenwart war er lockerer und schien sich besser zu fühlen. Aber Erwachsenen gegenüber war er sehr verschlossen, manchmal fast schon abweisend. "Lasst ihm ein wenig mehr Zeit. Er hat Dinge erlebt, die man nicht so einfach wegsteckt." Frodo hatte sich nun zu Wort gemeldet und alle wussten, dass es seine Erfahrungen waren, die gerade aus ihm sprachen. Er hatte am eigenen Leib erfahren, was es heißt gequält und gedemütigt zu werden.
"Trotzdem, es ist nicht gut, dass er sich so abkapselt!" Sam sah Frodo an, er hatte als sein Freund erlebt, wie Frodo alleine gelitten hatte. "Ich wei" antwortete Frodo und zog nachdenklich an seiner Pfeife. Sie sprachen noch eine ganze Weile über das Problem, ehe einer nach dem Anderen sich zur Nachtruhe begab. Bevor auch Aragorn schlafen ging, schlich er noch einmal in Amerons Zimmer und betrachtete seinen jungen Freund lange.
Amerons Atem ging schwer, bestimmt träumte er wieder, seine Stirn war in Furchen gelegt und sein Mund zuckte. Deutlich sah man noch die Spur der Peitsche, die vom Kinn bis zur Wange reichte, wahrscheinlich würde eine dünne Narbe bleiben, wie Frodo wird sie ihn immer an die Qualen erinnern. Diese und die vielen anderen Narben, die ihm Kandor zugefügt hatte. Aber das waren nur die sichtbaren Wunden, was er an Amerons Seele angerichtet hatte, war noch gar nicht wirklich abzusehen.
"Ameron komm, du musst doch etwas essen." Liliane saß neben seinem Bett und hielt einen Teller mit Suppe in der Hand. Der junge Mann schüttelte den Kopf und drehte sich ein wenig zur Seite. Er hatte keinen Hunger, warum wollte sie das nicht einfach einsehen? Allein beim bloßen Gedanken an essen wurde Ameron übel, in seinem Bauch war noch immer einiges nicht ganz in Ordnung. Aber Liliane war gnadenlos, sie gab erst Ruhe, bis er zumindest einen Teil der heißen Hühnersuppe gegessen hatte. "Na also, geht doch. Du bist doch schon so mager, wenn du nicht isst, wirst du uns noch verhungern!" Sie wollte Ameron mit diesen Worten aufmuntern, aber als er sie mit ernster Miene ansah, blickte sie in seine Augen. Sie waren so... leer, das Leuchten, das sie an ihnen so mochte, war seit der Sache im Wald völlig erloschen. Es hatte ihn gebrochen, zerstört. Liliane verfluchte Kandor, der ihm das angetan hatte.
Ameron schien ihre Gedanken zu erraten, traurig sah er sie kurz an, ehe er den Blick abwandte und seufzte. Liliane stand auf und ging langsam aus dem Zimmer. Er hatte wieder nicht gesprochen, so konnte das nicht weitergehen! Seine Augen hatten sie zutiefst erschreckt, ihr war es, als hätte sie direkt in seine Seele sehen können, und was sie gesehen hatte, machte ihr Angst. Ameron hatte sich irgendwie aufgegeben, er sah keinen Sinn im Leben, keine Freude, nichts, was ihm das Leben lebenswert erscheinen ließ. Und sie hatte Recht mit ihrer Beobachtung.
Liliane ging langsam in die Küche, wo Frodo am Tisch saß und sie neugierig musterte. "Was ist los? Du siehst so besorgt aus." – "Ameron hat wieder kaum gegessen, gesprochen hat er auch wieder nicht und als ich in seine Augen sah, erkannte ich, wie schlecht es ihm geht. Frodo, er gibt sich selbst auf, er zerbricht an seinen Erlebnissen! Ich weiß nicht, was ich tun soll, um ihm da raus zu helfen!" Liliane lehnte sich trostsuchend an seine Schulter und seufzte leise.
"So kann es nicht weitergehen!" Aragorn war eingetreten und schüttelte unwirsch den Kopf. Die Hobbits sahen ihn erstaunt an. "Und was willst du dagegen tun, Aragorn?" Er dachte einen Moment nach, ehe ihm eine Idee kam. Er erinnerte sich an die Zeit zurück, in der Ameron nach der Pfeilverletzung in den Häusern der Heilung gelegen hatte. Damals hatte er um jeden Preis ins Freie wollen und hatte es trotz seiner Schwäche zustandegebracht, alleine bis zum Fenster zu kommen. Dabei hatte er sich zu diesem Zeitpunkt kaum alleine im Bett aufsetzen können. "Er braucht die Natur um sich. Ameron muss in den Garten." Aragorn wandte sich an Liliane und Frodo: "Könntet ihr vielleicht unter einem der Bäume ein Lager bereiten? Ich werde ihn nach draußen tragen. Hier in der Höhle muss er ja auf dumme Gedanken kommen!" Die Hobbits sahen sich erstaunt an, aber es machte Sinn. Ameron war meist im Freien anzutreffen, auch bei seinem letzten Besuch hier in Beutelsend hatte er freiwillig im Garten geschlafen, obwohl in der Höhle Platz genug gewesen wäre. Liliane und Frodo schnappten sich ein paar Decken und bereiteten unter einem Baum ein bequemes Lager.
Aragorn öffnete die Tür zu Amerons Zimmer und kam an sein Bett. Der junge Mann starrte mit leerem Blick an die gegenüberliegende Wand und schien ihn nicht zu bemerken. Der König schüttelte langsam den Kopf, dieses Grübeln machte Ameron noch völlig fertig, es war nicht normal. "Ameron?" Der junge Mann reagierte nicht. Aragorn seufzte und berührte ihn am Arm. Ameron fuhr mit einem Schrei hoch und sah ihm aus angstgeweiteten Augen keuchend an. Man sah ihm an, dass er zu Tode erschrocken war. Als der junge Mann sah, dass es Aragorn war, schloss er erleichtert die Augen und entspannte sich langsam wieder. "Es tut mir leid, mein Freund. Ich wollte dich bestimmt nicht erschrecken." Sagte der König und legte seine Hand auf die seines jungen Freundes. Er fühlte, wie sie zitterte und es tat ihm leid. Er hätte niemals dem Rollentausch zustimmen dürfen, sie hätten zusammenbleiben müssen!
"Ist schon in Ordnung, Aragorn. Ich war in Gedanken..." murmelte Ameron und sah ihn schließlich wieder an. Aragorn wusste, was Liliane meinte, als sie von Amerons Augen sprach, sie waren wie tot. Kein Leuchten, kein Strahlen, kein schelmisches Aufblitzen, was Ameron stets so gerne zeigte. Da war nichts mehr davon zu sehen. Leer.
"Also gut, Ameron. Ich werde dich jetzt in den Garten bringen, ehe du mir hier in der dunklen Höhle versauerst!" Aragorn bemühte sich, seine Stimme unbeschwert klingen zu lassen. Der junge Mann sah ihn erschrocken an und schüttelte dann langsam den Kopf. "Ich...kann nicht. Ich bin zu schwach, mich auf den Beinen zu halten. Lass mich einfach liegen." Seine Stimme klang leise und traurig. Aragorn stutze einen Moment. Obwohl er im Grunde keine andere Reaktion erwartet hatte, tat es weh, Ameron so sprechen zu hören. "Das musst du auch nicht, ich trage dich! Dank deiner Verweigerung der guten Hobbitküche bist du auch nicht schwer! Nun komm, schon, die Sonne scheint und es ist warm draußen!" Entschlossen schlug Aragorn die Bettdecke zurück und trat näher an Ameron heran. Liliane hatte dem jungen Mann einen Schlafanzug geschneidert, Ameron hatte die dünne Stoffhose an, nur das Oberteil hatte er abgelegt, weil es ihm zu warm wurde. Aragorns Blick strich kurz über den von Narben übersäten Körper seines Leibwächters. Man sah mittlerweile jede einzelne Rippe an ihm. Er war zwar immer sehr schlank gewesen, aber nun...
Aragorn verdrängte seine Gedanken und ging vor Ameron auf die Knie. Entschlossen hob er ihn hoch und war doch überrascht, dass er so leicht war. Der junge Mann protestierte nicht einmal mehr, sondern ließ alles stumm über sich ergehen. Behutsam trug ihn der König ins Freie und bettete ihn auf das weiche Deckenlager. Ameron hob den Blick und sah Aragorn an, der sich die verletzte Schulter hielt und ein wenig das Gesicht verzog. "Deine Schulter...du hättest mich nicht tragen sollen." Der König hielt in der Bewegung inne und sah seinen jungen Freund erstaunt an. "Das geht schon in Ordnung, die Wunde ist verheilt, nur ab und an zieht es noch ein wenig." Er freute sich, dass Ameron ein klein wenig Anteil an seiner Umgebung zu nehmen schien. Der junge Mann sah sich kurz um und Aragorn hatte das Gefühl, dass sich sein Gesicht etwas erhellt hatte. Die Sonne schien ein wenig durch das Blätterdach und schien sanft auf den geschwächten Mann, der nun die Augen geschlossen hatte und sich entspannt an den Stamm gelehnt hatte.
Ameron fühlte die Sonne auf seiner Haut, ihre Strahlen wärmten sie und drangen bis in sein Herz. Er hörte die Vögel um sich singen und aus der Ferne drang Kinderlachen an sein Ohr. Es ließ ihn leise lächeln. Bestimmt war Mariel bei ihnen, die Kleine blühte hier in Beutelsend richtig auf. Sie hatte nun auch diese niedlichen Kleidchen an, die die Hobbitmädchen trugen, Liliane hatte seiner Tochter einige sehr hübsche Gewänder genäht. Wenn Mariels Haare nicht glatt gewesen wären, hätte man sie kaum von den anderen Kindern unterscheiden können. Bis auf die Füße, die waren kleiner und sie selbst war größer als ihre gleichaltrigen Spielkameraden, aber sonst...
Ameron war seinen Freunden unendlich dankbar, dass sie sich um seine Tochter und um ihn kümmerten. Der Frieden im Auenland tat seiner geschundenen Seele gut, aber dennoch fühlte er sich schrecklich. Immer wieder fuhr er bei dem kleinsten Geräusch zusammen und musste gegen eine aufkeimende Panikattacke ankämpfen. Obwohl er wusste, dass niemand hier ihm etwas Böses wollte. Es war wie verhext, früher hatte ihn nichts aus der Ruhe bringen können, aber jetzt... Sogar bei dem leisen Blätterrascheln über ihm war er eben zusammengezuckt.
"Ameron?" Frodos Stimme ließ ihn aufhorchen. Leise war der Hobbit zu ihm gekommen und setzte sich nun neben ihn ins Gras. "Ich möchte mit dir sprechen, mein Freund." Der junge Mann sah ihn fragend an und nickte schließlich. Frodo schien eine Weile zu überlegen, Ameron merkte, dass ihn etwas sehr beschäftigte, aber er nicht so recht wusste, wie er beginnen sollte. Er wartete einfach ab. Schließlich sah der Hobbit wieder auf und blickte in die Ferne. "Ich weiß, was in dir vorgeht." Der junge Mann hob eine Augenbraue und sah ihn fragend an. "Was meinst du?" – " Ich weiß, wie du dich im Moment fühlen musst. Ich kenne dieses Gefühl der Hilflosigkeit, die Ohnmacht. Du warst ihnen ausgeliefert und konntest nichts dagegen tun."
Die Worte ließen Ameron zusammenzucken. Frodo hatte Recht. "Sie hatten dich völlig in ihrer Hand, sie fügten dir Schmerzen zu und hatten auch noch Spaß daran, habe ich Recht?" Langsam nickte der junge Mann, der Hobbit brachte seine Gefühle auf den Punkt. Aber es behagte Ameron absolut nicht, dass Frodo gerade jetzt davon sprechen wollte, er riss nur die Wunden wieder auf damit. "Glaube mir, Ameron, ich verstehe dich gut, ich habe ähnliches mitgemacht."
- "I...ich konnte mich ...nicht wehren. Kandor tat mit mir...was immer ihm gefiel...und ich konnte nicht...konnte nichts dagegen tun." Flüsterte er tonlos und fühlte die Tränen aufsteigen. Verzweifelt schloss der junge Mann die Augen und fühlte die Tränen über seine Wangen laufen. Es dauerte eine Zeit, ehe er wieder ein wenig Fassung gewann und seinen kleinen Freund ansah. "Werde ich es jemals vergessen können?" fragte Ameron mit zitternder Stimme.
Frodo schwieg kurz und schüttelte dann langsam den Kopf. "Nein, niemals. Es wird immer in deinem Kopf sein, du wirst es niemals vergessen können. Aber du wirst lernen, damit umzugehen, mit dieser schrecklichen Erinnerung, die dich im Moment zerstören will. Sie wird immer Teil deines Lebens bleiben. Eines Tages verliert sie jedoch ihre Macht und du wirst stärker durch sie, wenn du es zulässt."
Die Stimme des Hobbits war immer leiser geworden, fast schien es, als ob er mit sich selbst spräche. Ameron sah ihn an und bemerkte eine Träne, die sich ihren Weg bahnte. Er wusste nicht, was er denken sollte, im Moment klang das alles so furchtbar, er wollte es vergessen, nichts weiter! Warum konnte er das nicht? Warum nur hörte er noch immer das Knallen? Warum fühlte er noch immer diesen Schmerz? Die Angst? Warum? Ameron fühlte, dass die Tränen erneut die Oberhand gewannen und er schluchzte auf. Frodo sah auf und sah, in welchem Zustand sich sein junger Freund befand. Er legte tröstend eine Hand auf seinen Arm, aber Ameron wandte sich ab, er wollte nicht, dass ihn jemand so sah. So verletzlich und aufgelöst. Der Hobbit runzelte die Stirn, auch das war ihm nicht fremd. "Ameron, bitte mach nicht den gleichen Fehler, den ich gemacht habe! Verschließ dich nicht vor uns. Du brauchst Freunde, die dir helfen, weise sie nicht ab! Es macht das Ganze nur noch schlimmer, du schützt sie nicht dadurch, dass du deinen Schmerz für dich behältst. Du bist nicht allein, deine Familie und deine Freunde wollen dir alle helfen! Lass es zu!"
Unter Tränen sah Ameron auf. Lange ruhte sein Blick auf Frodo, der ihn bittend ansah.
"Er...er...hat Amrun...umgebracht...einfach so! Sie wollte zu mir zurück, er...hat auch noch...geprahlt damit!" stammelte Ameron und ließ es zu, dass ihn Frodo in die Arme nahm. Nun ließ er seinen Tränen freien Lauf, laut schluchzend klammerte er sich an seinen Freund und schrie fast seinen Schmerz heraus. Frodo schloss die Augen und schluckte. Ameron hatte den ersten Schritt gemacht, er vertraute sich ihm an.
Aragorn und Legolas standen am Fenster und beobachteten die Szene mit gemischten Gefühlen. Es war das erste Mal seit Wochen, dass Ameron seine Gefühle zuließ und sich jemanden öffnete. Es war gut so, aber es würde noch ein steiniger Weg werden, ehe der junge Mann über diesen Schock hinwegkommen würde...wenn er überhaupt jemals darüber hinwegkam.
Als Aragorn nach einer Weile wiederkam und Ameron in die Höhle zurücktrug, schlief der junge Mann fast in seinen Armen ein. Es war zu anstrengend für ihn gewesen, alles. Die frische Luft, das Gespräch, das alles hatte an seinen ohnehin kaum vorhandenen Kräften gezehrt. Legolas und Aragorn versorgten noch seine Striemen mit der Salbe und kontrollierten seinen Bauch. Die Muskeln waren nicht mehr verkrampft, es schien alles gut zu heilen. Als Legolas vorsichtig die Schmerzempfindlichkeit testen wollte, bemerkte er, dass Ameron bereits fest eingeschlafen war. Lächelnd deutete er mit dem Kopf in Amerons Richtung und wandte sich zu Aragorn, der ebenfalls lächeln musste, als er ihn friedlich schlafen sah.
Tatsächlich hatte Amerons Gesicht einen friedvollen Ausdruck angenommen, keine Anspannung war im Moment zu finden. "Es scheint ihm ein wenig besser zu gehen." Bemerkte Aragorn flüsternd und Legolas nickte. "Ja, das Gespräch und die Natur scheinen ihm gut getan zu haben." Der Elb legte seine Hand auf die Stirn des jungen Mannes und Ameron seufzte leise im Schlaf. Ein leises Lächeln umspielte die blassen Lippen und er murmelte etwas, das Aragorn nicht verstand. Legolas begann plötzlich breit zu grinsen und deutete seinem Freund, dass sie ihn nun schlafen lassen sollten. Als die Beiden aus dem Zimmer herauskamen, sah Aragorn seinen Elbenfreund fragend an. "Was war los, worüber hast du dich so amüsiert?" Legolas schüttelte lächelnd den Kopf. "Ameron scheint geträumt zu haben, als meine Hand auf seiner Stirn lag. Hast du nicht gehört, was er gesagt hat?" Aragorn schüttelte den Kopf und sah ihn abwartend an. "Er träumt wohl gerade von Tabea. Es war ihr Name, den er nannte. Und das Lächeln zeigte mir, dass das wohl ein schöner Traum sein muss!"
In den nächsten Tagen war Ameron fast immer unter dem Baum zu finden, langsam kehrten seine Kräfte zurück und auch sein Lebenswille wurde mit jedem Tag stärker. Die Sonne und die Luft taten ihm sehr gut und er bekam langsam wieder Appetit. Zwar aß er noch immer viel zu wenig für Lilianes Geschmack, aber sie war froh, dass er überhaupt etwas aß. Ameron war noch immer sehr schweigsam und in sich gekehrt, aber das Gespräch mit Frodo hatte etwas in ihm ausgelöst, er begann seine Erlebnisse zu verarbeiten.
Ameron lehnte entspannt an dem Stamm und döste vor sich hin, als ihn etwas vor die Brust traf. Zu Tode erschrocken fuhr er mit einem Aufschrei hoch und sah sich panisch um. Was war geschehen? Keuchend blickte er neben sich und sah einen Ball, der da ganz unschuldig lag. Der junge Mann zitterte am ganzen Leib und das Herz hämmerte in seiner Brust, dass es fast schon schmerzte. Nur langsam beruhigte er sich wieder und sah in einigen Schritten Entfernung die Urheber des Angriffes stehen. Mariel und ihre kleinen Freunde waren es, die ihn unschlüssig und ein wenig ängstlich musterten.
Die Kinder hatten gesehen, was sie mit ihrem Ball angerichtet hatten. Erleichtert schloss Ameron einen Moment die Augen und atmete tief durch. Nach und nach wich die Anspannung wieder und er lächelte den Kindern zu. "Das ist wohl eurer, was?" sagte er und hob den Ball hoch. Schüchtern nickten die Kinder und sahen ihn weiterhin mit großen Augen an. " Bekommen wir den Ball wieder, Papa?" fragte Mariel schließlich und ging auf ihn zu. Ameron machte ein sehr nachdenkliches Gesicht. "Nein, ich denke, den werde ich behalten." Die Hobbitkinder machten lange Gesichter, nur Mariel legte ihren Kopf schief und setzte ihren unwiderstehlichsten Blick auf. "Ach Papa! Bitte gib ihn uns wieder! Wir werden auch ganz bestimmt nicht mehr dich treffen."
Ameron verzog das Gesicht und sah den Ball in seinen Händen an. "Aber er gefällt mir. Freiwillig gebe ich ihn bestimmt nicht mehr her!" Er zwinkerte seiner kleinen Tochter schelmisch zu und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Das Mädchen sah ihn an und begann zu strahlen. Mit einem Jauchzer sprang sie auf ihn zu und warf sich auf Ameron, der sich bemühte, den Ball unter sich zu verstecken. "Helft mir!" rief sie und ihre kleinen Freunde sahen sich kurz an, ehe sie sich mit lautem Gebrüll auf dem auf der Decke kauernden Ameron stürzten. Der junge Mann wehrte sich und rief lachend um Hilfe. Ein wildes Gerangel entwickelte sich, das Geschrei der Kinder war bis in die Höhle zu hören. Aragorn saß mit Sam und Frodo gerade am Tisch und unterhielt sich, er stand auf und sah aus dem Fenster. Bei diesem Anblick blieb ihm der Mund offen stehen. Ameron war belagert von einer ganzen Horde Kinder, die lachend mit ihm balgten! "Das glaub ich jetzt nicht, seht euch das einmal an!" Die Hobbits waren nicht weniger sprachlos als er selbst.
Legolas war bei den Pferden, die im hinteren Teil des Gartens untergebracht waren, gerade hatte er Bregos Verletzung begutachtet, als das Geschrei auf seine Ohren traf. Erstaunt hob er den Kopf und lauschte. Deutlich hörte er Ameron um Hilfe rufen. Erschrocken lief er unter den Baum und blieb wie angewurzelt stehen. Die Hobbitkinder und Mariel hatten den begehrten Ball ergattert und liefen nun laut schreiend davon. Ameron lag keuchend auf der Decke und hatte seine Augen geschlossen, während er sich den Bauch hielt. "Ameron, ist alles in Ordnung mit dir?" fragte Legolas vorsichtig und kniete sich neben ihn auf den Boden. Noch immer außer Atem nickte der junge Mann und öffnete schließlich wieder die Augen.
Legolas musste unwillkürlich lächeln, als er Amerons Augen sah. Die Leere darinnen war verschwunden, sie zeigten wieder das schelmische Aufleuchten, das immer so typisch für den jungen Mann war! "Eine Horde Orks ist zärtlicher als diese wilde Bande!" sagte Ameron schließlich und ließ sich von Legolas aufhelfen. Amerons blasse Wangen hatten eine leichte Röte angenommen und er sah beinahe schon glücklich aus, als er wieder an den Baum gelehnt dasaß und Legolas ansah.
" Ich freue mich, dass du dich besser fühlst, mein Freund." Sagte der Elb und legte eine Hand auf Amerons Schulter. Der junge Mann nickte leicht. "Ja, es geht mir im Moment gut, wenn nur die Erinnerungen nicht wären..." Legolas sah ihn lange an, ehe er zu sprechen begann. "Ich hatte ehrlich Angst um dich, junger Freund. Als ich dich so tief unten im Abgrund gefunden hatte, fürchtete ich, dass ich mit traurigen Nachrichten zurückkehren musste. Aber du warst am Leben, der Sturz konnte dich nicht töten, auch die schweren Verletzungen, die dir Kandor zugefügt hatte, vermochten das nicht. Aber...", der Elb sah Ameron ernst an, ehe er weitersprach, "die Erinnerungen an die Folter hätten es beinahe getan."
Der junge Mann sah ihn lange an, ehe er antwortete: "Die Erinnerungen...ja, sie sind furchtbar. Immer wieder glaube ich das Knallen der Peitsche zu hören, ihren scharfen Biss zu fühlen. Das Sirren des Pfeils, ehe er sich in das Fleisch bohrt, es will mich in den Wahnsinn treiben. Kandors grausames Lachen und ...einfach alles macht mir noch immer Angst. Ich weiß, dass er mir nichts mehr tun kann, aber allein die Erinnerung an das, was er getan hat lässt mich zittern." Legolas sah Tränen in den Augen des jungen Mannes, als er von seinem Peiniger sprach. Aber es war gut, dass der Schmerz einen Weg aus Ameron suchte, es würde ihm helfen, damit zurechtzukommen.
"Ameron, meinst du nicht, wir sollten langsam..." – "Bitte noch ein kleines Stück! Es tut so gut, endlich wieder auf den eigenen Beinen stehen zu können!" Ameron sah Aragorn flehend an. Der König schüttelte den Kopf. "Du bist so stur wie eh und je, mein Freund. Du wirst dich noch überanstrengen." Der junge Mann konzentrierte sich wieder auf seine Beine, die zitternd sein Gewicht trugen und mit Aragorns und Legolas Hilfe machte Ameron seine ersten Schritte seit Wochen. In den letzten Tagen hatten seine Kräfte immer mehr zugenommen, was auch auf das nahrhafte Essen der Hobbits zurückzuführen war. Liliane kümmerte sich noch immer darum, dass ihr Schützling ausreichend Nahrung zu sich nahm und freute sich, dass seine Rippen nicht mehr so scharf unter der Haut hervorstachen und sein Gesicht nicht mehr so eingefallen war.
"Papa!" Ein kleiner Wirbelwind bog um die Ecke und sprang übermütig an Ameron hoch. "Mariel, meine kleine Maus!" Ameron ließ sich auf die Knie nieder und schloss sein übermütiges Töchterchen in die Arme. "Du bist wieder gelaufen, das ist so schön! Da kannst du doch mit mir Fangen spielen!" die Augen des Kindes begannen zu leuchten. Ameron schüttelte lachend den Kopf. "Noch bin ich zu langsam für dich! Aber wenn ich fleißig mit Onkel Aragorn und Onkel Legolas übe, werde ich dich bald wieder fangen können!" Mariel sah mit strahlenden Augen zu den Beiden auf : "Macht ihr das wirklich? Helft ihr meinem Papa, damit er endlich mit mir spielen kann?" Aragorn hob das Mädchen lachend auf seine Arme und nickte. "Ja, das werden wir. Dein Papa wird bald mit dir spielen können!" Legolas strich Mariel lächelnd übers Haar und nickte ebenfalls. Er war so froh, dass er es geschafft hatte, ihr den Vater wiederzubringen.
Erschöpft lag Ameron in seinem Bett und starrte an die Decke. Dass er endlich wieder gelaufen war, hatte ihm gutgetan. Es bewies ihm, dass es nun wirklich bergauf ging mit ihm. Wenn erst mal der Körper wieder normal funktionierte, würde schon alles andere von selbst in Ordnung kommen. Ameron runzelte die Stirn bei diesem Gedanken. Würde es das wirklich? Konnte es wieder so sein wie früher? Wie es vor der Sache im Wald war? Langsam schüttelte er den Kopf. Wohl kaum. Zuviel war geschehen, zuviel Leid hatte er erfahren müssen. Nichts würde je so sein können wie zuvor. Der junge Mann seufzte. Er konnte noch immer nicht begreifen, wie ein Mensch so derartig hassen konnte, dass er einem Anderen solche Qualen zufügte. Was hatte er getan? Er wusste gar nichts von Kandor, das erste Mal hatte er von ihm gehört in Amruns Abschiedsbrief! Die arme Amrun, was musste sie an der Seite dieses schrecklichen Mannes alles erdulden?
Ameron hatte immer geglaubt, dass es ihr gut gehen würde, bei ihrem Mann, sonst hätte er die Trennung nie überstanden. Wenn er es doch nur geahnt hätte, sie könnte noch leben! Und er hätte miterleben können, wie Mariel auf die Welt kam und wuchs. Ihm tat es leid, sie erst jetzt kennengelernt zu haben.
Bei diesem Gedanken bekam Ameron auf einmal ein ganz seltsames Gefühl. Wenn Amrun bei ihm geblieben wäre, hätte er niemals Tabea kennengelernt...oder doch? Was wäre gewesen, wenn es doch passiert wäre? Hätte er sich dann nicht in sie verliebt? Diese Gedanken verwirrten Ameron sehr. Er wusste nun nicht mehr, was er denken sollte, aber er kam langsam zu dem Schluss, dass es im Grunde gleich war, die Valar hatten es so bestimmt.
Die Valar...hatten sie auch gewollt, dass ihn Kandor so grausam quälte? Zu welchem Grund, warum hatten sie ihn so bestraft? Was hatte er in seinem Leben verbrochen, dass sie das zugelassen hatten?
Ein kleines Stimmchen riss ihn aus den Gedanken. Mariel war an sein Bett gekommen und sah ihn verschlafen an. "Papa, ich habe schlecht geträumt. Darf ich bei dir schlafen?" murmelte sie und rieb sich die Augen. Ameron richtete sich auf und hob sie zu sich, wo er sie sorgfältig unter die Decke packte und ihr einen Kuss auf die Stirn gab. "Natürlich, meine Kleine. Ich bin bei dir, du brauchst keine Angst zu haben." flüsterte er zärtlich und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. Erleichtert seufzte das Mädchen auf und kuschelte sich an ihn.
Ameron sah sie an und begriff langsam. Die Valar hatten ihn nicht strafen wollen, sonst hätten sie ihn niemals mit einer so süßen kleinen Tochter gesegnet! Dieser Gedanke zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Er hatte Mariel...und Tabea. Was konnte er sich mehr wünschen? Entspannt ließ sich Ameron in die Kissen sinken und genoss die Nähe seiner Tochter. Es tat gut, gebraucht zu werden, stellte er fest und glitt langsam hinüber in einen erholsamen, traumlosen Schlaf.
