Der Wahnsinn geht weiter

„Was zieht ihr für unsere Tanzstunde an?", fragte Emmy, als sie von Muggelkunde kam und ihre Freundinnen im Gemeinschaftsraum beim Schachspielen antraf. „Keine Ahnung", gestand Andy, „habe ich mir noch keine Gedanken drüber gemacht." Lily überlegte: „Ich denke ein weiter Rock und ein T-Shirt tun es fürs erste Mal wohl. Vielleicht auch eine bequeme Hose, aber ein Rock ist einfach besser. Und für dich am besten flache Schuhe, Emmy. Turnschuhe müssten gehen, denke ich. Und übrigens: Schachmatt!" Damit ging sie hoch und zu ihrem Schrank und kramte etwas darin herum. Andy und Emmy taten es ihr gleich.

„Geht das?", fragte Emmy irgendwann und hielt ein rosa Top und eine hellblaue, knallenge Jeans hoch. „Ähm, Emmy, du willst tanzen und keine Typen aufreißen", bemerkte Andy grinsend, nahm ihrer Freundin beides ab und warf es in den Schrank. Wortlos deutete sie auf Lily, die ein weißes Neckholdertop und einen bunten, weiten Rock aus weicher Baumwolle, welcher ihr fast bis zu den Knöcheln reichte, trug und grade ihre Haare zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammenfasste. Andy selbst trug ein dunkelblaues T-Shirt und einen dunkelroten, knielangen Faltenrock und hatte ihr Haar geflochten. Gemeinsam suchten ihre beiden Freundinnen für Emmy schließlich eine braune Stoffhose und ein beiges Top raus und steckten ihr die Haare hoch

Emmy zog sich grade ihre funkelnagelneuen Turnschuhe an (sie waren an sich schon 2 Jahre alt, nur bis dato ungetragen), als sie sah, wie Lily sich schwarze Sandaletten mit zehn Zentimeter hohen Pfennigabsätzen anzog und Andy mit ähnlichen Schuhen, nur zwei Zentimeter niedriger und in dunkelblau, angetan vorbeilief. „Was wird das?", fragte sie nicht unbedingt freundlich. Ihre Freundinnen antworteten unisono mit einer Gegenfrage: „Was wird was?" „Eure Schuhe", beschwerte Emily sich, „ich muss Turnschuhe anziehen und ihr dürft DAS tragen." Lily lachte: „Glaub mir, nachher wirst du dankbar sein." Und das würde sie.

Als die drei in der großen Halle angekommen waren, standen vor einem Rednerpult einige Reihen Stühle, auf denen schon ein paar minder begeisterte Schüler saßen. Auch Candy, Sara und Bertha waren schon da. Sara, die ebenfalls tanzen konnte, trug einen pinken, wadenlangen Rock, ein azurblaues Top und Sandalen mit drei Zentimeter-Absatz, dazu die Haare im Nacken zu einen Knoten verschlungen. Candy hatte eine gelbe Caprihose an, dazu ein grünes T-Shirt und Turnschuhe. Mit ihren, kaum schulterlangen, Haaren musste sie nichts machen. Es war Bertha, die den Vogel abschoss. Eine rosafarbene Strickjacke, kombiniert mit einer khakifarbenen Jogginghose und braunen Wanderschuhen. Das fast hüftlange Haar hing hatte sie zu zwei Affenschaukeln aufgesteckt. „Das Mädchen braucht eine Totalerneuerung", rauchte Emmy den anderen beiden Gryffindors zu und die gaben nickend ihre Zustimmung.

Nachdem sich alle Sechst- und Siebtklässler ohne Ausnahme eingefunden hatten, betrat Dumbledore das Podest. „Vollzählig? Sehr schön, dann können wir ja anfangen. Zuerst einmal: Jeder wird mitmachen und niemand, absolut niemand darf sich drücken. Wer nicht tanzen kann, der wird es lernen. Ich habe extra zwei Tanzlehrer engagiert. Mr. Kronus und Mrs. Ladiba. Und damit die Paare auch gut zusammenpassen, haben Mr. Kronus, Mrs. Ladiba und ich sie bereits eingeteilt. Und das erste Paar sind unsere beiden Schulsprecher. Liliana Evans und James Potter."

Lily stöhnte, doch zum ersten Mal in ihrem Leben lag es nicht daran, das Dumbledore ihren vollen Namen benutzt hatte, nein, es lag daran, dass Potter ihr Partner war. „Siehste, hab ich doch gesagt: Die Wette gewinnst du. Aber Leid tun tust du mir trotzdem. Ich meine… Potter!", wisperte Andromeda ihr zu, doch Lily ignorierte es. Nahezu krampfhaft hörte sie zu, wie Dumbledore die anderen Namen verlas. Wirklich zu ihr durchdringen taten aber nur die ihrer Freundinnen und ihrer Klassenkameraden.

…Andromeda Black und Amos Diggory… Amos war ein Hufflepuff aus der Siebten und ziemlich arrogant. Er kannte nur ein Thema: sich selbst, aber wenn man sein Geschwafel ausblendete dann war er erträglich. Er sah durchschnittlich aus mit hellbraunem Haar, grünbraunen Augen und einem eher kräftigen Körperbau. …Undine Kontagan und Peter Pettigrew… Undine und Pettigrew? Er schien seinem Glück kaum fassen zu können und sie wirkte vollkommen pikiert. Verständlich. …Bertha Huber und Timothy Simpson… Simpson, ein Slytherin aus der Sechsten. Schwarzhaarig, blass und mittelgroß. Ein angehender Todesser. Arme Bertha. …Narzissa und Sirius Black… Oh, na was daraus wohl werden würde? Und was würde Malfoy, Narzissas Verlobter sagen? Naja, abwarten und Butterbier trinken war wohl die beste Variante. …Jonathan Finnigan und Pasana Patil… Das ging in Ordnung. Beide waren nicht begeistert und nicht abgeneigt, wenn sie auch etwas komisch miteinander aussahen: der feuerrothaarige, schlaksige John und die kleine, pummelige Pasana.

…Remus Lupin und Alice Heller… Alice war aus Ravenclaw, eine Sechstklässlerin. Nicht allzu groß mit blonden Haaren und großen, graublauen Augen. Die Freundin von Remus Klassenkamerad Frank Longbottom. Der schien nicht allzu begeistert, hielt sich aber zurück. …Candice McDouglas und Frank Longbottom… Kein schlechtes Paar, die kleine, schwarzhaarige Candy und der ebenfalls nicht wirklich große, braunhaarige Frank (übrigens kleiner als seine, ein Jahr jüngere, Freundin Alice). Emily Reynolds und Theodore Tonks… Oh, oh. Emmy und Ted, Andys Freund? Nicht gut, gar nicht gut. Zudem sah Ted, ein Klassenkamerad von Andys Tanzpartner Amos, nicht schlecht aus, mit seinen dunkelbraunen Haaren und groß war er zudem. Und dann kam Dumbledore zum letzten Paar. Wer hatte denn noch keinen? Sara und… Moment! Das würde der Schulleiter nicht wagen! Oder doch? Er wagte es. …Sara Potter und Lucius Malfoy.

Darauf folgte erstmal Stille, dann Malfoy. Er war aufgesprungen und schrie: „Nein! Ich und diese Potter-Schlampe? Nie! Nur über meine Leiche!" „Lässt sich einrichten, Malfoy", hörte Lily zu ihrer Überraschung James sagen. Cool, aber warnend. Sara stand noch immer sprachlos da. „Interesse?", fragte jetzt auch Lily den Slytherin. Der blitzte sie nur an: „Klappe, Schlammblut." Lily sah, wie James den Zauberstab zog und sowohl Sirius, als auch Remus und schließlich dann Andromeda es ihm gleich taten. Dumbledore bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, sie wieder wegzustecken und alle vier Gryffindors leisteten dem, wenn auch widerstrebend, folge. „Sie werden sich damit abfinden müssen, Mr. Malfoy, wenn sie keinen Schulverweis riskieren wollten. Und für sie gilt dasselbe, Ms. Potter."

In dem Moment erwachte Sara auf ihrer Starre. Und wie sie erwachte. Sie stampfte mit dem Fuß auf, bekam einen Heulkrampf und begann schreiend Gott und die Welt zu verfluchen. Die Drama Queen hatte ihre Bühne gefunden. James stellte sich vor seine Schwester, hielt ihr Arme fest und wollte sie zum Ruhigsein bringen, doch sie riss sich los und begann mit den Fäusten auf seiner Brust herumzutrommeln. James stand nur da, ließ es geschehen und wartete. Dann, wie aus heiterem Himmel, drehte er sie um, bog ihre Arme, nicht schmerzhaft, aber bestimmt, auf den Rücken, hielt sie mit einer Hand fest, legte ihr die andere auf den Mund und blockierte mit einem Bein die ihrigen. James Potter wusste durchaus, wie er mit seiner Schwester umgehen musste, wenn sie die Nerven verlor, was immer öfter mal vorkam.

„Sara Mary Potter, du reißt dich jetzt verdammt noch mal zusammen", knurrte er ihr ins Ohr und nach einem Blick in die Augen ihres Bruders schien Saras Widerstand wirklich zu erlahmen. Er hatte mehr Macht über sie, als einer von beiden zugegeben hätte. Als James sie losließ ging Sara wieder zu ihrem Platz und murrte: „Aber das es mir Spaß macht, dass kann keiner verlangen!" „Nein und glaub mir, ich werde von diesem Recht ebenfalls Gebrauch machen", erwiderte Lily vollkommen ruhig, aber eiskalt. Sie hatte Dumbledore immer gemocht, aber seit diesem Schuljahr hasste sie ihn mit jedem Tag mehr. Und dafür, dass es wert der zweite Tag war, den sie in Hogwarts war, hasste sie ihn schon ganz schön.

„So, Ms. Evans, Mr. Potter, würden Sie so freundlich sein und beginnen. Sie können ja beide tanzen, wie ich erfahren habe", forderte Dumbledore sie in dem Moment auf und Lily spielt wirklich mit dem Gedanken, sich Voldemort anzuschließen. Und falls ihr denkt, er hätte sie nicht genommen, dann liegt ihr falsch. Voldemort würde sie mit offenen Armen empfangen, falls sie je zu ihm gehen würden – nicht dass sie das wirklich vorhätte, aber es wäre immerhin der letzte Ausweg.

Lily erhob sich, ignorierte die Hand, die James ausstreckte um ihr aufzuhelfen, trat in die Mitte einer freien Fläche und wartete, James gegenüber, dass die Musik anging, die ihnen sagte, was zu tanzen war. Dumbledore schwang den Zauberstab durch die Luft und sie war erfüllt von einem Walzer. Oh, wie sie ihn hasste. Wiener Walzer, ihr absolut verhasstester Tanz von allen. Aber sie kam nicht drum herum. James nahm ihre linke Hand in seine Rechte, legte seinen anderen Arm um ihre Hüfte, während ihre rechte Hand auf seiner Schulter ruhte. Sie hasste es, jede einzelne Sekunde. Sie hasste Walzer, sie hasste diese Musik und sie hasste Potter. Lily passte sich seinen Schritten an, ließ sich von ihm führen. Er tanzte nicht schlecht, ziemlich gut sogar. Meistens neigte Lily dazu, selbst zu führen, wenn ihr Partner nicht alles zu ihrer Zufriedenheit tat. Jetzt jedoch verspürte sie noch nicht einmal das Bedürfnis. Wahrscheinlich weil ihr der Tanz mit Potter eh egal war.

Die Musik wechselte zu Foxtrott. Blitzschnell passten die beiden Tanzenden ihre Schritte dem neuen Rhythmus an. Langsam ließ Lily sich fallen, begann den Tanz zu genießen. Waren ihr eigentlich jemals diese Augen aufgefallen? Haselnussbraun, funkelnd und voller… was war es? Bewunderung? Sie wusste es nicht. In dem Moment wusste Lily tatsächlich kaum noch etwas. Das einzige was sie noch realisierte war dieser Tanz und diese fesselnden Augen. Er hatte Augen, in denen frau sich verlieren konnte. STOPP! Was dachte sie da? Das hier war Potter, James Potter, ihr größter Feind, rangierte etwa auf einer Ebene wie Lucius Malfoy und etwas unter Voldemort. Und nur weil er ganz gut tanzte, hieß das nicht, dass sie direkt durchdrehen musste.

Wieder ein Wechseln, zu Salsa diesmal. Okay, nur weil sie mit Potter tanzte, musste das ja nicht heißen, dass sie hierbei nicht ihren Spaß haben sollte und dass sie es nicht schaffen würde, es ihnen zu zeigen. James wirbelte sie herum, zog sie dann plötzlich so nah zu sich, dass sich keine Luft mehr zwischen ihren Körpern befand, nur um sie Sekunde später wieder von sich zu stoßen. Lilys spürte, wie seine Hand in ihr Haar griff und es löste. Das Haarband warf er achtlos weg. Lily warf den Kopf zurück, raffte mit einer Hand kurz das Haar zusammen, zog sie dann zurück und ließ sich über Hals und Décolletée streichen, um im nächsten Moment in eine Drehung gewirbelt zu werden und keine zwei Sekunden später ihren Körper wieder an den von James zu pressen, eine Hand auf seiner Brust. Lily spürte, wie seine Hände über ihren ganzen Körper strichen und erlaubt ihren dasselbe bei ihm. Immer wieder streiften seine Lippen wie zufällig ihre Haut. Sie gab es nur ungern zu, aber es war nicht unangenehm. Er war warm, muskulös und roch gut. Nach Schokolade und nach Wald, nach Freiheit.

Als die Musik verstummte, brauchten beide einen Moment, um wieder in die Realität zu kommen. Lily selbst vergaß beim Tanzen schnell alles um sich herum und James schien es ähnlich zu gehen, denn er sah sich beinahe verwirrt um. Seine Verwirrung war allerdings nichts gegen die ihrer Mitschüler. Salsa konnten wohl die wenigsten und Lily wusste, dass der Tanz, den sie eben mit James, nein, mit Potter aufs Parkett gelegt hatte, schon ziemlich gewagt gewesen war. Sie klaubte ihr Haarband vom Boden und grinste ihnen ins Gesicht. Es hatte wirklich Spaß gemacht wie selten. Und vielleicht, ganz vielleicht war Potter doch nicht so schlimm, wie sie immer geglaubt hatte. „Wow, Evans, hätte ich dir nie zugetraut. Das war ja richtig sexy", grinste James und pfiff leise durch die Zähne. Er war wirklich nicht so schlimm, wie sie gedacht hatte, er war schlimmer.

„Nun", anscheinend hatte sich auch Dumbledore gefangen, „das war ja schon einmal eine, ähm... interessante Darbietung –" Mrs. Ladiba unterbrach ihn: „Beeindruckend würde ich eher sagen. Wirklich faszinierend." Lily lächelte sie an: „Danke. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich habe Kopfschmerzen und ich denke, mein Pensum ist für heute erfüllt. „Gehst du denn jetzt mit mir aus?", fragte James hinter ihr hoffnungsvoll. Lily drehte sich noch nicht einmal zu ihm um: „Nein. Ich werde jetzt hochgehen, mir von Madame Pomfrey etwas gegen Kopfschmerzen geben lassen und dann den anderen zugucken. Und die könntest in die Zeit nutzen um erwachsen zu werden." Im rausgehen hörte Lily Gewisper, welches sie ignorierte, lediglich ein Kommentar schrie nach ihrer Reaktion. „Was war das? Dirty Dancing?", fragte eine sechzehnjährige Hufflepuff ihre Freundin. Lily blieb bei ihr stehen, sah sie überlegen an und bemerkte: „Nein, das war Salsa." Mit einem nonchalanten Grinsen warf sie ihr Haar zurück und verschwand nach draußen.