Liebe Leonel : Vielen Dank für dein Review! Du ermunterst mich, diese Geschichte weiter zu posten. Das Schicksal von Fürst Imrahil wird sich so schnell noch nicht entscheiden. Abwarten und Tee trinken. lächel

§§§§§§

Kapitel 6: Das Blut der Numénorer

Lothiriel war völlig aufgelöst, als ihr Vater verwundet zu Bett gebracht wurde. Sofort wurde er von dem heilkundigen Mann, der auch vorhin Faramir versorgt hatte, untersucht.

„Ich kann dem Fürsten nicht helfen", sagte er kopfschüttelnd zu dem jungen Truchseß. „Man muß einen Heiler aus Minas Tirith herbeiholen, der sich mit so schweren Verletzungen auskennt. Ich bin hier mit meiner Macht am Ende".

Lothiriel brach weinend zusammen. Faramir nahm seine Cousine tröstend in die Arme. Er wusste jetzt, dass er hier nicht weiter helfen konnte und beschloß jetzt, sich schleunigst auf dem Weg zu machen, um Éowyn und Aragorn zu suchen.

Beregond stellte eine kleine Truppe zusammen, die mitreiten sollte.

Gerowyn suchte Faramir auf, der sich gerade bereitmachte. Er hatte seine alte Lederrüstung mit dem Gondorwappen, die er im Ringkrieg immer getragen hatte, angelegt. Auch Pfeil und Bogen lagen bereit.

„Was wollt Ihr, Gerowyn?", fragte Faramir überrascht, als Gerowyn nach zögerlichen Anklopfen in seine Gemächer trat.

„Wir Rohirrim möchten Euch begleiten, Fürst", sagte sie etwas verzagt.

„Gut, dann macht Euch bereit", sagte er erfreut.

„Das ist schon geschehen: wir erwarten Eueren Befehl", erwiderte Gerowyn.

Éomer war Hals über Kopf wieder in den Wald zurückgeritten. Schon bald musste der ungestüme, junge König feststellen, dass er sich nicht gut genug in Ithilien auskannte. Doch dies wollte er sich selbst nicht eingestehen. Er war wütend auf seinen Schwager, weil dieser nicht sofort mit ihm geritten war. War Éowyn ihm etwa nicht wichtig genug? Während Éomer weiterritt, steigerte er sich richtiggehend in seinen Zorn auf Faramir hinein.

Natürlich ist der Fürst von Dol Amroth etwas besseres als meine Schwester, dachte er grimmig. Das numénorische Blut ist eben kostbarer als das einer Éorlinga. Wir sind doch nur die Wilden aus dem Norden. Man sieht ja, wen Faramir bevorzugt.

In seiner Wut vergaß Éomer ganz, dass sich ja auch Aragorn bei Éowyn befand. Plötzlich merkte er, dass er völlig vom Weg abgekommen war. Er befand sich jetzt mitten im Wald und es gab ringsum keinen befestigten Pfad mehr. Fluchend stieg Éomer vom Pferd und suchte nach Spuren und dergleichen. Da er aber kein geübter Waldläufer war, fand er nirgendwo etwas. Enttäuscht ging er zu seinem Pferd zurück. Auf einmal sackte der belaubte Boden unter seinen Füßen ein und er fiel in eine tiefe Grube. Er war in eine Falle geraten!

Die Rohirrim sahen sich erstaunt an, als Faramir ihnen erklärte, dass sie zu Fuß in den Wald gehen würden.

„Mit Pferden werden wir von den Feinden zu schnell erkannt, außerdem müssen wir über unwegsames Gelände gehen, wo Pferde nur hinderlich sind".

Beregond grinste ein wenig, als er die wenig begeisterten Gesichter der Rohirrim sah. Gerowyn jedoch verzog keine Miene.

Die Abenddämmerung zog bereits herauf, als die etwa zwanzig Mann starke Suchtruppe den Wald erreichte.

Éowyn und Aragorn waren zunächst in der Höhle von Henneth Annûn gefesselt worden. Doch Teherin, der Anführer der Haradhrim, hatte keine Ruhe. Die Höhle war für ihn als Versteck nicht sicher genug. Er drängte zum Aufbruch.

„Wir bringen die Gefangenen in die Ruinen von Osgiliath – dort können wir sie gut verstecken. Und wir werden dort solange bleiben, bis sie die Suche nach den beiden aufgegeben haben".

Éowyn und Aragorn wurden unsanft aus der Höhle hinausgeführt. Das Tageslicht blendete sie.

„Was werden sie mit uns machen?", wisperte Éowyn dem König ängstlich zu.

„Auf jeden Fall wissen sie, dass wir ziemlich wertvolle Gefangene sind", erwiderte Aragorn leise. „Sie werden uns bestimmt am Leben lassen und Lösegeld verlangen oder ähnliches".

Teherin drehte sich um und lachte höhnisch. Er hatte sehr gute Ohren und Aragorns Worte gehört.

„Ich denke, dass der König von Gondor einiges wert ist", spottete er. „Aber dieses Rohirrim-Weib da.... Ist sie etwa Euere Mätresse, Elessar Telcontar?"

Éowyns Gesicht wurde rot vor Zorn und sie wandte sich mit erhobenem Haupt an Teherin:

„Ich bin die Fürstin von Ithilien, die Frau von Truchseß Faramir. Niemand wagt es mich derart zu beschimpfen!"

Diese kecke Rede brachte ihr ein paar kräftige Ohrfeigen von einem der Haradhrim-Soldaten ein. Aragorn sprang dazwischen, um dies zu verhindern, aber einige Männer stießen ihn sofort zur Seite. Durch die Fesseln konnte er sich nicht so gut bewegen wie sonst, daher prallte er hart auf den Felsboden und verletzte sich an der Schulter. Mit einem unterdrücktem Schmerzlaut erhob er sich wieder.

„Was ist mit deiner Schulter?", fragte Éowyn erschrocken.

„Es geht schon", presste Aragorn zwischen den Zähnen hervor.

Faramir und seine Begleiter liefen die ganze Nacht durch die Wälder. Im Morgengrauen erreichten sie Henneth Annûn.

„Dort haben wir Frau Éowyn und den König zuletzt gesehen", erklärte Beregond und deutete auf den Höhleneingang. „Dann kamen die Haradhrim...."

Er wagte nicht weiter zu reden, da Faramir ganz blaß vor Sorge geworden war. Vorsichtig pirschte sich der Fürst zusammen mit einigen Waldläufern bis zum Höhleneingang vor. Gerowyn und ihre Rohirrim suchten derweil die Gegend rings um die Höhle nach Feinden ab.

Faramir merkte schnell, dass die Höhle leer war. Seine Waldläufer entdeckten jedoch Spuren der Haradhrim: Essensreste und Weinflecke deuteten darauf hin, dass die Feinde bis vor kurzem in der Höhle gewesen sein mussten.

„Sie haben meine Frau und Aragorn anscheinend als Gefangene mitgenommen", mutmaßte Faramir. „Aber weit können sie nicht sein".

Die Haradhrim hinterließen kaum Spuren bei ihrer Wanderung nach Osgiliath. Sie liefen extra durch Bäche oder über felsiges Gelände. Aragorn gelang es trotz seiner Fesseln, ein paar Fetzen von seiner Tunika abzureißen und unbemerkt fallen zu lassen. Éowyn versuchte es ihm gleich zu tun, doch sie schaffte es nicht, von ihrem Kleid etwas abzureißen.

Als sie weit genug von Henneth Annûn entfernt waren, schlugen die Haradhrim ein Lager auf und machten sogar ein kleines Feuer. Sie fesselten ihre Gefangenen an Bäume. Schon bald stieg Éowyn und Aragorn der Geruch von gebratenem Fleisch in die Nase und beide merkten, dass sie seit vielen Stunden nichts mehr gegessen hatten. Außerdem quälte sie ein entsetzlicher Durst. Éowyns Lippen waren schon aufgesprungen und ihre Zunge klebte schwer am Daumen. Schließlich bat sie ihre Bewacher um einen Schluck Wasser. Es war zwar furchtbar demütigend, aber sie brauchte etwas zu trinken – für sich und für das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug.

Böse grinsend kam einer der Haradhrim auf sie mit einem ledernen Wasserbeutel zu.

„Du hast Durst, Éorlinga? Dann trink, wenn du kannst!"

Er schüttete den Wasserbeutel über Éowyns Kopf, so dass sie völlig durchnässt wurde. Gierig versuchte sie noch einige Wassertropfen, die ihre Lippen benetzt hatten abzulecken. Als Aragorn das sah, versuchte er sich mit einem Wutgebrüll von seinen Fesseln loszureißen. Doch einer der Bewacher verpasste ihm einen groben Boxhieb in die Magengegend. Aragorn unterdrückte nur mühsam einen Aufschrei.

Gerowyn beobachtete mit Staunen, wie gut sich Faramir und seine ehemaligen Waldläufer in der unwegsamen Wildnis auskannten. Sie merkte immer mehr, wie sehr sie doch den jungen Truchseß unterschätzt hatte. Er ließ sich äußerlich kaum die Sorge um seine Frau anmerken. Besonnen und ruhig führte er den Suchtrupp durch die Wälder.

„Sie haben kaum Spuren hinterlassen, Herr Faramir", bemerkte Beregond stirnerunzelnd. „Wir kommen nicht weiter. Wahrscheinlich bringen die Haradhrim die beiden in ihre Heimat".

Aber Faramir wollte so schnell nicht aufgeben.

„Wenn sie Lösegeld für meine Frau und den König haben wollen, dann wäre es unklug, die Gefangenen so weit fortzubringen", erwiderte er nachdenklich.

Plötzlich sah er im Gebüsch ein Stück Samt hängen.

„Das stammt von Aragorns Tunika – dieselbe Farbe, derselbe Stoff!", rief er aufgeregt. „Wir sind also doch auf der richtigen Fährte. Rasch, weiter!"

Die Haradhrim hatten sich nur wenige Stunden Rast gegönnt. Sie wollten so schnell wie möglich nach Osgiliath gelangen. Schon bald tauchten vor ihnen die Ruinen der einst so prachtvollen Hauptstadt Gondors auf. Éowyn war fast am Ende ihrer Kräfte. Sie konnte sich nur noch mühsam auf den Beinen halten. Sie spürte, dass sie sich eine Erkältung durch das kalte Wasser zugezogen hatte. Immer wieder musste sie nießen. Die Haradhrim führten ihre Gefangenen in ein unterirdisches Gewölbe, das halb eingestürzt war. Aragorn vermutete, dass dies der ehemalige Kerker von Osgiliath war. Eine Zelle war noch intakt: dort wurden die beiden hineingesperrt. Teherin selbst schob den hölzernen Riegel vor die Tür und lachte grimmig.

„Hier wird euch niemand finden!"