Kapitel 4
Begegnungen im Schatten und Licht
Ron keuchte. Sein Atem überschlug sich und das Herz hämmerte ihm in seinen Ohren wie tausende rhythmische Trommeln. Sein Kopf lehnte immer noch an der angenehm kalten Wand, als er plötzlich eine sanfte Stimme hörte.
"Sie haben etwas verloren..."
Jemand war aus dem Schatten getreten. Ron richtete sich auf und wandte sich um. Eine Frau mit einem Gesicht, das ganz und gar runzelig war, schaute ihn aus freundlichen, blauen Augen an. Sie streckte ihm die rote Rose entgegen.
"Ja. Ja, ich habe wirklich etwas verloren..." sagte Ron, tief in Gedanken versunken. Er bemerkte die Rose nicht einmal.
Die Frau trat näher. Eine Ausdruck unerschöpflicher Weisheit und Güte ging von ihr aus. Sie lächelte traurig und streichelte ihm über die Wange.
Er schloß die Augen.
"Sie liebten sie, nicht wahr?" sagte sie leise.
Er öffnete die Augen wieder und blickte sie an.
Er sah, wie sich sein Schmerz in ihren Augen widerspiegelte.
"Ja. Aber... ich habe nie den Mut gehabt, es ihr zu sagen."
Die Frau nickte mitfühlend.
"Ich war so ein Idiot.", sagte er und senkte wieder den Blick, "Und jetzt - jetzt ist es zu spät."
"Für einige Dinge ist es nie zu spät..." erwiderte die Frau, und in ihren Augen war nun ein seltsames Leuchten.
"Doch. Sie ist weg. Für immer fort..." sagte er, und er merkte überrascht, dass ihm Tränen über das Gesicht liefen. Doch er schämte sich ihrer nicht, und das verblüffte ihn um so mehr. Er hatte es bisher kaum ausgehalten, länger als ein paar Minuten in Anwesenheit anderer Menschen zu verbringen; er konnte ihr Gerede nicht ertragen, die albernen Mitleidsbekundungen und Trauerfloskeln machten ihn aggressiv.
Aber jetzt- jetzt fühlte er sich sonderbar...geborgen und sicher. "Sie ist tot." sagte er schließlich heiser, und seine eigenen Worte dröhnten ihm im Kopf.
Er hatte es gesagt.
"Wissen sie," erwiderte die Frau, und legte sanft eine schmale Hand auf seinen Brustkorb, " ein kluger Mensch hat einmal gesagt...'Die Seelen ", sie tippte ihm aufs Herz, "sind frei vom Tod.' "
Ron blinzelte verwirrt.
Die Frau lächelte ihn nochmal zwinkernd an und verschwand dann geräuschlos in ebendemselben Schatten, aus dem sie vorhin so urplötzlich aufgetaucht war.
"Warten sie!" rief Ron und lief ins Dunkle hinein.
"Was meinen sie dam-..?"
Er sah sich um. In der düsteren Gasse war außer ihm keine Menschenseele zu sehen. Das einzige, was es dort gab, war Stille.
Ron seufzte und kramte in seiner Tasche nach seinem Zauberstab. Einen Moment später war er Zuhause.
Harry war noch nicht da. Entweder war die Beerdigung noch nicht zuende, oder er war mal wieder im Fuchsbau bei Ginny. In letzter Zeit schien Harry seiner Familie näher zu sein als er selber, dachte Ron bitter.
Er setzte sich auf die Couch und vergrub das Gesicht in den Händen. Dieser Tag war einfach zu viel gewesen. Als er wieder aufsah, fiel sein Blick auf Hermines Zimmertür.
Er hatte das Gefühl, die Tür starre ihn an. Als wollte sie ihn herausfordern, hineinzugehen. Er war nicht mehr in ihrem Zimmer gewesen seit...dem Tag.
Ron versuchte sich abzulenken, seinen erschöpften Verstand irgendeine andere Beschäftigung zu geben , damit seine Gedanken nicht wie verrückt immer nur um sie kreisten.
Doch er schaffte es nicht.
Es war ein Kampf.
Er gegen die Tür.
Sie schien immer größer zu werden, immer näher zu kommen...
Er atmete tief durch und zwang sich mit einem Ruck, aufzustehen. Er würde die Herausforderung annehmen.
Mit wackeligen Beinen schritt er auf die Tür zu. Seine Hand zitterte, als er sie auf den Messingknauf legte. Er drehte langsam daran und die Tür öffnete sich mit einem leisen Quietschen...
Er wußte nicht, was er eigentlich genau erwartet hatte. Das Zimmer sah genauso aus, wie als er es das letzte Mal betreten hatte. Zwei Regale, vollgestopft mit allen möglichen Büchern, alten und neuen, kleinen und großen, schmalen Bändchen und riesigen Wälzern, standen an je einer Wand, in der Mitte des Raumes war ihr Bett.
In der Luft hing immer noch ein sanfter Hauch ihres Parfüms.
Ron fühlte plötzlich, wie müde er eigentlich war. Er hatte lange nicht mehr richtig geschlafen, denn er hatte Angst. Jedesmal, wenn er die Augen schloss, träumte er wieder davon.
Der Nebel, die Trümmer...Hermine, wie sie vor der weißen Säule liegt...ihre Augen... so leer...so leblos...
Seine Lider fühlten sich so schwer an wie Blei. Er nahm ein paar Schritte, und sein Blick verschleierte sich langsam...
Er merkte kaum, wie er gegen ein Regal stieß und ein dickes Buch in einem abgewetzten, dunkelroten Ledereinband herausfiel und mit einem dumpfen Schlag auf dem Teppichboden landete.
Er war so müde...
Ron fiel auf das weiche Bett und schlief sofort ein.
Er lief durch eine weite, grüne Wiese, das Gras war kniehoch und die taunassen Halme kitzelten an seinen Füßen.
Er fühlte sich leicht an, so leicht, als würde er gleich abheben...Er lachte und breitete seine Arme ganz weit aus...er wollte am liebsten fliegen...
Aus der Ferne erklang fröhliches Kinderlachen...
Plötzlich fand er sich in einem langen, lichtdurchfluteten Raum wieder. Der Boden bestand aus tausenden kleinen Opalen, in denen sich das Sonnenlicht einfing und die verschiedensten Farben erschuf, die an den Wänden schillernd reflektiert wurden. Durch breite, geöffnete Flügelfenster blickte er auf einen leuchtend blauen Himmel.
Plötzlich öffnete sich das Portal am anderen Ende des Raumes. Strahlendes Licht fiel von draußen herein, und er beobachtete, wie sich die Konturen eines Menschen davor abzeichneten.
Er bewegte sich nicht.
Die Lichtgestalt kam immer näher, er konnte erkennen, dass es eine Frau war...
Ein Gedanke ging ihm durch den Kopf, aber er traute sich nicht, ihm zu glauben.
Nun trat sie endlich an ihn heran, und das gleißende Licht vermilderte sich zu einem Schimmer, der nicht mehr länger ihr Gesicht verbarg.
Es war Hermine.
Ron starrte sie ungläubig an. Er glaubte nicht, was er da sah.
Sie war ganz in Licht getaucht, aber er erkannte sie klar und deutlich.
"Hermine..." sagte Ron schwach.
Sie lächelte, doch in ihren Augen war etwas Dunkles, Verborgenes, als hütete sie ein Geheimnis, das auf ihrem Herzen lastete.
"Ich komme, um dir etwas zu sagen." sagte sie, und ihre Stimme klang traurig.
"Ich... - du -- " fing Ron an, aber er war nicht in der Lage, einen klaren Satz zu formulieren.
"Du darfst nicht wegen mir alles aufs Spiel setzen...Es ist zu gefährlich..." sagte sie eindringlich.
Ron blickte sie verwirrt an. Wovon sprach sie?
In ihren Augen bildeten sich Tränen, und ein einziger silbriger Tropfen rann ihre Wange hinunter.
"Bitte, tu es nicht...nicht für mich. Ich bin hier an einem glücklicheren Ort...es gibt keinen Weg zurück..."
"Du siehst aber nicht glücklich aus..." erwiderte Ron und strich ihr sanft über die Wange.
Sie senkte den Blick und schwieg einen Moment, doch dann blickte sie wieder auf und sah ihn an, mit Augen, die ihn anzuflehen schienen.
"Vergiss mich, Ron." flüsterte sie leise, kaum merklich, "Vergiss mich, und leb dein Leben weiter. Ohne mich."
Sie schloß die Augen und ihre Erscheinung wurde immer blasser und blasser...Sie verschwand langsam...
Ron wachte abrupt auf und atmete schwer.
War das eben ein Traum gewesen? Nur ein Traum?
Es war so real...
In seinem Kopf drehte sich alles. Er fühlte, wie seine Lider wieder schwer wurden, und er lehnte sich erneut zurück, um in einen tiefen, traumlosen Schlaf zu fallen.
Er bemerkte nicht, dass das Buch, welches er vorhin so achtlos runtergeworfen hatte, nun aufgeschlagen war, und die Seiten jetzt in einem merkwürdigen, goldenen Schimmer leuchteten...
Eifrige, unsichtbare Hände hatten, während er geschlafen hatte, die Seiten durchgeblättert, als ob sie nach etwas gesucht hätten, und verborgene Fingerabdrücke hinterließen ihre Spuren auf dem vergilbten Pergament.
Ganz oben auf der aufgeschlagenen Seite, in schwungvollen goldenen und blutroten Lettern kunstvoll geschrieben und mit merkwürdigen Zeichnungen verziert, stand die Überschrift:
DIE LEGENDE VON DER UNENDLICHEN SEELE
A/N: ooh, ein gemeiner cliffy, ich weiß....ich erlebe gerade etwas sehr Merkwürdiges: das genaue Gegenteil zu einer Schreibblockade, einen Schreib -"Overkill" - Hilfe!!!! Naja, wenigstens beginnt sich jetzt der Plot zu formen...vorher hatte ich nur immer so eine Grundidee zu der Geschichte...lässt mich irgendwie nicht mehr los...also, hoffentlich gefällts!
PS: viele Reviews = glückliche Schokofröschin = mehr Lesestoff! Logisch, oder ;-)
PPS: Der "kluge Mensch", den die Frau zitiert, ist übrigens Ovid :-)
