Liebe Leonel: Vielen Dank für dein Review! Ja, ich finde auch, dass Faramir einen Menschen verdient hat, der ihn bedingungslos liebt.
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Kapitel 3: Entdeckung
Die nächsten Tage bekam Faramir Melian kaum zu Gesicht. Er hatte fast das Gefühl, dass sie sich vor ihm versteckte. Er machte lange Spaziergänge am Meer und genoß die laue Frühlingsluft. Sein Husten war so gut wie weg, seit er in Dol Amroth war. Außerdem fühlte er sich im Schloß seines Onkels so wohl wie noch nie zuvor . Das einzige, was ihm fehlte, war Boromir. Zu seinem eigenen Schrecken musste er feststellen, dass er seinen Vater überhaupt nicht vermisste. Im Gegenteil, ihm graute es sogar davor, eines Tages wieder nach Minas Tirith zurückkehren und die Lieblosigkeit Denethors ertragen zu müssen. Aber noch lagen lange Monate der Erholung vor Faramir.
Fürst Imrahil betrachtete mit Freude, wie sein geliebter Neffe in seinem Schloß regelrecht aufblühte. Eines Abends betrat er Faramirs Gemächer, um ihn zu fragen, ob er Lust habe, an einer Jagdgesellschaft in den nächsten Tagen teilzunehmen. Faramir war gerade dabei, ein frisches Hemd anzulegen. Mit Erschrecken betrachtete Imrahil die verblassenden Narben auf Faramirs Rücken. Schnell drehte sich der junge Mann zu ihm um und zog das Hemd über den Kopf.
„Faramir, zeig' mir noch mal deinen Rücken", bat Imrahil schockiert.
Der Siebzehnjährige zögerte, doch dann gehorchte er seinem Onkel. Er drehte sich um und zog das Hemd ein Stück nach oben. Vorsichtig fuhr der Fürst über die tiefen, streifenartigen Narben.
„Wer hat das getan?", fragte er leise.
„Ich möchte nicht darüber reden", sagte Faramir, der seinen Vater nicht verraten wollte.
Doch Imrahil sah Faramir in die Augen und wusste Bescheid.
„Ich verstehe nicht, warum dich Denethor so hasst", meinte Imrahil kopfschüttelnd. „Du bist so ein liebenswerter und kluger Junge."
Faramir liefen plötzlich die Tränen an den Wangen herab.
„Ich kann es meinem Vater einfach nicht recht machen, egal was ich tue. Immer ist es falsch oder ungenügend".
Imrahil nahm seinen Neffen tröstend in die Arme.
„Und Boromir macht alles richtig, oder? Er ist bestimmt der Liebling deines Vaters. Du müsstest deinen Bruder eigentlich hassen".
„Nein, ich liebe ihn über alles", stieß Faramir heiser hervor. „Und er liebt mich. Er schützt mich, wo er kann, vor dem Haß unseres Vaters. Er lügt sogar für mich".
„Ich wünschte, ich könnte dich hierbehalten in Dol Amroth", seufzte der Fürst traurig. „Ich behandele alle meine Kinder gleich, und ich würde dich wie einen Sohn in meine Familie aufnehmen. Aber ich weiß, dass Denethor dies nicht erlauben würde. Auch er hasst mich, mein Junge".
„Aber warum denn?", fragte Faramir verwirrt. „Du bist doch der Bruder meiner Mutter. Und Vater liebte Mutter doch über alles".
Imrahil seufzte wieder.
„Ich weiß nicht, ob dein Vater Finduilas richtig geliebt hat. Vielleicht war es mehr der Besitzerstolz. Ich habe meine Schwester davor gewarnt, den Truchseß zu heiraten. Doch sie liebte Denethor abgöttisch und wollte seine Fehler nicht sehen. Ich glaube, die Ehe mit ihm war für sie die Hölle. Wenn sie euch beide, Boromir und dich, nicht gehabt hätte, wäre sie bereits viel früher an ihrem Gram gestorben. Sie ist in Minas Tirith dahingewelkt wie eine Blume, die man von der Wiese geschnitten und auf einen Felsen gelegt hat".
Faramir schwieg betroffen. Imrahil versuchte zu lächeln.
„Ich denke, wir sollten hinunter in die Halle gehen. Die anderen warten sicher schon mit dem Nachtmahl auf uns".
Er legte seinen Arm väterlich um Faramirs Schultern und geleitete ihn zum Nachtmahl. An diesem Abend war auch endlich mal wieder Melian zugegen. Faramir lächelte sie an.
„Wo bist du gewesen?", fragte er leise über den Tisch hinweg.
„Lothiriel war sehr krank in den letzten Tagen", erzählte Melian im Flüsterton. „Ich bin kaum von ihrem Bettchen gewichen".
Faramir atmete auf: also war ihm Melian nicht absichtlich aus dem Weg gegangen. Immer wieder trafen sich ihre Blicke während des Essens.
Nach dem Essen nahm Faramir das Mädchen kurz beiseite.
„Treffen wir uns später im Garten, wenn Lothiriel schläft?"
Melian nickte strahlend und huschte schnell mit der Kleinen davon.
„Was hast du denn ständig mit Melian zu tuscheln?", fragte Elphir seinen Cousin grinsend.
„Bist du in sie verliebt?", wollte Erchirion wissen.
„Ihr seid neugierig wie die alten Waschweiber von Minas Tirith", spottete Faramir. „Kümmert euch um euere eigenen Angelegenheiten".
Empört liefen die beiden Brüder Faramir hinterher, der lachend davonrannte.
Der Mond war gerade aufgegangen, als Melian den Schlossgarten betrat. Faramir hielt sich schon länger dort auf. Er saß auf der Holzbank und wartete auf Melian.
„ Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat", sagte sie verlegen. „Lothiriel schlief nicht so schnell ein, wie ich dachte".
„Das macht doch nichts", erwiderte Faramir lächelnd. „Hauptsache, du bist jetzt da".
Er ergriff wieder ihre Hand.
„Erzählst du mir wieder von Gondor?", bat sie leise.
Faramir tat das mit Begeisterung. Er erzählte zunächst wieder von Minas Tirith, doch dann schweifte er ab und berichtete von Ithilien mit seinen schönen Wäldern und Hügeln.
„Ich möchte auch einmal Minas Tirith und Ithilien kennenlernen", seufzte Melian bedauernd.
„Aber hier am Meer ist es doch auch schön", sagte Faramir tröstend. „Wo leben eigentlich deine Eltern?"
„Meine Eltern sind schon lange tot", erwiderte Melian plötzlich ungehalten.
Sie stand auf, um zu gehen. Doch Faramir hielt sie am Arm fest.
„Es tut mir leid, dass ich dich das gefragt habe", sagte er erschrocken. „Ich war wohl zu neugierig".
Melian musste lächeln und setzte sich langsam wieder.
„Du kannst es ja nicht wissen".
Faramir ergriff wieder ihre Hand und begann sie streicheln. Vorsichtig rückte er näher zu ihr. Dann berührte sein Mund Melians Wange. Das Mädchen fühlte, wie es in ihrem Bauch zu kribbeln begann. Ihre Münder trafen sich zu einem vorsichtigen Kuß. Erschrocken wichen die beiden jungen Leute wieder zurück und sahen sich an. Jeder hatte Angst, dass der andere aufstehen und fortgehen würde.
„Melian, ich mag dich", sagte Faramir leise.
