Liebe Leonel! So, nun geht es weiter mit Minas Tirith. Vielen Dank für dein liebes Review!

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Kapitel 8: Minas Tirith

Am Abend des zweiten Tages erreichten die Brüder Minas Tirith. Boromir hatte unterwegs auf Faramir eingeredet wie auf eine kranke Kuh. Doch der junge Mann blieb stur. Er wollte Melian unbedingt heiraten und es seinem Vater sagen. Boromir warnte ihn umsonst vor dem Zorn Denethors.

Der Truchseß saß im Thronsaal beim Nachtmahl, als die Brüder eintraten. Er hob lächelnd den Kopf. Faramir machte einen gesunden und starken Eindruck auf ihn. Sein Gesicht war voll und nicht hohlwangig wie zuletzt im Winter. Außerdem schien er ein Stück gewachsen zu sein und er wirkte jetzt sogar größer als Boromir. Denethor erhob sich und ging auf seine beiden Söhne zu. Zuerst umarmte er natürlich Boromir, doch dann schloß er auch Faramir kurz in die Arme.

„Ich freue mich, dich so gesund und munter wiederzusehen, Sohn", flüsterte er.

Faramir merkte erst jetzt, dass er seinen Vater auch irgendwie vermisst hatte und die Tränen traten ihm in die Augen.

„Kommt her an meinem Tisch und esst! Ihr müsst hungrig sein", sagte Denethor gutgelaunt.

Während Boromir kräftig zulangte, brachte Faramir fast keinen Bissen hinunter. Er musste unbedingt mit seinem Vater wegen Melian reden. Dies wollte er nach dem Essen tun. Denethor plauderte unentwegt: statt Faramir über seinen Aufenthalt in Dol Amroth zu befragen, redete er nur über die Politik in Minas Tirith. Faramir hörte nur halbherzig zu: ihn interessierte es herzlich wenig, dass sein Vater einen bestimmten Berater entlassen hatte und dass er König Theoden aus Rohan zu Besuch erwartete. In seinen Gedanken gab es nur Melian.

Als die Speisen wieder abgetragen wurden, wünschte Denethor seinen beiden Söhnen eine gute Nacht.

„Ach, Faramir, mit dir muß ich noch etwas besprechen", sagte er im Fortgehen. „Komm doch bitte gleich in meine Amtsstube".

„Das trifft sich gut, Vater", erwiderte Faramir aufgeregt. „Ich muß auch mit dir etwas besprechen".

Denethor sah ihn finster an. Faramirs Antwort hörte sich recht aufmüpfig an. Wahrscheinlich hatte der Junge in Dol Amroth nur Unfug bei seinem Schwager gelernt. Aber diesen Unfug würde er dem Jungen schon austreiben – wenn es sein musste, mit der Peitsche.

Faramir wartete, bis sein Vater den Thronsaal verlassen hatte. Boromir nahm sich seinen Bruder noch einmal zur Brust.

„Ich bitte dich, Faramir, sag' ihm nichts Melian. Es wird dein Unglück sein, wenn du Vater von deinen Hochzeitsplänen erzählst".

„Ich kann und will ohne Melian nicht mehr leben", erwiderte Faramir tonlos. „Dann soll er mich eben totprügeln. Es ist mir gleich".

„Faramir, bitte!" Boromir flehte seinen Bruder regelrecht an. „Auch ich war schon mal verliebt. Aber wir sinde beide dazu bestimmt, einmal das Heer Gondors zu führen. Gondor geht immer vor. Merk dir das, kleiner Bruder!"

„Ich wollte noch nie ein Krieger sein", presste Faramir hervor. „Ich empfinde es als Fluch, das uns dies auferlegt ist".

Er machte sich von Boromirs Griff los und suchte die Amtsstube seines Vaters auf.

Denethor saß mit düsterer Miene an seinem Schreibpult und erwartete Faramir bereits. Der junge Mann klopfte an und trat ein. Er musste erst einmal schlucken, als er die Reitpeitsche griffbereit auf Denethors Pult liegen sah. Es war lange her, seit er sie zum letzten Mal gespürt hatte.

„Du hast ein Anliegen an mich?", fragte der Truchseß mit schneidender Stimme. „Was ist denn so wichtig, dass du gleich am Abend deiner Ankunft mich damit behelligen willst?"

„Ich möchte heiraten, Vater", sagte Faramir tapfer.

Denethor hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Doch er gewann schnell seine Fassung wieder.

„So, wer ist denn die Glückliche? Eine edle Dame aus Dol Amroth, nehme ich an", sagte er nicht ohne Spott in der Stimme. „Allerdings will mir auf Anhieb kein ehrbares Adelsgeschlecht in dieser Gegend einfallen".

„Melian ist nicht adelig", erwiderte Faramir kühn. „Sie ist das Kindermädchen von Onkel Imrahil und ich liebe sie".

Denethor sprang zornig auf.

„Bist du nun völlig töricht geworden? Selbst wenn es eine hohe Dame wäre, würde ich dich nie und nimmer heiraten lassen. Du stehst noch mitten in deiner Ausbildung. Schlag dir das Mädchen aus dem Kopf! Ein für allemal!"

„Das kann ich nicht!", erwiderte Faramir ruhig.

Denethor rannte um das Schreibpult herum und packte Faramir an der Kehle. Der junge Mann rang nach Luft.

„Du bist so stur wie ein Maulesel! Kaum bist du hier, schon geht der Ärger wieder los. Am liebsten würde ich dich auf der Stelle erwürgen. Dann wäre eine gewaltige Last von meiner Seele genommen".

Er drückte fester zu und Faramir schwanden schon fast die Sinne. Denethor war ein kräftiger Mann. Es war Faramir unmöglich, sich aus seinem Griff zu befreien.

In diesem Moment stürmte Boromir, dem schon Böses geschwant hatte, zur Tür herein.

„Nein, Vater!", schrie er entsetzt. „Du bringst ihn ja um!"

Denethor ließ Faramir los und der junge Mann taumelte nach Atem ringend gegen die Wand.

„Es scheint so, als habt ihr euch alle beide wieder mal gegen mich verschworen", sprach der Truchseß kühl. „Faramir wird ab morgen unter Nimronds Kommando nach Ithilien gehen zu den Waldläufern und dort bis Jahresende bleiben. Vielleicht hat er bis dahin diese Schlampe aus Dol Amroth vergessen".

Boromir erstarrte, als er das hörte.

„Das kannst du nicht tun, Vater. In den Wäldern Ithiliens wimmelt es nur so von Orks. Das ist das reinste Selbstmordkommando. Faramir hat noch keinerlei Erfahrung im Nahkampf."

„Dann wird er es dort eben lernen", erwiderte Denethor zornig. „Der Krieg ist der beste Lehrmeister für junge Rekruten."

Faramir sagte nichts dazu. Er lehnte an der Wand und hielt seine Hände an den schmerzenden Hals gepresst. Die Würgemale würden ihm einige Zeit bleiben.

Denethor wandte sich wieder an ihm:

„Du wirst dich morgen früh bei Sonnenaufgang in der Waldläuferkaserne melden. Nimrond weiß schon Bescheid".

Dann schickte er seine Söhne aus dem Raum.

„Ich hab's dir gesagt", zischte Boromir seinem Bruder leise zu. „Das war hirnrissig, was du da gemacht hast. Ithilien ist die gefährlichste Gegend von ganz Gondor. Ich frage mich, wie du da am Leben bleiben willst".

„Ich werde zurück nach Dol Amroth reiten und mit Melian ganz weit weg fortgehen", begehrte Faramir zornig auf.

Boromir zog ihn in seine privaten Gemächer und schloß die Tür hinter ihm zu. Dann schüttelte er Faramir an den Schultern.

„Rede keinen Unsinn, Bruder!", sagte Boromir erschrocken. „Wenn du das Kommando, dem du unterstellt bist, ohne Erlaubnis verlässt, dann bist du vogelfrei. Jedermann in Gondor hätte dann das Recht und auch die Pflicht, dich zu töten. Selbst ich müsste dich dann töten".

Plötzlich traten Tränen in Boromirs Augen.

„Du kennst doch die Gesetze dieses Landes, unseres Vaters", flüsterte er.

Faramir sah ihn traurig an. Er begriff jetzt, dass er mit Melian niemals glücklich werden konnte. Dafür musste er Boromir, Gondor und schließlich seinen Vater ein für alle Mal aufgeben – und das konnte er nicht.

„Du hast recht, Boromir", stieß er schließlich mühsam hervor.

Dann brach er in Tränen aus. Boromir hielt ihn lange in seinen Armen. Als er sich einigermaßen beruhigt hatte, wünschte er ihm eine gute Nacht.

Faramir setzte sich an sein Schreibpult und begann einen Abschiedsbrief an Melian zu schreiben. Während er schrieb, kam ein Diener herein und brachte ihm eine nagelneue Waldläufer-Rüstung aus Leder. Der Weiße Baum war auf der Brustplatte kunstvoll in silber eingearbeitet. Faramir strich seufzend über die Rüstung. Er ahnte nicht, dass er sie viele Jahre tragen würde.