Chapter Two : Bring Me To Life
Wie lange saß sie schon hier? Hope wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Ihre Energie war verbraucht und doch gönnte sie ihrem Köper nicht die Erholung, die er immer heftiger von ihr forderte.
Nach der Ankunft in ihrem Haus hatte sie Remus ins Schlafzimmer levitiert. Sie hatte ihn auf das Bett gelegt und ihm die Tränke eingeflößt. Von Stärkungstränken, über Heilsalben, bis hin zu einem Trank, der den, der ihn einnimmt, den Lebenswillen der Person stärken soll, der aber noch nicht ausgereift war, war alles dabei gewesen, was Remus auch nur im Entferntesten helfen konnte.
Mittlerweile wünschte sie sich zu diesen Stunden zurück. Zurück zu der Zeit, wo sie nicht denken, sondern handeln musste, wo sie eine Aufgabe hatte, als sie ihre Gefühle, Sorgen und Ängste einfach beiseite schieben konnte, weil er sie brauchte. Diese Zeit war vorbei. Sie konnte jetzt nur noch warten und hoffen. Sie hatte alles getan, was sie alleine tun konnte und Hilfe zu holen, wagte sie nicht. Zu leicht könnte eine Eule abgefangen werden, zu einfach war es, das Flohnetzwerk zu belauschen und wenn irgendjemand herausfinden würde, dass sie einen Werwolf versteckte und versuchte ihn zu retten, wäre alles vorbei. Er hatte den Jäger aus Notwehr getötet, aber das würde keinen interessieren. Er war in ihren Augen die Bestie, das Monster, nur weil sie nicht sehen, was er sein kann, sondern nur den Werwolf in ihm.
Wie viele Tränen sie schon vergossen hatte, wusste sie nicht, aber der stetige Strom war, da sie einmal angefangen hatte zu weinen, nicht mehr zu stoppen gewesen. Genauso wie ihre Gedanken, die aus der dunklen Ecke in ihrem Unterbewusstsein, wo sie sie hingeschoben hatte, wieder in ihren Geist drängten.
„"
How can you see into my eyes
Like open doors
Leading you down into my core
Where I become so numb
Without a soul
My spirit sleeping somewhere cold
Until you find it there
And lead it back home
„"
Wäre Remus nicht näher am Tod, als am Leben und wäre er bei Bewusstsein gewesen, hätte er gesehen, wie sich hinter ihren müden, glasigen Augen die Pforten öffneten, als sie in ihren Gedanken, Sorgen und Ängsten versank, die sie mit aller Kraft, die sie noch aufbringen konnte, versucht hatte, geschlossen zu halten. Doch diese Kraft erlosch mit jeder Minute, die sie ihn da liegen sah. Sie kam sich so hilflos vor.
Immer und immer wieder durchlebte sie die schrecklichen Sekunden, in denen Remus wie in Zeitlupe fiel. Hörte immer wieder die Schüsse, die in der Stille der Nacht so fremdartig klangen. In ihrem Innern zuckte sie bei jedem Schuss zusammen und weinte heftiger, wenn das möglich war. Die Tränen taten ihr gut, aber richtig trauern konnte und wollte sie nicht. Ihr Innerstes war taub und von der Außenwelt abgeschnitten. Es war, als würde sie in zwei Welten existieren. Die Eine war die, in der sie stark sein musste und es auch verzweifelt versuchte, obwohl es ihr nicht wirklich gelang. Die Andere war ihre eigene Welt. Die Welt, die in einer sich ständig wiederholenden Zeitschleife gefangen war, wo sie Remus immer wieder fallen sah und sie wünschte sich, es würde weder die eine noch die andere Welt geben.
Sie wünschte sich eine Welt, in der ihrer Seele kein Leid zugefügt werden konnte. Aber diese Welt existierte für sie nicht. Und ihre Seele, die war mit der von Remus verbunden. Würde er sterben, würde er auch ihre Seele mit sich reißen. Sie hatte sich schon in eine dunkle, nicht erreichbare, kalte Ecke ihres Körpers zurückgezogen und ruhte dort, ungestört und unerreichbar.
Hope wusste, dass sie dort verweilen würde, bis Remus sie finden würde, bis er zu ihr zurückkehren würde und ihre Seele sich aus ihrem Versteck trauen konnte, um von ihm wieder an ihren angestammten Platz geführt zu werden. Aber dafür musste Remus überleben. Er musste es einfach oder sie würde mit ihm gehen.
„"
Wake me up
Wake me up inside
I can't wake up
Wake me up inside
Save me
Call my name and save me from the dark
Wake me up
Bid my blood to run
I can't wake up
Before I come undone
Save me
Save me from the nothing I've become
„"
Aber es gab noch eine Welt. Eine Welt, die von Hope unentdeckt existierte. Die Welt, in der sich ihre beiden Seelen trafen. Dort, wo sie zusammen waren und doch getrennt.
An dem Ort, wo Remus darum kämpfte, nicht in den Abgrund zu stürzen, bevor sie ihn wieder erweckte, wo er darum flehte, zu erwachen und es dennoch nicht tat.
Dort, wo er darauf vertraute, dass sie ihn retten würde, so wie sie hoffte, dass er sie rettete. Sie waren nun mal untrennbar aneinander gekettet. Unfähig und nicht willens, sich von einander zu lösen, würden sie jeweils das Schicksal des Anderen bedingungslos teilen.
Sie betete dafür, dass er endlich ihre flehenden Rufe nach ihm erhören wurde. Hoffte, dass er nicht schon die Grenze überschritten hatte.
Sie brauchte ihn doch. Wie sollte sie ohne ihn ihr Herz dazu bewegen, zu schlagen und ihr Blut durch ihren Körper zu pumpen? Was hätte das alles ohne ihn für einen Sinn?
Natürlich hörte Remus ihr Flehen. Er vernahm ihren Schmerz, ihren Verlust genauso, als wäre es seiner. Es war ja auch seiner. Er versuchte zu schreien, ihr zu sagen, was er ihr sagen musste, aber so sehr er es auch versuchte, er konnte sie nicht erreichen. Er flehte, dass sie ihn endlich wieder zu sich holen möge, bevor es zu spät sei. Und sie betete, dass er zurückkommen würde, ohne seine Worte an diesem trostlosen, kalten und unwirklichen Ort, wo ihre Seele verweilte, zu vernehmen.
Seine Seele konnte den Schmerz, den er empfand und die Traurigkeit, die sie verspürte nicht mehr aushalten. Sie war alles, was er jemals wollte, selbst bevor er sie kannte, wollte er sie. Sie hatte dem unbekannten Gefühl, das tief in ihm wohnte, ein Gesicht gegeben. Ein Gesicht, das seine Seele nie wieder vergessen würde.
„Bitte beschütze mich davor, ohne dich zu sein. Bewahre mich davor, getrennt von dir mein Dasein zu fristen. Rette mich davor, ein Nichts zu werden", flehten beide Seelen sich gegenseitig an, denn das war es, was passieren würde. Sie würden ohne den Anderen in der Bedeutungslosigkeit verschwinden.
„"
Now that I know what I'm without
You can't just leave me
Breathe into me
And make me real
Bring me to life
„"
Dieses Zwiegespräch blieb von Hope unbemerkt. Sie war nur noch eine von Trauer erfüllte Hülle, unfähig die leise Stimme ihrer Seele zu hören, während ihr Herz schrie und weinte. Jetzt, da sie spürte, was es bedeutete ohne ihn zu sein, brannte der Schmerz in ihrem Herzen unermesslich. Es durfte nicht geschehen, er musste bleiben oder die Sonne würde ihre Seele, ihr Herz, ihr Leben nie mehr erreichen können. Nur noch Dunkelheit und Schatten würden sich über sie legen, wie eine kalte Decke, die sie von der Welt trennen würde.
Stunden saß sie so da, ganz allein mit ihren Gedanken. Die Zeit schien still zu stehen und gleichzeitig an ihr vorbei zu rennen. Der Tag verging und die Nacht kam. Ihre Tränen waren mittlerweile versiegt. Es waren keine mehr da. Man sah nur noch die Spuren auf ihrem Gesicht. Sie waren, neben der Verzweiflung in ihren Augen, das einzige Zeugnis der langen Stunden, die sie über ihn gewacht hatte. Sie nahm seine Hand und wieder erwachte der trügerische Funke der Hoffnung in ihr, als sie bemerkte, dass seine Körpertemperatur halbwegs normal zu sein schien. „Bitte .... tu es für mich .... ohne dich bin ich nur eine Hülle. Ohne dich bin ich nicht vollständig. Bitte ... halt mich am Leben", waren die letzten bewussten Gedanken, zu denen sie fähig war, bevor der, von ihrem Körper so dringend herbeigesehnte Schlaf, über sie hereinbrach.
„"
Bring me to life
I've been living a lie
There's nothing inside
Bring me to life .
„"
Sie erwachte tief in der Nacht. Hope war wieder hier in der Fassade, die sie inzwischen Leben nannte. Hier, wo er war und hier, wo er nicht war. Ihr Körper hatte sich ein wenig erholt, aber ihr Geist war genauso müde wie zuvor. Er hatte selbst im Schlaf keine Ruhe gefunden, hatte ihr wieder die Vergangenheit gezeigt und noch viel schlimmer, auch die mögliche Zukunft. Die, in der Remus nicht da war. Ihr Innerstes war leer. Sie legte sich neben Remus aufs Bett und kuschelte sich an ihn. Ihn zu halten, zu spüren, dass ein Teil von ihm immer noch hier war, gab ihr Hoffnung. Sie schloss die Augen und entschwand wieder dieser Welt, die ihr ohne Remus so wenig zu bieten hatte.
„"
Frozen inside without your touch,
Without your love, darling
Only you are the life among the dead
All of this time i can't believe i couldnt see
Left in the dark but you were there in front of me
I've been sleeping a thousand of years it seems
Got to open my eyes to everything
Without a thought
Without a voice
Without a soul
Don't let me die here
There must be something more
bring me to life
„"
Sie erwachte erneut. Kälte empfing sie. Doch die Kälte, die sie spürte, kam aus ihrem Inneren. Im Schlaf hatten sich ihre Körper ungewollt getrennt. Sie verkrampfte, als sie es realisierte. Ein eisiges Gefühl durchströmte sie, als sie zitternd ihre Hand ausstreckte und die Distanz zwischen ihrer Haut und Remus schmolz. Zentimeter vor ihrem Ziel verharrte ihre Hand in der Luft. Da war sie wieder. Die Angst. Die Angst davor, dass er doch gegangen war. Minuten, so kam es ihr vor, war sie unfähig es zu tun. Ihn zu berühren, um Gewissheit zu erlangen.
Lebendig oder Tod? Ihre Rettung oder ihr Untergang? Sie war unsicher. Sie musste es wissen und wollte sich die Ungewissheit bewahren. Die Kraft in ihrem Arm erlahmte und nahm ihr die Entscheidung ab. Ihre Fingerkuppen berührten seine Haut. Sofort kehrte die Wärme durch ihren Arm in ihren Körper zurück und wieder war sie da, die Hoffnung. Stärker als jemals zuvor durchflutete sie ihren Körper, lies ihr Herz einige Schläge pausieren und dann wild hämmern, bevor es seinen Rhythmus wieder fand. Sie rutschte wieder an ihn heran, klammerte sich wie eine ertrinkende an ein Stück Treibholz und legte ihre Hand in seine ...
... und seine Finger verschlungen sich mit den ihren.
Eine kleine Geste. Ein Zeichen, auf das sie gewartet hatte und in dem Moment, wo es passierte, realisierte sie es nicht. Zu vertraut, zu gewohnt, zu bekannt war diese Reaktion mittlerweile, als dass sie es bemerken würde. So lagen sie dort und die Minuten verstrichen.
Remus erwachte, langsam, ganz langsam schlich sich sein Geist wieder in seinen Körper. Es kam ihm vor, als hätte er 1000 Jahre lang geschlafen. Er konnte seine Augen, in die sich Hope's Antlitz eingebrannt hatte, nicht öffnen. Die ganze Zeit hatte er sie gesehen, wie sie weinte, wie sie sich sorgte und wie sie apathisch neben ihm gesessen hatte und die Welt um sie herum an ihr vorüber gezogen war.
Er konnte ihren Atem auf seiner Haut spüren. Sie war hier, neben ihm, er musste sie ansehen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass dies wirklich war. Er drehte seinen Kopf ein kleines Stück, so dass er ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. Langsam öffnete er seine Augen und wusste in dem Moment, wo er ihr Gesicht sah, das vom spärlichen Lichtschein des Feuers erhellt wurde, dass sie ihn zurückgebracht hatte.
Sein Geist war leer, als er sie dort so liegen sah. Sie war abgekämpft, müde, traurig, ängstlich und besorgt, all das zur selben Zeit, das konnte er sehen, obwohl sie ihre Augen geschlossen hatte. Alles nur wegen ihm. Seine Gedanken galten augenblicklich nur ihr.
Doch sein Körper wollte sich nicht rühren. Wie gern hätte er sie einfach in den Arm genommen. Er versuchte zu sprechen, doch seine Stimme versagte ebenso wie sein Körper. So lag er da und beobachtete sie. Wünschte sich ihrem Leiden ein Ende bereiten zu können, wünschte sich ihr sagen zu können, was er ihr am Abend zuvor nicht gesagt hatte, wünschte sich ihr sagen zu können, was er ihr am Abend zuvor hätte sagen müssen. Die Zeit verstrich, stetig, aber viel zu langsam und doch viel zu schnell. Zu langsam, um seinem Körper die Fähigkeit dazu zu geben, ihr zu helfen und viel zu schnell, um ihr Leiden nicht unnötig zu verlängern. Er wünschte sich, sie würde die Augen öffnen, doch sie tat es nicht. Sie lag still neben ihm.
Nach einer halben Ewigkeit, so kam es ihm vor, fühlte er endlich seine Energie zurückkehren.
„Nur wegen dir lebe ich."
Hope öffnete schlagartig die Augen und blickte in die von Remus. Es war geschafft, sie hatte ihn zurück gebracht, zurück ins Leben. Und somit rettete er auch sie und schenkte auch ihr ein neues Leben.
The End
