A/N: Hier wiedermal ein längeres Kapitel. * g * Danke an alle, die so nett "reviewt" haben. (Es dürfen aber ruhig noch mehr werden! * dezenter Hinweis *) I.

11. Kapitel

Der Kampf schien ihr endlos. Für jeden Feind, den sie tötete, kamen zwei neue. Das Schwert in der einen, den langen Dolch in der anderen Hand, schlug Ciscara zu, stach nach der anderen Seite, drehte sich, trat einem der Angreifer ins Gesicht, um dann von vorne zu beginnen. Fließend und rhythmisch führte sie einen wahren Todestanz auf, immer im Halbkreis um die kleine Gruppe, die sie geschworen hatte zu beschützen: Ihre vier jüngeren Schwestern Adjana, Aislynn, Kitiara und Melliandra, und ein paar von deren Freunden, die im Kampfgetümmel ihre Eltern verloren hatten. Die Kinder standen ängstlich zusammengedrängt an einem Felsen, was gut war. So hatte Ciscara den Kampf vor sich und mußte nicht darauf achten, daß ihr Rücken frei blieb. Wieviele würden überleben? Konnte sie alle retten? Die Angreifer waren zahlreich und Ciscaras Kräfte am Ende. Sie hatte schon oft gekämpft – Räuber waren hier keine Seltenheit – aber noch nie so lange an einem Stück. Räuber kamen, nahmen, was sie kriegen konnten und gingen wieder. Seit ihr Vater ihr beigebracht hatte, seine Pflichten zu übernehmen, war das Dorf niemals so angegriffen worden. Mit solcher...Gewalt, solcher Zerstörungswut, solcher...Blutlust.
Menschen schrien, die Hütten brannten, alle liefen durcheinander...Die Kinder sind das Wichtigste, hatte ihr Vater immer gesagt. Die Kinder und die Familie. Beschütze die Familie, Ciscara...
Hinter ihr schrie eines der Kinder und für einen Moment war Ciscara abgelenkt. Ihr Rhythmus war unterbrochen und der Schlag ihres Gegners traf sie an der Schulter. Erleichtert spürte sie, daß es, durch irgendeinen mehr als glücklichen Zufall, die flache Seite seines Schwertes gewesen sein mußte. Dennoch ging sie mit einem leisen Stöhnen auf die Knie. Sie hatte einfach keine Kraft mehr. Automatisch hob sie so gut es ging ihren Schwertarm, um einen Schlag von oben abwehren zu können, falls denn einer kommen sollte. – Der Schlag war so heftig, daß sie das Gefühl hatte, ihr Arm würde aus dem Gelenk gerissen. Sie mußte unbedingt wieder auf die Füße kommen! Ciscara schaffte es, ein Bein aufzustellen, bevor der nächste Schlag sie traf. Ihr war klar, daß sie jetzt viel Glück brauchen würde, wenn sie überleben wollte.
Sie blickte auf, in das Gesicht ihres Angreifers, aber außer zwei schnurgeraden Linien von scharfen Zähnen, konnte sie nicht viel erkennen. Sie war so erschöpft...Sie brauchte dringend ein paar Minuten Ruhe, um sich zu erholen, neue Kraft zu schöpfen...
Der Angreifer hob sein Schwert. Ciscara wollte dasselbe tun, aber ihr Arm war ganz taub. Die Kerle schlugen zu wie Hufschmiede auf einen Amboss.
Der Feind schlug zu, aber seltsamerweise traf er sie nicht. Aus dem Schatten des Waldes war einer der Dorfbewohner zwischen sie gesprungen und hatte den Schlag für sie abgewehrt. Dorfbewohner? Nein. Ciscara kannte jeden in dem kleinen Dorf, aber diesen Mann hatte sie noch nie gesehen. Weder seine Art zu kämpfen, noch seine Körperhaltung, noch sonstwas kamen ihr in irgendeiner Weise bekannt vor. Wenn sie doch nur einen klaren Gedanken fassen könnte...
Mühsam kämpfte Ciscara sich wieder auf die Füße. Sie mußte weitermachen!

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Cathea hatte das Geschehen wie gelähmt von ihrem Versteck aus beobachtet. Sie wollte helfen und eingreifen, aber sie traute sich nicht. Zwar konnte sie ein bißchen kämpfen, aber dennoch war sie im Umgang mit dem Schwert noch nicht sonderlich erfahren. Auf keinen Fall genug für einen Kampf wie diesen! Sie war der kleinen Gruppe nachgeschlichen, um Abenteuer zu erleben und die restlichen Länder Mittelerdes zu sehen, aber das hier...? Darauf war sie nicht gefaßt gewesen.
Ein Geräusch hinter ihr ließ sie aufhorchen und sie fuhr gerade noch rechtzeitig herum, um den Schlag ihres Angreifers abwehren zu können. Mit einem wütenden Knurren sprang er sie an und sie kugelten mitten ins Kampfgeschehen. Cathea schlug und trat um sich, um den Feind von sich wegzustoßen. Hektisch versuchte sie sich daran zu erinnern, was ihr die Männer in Minas Tirith beigebracht hatten, aber der Fremde war einfach zu schwer! Sie spürte, wie sich seine Hände um ihren Hals schlossen und langsam zudrückten. Das schien ihm Spaß zu machen, denn er grinste. Cathea wand sich unter ihm und versuchte seine Hände wegzuziehen. Langsam ging ihr die Luft aus. Ihr wurde schwarz vor Augen...
Plötzlich war der Druck weg und Cathea konnte wieder atmen. Hustend und keuchend rang sie nach Luft, während das Geschöpf mit einem Blick, den Cathea als Überraschung deutete, zur Seite fiel. Ein Pfeil ragte aus seinem Rücken. Sie richtete sich halb auf und sah Legolas, der sich in Bewegung setzte und auf sie zu kam.

"Alles in Ordnung?" fragte er sanft.

Cathea konnte nur nicken.

"Dann komm!" sagte er. "Der Kampf wird bald vorbei sein."

Er half ihr auf die Füße. Zitternd griff Cathea nach ihrem verrosteten Schwert. Nein, so hatte sie sich das ganz und gar nicht vorgestellt!

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Aragorn sah sich um. Seine Freunde standen in der Nähe, genau so wachsam wie er selbst, aber er sah keinen mehr kämpfen. Für diesmal schien es vorbei zu sein. Sie hatten die M'aru zurückgeschlagen – für den Moment. Er wandte sich Ciscara zu, die sich schützend vor die Kinder stellte und ihre Waffe hob. Aragorn sah sie irritiert an.

"Ich bin kein Feind," sagte er. "Wir haben euch geholfen."

Ciscara atmete noch immer schwer von der Anstrengung des Kampfes, wandte aber keine Sekunde den Blick von seinen blauen Augen.

"Und dafür danke ich euch, Fremder," erwiderte sie; und dankbar war sie wirklich. "Aber ich kenne euch nicht. Und für mich ist der Feind meines Feindes nicht automatisch mein Freund."

Sie schwankte leicht, konnte sich aber gerade noch auf den Beinen halten.

"Du kennst ihn nicht?" fragte Boromir ungläubig. "Das ist Elessar, König von Gondor!"

Er griff nach Aragorns Hand und hielt Ciscara den Ring vor die Nase; den Ring von Barahir, den Elrond selbst Aragorn vor langer Zeit überreicht hatte.
Ciscara kannte ihren König nicht.
Und auch nicht den Ring. Sie hatte beide nie gesehen.
Und es hatte sie auch nie sonderlich interessiert. Sie hatte genug damit zu tun, ihre Schwestern und sich selbst zu versorgen. Natürlich wußte sie, daß es einen König gab und daß er in Minas Tirith lebte, aber darüber hinaus wußte sie nichts über ihn. Er sollte gütig und edel sein, mutig und weise, ein geschickter und tapferer Kämpfer...Möglich, daß es diesen Mann gab und möglich, daß es stimmte, was die Leute über ihn erzählten, aber...Wenn es ihn gab, warum sollte er dann ausgerechnet hier auftauchen? Jetzt? Und mit ihnen kämpfen? Ein König gehörte in sein Schloß. Davon mal abgesehen sah dieser Mann nicht sonderlich königlich aus und der Ring konnte gestohlen sein. Was bewies das schon? Diese Leute konnten geschickte Räuber und Lügner sein. Blieb die Frage: Wozu das alles?
Ciscara war müde. Nicht nur müde, sie war erschöpft. Sie hatte keine Kraft mehr zu kämpfen, würde es aber tun, wenn es nötig war. Die Familie war das Wichtigste...
Sie sah auf in die tiefgrünen Augen des blonden Kriegers und dann in die des angeblichen Königs, und sie wollte ihnen glauben! Sie wollte glauben, daß dieser große, gutaussehende Mann vor ihr König Elessar war, daß der Kampf zu Ende und sie in Sicherheit war. Sie und ihre Geschwister.
Sie atmete ein und wieder aus.

"Ich...Ich werde das vielleicht noch bereuen," sagte sie mühsam.

Sie war plötzlich wieder so müde.

"Aber ich glaube euch."

Schwert und Dolch glitten ihr aus der Hand und sie hörte noch den erschrockenen Aufschrei ihrer Schwester Kitiara, bevor Dunkelheit sie umhüllte.

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Als Ciscara wieder zu sich kam, stöhnte sie leise. Jeder einzelne Muskel in ihrem Körper schien zu schmerzen, aber das zeigte ihr, daß sie noch lebte. Fragte sich, ob das gut oder schlecht war.

"Sie ist wach," flüsterte jemand.

"Holt den König!" war die Erwiderung.

Ihr Bett ruckelte so komisch.

"Wo bin ich?"

"Im Wagen von Thaddeus," antwortete eine fröhliche Stimme.

Kitiara.

"Mann, wir sind so froh, daß du noch lebst! Wir dachten nämlich, du wärst tot. Der König persönlich hat dich aufgefangen und getragen. Hast du ihn mal richtig angesehen? Oh, er ist so toll!"

Hätte Ciscara die Augen schon geöffnet gehabt, sie hätte sie jetzt wieder geschlossen. Kitiara war ein liebes Mädchen, aber sie war viel zu...enthusiastisch. Vierzehn war ein furchtbares Alter. Kitty hatte schon versucht, sie mit praktisch jedem ledigen Mann im Dorf zu verkuppeln, aber Ciscara fand, daß man beim König von Gondor einen Schlußstrich ziehen sollte.

"...und außerdem sowas von nett! Er war dir gar nicht böse, daß du ihn angreifen wolltest, ehrlich."

"Kit?"

"Ja?"

"Halt' die Klappe! Bitte. Mir brummt der Kopf auch so schon genug. Außerdem wissen wir ja gar nicht mit Sicherheit, daß er wirklich der König von Gondor ist."

"Doch, wissen wir!" entgegnete Kitiara gutgelaunt. "Thaddeus hat ihn erkannt. Er war damals ja bei der Krönung in Minas Tirith. Und als er König Elessar gesehen hat, ist er vor lauter Ehrfurcht beinahe umgekippt."

Kitiara kicherte.

"Thad sagt, König Elessar hat sich so gut wie gar nicht verändert, ist nur ein klein Wenig grauer an den Schläfen. Kannst du dir vorstellen, daß er schon damals so toll ausgesehen hat? Ich meine..."

"Kitiara!" stöhnte Ciscara genervt.

"Ich wollte dich nur auf den neuesten Stand bringen, große Schwester. Achtung! Da kommt er."

Aragorn kletterte auf den fahrenden Wagen und Kitiara kicherte verlegen. Der König lächelte freundlich, als Ciscara die Augen aufschlug.

"Würdet ihr uns bitte alleine lassen?" fragte er, halb zu Cathea gewandt, die ihn geholt und hergebracht hatte.

Die Angesprochene nickte.

"Komm mit, Kitty! Deine Schwester ist schon fast wieder gesund."

Sie schickten sich an, vom Wagen zu steigen.

"Kit!" rief Ciscara.

"Ja?"

"Wieviele?"

Kitiara wurde blaß.

"Ich...weiß nicht, was du..."

Ciscara richtete ihre bernsteinfarbenen Augen fest auf ihre jüngeren Schwester.

"Du weißt genau, was ich meine! Wieviele?"

"Drei," antwortete Kitiara leise und senkte den Blick.

Ciscara hatte das Gefühl, als läge ein großer, schwerer Eisblock auf ihrer Brust und sie rang nach Atem.

"Wer?" fragte sie rauh.

"Tom, Alina und Geran."

Ciscara schloß einen Moment die Augen. Daran würde sie sich nie gewöhnen. Nie.
Als sie ihre Augen wieder öffnete, waren Kitiara und Cathea bereits verschwunden. Aragorn sah sie an.

"Es tut mir unendlich leid," sagte er sanft. "Bitte, glaubt mir. Ich wünschte, wir wären eher gekommen."

"Wir hatten Glück, daß ihr überhaupt gekommen seid," erwiderte sie und als ihr nachträglich einfiel, was Kitiara gerade erzählt hatte, fügte sie etwas verspätet hinzu: "Majestät."

"Bitte nennt mich einfach Aragorn."

"Natürlich. Wenn ihr das wünscht."

Er war der König, so wie es aussah. Ihr Vater hatte nie viel von Königen gehalten, hatte aber immer gesagt, daß sie ihn mit dem gebührenden Respekt behandeln sollte, sollte sie jemals einem begegnen. Ciscara setzte sich ein bißchen auf, bevor Aragorn sie zurückhalten konnte. Sie verzog das Gesicht.

"Autsch," murmelte sie.

Es tat weh, aber sie hatte schon Schlimmeres erlebt.

"Ihr braucht Ruhe," sagte Aragorn.

"Ich muß mich um meine Geschwister kümmern," sagte Ciscara.

"Sie sind in den besten Händen," versicherte Aragorn. "Bitte. Wir müssen reden."

Sie blinzelte erstaunt.

"Worüber?"

"Eines der Kinder, Melliandra, glaube ich, sagte, Ihr wärt mit ihnen im Wald über die Fremden gestolpert. Dann hätten sie angegriffen. Stimmt das?"

"Ja, das stimmt."

"Habt Ihr eine Ahnung, warum sie Euch angriffen?"

"Ich...war zur falschen Zeit am falschen Ort, Herr...Ich meine, Aragorn. Sie...Die Fremden hatten einen Elben in ihrer Gewalt und ich bin zufällig dazugekommen. Wir wollten Pilze sammeln, die Kinder und ich."

"Einen Elben?"

"Ja."

"Wir haben im Dorf keine Elbenleichen gefunden."

"Als ich ihn sah, lebte er ja auch noch. Und es war etwas außerhalb des Dorfes. Als uns die Fremden entdeckten, rannten wir zurück."
Ciscara schüttelte über sich selbst den Kopf.
"Ein dummer Fehler. Ich habe sie direkt zu den anderen geführt."

"Was hättet Ihr sonst tun sollen?" fragte Aragorn ruhig. "Die Kinder alleine vor den Fremden beschützen? Sie hätten Euch getötet und die Kinder dazu, und das wißt Ihr auch. Eure Entscheidung war richtig, Ciscara."

"Vielleicht," sagte sie leise.

Beide schwiegen einen Moment.

"Herr...Ich meine...Aragorn, warum haben die Elben das getan?"

"Was getan, Ciscara?"

"Den Fremden...etwas gestohlen."

Aragorn horchte auf.

"Etwas? Was denn?"

"Ich weiß nicht. Als ich dazu kam, wollten die Fremden wissen, wo dieses...Ding ist. Darum ging es wohl bei der ganzen Sache. Ich hatte etwas Mühe, sie zu verstehen. Sie sprechen mit einem seltsamen Akzent. Und dann hat Nate geniest und sie haben uns entdeckt. Ich...Ich dachte, Ihr wüßtet mehr darüber, wo Ihr doch einen Elben zu Euren Begleitern zählt."

"Nein...," sagte Aragorn nachdenklich, nur um kurz darauf zu rufen: "Legolas!"

Der Elb erschien am hinteren Teil des Wagens.

"Haben die Elben, die Mittelerde verlassen wollten, etwas von den Fremden mitgenommen, als sie flohen?"

"Nein. Wieso hätten sie das tun sollen?"

Aragorn sah wieder zu der jungen Frau.

"Cara, das ist Legolas. Legolas, Ciscara. Bitte sag' ihm, was du gehört und gesehen hast."

Für einen kurzen Moment war Ciscara wie geblendet von dem Anblick des Elben, ähnlich wie Cathea einige Tage zuvor. Sie wandte den Blick ab. Die Elben waren wirklich ein schönes Volk.
Sie räusperte sich leise und erzählte Legolas dann genau das, was sie auch Aragorn erzählt hatte.

"Davon weiß ich nichts," sagte der Elb, als sie geendet hatte. "Ehrlich. Bist du ganz sicher?"

Seine wachsamen, blauen Augen sahen sie durchdringend an.
Ciscara blickte fest zurück, als sie antwortete: "Ja, Herr. Das bin ich."

Aragorn und Legolas wechselten einen kurzen Blick und dachten dasselbe.

"Cara," begann Aragorn. "Wir hatten eigentlich vor, dich und deine Geschwister mit den anderen Überlebenden in ein kleines Dorf, ein paar Kilometer westlich von hier, zu schicken, aber...Würdest du uns vielleicht nach Düsterwald begleiten? Die Elben sollten davon erfahren."

Ciscara blinzelte. Sie sollte sie begleiten? Zu den Elben?

"Verzeiht bitte, aber was könnte ich ihnen erzählen, was Ihr nicht schon wüßtet? Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß."

Aragorn lächelte leicht.

"Einige Elbenfürsten haben die...Gabe, mehr zu sehen und zu hören als die Menschen. Ich könnte natürlich wiedergeben, was du gesagt hast, aber ich habe weder gesehen noch empfunden, was du gesehen und empfunden hast. Das könnte wichtig sein. Es wäre mir lieber, du würdest es ihnen persönlich erzählen."

Ciscara hatte nichts dagegen, daß er sie mit "du" ansprach. Sie hatte auch nichts dagegen, daß er ihren Namen mit "Cara" abkürzte, das taten die meisten, aber...

"Was wird aus meinen Geschwistern?"

"Kennst du niemanden aus deinem Dorf, dem du sie für diese Zeit anvertrauen könntest?"

Ciscara überlegte kurz. Sie sollte mit zu den Elben und so wie sich das anhörte, würde es eine längere Reise werden. In Mittelerde liefen anscheinend Horden von diesen Kreaturen herum, die ihr Dorf angegriffen hatten, wegen einer Kette, die die Elben mit – oder auch nicht mitgenommen hatten. Überall konnte es zu Kämpfen wie diesem letzten kommen und keine ihrer Schwestern war mit dem Schwert oder Bogen auch nur annähernd gut genug, um sich gegen solche Feinde lange genug zur Wehr setzen zu können. Das war ihr Fehler gewesen. Sie hatte sie nie wirklich trainiert. Sie hatte einfach angenommen, sie würde genügen, um sie zu beschützen. Vor dem Tod ihres Vaters war es auch nur er allein gewesen, der die Familie gegen alle Gefahren verteidigt hatte. Er hatte erst damit angefangen, sie den Schwertkampf zu lehren, als ihre Mutter gestorben war und er wohl spürte, daß auch seine Zeit langsam ablief.

"Cara?" hakte Aragorn sanft nach.

Sie blinzelte. Thaddeus. Wenn, dann Thaddeus. Er war der beste Freund ihres Vaters gewesen und würde auf die Mädchen achten als wären es seine eigenen.

"Doch," sagte sie. "Natürlich."

"Gut," meinte Aragorn. "Dann komm' mit uns. Du kannst natürlich sofort zu ihnen zurückkehren, sobald alles erledigt ist."

Ciscara nickte zögernd.

"Einverstanden."

Aragorn und Legolas wechselten einen Blick und der Elb verschwand wieder.

"Wie fühlst du dich?" fragte Aragorn sanft.

"Gut," antwortete sie.

Ihr tat zwar noch einiges ganz schön weh, aber sie wollte nicht noch länger liegenbleiben. Sie kam sich dann immer so nutzlos vor.

"Du hast ein paar schlimme Prellungen und Schürfwunden," fuhr Aragorn fort. "Nichts Lebensgefährliches, aber es wird noch eine Weile weh tun."

"Woher wißt Ihr, was ich habe?"

"Ich bin Heiler. Ich habe dich behandelt."

Ciscara spürte unter der warmen Decke deutlich, daß sie vollkommen nackt war.

"A...Aha...," brachte sie schließlich hervor. "Nun...vielen Dank."

"Wenn ich dich in Verlegenheit gebracht habe, tut es mir leid," sagte Aragorn entschuldigend. "Aber es ist schwierig, Arme und Schultern nach Brüchen abzutasten, wenn der Körper in mehreren Schichten Kleidung steckt."

"A...Abzutasten?"

Ciscara wurde erst blaß, dann rot, aber schließlich fing sie sich wieder. Das war ja albern!

"Nun, macht Euch keine Gedanken, Majestät. Ich bin eine ganz normale Frau und es gibt wohl nichts an mir, das Ihr nicht schonmal gesehen hättet."

Nur hübscher und gepflegter nehme ich an, setzte sie in Gedanken hinzu.
"Darf ich aufstehen?"

"Es wäre besser, du würdest dir noch etwas Ruhe gönnen. Und, bitte, nenn' mich einfach Aragorn. Majestät klingt so...so majestätisch."

Ciscara mußte einfach lachen. Einen König hatte sie sich immer völlig anders vorgestellt. Nicht so...normal. Aragorn lächelte, aber Ciscara wurde wieder ernst.

"Bitte, ich möchte aufstehen. Wenn ich liegenbleibe,...Ich komme mir dann immer so überflüssig vor, versteht Ihr?"

Aragorn seufzte lautlos. Oh, ja! Wie es war, wenn man sich nutzlos fühlte, das wußte er. Dennoch...

"Du hast kein Pferd."

"Dann werde ich laufen."

"Auf keinen Fall!"

"Was...Was tun denn meine Schwestern?"

"Sie fahren oder reiten mit Leuten aus eurem Dorf. Oder sie laufen eine Zeit lang. Aber deine Schwestern sind auch nicht verletzt."
Aragorn lächelte leicht.
"Melliandra, zum Beispiel, läuft gar nicht. Sie reitet mit Boromir. Ich fürchte, sie hat sich verliebt."

"Melly ist doch erst sechs! Und wer ist Boromir?"

"Der junge Mann, der dir meinen Ring gezeigt hat."

"So jung ist der nicht mehr. Oh, Verzeihung!"

Sie schlug erschrocken eine Hand vor den Mund.

"Schon gut," sagte Aragorn mit einem leisen Lachen. "Und verliebt war sowieso das falsche Wort. Sie mag ihn einfach sehr gern, wie einen...," irgendwas in ihm sträubte sich, das Wort für Boromir zu verwenden, aber er sagte es trotzdem, "...Vater. Und ich glaube, Melliandra erinnert ihn ein bißchen an seine eigene Tochter. Alyssa ist vier."

"Oh, er hat eine Tochter?"

"Ja, das wundert uns alle, aber ihn selbst, glaube ich, am meisten."

"Gut abgelenkt, Aragorn, aber ich möchte trotzdem aufstehen."

Er lachte leise.

"In Ordnung. Unter einer Bedingung."

"Ja?"

"Du reitest mit mir."

"Einverstanden."

Stille.
Sie sahen sich an, bis Ciscara zögernd fragte: "Ähm...Könntet Ihr wohl bitte rausgehen? Ich möchte mich anziehen."

"Oh!"
Aragorn ohrfeigte sich gedanklich. Er war doch sonst nicht so schwer von Begriff.
"Natürlich. Verzeih' bitte!"

Er sprang mit einer fließenden Bewegung vom Wagen.
Ciscara versuchte, ihr Hezklopfen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Seine blaugrauen Augen schienen bis auf den Grund ihrer Seele blicken zu können, und das war furchtbar und wundervoll zugleich. Das war der König, um Himmelswillen! Und im Gegensatz zu ihrer Schwester, lebte sie, Ciscara, in der Realität. Könige ließen sich nicht mit irgendwelchen Frauen ein, die sie im Wald fanden. Und überhaupt wollte sie ja auch gar nicht, daß sich irgendwer mit ihr "einließ"! Sie hatte nun wirklich genug andere Probleme! Wenn sie nicht sofort lernte, mit diesem erschreckenden Gefühl umzugehen, dann konnte das noch sehr peinlich werden.

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A/N: Also? Wie sieht's aus? Na, wenn das nicht "review-würdig" war, dann weiß ich auch nicht... I.