A/N: Da sind wir wieder! Na? Habt ihr uns vermißt? * lol * Hier malwieder ein längeres Kapitel. Ich hoffe, es gefällt euch.
Und immer wieder HERZLICHEN DANK für die zahlreichen und phantastischen Reviews! Ohne euch wäre das alles nur halb so schön! : ) Ihr seid einfach großartig! I.

17. Kapitel

Zeit war etwas wirklich Unangenehmes, wenn man sie nicht hatte. Ganz gleich, was man tat und wie schnell man es tat, es war immer nicht schnell und nicht gut genug. Legolas besaß viel Kraft, aber auch die Stärke und Widerstandsfähigkeit der Elben hatte ihre Grenzen. Aragorn konnte sehen, ja fast fühlen, wie die Kräfte seines Freundes langsam dahinschwanden. Der Kampf gegen das Gift, der in seinem Inneren tobte, ging auf sein Ende zu und wenn Aragorn nicht schnell genug handelte, war dies auch Legolas' Ende. Und das durfte nicht geschehen. Niemand – und schon gar nicht einer seiner besten Freunde – starb ihm unter seinen Händen weg.
Das würde er nicht zulassen. Und wenn er dafür die ganze Nacht schuften musste – er würde nicht aufgeben.
Er war ein Heiler – verdammt nochmal – und zwar ein sehr guter. Er würde dieses Gift besiegen, auch wenn er es nicht kannte; auch wenn jeder andere aus diesem Grund aufgegeben hätte – er würde es nicht tun. Das schwor er sich, während er einige der Kräuter, die Pippin und Merry ihm gerade gebracht hatten, in eine Schale mit einer dampfenden Substanz streute.

"Verrühr' das, bis es zäh wird!" sagte er zu Sam, der neben ihm saß und gerade einen Lappen, der einmal ein Ärmel von Aragorns Unterhemd gewesen war, aus einem Topf mit kaltem Wasser holte.
Er drückte dem Hobbit die Schale in die Hand und nahm stattdessen den Lappen entgegen. Dann rückte er damit zu Legolas hinüber, der nicht weit von ihm entfernt auf einer Decke lag.
Der Elb hatte sich nicht gerührt, seit sie ihn und Cathea gefunden hatten. Er sah aus wie tot – nur das unregelmäßige Heben und Senken seiner Brust ließ erkennen, dass noch Leben in ihm war. Aragorn hob ein Bein des Elben an und schlang den nass-kalten Wickel ein paar Mal um seine nackte Wade. Dann drehte er sich um, um den nächsten Lappen zu holen; doch das brauchte er gar nicht, denn eine Hand hielt ihm diesen schon entgegen.
Aragorn hatte nicht bemerkt, dass Ciscara schon wieder zurück war. Sie musste sich erstaunlich leise bewegt haben und hatte sofort erkannt, was Aragorn als nächstes brauchte. Er nahm ihr das tropfende Tuch wortlos ab und sie half ihm, es um Legolas' anderes Bein zu wickeln.

"Meint Ihr, das senkt das Fieber?" fragte sie leise.

"Ich weiß es nicht", gab Aragorn offen zu. "Elben sind anders als Menschen. Ich habe noch nie einen kranken Elben behandelt. Sie kennen keine Krankheiten. Verwundete oder tote Elben habe ich schon gesehen und behandelt. Aber das hier ist etwas völlig anderes. Es ist einer schweren Krankheit viel ähnlicher."

"Vielleicht ist es das, was ihm so zu schaffen macht", meinte Ciscara. "Sein Körper muss mit etwas kämpfen, was er nicht gewöhnt ist."

Aragorn wandte sich um und Sam reichte ihm sofort die Schale mit dem jetzt zur Salbe gewordenen Sud.

"Das kann sein", sagte Aragorn und rückte nach vorn, um sich der eigentlichen Verletzung an Legolas' Körper zuzuwenden. Er hatte das Leinenhemd bis zu der Stelle aufgerissen, an der der Pfeil in den Körper gedrungen war, und die Wunde gereinigt. Nun begann er vorsichtig die Salbe aufzutragen.

"Andererseits", fuhr er fort, "hätte ein anderer von uns das bestimmt nicht bis jetzt überlebt. Und wir sind an Krankheiten gewöhnt."
Er schwieg einen Moment und sah sie dann an.
"Hast du die Hilibas-Pflanze gefunden?"

Ciscara nickte.

"Und noch etwas anderes."

Sie kramte ein kleinblättriges Kraut aus einer ihrer Taschen und zeigte es ihm. Er nahm es ihr aus der Hand und betrachtete es eingehend.

"Hast du das hier gefunden?"

Ciscara schüttelte den Kopf.

"Ich trage sie immer bei mir, wie mein Vater. Er sagte, wenn man sich vergiftet, egal, ob es der Biss einer Schlange, der Stich einer Spinne oder eine giftige Pflanze ist, dieses Kraut kann jedes Gift besiegen. Und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er damit einem Fremden das Leben rettete."

Aragorn starrte wie gebannt auf das Kraut. Elben gewannen aus ihm viele ihrer Medikamente. Alles, was Ciscara erzählt hatte, war wahr. Aber er fragte sich, wie Ciscara an diese Pflanze gekommen war, denn soweit er wusste, wuchs sie nur in den Gebirgen von Düsterwald und Bruchtal.
Sein Blick wanderte zu Legolas. Es war nicht gut, dass er so schwach und unregelmäßig atmete. Etwas musste geschehen. Nachdenklich und mit einem Gefühl von tiefer Trauer legte er eine Hand auf die Stirn seines Freundes. Er hatte eine Entscheidung zu fällen, die seinen Tod bedeuten konnte. Auch wenn die Pflanze als Heilmittel genutzt wurde – es war eine Giftpflanze. Ihr unverdünnter Saft rief Reaktionen im Körper hervor, die ihn umbringen konnten, war er zu schwach dafür. Aber er tötete auch jedes andere Gift in diesem Körper. Die Frage war nur, ob Legolas noch die Kraft besaß, um eine solche Heilkur zu überstehen. Seine Stirn war immer noch kochend heiß und seine Atmung wurde immer flacher.
Aragorn spürte, dass Ciscara ihn immer noch ansah und er wandte sich ihr wieder zu. Ihr Blick war voller Mitgefühl, aber in ihm stand auch Hoffnung – Hoffnung, dass er ihren unausgesprochenen Vorschlag annahm. Sie hatte die wundersame Heilung eines Todkranken miterlebt, aber sie hatte nicht gesehen, wie jemand an demselben Heilmittel qualvoll gestorben war. Aragorn wollte seinen Freunden diesen Anblick gern ersparen. Und auf keinen Fall wollte er Legolas so sterben sehen. Aber hatte er eine andere Wahl? Alle anderen Mittel, die er hier aufbringen konnte, stärkten zwar die Abwehrkräfte und linderten die Schmerzen und Krämpfe, die mit einer Vergiftung einhergingen, aber sie bekämpften nicht die Ursache. Das blieb dem Körper und der Kraft des Kranken allein überlassen. Hier, in seiner Hand, hielt Aragorn plötzlich die einzige Waffe gegen das Gift und er wagte es nicht sie einzusetzen.

"Kann das Legolas helfen?" hörte er Sam hinter sich fragen.

Der Hobbit hatte wohl ihr Gespräch mitangehört. Hoffnung schwang in seiner Stimme mit.
Aragorn kam nicht dazu ihm zu antworten, denn in diesem Moment platzen Merry und Pippin in ihr kleines Lager. Sie kamen mit der nächsten Fuhre Königskraut und machten einen ziemlich aufgebrachten Eindruck.
Ihnen folgte Frodo, etwas ruhiger, aber mit demselben erhellten Gesichtsausdruck. Irgendetwas war geschehen.
Merry warf dem verdutzten Sam sein Kraut in den Schoß und schob dann Pippin, der irgendetwas anderes in den Armen trug, zu Aragorn hinüber.

"Hey, nicht so schnell!" knurrte Pippin. "Mir fällt doch alles runter!"

Er ging vor Aragorn in die Knie und ließ seine Beute auf den Boden kullern. Es waren Pilze. Ein ziemlich großer Haufen Pilze. Aragorn runzelte verwundert die Stirn.

"Und Frodo hat auch noch welche!" sagte Pippin erwartungsfroh und sah ihn mit großen Augen an.

"Ihr wollt jetzt essen?" sprach Sam ungläubig die Frage aus, die auch schon Aragorn auf der Zunge lag.

"Nein!" fuhr Pippin entrüstet auf und verdrehte die Augen. "Glaubst du, wir denken ans Essen, wenn ein Freund von uns unsere Hilfe braucht?!"

Sam antwortete nicht. Er verstand einfach nicht, was das sollte.

"Okay vielleicht denken wir ab und zu dran, aber wir würden's nicht tun", gab Pippin zu verstehen. "Das ist für Legolas."

"Der kann doch erst recht nicht essen!" erwiderte Sam.

Er wirkte fast schon verärgert.

"Aber vielleicht später", überlegte Pippin.

"Nein", schaltete sich Frodo ein. "Darum geht es doch gar nicht."

"Könntet ihr uns dann bitte endlich aufklären?!"

Aragorn wurde langsam ungeduldig. Sie hatte einfach keine Zeit für lange Diskussionen.

"Das sind Gelrandi – Pilze", erklärte Frodo und legte nun auch seinen Teil an Pilzen dazu.
Aragorn kannte diesen Namen irgendwoher - und plötzlich fiel es ihm ein.

"Natürlich", sagte er, bevor Frodo fortfahren konnte. "Sie haben eine fiebersenkende Wirkung."

"Und schmecken einfach fabelhaft", setzte Pippin hinzu und Merry nickte zustimmend.

Aragorns Gedanken überschlugen sich. Da war etwas, irgendeine Idee, die ihm noch nicht richtig klar war.

"Wir dachten, das wird ihm vielleicht helfen", meinte Frodo. "Vielleicht kommt er ein wenig zu Kräften, wenn das Fieber sinkt. Und wenn er nur ein kleines bisschen zu sich kommt, kann er auch etwas trinken. Das ist doch so wichtig."

Aragorn nickte abwesend.

"Sie senken aber auch den Blutdruck", brachte er leise hervor.

"Oh.... ja."

Die Enttäuschung stand den Hobbits sofort ins Gesicht geschrieben. Sie hatten sich so gefreut helfen zu können. Doch in diesem Moment durchzuckte Aragorn ein Geistesblitz.

"Das ist es!" stieß er hervor.

Er griff mit einer Hand in die Pilze und gab sie an Sam weiter.

"Koch' die auf! Merry, Pippin, ihr kennt das Ansila - Moos?"

Die beiden Hobbits nickten verwirrt.

"Holt es mir! Und du, Frodo, holst bitte noch einmal frisches Wasser!"

Er drückte ihm den Topf in die Hand und die Hobbits setzten sich sofort in Bewegung. Aragorns Eile übertrug sich auf sie.

"Ciscara, ich brauche Boromir und Cathea hier. Sag ihnen, dass ich nicht glaube, dass jetzt noch Feinde auftauchen! Sie haben lange genug Wache gehalten."

Ciscara nickte und sprang behände auf. Mit schnellen, anmutigen Bewegungen verschwand sie im Dunkeln. Aragorn war die Art ihrer Bewegungen vertraut, aber er hatte nicht die Zeit, sich weiter darüber zu wundern. Er nahm sich eine weitere Holzschale und zerrieb die Blätter des giftigen Krautes darin zu feinem Pulver. Um die Wirkung ein wenig abzuschwächen, mischte er Königskraut darunter. Frodo war mit dem Wasser zurück und Aragorn nahm es ihm wortlos ab, füllte etwas davon in die Schale.

"Was hast du vor?" fragte Frodo und ging neben ihm in die Hocke.

"Ciscara hat eine Pflanze bei sich getragen, die jedes Gift tötet", erklärte Aragorn, während er den Sud umrührte.

Er sah auf, als Merry und Pippin mit dem Moos wiederkamen.

"Das wächst ja nun wirklich überall", meinte Pippin und gab es an Aragorn weiter. "Was willst du damit?"

"Ich will Legolas wach bekommen", meinte der und sah Sam an.

"Fertig?"

Der Hobbit nickte und nahm den dampfenden Topf vom Feuer. Aragorn gab ihm eine Schale.

"Füll' die Pilze hier rein!"

Sam beeilte sich und stellte dann den leeren Topf zurück aufs Feuer. Dieses Mal füllte Aragorn ihn mit dem Moos und etwas Wasser.

"Ich hab' ja keine Ahnung", meinte Merry, "aber schadet es Legolas nicht eher, wenn man ihn aufputscht? Es heißt doch, Kranke soll man viel schlafen lassen."

"Das ist richtig", gab Aragorn zu. "Aber ich kann ihm das Heilmittel nicht verabreichen, wenn er nicht bei Sinnen ist. Er könnte ersticken, wenn er nicht richtig schluckt."

"Du hast ein Heilmittel gefunden?!" rief Pippin erfreut.

"Vielleicht", gab Aragorn knapp zurück.

Aus dem freudigen Ausdruck auf Pippins Gesicht wurde ein zutiefst verwirrter. In diesem Augenblick kam auch Ciscara mit Boromir und Cathea zurück.

"Wie geht es ihm?" fragte Boromir sofort besorgt.

"Nicht gut", antwortete Aragorn wahrheitsgemäß. "Aber ich brauche deine Hilfe."

Boromir nickte und ließ sich neben seinem Freund nieder.

"Was soll ich tun?"

"Ich werde Legolas ein Mittel geben, das ihn wieder zur Besinnung bringt", erklärte Aragorn und nahm das dampfende Süppchen vom Feuer, um es in einen Holzbecher zu kippen.
Ein dumpfes Grummeln ertönte aus Pippins Richtung. Für einen Moment ruhten alle Augen auf ihm. Der Hobbit lächelte verlegen.

"'tschuldigung", murmelte er. "Bei soviel Geköchel spielt mein Magen halt verrückt."

Aragorn sah wieder Boromir an.

"Ich vermute, dass Legolas sich etwas panisch verhalten wird. Das Letzte, was er gesehen hat, waren näherrückende Feinde. Und ich weiß nicht, in wie weit er uns erkennen wird."

Boromir nickte verstehend.

"Ich soll ihn festhalten."

"Ja, aber er darf sich nicht zu sehr aufregen. Er besitzt nur noch wenig Kraft – und die braucht er, wenn ich ihm das eigentliche Heilmittel einflöße."

"Es ist also doch ein Heilmittel", mischte sich Pippin ein.

"Es ist ein Gift", sagte Aragorn gerade heraus.

"Ein Gift?!" rief Pippin entsetzt und auch alle anderen schienen etwas schockiert.

Aragorn nickte bestätigend.

"Ein Gift, das fast jedes andere Gift vernichtet, wenn man es in Maßen einsetzt. Dennoch kann es für jemanden, der sich in einem schlechten Zustand befindet, durchaus tödlich sein. Es ruft Herz- und Kreislaufbeschwerden, Krämpfe, Halluzinationen, Fieber und stark erhöhten Blutdruck hervor."

"Deswegen die Pilze!" entfuhr es Frodo. "Du willst sie als Gegenmittel für das Heilmittel einsetzen!"

"Ganz genau", stimmte Aragorn ihm mit einem halben Lächeln zu. "Wenn ich die Mittel richtig dosiere und zum richtigen Zeitpunkt hintereinander verabreiche, könnte das Legolas retten."

"Das hast du sicher schon einmal gemacht", meinte Pippin zuversichtlich.

"Nein", gab Aragorn ehrlich zu. "Er könnte auch daran sterben."

"Und du willst es trotzdem versuchen?" fragte Frodo leise.

"Habe ich eine andere Wahl?" erwiderte Aragorn schweren Herzens. "Seht ihn euch an! Meint ihr wirklich, er übersteht die Nacht, wenn wir nichts weiter tun als sein Fieber zu senken?"

"Aber er ist ein Elb", warf Sam vorsichtig ein.

"Auch Elben können sterben."

Aragorn sah ihn ernst an. Dann wanderte sein Blick über die traurigen Gesichter der anderen.

"Ich verstehe eure Bedenken. Glaubt mir, ich habe sie auch. Ich kenne Legolas schon so lange – länger als ein jeder von euch. Es wäre für mich kaum zu ertragen, wenn wir ihn verlieren würden. Und gerade deswegen müssen wir es tun. Aber ich will, dass ihr auf alles vorbereitet seid – auch auf das Schlimmste."

Eine kleine Weile herrschte eine nachdenkliche Stille zwischen ihnen, dann ergriff Aragorn wieder das Wort.

"Wenn es gelingen soll, müssen wir Hand in Hand arbeiten, ohne Zwischenfragen, ohne Bedenken. Und ich brauche jeden von euch."

Einvernehmliches Kopfnicken war die Antwort. Sie wusste alle, dass sie keine Zeit mehr zu verlieren hatten. Aragorn atmete tief durch.

"Gut. Lasst uns beginnen. Boromir..."

Der Krieger rutschte vorsichtig an Legolas' Seite heran.

"Ciscara..."

Aragorn reichte ihr den Becher mit der giftigen Mischung.

"Nimm das und bleib an meiner Seite! Sam, versuch' die Pilze zu zerstampfen und kipp' noch etwas Wasser dazu, damit das ganze flüssiger wird. Merry und Pippin, nehmt euch noch ein paar Pilze und kocht sie ab, falls wir nachher noch mehr davon brauchen. Cathea, dich brauche ich auch hier vorne."

Die junge Frau ließ sich an Boromirs Seite nieder und sah Aragorn aufmerksam an.

"Du bist die letzte gewesen, die bei ihm war, als es gefährlich wurde. Versuch ihn ein wenig zu beruhigen, wenn er sich zu sehr aufregt!"

Cathea nickte nur und Aragorn wandte sich wieder Boromir zu. Es fiel kein Wort zwischen ihnen, aber der Krieger wusste sofort, was er tun sollte. Er griff mit einem Arm unter Legolas und brachte ihn mit einiger Mühe in eine halbwegs aufrechte Position. Es war nicht so, dass der Elb wirklich schwer war, aber sein Körper war derart erschlafft, dass er Boromir fast entglitt. Schließlich hielt er ihn mit beiden Armen umfasst, den Kopf zum Teil durch seine Brust, zum Teil durch seinen Oberarm gestützt und blickte Aragorn auffordernd an. Ebenso schwierig gestaltete es sich nun auch für Aragorn, dem Elben ein paar winzige Schlucke des stark riechenden Extraktes einzuflößen. Doch als es schließlich gelungen war, wagte es keiner ein Wort zu sprechen. Jeder einzelne von ihnen wartete gebannt darauf, was nun passieren würde.
Zuerst tat sich gar nichts und Aragorn befürchtete schon, die falsche Dosierung angewandt zu haben, doch dann bemerkte er ein leichtes Zucken von Legolas' rechter Hand.

"Es geht los", sagte er leise und sah Ciscara an. "Auf mein Zeichen reichst du mir den Becher!"

Er beugte sich zu Legolas vor und tastete am Hals nach seinem Puls. Ja, er war eindeutig schneller geworden und die Lider des Elben begannen auch schon unruhig zu zucken.

"Halt ihn bloß gut fest", raunte Aragorn Boromir zu.

"Legolas", sprach er nun den Elben an.

Keine Reaktion. Aragorn wartete einen Augenblick und tatsächlich öffneten sich die Lider des Elben, schlossen sich, öffneten sich erneut. Legolas konnte den Blick nicht gerade halten – immer wieder sanken ihm die Augen ab, schloss er die Lider, um sie dann gewaltsam wieder aufzureißen.

"Legolas, du musst jetzt etwas trinken", sagte Aragorn sanft und war erstaunt über die starke Reaktion, die dieser harmlosen Äußerung folgte.

Der Elb zuckte heftig zusammen, riss die Augen in Panik auf und warf sich zurück. Boromir hatte Mühe sein Gleichgewicht und gleichzeitig Legolas fest zu halten, doch schließlich sank der Elb wieder in sich zusammen, hielt die Lider nur mit Mühe ein wenig geöffnet.

"Wir müssen uns beeilen", raunte Aragorn Ciscara zu. "Es ist nicht gut, dass er sich so aufregt."

Die junge Frau reichte ihm schnell den Becher und Aragorn griff nach Legolas' Nacken. Das hätte er lieber nicht tun sollen, denn der Elb schlug plötzlich mit einer Kraft um sich, die ihm niemand mehr zugetraut hätte. Aragorn besaß zwar schnelle Reflexe, aber er war zu dicht, um Legolas' panischen und unkoordinierten Bewegungen ausweichen zu können. Ein Ellenbogen traf ihn an der Schläfe und warf ihn zurück. Nur dank Ciscaras schnellem Reaktionsvermögen, die geistesgegenwärtig seine Hand mit dem Becher festhielt, blieb die kostbare Medizin erhalten.
Boromir hatte unterdessen einige Probleme. Der Elb wand sich in seinen Armen wie ein in Panik geratenes Tier. Und als schließlich sein Kopf gegen Boromirs Nasenbein krachte, ließ er ihn betäubt los. Legolas landete wieder auf der Decke und blieb dort schwer atmend liegen. Boromir hielt sich die schmerzende Nase, aus der dunkles Blut quoll, erinnerte sich dann aber wieder seiner Aufgabe und wollte Legolas erneut packen – doch Aragorn hob Einhalt gebietend die Hand.

"Das müssen wir anders angehen", raunte er ihm zu. "Ich glaube, Legolas nimmt kaum wahr, was um ihn herum vorgeht. Er wird weder richtig sehen noch hören können. Wir erscheinen ihm wahrscheinlich wie Monster."

"Und was sollen wir dann tun?" erkundigte sich Boromir im Flüsterton. "Wie sollen wir ihn beruhigen? Er wird sich so nicht anfassen lassen."

"Cathea muss ihn halten."

Aragorn sah die junge Frau ermutigend an. Ihr war anzusehen, dass sie von dieser Idee, nach dem, was sie alle gerade erlebt hatten, nicht besonders angetan war, doch sie gehorchte und nahm unsicher Boromirs Platz ein.

"Versuch' auf die Art mit ihm zu reden, wie du es zuletzt getan hast", flüsterte Aragorn. "Und versuch' ihn dann in die Arme zu nehmen. Boromir wird dir helfen."

Aragorn war zwar nicht davon überzeugt, dass diese List gelang, aber er hoffte es zumindest. Und er hoffte auch, dass Legolas noch bei Bewusstsein war, denn er hatte sich bisher nicht wieder geregt.
Cathea atmete tief durch und beugte sich zu dem Ohr des Elben hinunter.

"Legolas", sagte sie sehr leise, "du musst mir jetzt helfen."

Sie berührte ihn an der Schulter und der Elb zuckte heftig zusammen, riss entsetzt die Augen auf. Sein Blick war nach innen gerichtet, aber voller Panik.

"Wir können das nur schaffen, wenn du uns hilfst", sprach Cathea ruhig weiter.

Sie machte ihre Sache wirklich gut. Sie schob vorsichtig einen Arm unter seinen Nacken. Wieder zuckte der Körper des Elben, aber mehr geschah nicht. Es schien zu funktionieren. Aragorn bezweifelte zwar, dass Legolas verstand, was Cathea sagte, aber er erkannte ihre Stimme, erkannte zumindest, dass es eine weibliche Stimme war und das beruhigte ihn wohl.
Cathea fiel es schwer, den Oberkörper des Elben aufzurichten und in ihre Arme zu ziehen, denn obwohl er ungleich ruhiger war, ließ ihn die Angst doch ein paar Mal zurückzucken, sich sträuben. Doch mit Boromirs verhaltener Hilfe hing Legolas schließlich und letztendlich in Catheas Armen.

"Ganz ruhig", flüsterte sie. "Wir werden dir helfen. Nur ruhig."

Aragorn lächelte ihr aufmunternd zu und rückte wieder näher an Legolas heran. Und wieder riss der Elb die Augen auf und wurde unruhig, sperrte sich plötzlich gegen Catheas Griff.

"Ganz ruhig", stieß Cathea angestrengt hervor und Aragorn zog sich schnell zurück. Sofort wurde der Elb wieder ruhiger.

"Das hat keinen Sinn", murmelte Aragorn nachdenklich.

Sein Blick fiel auf Ciscara. Er musterte sie kurz. Ja, sie musste einen ganz anderen Eindruck machen als er, selbst wenn man nur verschwommen sah. Sie war eine schlanke, helle Gestalt und wenig beängstigend – eher eine Lichtgestalt, ähnlich wie die Elben.

"Du musst das machen!" sagte er und drückte ihr den Becher in die Hand.

Sie zögerte einen Moment, dann nickte sie.

"Er muss mindestens die Hälfte davon trinken", fuhr er leise fort und schob sie an sich vorbei auf Legolas zu.

"Hoffentlich massakriert er sie nicht", hörte Aragorn Pippin murmeln.

"Das schafft er doch gar nicht", gab Merry leise zurück. "Er ist krank."

"Na, sieh dir mal unseren Boromir an!" entgegnete Pippin. "Und der ist doppelt so stark wie..."

Der böse Blick des Genannten ließ Pippin augenblicklich verstummen. Dann sah Boromir wieder konzentriert zu Ciscara hinüber.
Die hatte sich Legolas ohne weitere Probleme nähern können und streckte nun eine Hand aus, um seine Schulter zu berühren. Der Elb fuhr zusammen und versuchte zurückzuweichen, doch Cathea hielt ihn eisern fest.

"Das ist nur Ciscara", redete sie sanft auf ihn ein. "Sie will dir nur helfen. Sie muss das tun."

Tatsächlich schien sich Legolas wieder zu entspannen. Sein Blick versuchte Ciscara zu erfassen, aber es gelang ihm nicht so ganz. Dennoch schien er keine Angst mehr vor ihr zu haben.
Lichtgestalt. Aragorn war stolz auf sich. Er hatte erfasst, was in Legolas vorging, ohne selbst einmal so etwas durchgemacht zu haben. Es funktionierte! Und die beiden Frauen arbeiteten wirklich hervorragend mit.
Cathea strich dem Elben sanft über das Haar und führte ihren Mund dicht an sein Ohr.

"Du musst jetzt etwas trinken", sagte sie langsam und so deutlich wie möglich und sah dabei Ciscara auffordernd an.
Die setzte vorsichtig den Becher an Legolas' spröde gewordenen Lippen.

"Ganz langsam schlucken", flüsterte Cathea und dieses Mal schien der Elb wirklich verstanden zu haben, denn er erschrak nicht, als die Flüssigkeit seine Lippen berührte und dann in seinen Mund rann. Und er schluckte tatsächlich gehorsam, bis Ciscara den Becher wieder absetzte.
Aragorn atmete tief durch. Der erste Schritt war getan – jedoch war das, was jetzt folgen würde, gewiss nicht leichter zu bewältigen und es erforderte höchste Konzentration. Aber wenigstens konnten sie sich einen Moment ausruhen.

"Bleibt auf euren Plätzen!" wies Aragorn die beiden Frauen leise an und drehte sich dann zu den Hobbits um.

Sie saßen scheinbar gelassen am Feuer, aber Aragorn konnte ihre Anspannung nahezu körperlich spüren. Ihre wachsamen, leicht beunruhigten Blicke ruhten auf Legolas. Sie machten sich in Wirklichkeit furchtbare Sorgen.

"Sam, ich brauche die Pilze", sagte Aragorn und mehr als geschwind landete die Schale in seiner geöffneten Hand.

"Frodo, es wäre gut, wenn du mir noch eine Decke bringst. Wenn Legolas das alles überstanden hat, braucht er viel Wärme."

Der junge Hobbit nickte stumm und stand sofort auf.

"Wie sieht es mit den restlichen Pilzen aus?" erkundigte sich Aragorn.

"Die duften himmlisch", schwärmte Pippin, beglückt endlich mal etwas Freudiges verkünden zu können. Aragorn brachte ein kleines Lächeln zustande, während Merry die Augen verdrehte.

"Sie sind gut durch", übersetzte er für Aragorn.

"Gut dann helft Sam dabei, einen Teil von ihnen zu pressen!"

"Aragorn!"

Das war Ciscaras Stimme und Aragorn fuhr sofort herum.

"Ich glaube, es geht los!"

Er rückte wieder näher an seinen Patienten heran, hielt aber genügend Abstand, um ihn nicht zu erschrecken. Legolas hatte nach der Aufregung seine Augen wieder geschlossen und war eingeschlafen; doch nun bewegte er unruhig seinen Kopf hin und her. Sein gesamter Körper geriet in Aufruhr. Aragorn wusste, was das bedeutete. Legolas hatte Schmerzen. Die Krämpfe setzten ein und das Fieber stieg. Das Gegengift fing an zu wirken – schneller als er gedacht hatte. Er reichte Ciscara die Schale und sah sie eindringlich an.

"Noch nicht! Wir müssen warten!"

Sie nickte verstehend.
Legolas stieß einen unterdrückten Laut aus und riss die Augen auf. Aragorn sah den Schmerz in ihnen und die Angst, die den Elben von Neuem gepackt hatte, und er verspürte das dringende Bedürfnis, ihn von seinem Elend zu erlösen. Aber der richtige Zeitpunkt war noch nicht gekommen. Das Gift hatte seine Wirkung noch nicht frei entfaltet – das konnte er fühlen. Und so blieb ihm nichts anderes übrig als zuzusehen, wie sich sein Freund mit hohem Fieber unter Qualen wand und zusammenkrümmte. Cathea hielt ihn tapfer fest, redete beruhigend auf ihn ein und warf ab und zu einen erwartungsvollen Blick auf ihren König.

"Aragorn!" hörte er Pippin aufgebracht hinter sich rufen. "Er wird sterben!"

"Wird er nicht!" gab Aragorn zurück, ohne sich umzudrehen.

"Setz' dich wieder hin, Pippin!"

Das war Frodo.

"Aragorn weiß schon, was er tut!"

Und das wusste er. Denn da war es, das Signal, auf das er, Aragorn, gewartet hatte: Es gelang Legolas zum ersten Mal seit seiner Vergiftung die Beine selbständig für mehrere Sekunden zu bewegen. Das eigentliche Gift verlor seine Wirkung.

"Ciscara, jetzt!" raunte er ihr zu und Boromir kam sofort Cathea zur Hilfe, um Legolas besser festzuhalten.

Die Gegenwehr des Elben war gering. Er besaß kaum noch Kraft und die Schmerzen betäubten ihn.

"Du musst das trinken", vernahm Aragorn leise Catheas Stimme, während Ciscara wieder die Schale an seine Lippen setzte.
"Nur noch einmal", hörte er sie sagen. "Ganz langsam. Dann verschwinden die Schmerzen."

Und Legolas trank, bis die Schale geleert war. Es war ein Wunder, dass er überhaupt dazu fähig war, denn ihm war anzusehen, dass mittlerweile sämtliche Kraftreserven seines Körpers verbraucht waren. Die Krämpfe waren noch nicht verschwunden, aber er war nicht mehr in der Lage sich zusammenzukrümmen. Sie hatten ihm keine Sekunde zu früh das letzte Mittel verabreicht. Sein Blick kehrte sich nach innen und im nächsten Moment verlor er die Besinnung, sank in sich zusammen.
Aragorn rutschte schnell an Ciscaras Seite, während Cathea den Elben mit sorgenvollem Blick auf die Decke sinken ließ. Aragorns Finger suchten nervös den Puls des Elben, aber er war noch da – viel zu schnell, aber er war da.

"Wir sollten die Wadenwickel erneuern", schlug Ciscara vor und sah ihren König an.

Der brachte nur ein müdes Nicken zustande, legte besorgt eine Hand auf Legolas' Stirn. Oh, ja, das Fieber war gestiegen. So heiß hatte sich seine Stirn noch nie angefühlt. Das war nicht gut. Aber er konnte nichts mehr tun.

"Haben wir das Schlimmste überstanden?"

Boromirs Stimme klang unsicher und bedrückt.
Aragorn begegnete ihm mit einem Blick, der eigentlich alles sagte.

"Nein", erwiderte er dennoch, "nicht ganz. Aber wir können jetzt nichts mehr tun außer hoffen und beten."

Er meinte jedes seiner Worte ernst. Er würde beten, denn das war das Einzige, was er jetzt noch für Legolas tun konnte.

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A/N: So...Bis zum nächsten Kapitel kann es nun aber wirklich eine ganze Weile dauern, also bitte ein wenig Geduld, okay? Ich poste es echt, so schnell es geht, versprochen. I.