2. Kapitel Masterschaft

„Master! Master!", rief Seras Victoria und hämmerte gegen die Tür zu den Gemächern des mächtigsten Vampirs alive. „Master, seid ihr da? So macht doch auf!!"Nach fünf Minuten tapferen Weiterhämmerns flog die Tür schließlich auf und Seras dachte zunächst, sie hätte sich im Zimmer geirrt, denn ein großer Mann mit wild zerzaustem schwarzen Haar lehnte sich an den Türrahmen. Er hatte sich lediglich ein Betttuch um die Hüften gewickelt. (Gedankengänge: „Kein roter Mantel? Kein Hut? Aber ein Betttuch? ENRICO???") Dann erkannte sie doch ihren Master. Dieser starrte sie aus roten Augen vernichtend an. „Merkst du nicht, dass du störst, junge Polizistin?", knurrte er. „Ich bin beschäftigt!"

Seras verbeugte sich ein paar Mal. „Entschuldigung, Master Alucard! Aber Lady Integra-sama hat gesagt, ihr sollt beim nächsten Einsatz dabei sein! Und der beginnt jetzt!!"„Gefährlicher Einsatz oder 08/15?", erwiderte Alucard.

Seras sah ihn an. Seit wann stellte er solche Fragen? Sie schwenkte die Hand. „Integra-sama hat gesagt, es sei ein ganz normaler Einsatz."

„Dann sag ihr, ich habe keine Lust."Mit diesen Worten schlug Alucard ihr die Tür vor der Nase zu. Das Schloss klickte. Seras stand fassungslos vor der geschlossenen Tür. „Master?"

Anstelle einer Antwort hörte sie ein leises, knurrendes Lachen von Alucard, das aber offenbar nicht ihr galt und daraufhin verhaltenes Kichern, das sich sehr verdächtig weiblich anhörte.

Seras kratzte sich verwirrt am Kopf.

„Haaach, London, du schönste verregnete Stadt der Welt!!", seufzte Spike, als er das Auto in bemerkenswertem Tempo über die Tower Bridge lenkte. „Also hier irgendwo wohnt er...Jetzt müssen wir ihn nur noch finden...", meinte Sarah. „Übrigens werden wir von der Polizei verfolgt, mein allerliebster Spike. Die haben wohl etwas gegen deinen Fahrstil."

Spike sah in den Rückspiegel. „Ach, echt? Na, so ein Pech!"Er schob eine Kassette mit der Aufschrift „Verfolgungsjagd-Musik"in das Autoradio. Spike und Sarah sprachen den Dialog am Anfang des ersten Liedes mit. („I love you, Honeybunny...")

Mit quietschenden Reifen bog Spike um die erste Kurve. „Festhalten, Honeybunny!", rief er begeistert. „Wir probieren jetzt meinen persönlichen Geheimtrick aus, um den alten Taugenichts zu finden!!"

Sirenen und Blaulicht folgten ihnen.

Sir Integra Wingates Hellsing, die Leiterin der Hellsing Organisation, die sich damit beschäftigte, alle Untoten in Britannien auszurotten, saß in ihrer Limousine und zog an ihrer Zigarre. Über ein Funkgerät sprach sie mit einem General. „Die Polizei hat uns soeben um Hilfe gebeten.", gab der General bekannt. „Ein junges Pärchen mit einem Mann im Kofferraum sind durch zu schnelles Fahren und anschließender Flucht aufgefallen und in einer Sackgasse gestellt worden. Natürlich sind es Vampire! Sie sind ziemlich wehrhaft und auch das Eintreffen unseres Einsatzteams dürfte nicht besonders erfolgreich sein! Das hier ist kein normaler Einsatz! Wir brauchen Alucard! Schicken sie ihn schnell her!"

„Lady Integra-sama! Mit Master Alucard stimmt etwas nicht! Er will nicht mit zum Einsatz!", schrie Seras Victoria aufgeregt und rannte Integra entgegen. Integra hatte soeben ihre Zigarre ausgedrückt und stand sofort aus der Limousine auf. „Was? Er muss sofort her, wir brauchen ihn sehr dringend bei einem anderen Einsatz!!"

Diesmal hämmerte Miss Hellsing persönlich an die Tür, Walter an ihrer Seite und Seras hinter sich. „Alucard, mach auf! Wenn du nicht sofort öffnest, dann öffne ich!!"

Keine Antwort.

„Na, schön!"Integra zog ihre Pistole und zerschoss das Türschloss. Die Tür schwang auf. Erstarrt stand Integra an der Türschwelle. Seras bemerkte, wie ihre Chefin erst schneeweiß und dann rot im Gesicht wurde. Rot vor Zorn. Ihre Schultern hoben und senkten sich. Es war wie ein Urschrei:

A L U C A A A R D ! ! ! ! ! "

Walter lachte laut los. Integra kochte vor Wut. Seras blickte über ihre Schulter. Dort war Alucard. In seinem großen Sarg. Aber nicht allein.

War das nicht das Mädel, das kürzlich erst in die Hellsing Organisation eingetreten war? Das große Mädchen mit den Locken und dem schwarzen Mantel? Den schwarzen Mantel trug es gerade freilich nicht. Dafür Bissspuren am ganzen Körper. Ohne Zweifel von Eckzähnen.

Das Mädchen und Alucard schienen einigermaßen erschrocken zu sein.

Integra zitterte. Walter lachte immer noch. Seras war ausgesprochen entsetzt.

„Öh... Äh... Es ist nicht so wie es aussieht, Integra-sama!", begann Alucard. Walters Lachen schwoll an. Alucards Blick ruhte kurz auf ihm und wand sich dann wieder scheu seiner Herrin Integra zu. Diese starrte ihn an und es sah so aus, als wolle sie den Mund öffnen, um weiter zu schimpfen. „Na, gut!", warf Alucard schnell ein. „Es ist genauso, wie es aussieht! Ich bitte um Entschuldigung, Master!"

Integra atmete dreimal tief ein und aus. Sie hatte ihre Fassung zurück. „Du wirst für einen Einsatz benötigt, Alucard. Drei Vampire. Zieh dich an und mach dich auf den Weg!", befahl Integra ruhig. „Sie auch, Miss Friederike!", fügte sie hinzu, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte davon. Seras wankte ihr seelisch zerschmettert hinterher. Walter hing immer noch in der Tür und warf sich vor Lachen hin und her.

„Jetzt hör endlich auf zu lachen, Walter!", sagte Alucard grinsend, zündete sich eine Zigarette an und bot Friederike auch eine an. „Das ist überhaupt nicht lustig!!"

„Doch, das ist es!", sagte Walter glucksend. „Dass Integra-sama sie im Bett mit einer angestellten Söldnerin erwischt und ausgerechnet bei einer traditionellen Bluttaufe, Alucard-sama!! Ich könnte mich kaputtlachen! Na ja, ich lasse sie jetzt aber lieber mal allein, damit Integra-sama nicht noch länger warten muss!"Er drehte sich um und wollte gehen, doch Alucard hielt ihn zurück. „Moment, ich habe noch eine kleine Bitte!"„Was denn?"„Bring bitte ab jetzt zwei Blutkonserven statt einer!"„Aber natürlich, Alucard-sama! Jetzt möchte ich mich aber wirklich empfehlen. Viel Spaß beim Einsatz, Alucard- und Friederike-sama!"

Integra erwartete Alucard und Friederike mit mürrischem Gesichtsausdruck beim Einsatzort. „Ich habe das Gefühl, dass diese Vampire keine Freaks sind.", sagte sie. „Freaks wären nicht so mächtig!"

Alucard sah zum Schlachtfeld hinüber. Er sah den jungen Vampir mit den kurzen, blondgefärbten Haaren und dem langen Ledermantel. Er schaltete kunstvoll jeden einzelnen Soldaten von Hellsing aus, ohne ihn zu töten. Die Polizisten hatten nicht solches Glück gehabt. Ausgesaugt lagen sie auf einem Haufen. An der Seite des Vampirs kämpfte ein rotblondes Mädchen mit langen Haaren und einem Outfit, das dem des Blonden ähnelte. In der Ecke lag ein dritter Vampir. Er hatte dunkle Haare und schien nicht bei Bewusstsein zu sein.

Alucard grinste breit. „Nein, das sind keine Freaks. Das sind echte Vampire."

Als Alucard an vorderster Front des Kampfgeschehens erschien, atmete der General erleichtert auf. „Alle Mann zurückziehen!", brüllte er und die Truppe gehorchte. Da stand Alucard vor dem blonden Vampir: Sein langer roter Mantel flatterte im Wind (vom Garten aus kann ich ihn sehn), der große rote Hut überschattete sein Gesicht und seine Augen waren von den gelben Gläsern seiner Brille verborgen.

„Siehst du, Sarah?", sagte Spike. „So findet man Alucard am schnellsten! Man greift einfach Cops an und saugt sie leer. Dann kommt die Hellsing Organisation und dann kommt Alucard!"

„Gut zu sehen, dass es dich noch gibt, blutjunges Vampirbaby Spike!", sagte Alucard.

„Wir wollten dich mal besuchen kommen, alter Sack Alucard!", erwiderte Spike.

Hinter Alucard trat Friederike hervor. Sie hatte unfassbar viele dunkle Locken und trug einen langen schwarzen Mantel. Als sie Sarah sah, quietschte sie begeistert auf. „SARAH! SÄNFTE MEINES LEBENS!!! Du bist es! Du bist es wirklich!"Die beiden Mädchen stürmten auf einander zu und fielen sich von blinkenden Sternchen und Herzchen umgeben in die Arme. Im Hintergrund ertönte feierlich der Hochzeitsmarsch von Mendelssohn. „Friederike! Friedsch!! Mein Augenstern! Mein Licht am Horizont!!! Du warst noch nie schöner als jetzt, angestrahlt vom silbernen Mondlicht!!!", rief Sarah verzückt und Friederike warf sich vor Sarah zu Boden, nahm ihre Hand und verkündete: „Sarah, ich liebe dich! Darum frage ich dich hier und jetzt: Willst du mich heiraten???"Sarah wischte sich Tränen der Rührung aus den Augen und hauchte: „Ja, Friedsch! Ich will!!!"„Du machst mich so glücklich!!!!!"

Spike und Alucard standen fassungslos daneben.

„Wir haben das immer noch perfekt drauf!", sagte Friederike stolz, stand auf und klopfte sich den Staub von den Knien. „Hat sich noch irgendetwas verändert, seit du mir den letzten Brief geschickt hast, in dem stand, dass du Vampir geworden bist?"

Sarah schüttelte den Kopf. „Nö, nichts besonderes. Aber... Was ist mit dir? Du siehst etwas anders aus! Bist du befördert worden? Deine Augen leuchten so... ähh... rot...!"„Jaah, ich... (räusper: Hier habe ich den Rest des Satzes gestrichen. Der Satz war... doof.) Na ja. Ich bin seit vorhin Vampir. Habe gerade eine echte, traditionelle, transsylvanische Bluttaufe hinter mir!", sagte Friederike und strahlte Sarah an. „Hey! Das ist ja toll!", rief Sarah gutgelaunt. „Und? Ist so eine Bluttaufe lustig?"„Oh, ja!", sagte Friederike. Alucard nickte zustimmend und stolz. Sarah musterte ihn genau. „Du bist also Alucard? Ich kenne dich nur durch lustige Telefonate... Und du maßt dir an, meinen Augenstern gebluttauft zu haben? Na, dann lass mal sehen..."Sarah zog ihm Hut und Brille vom Kopf. Sie marschierte ein paar Mal murmelnd um ihn herum und kam dann zum Schluss: „...Erster Eindruck: Du bist akzeptiert! Sieh bloß zu, dass sich der erste Eindruck nicht als falsch erweist! Sonst schicke ich dich höchstpersönlich zur Hölle!"

Gleichzeitig war Friederike damit beschäftigt, Spike zu umrunden. Dabei murmelte sie synchron zu Sarah den sinngemäß selben Text:

„Du bist also Spike? Ich kenne dich nur durch lustige Briefe von Sarah... Und du maßt dir an, die Sänfte meines Lebens gebissen zu haben? Na, dann lass mal sehen...

Outfit: Sehr gut.

Gesicht und Frisur: Sehr gut.

Körperbau: Sehr gut.

Stimme: Sehr gut.

Erster Eindruck: Du bist akzeptiert! Sieh bloß zu, dass sich der erste Eindruck nicht als falsch erweist! Sonst schicke ich dich höchstpersönlich zur Hölle!"

Sarah und Friederike schüttelten sich anschließend feierlich gegenseitig die Hände.

„Lasst uns einen trinken gehen!", sagte Spike.

„Was machen wir mit dem da?", fragte Alucard und wies auf Angel, der immer noch bewusstlos in der Ecke lag.

„Och, lass ihn einfach liegen!", sagte Spike.

Alucard hatte die Söldner der Hellsing Organisation, die vor der Sackgasse warteten, ziemlich schnell abgewimmelt. Bedeutend schwieriger stellte sich dies bei Integra heraus. Integra war immer noch sauer und das ließ sie Alucard auch spüren. „Erst lässt du dich von mir bei deiner Blutorgie mit einer meiner Söldnerinnen erwischen und dann soll ich dir auch noch die Erlaubnis erteilen, mit drei anderen Vampiren, unter denen auch besagte Söldnerin ist, durch die Kneipen Londons zu ziehen?"„Master! Erstens habt ihr das Schloss an meiner Tür zerschossen, als ihr uns erwischt habt und das konnte ich ja wohl nicht ahnen! Und zweitens werden wir auch keinen Ärger machen!", versuchte Alucard es weiter. Integra verschränkte die Arme. „Na, schön. Es geht mich ja eigentlich ohnehin nichts an, was du in deiner Freizeit machst. Ich werde das Schloss reparieren lassen. Einen zweiten Sarg scheint ihr aber ja offensichtlich nicht zu brauchen."Integra betätigte den Fensterheber an der Limousine und der Wagen brauste davon.

„Hurra! Sie ist immer noch sauer! Und es hat sie überhaupt nicht interessiert, dass Sarah und Spike die Polizisten umgebracht haben. Die hat nur ein Problem mit Friederike und mir!!", sagte Alucard.

„Wuähähähähähähääää!!!!", lachte Spike. „Ihr habt euch von eurer Chefin bei der Bluttaufe erwischen lassen? Hahahahahahaaaa!"

„Ja, los, streu noch Salz in die Wunden!! Wir hatten trotzdem Spaß!!!!!!", motzte Alucard.

„Wo gehen wir jetzt hin?", fragte Sarah.

„Wir könnten erst einmal Lisa abholen gehen!", sagte Friederike. „Ich weiß, wo sie jetzt wohnt!"

„Kommt er dann auch mit??", erkundigte sich Alucard und zählte die Silbermunition im Magazin seiner riesigen Pistole.

„Versuch bitte nicht gleich wieder, ihn umzubringen, Meister!", sagte Friederike. „Lisas Mann, nein, Verlobter ist dummerweise Alucards Erz- aber Lieblingsfeind.", erklärte sie Sarah und Spike.

„Verlobter? Ich lach mich kaputt! Wer ist es? Wann heiraten sie?", fragte Sarah.

„Sie heiraten morgen. Er ist ehemaliger Paladin. Für Lisa musste er allerdings aus der Kirche austreten und ist seitdem freier Vampirjäger. Er heißt Alexander Anderson(g)."

„Aha!"

-Fortsetzung folgt-