Hermines Wahn
Harry wachte am nächsten Morgen sehr früh auf. Müde und nachdenklich sah er auf die Uhr. Es war erst zehn Minuten nach fünf. Harry schloss die Augen und ließ sich zurück in sein Kissen sinken. Er war diese Nacht mehrmals aufgewacht. Die Erinnerung, wie Ron und Hermine reagiert hatten, hatte ihn wach gehalten oder nur ein, zwei Stunden am Stück schlafen lassen. Doch jetzt, da Harry wach war, konnte er nicht mehr einschlafen. Das Geräusch des prasselnden Regens draußen, der an die Fensterscheiben hämmerte, ließ sich nicht überhören. Und so stieg Harry leise aus dem Bett um Ron, Dean, Seamus und Neville nicht aufzuwecken, zog sich an, schlich zur Schlafsaaltür und ging die Treppe hinunter in den verlassenen Gemeinschaftsraum. Er sah sich um. Ein behagliches Feuer knisterte im Kamin und erhellte den Raum. Alles war still und friedlich, ganz anders als sonst, wenn viele Schüler im Raum saßen und redeten, ihre Hausaufgaben machten, anderen Streiche und Zaubererschach spielten. Harry fläzte sich in einen Sessel vor dem Feuer und starrte hinein. So wie es flackerte, hatte es etwas Beruhigendes. Alle Probleme, Gedanken und Sorgen wurden jetzt aus Harrys Kopf vertrieben und nach ungefähr zehn Minuten des Nichtstuns wurden Harrys Lider schwer. Schließlich schlief er wieder ein. Keine Träume suchten ihn nun Heim oder raubten ihm den Schlaf und erst als jemand in Harrys Nähe sprach, wurde er wach. „Glaubst du es geht ihm gut?", hörte Harry Rons unsichere Stimme. „Ja, ja. Er atmet noch!", hörte er Hermines Stimme, nicht ganz so unsicher wie die Rons, doch immer noch besorgt. Harry schlug die Augen auf. „Harry?", sagte Hermine die links von Harry stand, „Alles in Ordnung mit dir?"„Ja, natürlich!", sagte Harry und stand so schnell auf den Beinen, dass Ron und Hermine erschrocken zurücksprangen. „Wie bist du hier her gekommen?", wollte Ron wissen. „Ich war ziemlich früh wach, bin dann hier runter gekommen und muss wieder eingeschlafen sein. Was ist? Was habt ihr?", sagte Harry und sah abwechselnd seine beiden Freunde an. „Gar nichts!", sagte Hermine rasch, „Lasst uns frühstücken gehen."
Sie gingen hinunter in die Große Halle, wo Professor McGonagall gerade am Gryffindor Tisch die neuen Stundenpläne verteilte. Harry, Ron und Hermine setzten sich neben Ginny, die gerade ihren Toast mit Marmelade bestrich. „Guten Morgen!", sagte Hermine zu ihr und schnappte sich ebenfalls einen Toast. Auch Ron langte zu, doch Harry hatte keinen Appetit. Der Satz „Er atmet noch", machte ihm mächtig zu schaffen. Was hieß „noch"? Glaubten Ron und Hermine vielleicht Harry sei ein armes, schwaches Kerlchen, das eines Tages von Voldemort umgebracht werden könnte, wenn er nicht schon vorher den Löffel abgab, weil er eines Tages in einem Sessel einfach aufhören oder vergessen würde zu atmen? „Du isst ja gar nichts, Harry", bemerkte Ginny. Ron und Hermine sahen ihn besorgt an, was Harry ziemlich auf die Nerven ging. „Geht's dir nicht gut?", fragte Ron. „Doch, doch! Mir geht's blendend!", sagte Harry und langte nach einem Toast an dem er nur ein wenig herumkaute. Ein großer Tumult brach los. Flügelrascheln ertönte und über hundert Eulen schwebten in die Halle und überbrachte ihren Besitzern oder Empfängern ihre Briefe und Pakete. Hermine bekam den Tagespropheten und einen Brief von einer großen grauen Eule. Harry erhielt eine kleine Notiz von Hagrid, die Hedwig ihm brachte. Harry streichelte ihr übers Gefieder, sie schuhute, nahm einen Schluck Kürbissaft und flog hoch in die Eulerei. Auf dem kleinen Zettel hatte Hagrid eine krakelige Nachricht geschrieben:
Lieber Harry,
Komm doch heute Abend ma' runter zu mir. Bring Ron und Hermine nicht mit. Ich muss alleine mit dir sprechen.
Bis dann, Hagrid
Harry faltete das Pergament zusammen und steckte es in die Umhangtasche. Was Hagrid wohl von ihm wollte? Plötzlich hörte Harry ein leises Schnauben und ein spöttisches Kichern. Es kam von Hermine, die gerade ihren Brief las. Harry sah sie verwirrt an. Auch Ron beäugte nun Hermine. Das Kichern wurde allmählich zu einem lauten Lachen, das durch die ganze Halle tönte und die Nachbartische verstummen ließ. Hermine stand auf ohne ihren Brief noch eines Blickes zu würdigen und ging immer noch laut lachend aus der Großen Halle. Harry und Ron starrten ihr mit offenem Mund nach. „Was war das denn?", sagte Ron bevor er sich den Brief schnappte, ihn durchlas und ihn dann Harry in die Hände klatschte. „Lies dir das durch!", sagte er zornig und entrüstet zugleich. Harry warf Ron einen raschen Blick zu, dann las er sich den Brief durch. Dieser war kurz gehalten, doch seine Worte waren klar und deutlich:
Liebe Hermine,
ich muss dir sagen, dass es zwischen uns nicht mehr funktioniert. Wir sehen uns nie und über Briefe eine Beziehung zu führen ist einfach nicht richtig. Versteh mich bitte nicht falsch, ich mag dich wirklich sehr, aber ich habe hier jemand neues gefunden. Bitte sei mir nicht böse. Du wirst immer eine gute Freundin für mich sein!
Victor
„Wow!", sagte Harry, „Der hat ja Mut!"Er musste aus irgendeinem Grund, den er selbst nicht wusste, grinsen, hörte aber sofort wieder auf, als er Rons Miene sah. „Was erlaubt der sich eigentlich?", sagte Ron aufgebracht, „Es tut ihm zwar Leid, was er ihr damit antut, aber er hat schon 'ne Neue! Er scheint ja ziemlich schnell drüber hinweg gekommen zu sein."Ron rauchte förmlich vor Zorn. Dann wurde er schlagartig besorgt und blickte zur Tür, wo Hermine erst vor ein paar Minuten herausstolziert war. Harry, völlig überrascht von Rons plötzlichem Stimmungsumschwung, sah ihn mit hochgezogenen Brauen an und sagte: „Und da fragt ihr mich ständig, ob es mir gut geht. Ich sollte euch das fragen!"„Ob es ihr wohl gut geht?", sagte Ron und starrte immer noch auf die Stelle, wo Hermine verschwunden war, offenbar, ohne Harrys Worte wahrgenommen zu haben. Harry musste schon wieder grinsen. „Warum gehst du ihr nicht nach und siehst wie es ihr geht?", fragte er und Ron war sofort wild entschlossen. „Ja!", sagte er, „Lass uns gehen!"„Nein, so meinte ich das nicht", sagte Harry und sah Ron mit weit aufgerissenen Augen an. Ron schien verwirrt. „Aber du hast doch gerade gesagt..."„ Dass du zu ihr gehen sollst", beendete Harry den Satz. „Und mit 'du' meinte ich eigentlich nur dich!"„Wieso kommst du nicht mit?", fragte Ron. „Weil das deine Gelegenheit ist, Mann!", sagte Harry und biss ein Stück von seinem Toast ab, der, obwohl Harry ihn schon seit fünf Minuten aß, immer noch fast gar nicht angegessen war. „Wie...meinst du?", sagte Ron misstrauisch. „Ich meine", sagte Harry erklärend, „ dass wenn man nicht blind ist, man deutlich erkennen kann, dass du in Hermine verkna..." „Schhhh!", machte Ron, sah sich um ob jemand Harry gehört hatte und fuchtelte mit den Händen. „Nicht so laut! Du weißt es also? Hat Ginny es dir erzählt?"Ron blickte sich wieder um, doch diesmal wütend und offenbar auf der Sucher nach seiner Schwester. „Ron, ich hab dir doch gesagt, dass man es daran erkennt, wie du dich verhältst. Das ist echt auffällig", sagte Harry. Ron funkelte ihn an. „Du bist auch nicht besser bei dem Tornadofan!", sagte er säuerlich. „Tornadofan?", fragte Harry unsicher, „Wen meinst du?"„Na Chang!", brüllte Ron. Jetzt war es an Harry „Schhhh"zu machen. Cho hatte sich gerade zu ihm umgedreht, vermutlich auf Grund Rons Geschrei. Harry grinste verlegen und winkte ihr zu. Sie grinste zurück und wandte sich wieder ihrem Frühstück zu. „Tut mir Leid!", flüsterte Ron. „Schon gut! Lass uns aufhören zu streiten und lieber nach Hermine sehen", sagte Harry. „Zusammen?", fragte Ron. „Ja, zusammen."
Harry und Ron machten sich auf die Suche nach Hermine, doch fanden sie sie nicht. Sie war nicht auf dem Klo (Harry und Ron hatten Parvati gefragt, als sie aus dem Mädchenklo kam), sie war nicht im Gemeinschaftsraum und auch nicht in der Bibliothek. Schließlich hatten die beiden keine Zeit mehr. Der Unterricht fing in zehn Minuten an. Harry sah auf seinen Stundenplan. „Wir haben als erstes Verteidigung gegen die dunklen Künste", sagte Ron, der ebenfalls seinen Stundenplan herausgeholt hatte. „Wer ist eigentlich der neue Lehrer?", wollte Harry wissen. „Keine Ahnung... ah, wo ist Hermine wenn man sie mal braucht?"„Mir ist heute Morgen niemand Neues aufgefallen, dir etwa?"„Nein", sagte Ron und verzerrte vor Konzentration das Gesicht. „Oder doch! Da war so eine Hexe..." „Geht's vielleicht ein bisschen genauer?", meinte Harry und sah Ron an. „Lass mich doch mal überlegen!"„Mach ich doch die ganze Zeit!", witzelte Harry. „Ja, ja, ja... ah jetzt weiß ich es wieder!", sagte Ron aufgeregt. „Sie hatte schwarze Haare und eine ziemlich lange Nase"„Du beschreibst gerade Snape", sagte Harry und fing an zu lachen, denn das Bild, wie Snape in den Kleidern von Nevilles Großmutter steckte, kam ihm wieder in den Kopf. „Ach ja", sagte Ron verlegen lächelnd, „Sie saß neben ihm, deswegen hab ich das wohl verwechselt. Okay, warte kurz." Harry verkniff sich einen Kommentar. „Ich glaube... Ich glaube sie hatte rote Haare, oder doch schwarze?"Ron war verwirrt. „Ach ich weiß es doch auch nicht!", sagte er wütend. „Na ja, wir werden es ja gleich sehen", sagte Harry beschwichtigend und er und Ron gingen zu dem Klassenraum für Verteidigung gegen die dunklen Künste. Als Parvati und Levander vor ihnen auftauchten, hörten Harry und Ron auch sie darüber grübeln, wer der neue Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste war. „Ich hoffe es ist nicht Snape", flüsterte Parvati. Harry und Ron sahen sich an. „Du glaubst doch nicht, dass sie Snape genommen haben - oder?", fragte Ron besorgt. „Nein!", sagte Harry und versuchte soviel Zuversicht wie nur möglich in seine Stimme zu legen. Aber wenn Dumbledore wirklich Snape eingestellt hatte, würde dieses Schuljahr für Harry der absolute Alptraum werden. Professor Snape, der fetthaarige und gemeine Lehrer für Zaubertränke, schikanierte Harry wo er nur konnte. Er hasste Harry, genauso wie Harry ihn hasste, schon allein deshalb, da Snape seinen Vater und Sirius nicht ausstehen konnte und über beide üble Geschichten erzählte und sie beleidigte. „Harry? Wo willst du hin?"Harry, aufgeschreckt, da er seinen Namen gehört hatte, blieb abrupt stehen und sah sich um. „Huh... was?"Harry war so in seinen Hassgedanken von Snape versunken gewesen, dass er direkt am Klassenzimmer vorbeigegangen war. Er lief zurück und Ron öffnete die Tür. Als sie eintraten, sahen sie Hermine an einem Tisch in der Mitte sitzen. „Hermine!", sagte Ron erstaunt, „Hier bist du also."„Wo sollte ich auch sonst sein?", sagte sie leicht spöttisch als Harry und Ron sich neben sie setzen. „Na ja, wir haben den Brief gelesen und da dachten wir..."Weiter kam Ron nicht, denn Hermine sah ihn nun zornfunkelnd an. „Ihr lest meine Post? Na das ist ja ganz hervorragend!"Sie schien offenkundig verärgert zu sein. „Hermine wir wollten doch nur wissen, was mit dir los ist. Deshalb haben wir es getan", versuchte Harry die Situation zu retten. Doch Hermine achtete nicht auf ihn. Und auch weitere Erklärungen ließ sie an sich abprallen. Plötzlich hörte man auf dem Flur ein Scheppern und ein lautes: „Verdammt!"Die ganze Klasse war mit einem schlag ruhig. Einige Zeit herrschte vollkommene Stille auf dem Korridor, dann konnte man deutliche klackernde Schritte vernehmen. Die Tür schwang auf und herein trat eine Hexe mit rot-goldenem Haar, ganz in schwarz gekleidet und mit einer menge Scherben in der Hand. Harry konnte sich gar nicht vorstellen, wie Ron sie mit Snape verwechselt haben konnte. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Die Klasse war immer noch ruhig, was auch kein Wunder war. Harry sah sich um. Sein Blick fiel als erstes auf Ron. Er starrte mit offenem Mund auf die neue Lehrerin. Dann ließ Harry den Blick weiter schweifen. Fast alle Jungen, bis auf ein paar Ausnahmen wie Neville und Dean, glotzen genauso wie Ron. Auch Hermine schien das bemerkt zu haben, blickte noch wütender und stach Ron scharf mit dem Ellbogen in die Seite. „Autsch! Was sollte das?", flüsterte er ihr zu. Doch Hermine schüttelte nur den Kopf, schnaubte verächtlich und sah wieder nach vorne. „Guten Morgen! Ich bin Professor Tonks!"Jetzt fiel Harry ein, wem sie ähnlich sah. „Die selben Augen, der selbe Mund", wisperte Harry vor sich hin. „Tonks?", zischelte Hermine, „Meint ihr, sie ist ihre Schwester?"„Wenn ihr von Nymphadora Tonks sprecht, dann ja!", sagte Professor Tonks und Harry und Hermine schraken zusammen. Professor Tonks lachte. „Lasst mich raten... Hermine Granger und Harry Potter?"Harry und Hermine nickten. „Wusste ich es doch! Meine Schwester hat mir viel von euch erzählt."Die gesamte Klasse sah jetzt zu den beiden, wie sie da saßen und immer röter anliefen, wegen all der Aufmerksamkeit. „Nun dann", verkündete Tonks, „Lasst uns anfangen. Oh verdammt... na ja lasst uns versuchen anzufangen. Wer ist gut im puzzeln?"Sie besah sich die Scherben, seufzte tief und blickte dann in die Klasse. „Keiner?", fragte Tonks nun hoffnungslos, „Zu schade aber auch. Nun ja, dies", sie wies auf die Scherben auf ihrem Pult, „war einmal ein Feindglas. Kann mir jemand sagen, was ein Feindglas ist?" Harry, Hermine und Ron meldeten sich und sie waren nicht die einzigen. Alle, die damals in der DA - ihrem geheimen und unerlaubten Verteidigungsclub – waren, wussten offenbar noch, was Harry ihnen über diesen Antiobskuranten beigebracht hatte. „Oh zum Kuckuck!", zischelte Tonks, „ich vermassele heute aber auch alles! Wir müssen erst die Namensliste durchgehen, sonst weiß ich leider nicht, wer ihr seid!"Sie nahm sich die Liste zur Hand und las jeden Namen laut vor. Der jeweilige Schüler oder die jeweilige Schülerin meldete sich und Professor Tonks sah sich ihn oder sie ganz genau an bevor sie zum nächsten Namen kam. „So", sagte Tonks, als sie die Liste durchgearbeitet hatte, „Jetzt noch mal... was ist ein Feindglas? Mr Thomas?"„Ein Feindglas ist ein Antiobskurant. Es zeigt an, wenn Feinde sich nähern", antwortete Dean und Hermine ließ ein wenig enttäuscht die Hand sinken. „Vollkommen richtig! Fünf Punkte für Gryffindor."Harry verspürte wieder leicht den Stolz vom letzten Jahr. Hermine meldete sich wieder. „Ja, Miss Granger?"„Bitte, Professor ich frage mich nur", sagte Hermine zaghaft, „warum Sie den Spiegel nicht wieder reparieren?"„Du meinst mit einem Zauber? Nun ja, das scheint das Beste zu sein, doch leider hat der Reparo- Zauber nicht die geringste Wirkung auf ein Feindglas, oder irgendeinen anderen Antiobskuranten.", erklärte Professor Tonks. „Wenn so ein kostbarer und äußerst magischer Gegenstand zerbricht, kann man ihn nicht mehr reparieren, weil die Magie aus ihm entwichen ist. Man könnte es wieder richten, aber das ist unglaublich schwierig, erfordert äußerste Konzentration und vor allen Dingen viel Zeit. Nur wirklich mächtige Zauberer, die sehr gut in der in der Verteidigung gegen die dunklen Künste bewandt sind, können Feindgläser oder Spickoskope oder desgleichen wieder zu vollkommener Tätigkeit bringen."Ron und Hermine sahen Harry an. Er blickte aus den Augenwinkeln zurück und die beiden ließen es bleiben. „Aber wenn wir schon einmal so ein kaputtes Feindglas haben...", fing Tonks an und verfiel dann kurz in nachdenkliches Schweigen. „Dann könnten wir versuchen es wieder zu reparieren. Was haltet ihr davon?", sagte sie begeistert. „Aber sie haben doch gerade gesagt, dass nur wirklich gute Zauberer das können", sagte Parvati. Zustimmendes Murmeln durchschwebte den Raum wie Bienengesumm. Tonks sah enttäuscht aus. „Aber ihr seid doch gut, oder nicht? Und selbst, wenn ihr es bis jetzt noch nicht seid, dann mache ich dieses Jahr die Eliteklasse aus euch! Ihr müsst vorbereitet sein, auf das was euch erwartet, dort draußen!", sagte sie und wies aus dem Fenster.
„Oh man. Die hört sich teilweise an wie Moody, was?", sagte Ron und schüttelte leicht den Kopf, als sie nach der Stunde auf dem Weg zum Schlossgelände waren. Sie hatten als nächstes Pflege magischer Geschöpfe. „Ja, und sie flucht verdammt gerne. Seht ihr... das steckt an sag ich euch!", meinte Hermine. „Du redest also wieder mit uns?", fragte Harry. „Nun, ich denke es gibt schlimmeres als das ihr meine Post lest. Und wenn es eine Ausnahme bleibt. Außerdem meintet ihr es ja nur gut."Sie waren jetzt in der Eingangshalle, wo sie durch das Schlossportal gingen. Kurz vor ihnen waren Malfoy, Crabbe und Goyle. „Sag bloß wir haben dieses Jahr schon wieder mit den Slytherins", sagte Ron und stöhnte laut auf. Auch Harry war nicht gerade darüber begeistert. Das gab Malfoy nur noch mehr Gelegenheiten vor ihm über Hagrid herzuziehen. „Ich fürchte schon. Sieht nicht so aus als wollten sie zu den Gewächshäusern", sagte Hermine betrübt. „Kannst du mir etwas versprechen Hermine?", sagte Ron und starrte mit finsterem Blick auf Malfoy. „Das wäre?", sagte sie zaghaft. „Wenn er nur ein Wort über Hagrid sagt, egal ob schlecht oder gut... ach was red ich da... wenn er ein schlimmes Wort über Hagrid sagt, dann klatsch ihm doch bitte noch mal eine, ja?"Harry lachte, doch Hermine war hin und her gerissen zwischen Vernunft und Belustigung. Die drei waren jetzt an Hagrids Hütte angelangt. Er wartete schon auf sie. „Da seid ihr ja alle! Schön, dann können wir ja jetzt anfangen!", sagte Hagrid fröhlich und stiefelte los in Richtung Wald. „Wo gehen wir denn hin, Hagrid?", wollte Hermine wissen. „Wir gehen ein Stück in den Wald, hab da was vorbereitet", antwortete er und ging ohne sich umzudrehen weiter. Harry, Ron und Hermine sahen sich entsetzt an, dann gingen sie zügig auf Hagrid zu und versuchten neben ihm Schritt zu halten. „Du willst aber nicht so weit rein, oder Hagrid?", flüsterte Harry besorgt. „Niemand sollte davon wissen! Du kriegst gewaltige Schwierigkeiten, wenn jemand das herausfindet!", sagte Hermine ängstlich mit gesenkter Stimme, denn Malfoy war keinen Meter von ihnen entfernt. „'Türlich nicht!", sagte Hagrid und schüttelte hastig den Kopf, „Bin ja nicht verrückt!"Harry war ein wenig wohler zumute. Er hatte schon befürchtet, Hagrid würde sie geradewegs zu Grawp führen. Grawp, Hagrids Halbbruder, war ein fünf Meter großer Riese, den Hagrid von seiner Reise mit Madam Maxime letztes Jahr mitgebracht hatte. Wenn irgendjemand von der Sache Wind bekäme, säße Hagrid ganz schön in der Patsche. „So, wir sind da", sagte Hagrid und blieb stehen. Er hatte sie auf die Selbe Lichtung geführt, wie damals, als sie die Thestrale durchgenommen hatten. „Wartet hier", meinte Hagrid, „Ich hole sie schnell."Er ging. „Was glaubt der eigentlich? Das wir uns in den Wald stürzen oder was?", schnarrte Malfoy. Ron sah Hermine hoffnungsvoll an. „Hältst du dein Versprechen?", sagte er mit zitternder Stimme. „Ich habe dir nie etwas versprochen, Ron", sagte Hermine schlicht. „Aber dieser grantige, alte Mistkerl ist so ein A..."Doch Ron wurde unterbrochen. Hagrid war wiedergekommen. Hinter ihm stand eine große, anmutige Sphinx. Die ganze Klasse starrte mit offenem Mund auf das Geschöpf. „Das", sagte Hagrid laut zu der Klasse, „Ist eine Sphinx. Kann mir jemand die Eigenschaften einer Sphinx nennen?" Hermine, die vor entsetzten auf die Sphinx gestarrt hatte, erwachte jetzt aus ihrer Trance und streckte ihre Hand in die Luft. „Die Sphinx ist ein Rätselwesen. Sie wurde und wird heute noch eingesetzt um wichtig Dinge zu schützen."„Hervorragend!", polterte Hagrid und lächelte. „Und weiter?"„Sphinxen greifen alle an, die ihre Rätsel nicht lösen können, um das zu verteidigen, was sie behüten. Nur wenige Zauberer können dann noch entkommen. Sonst ist die Sphinx ein recht zahmes Geschöpf", sprudelte Hermine weiter. „Fünf Punkte für Gryffindor!", strahlte Hagrid sie an. „Um mit 'ner Sphinx fertig zu werden, brauchste nich' viel. Nur Logik und Geduld. Das is alles. Ihr müsst nur genau zuhören, was sie sagt und dann kommt der Rest praktisch von allein. Harry kann es euch ja bestätigen."Schon zum zweiten Mal an diesem Tag drehte sich die gesamte Klasse zu Harry um. Harry sah zu Boden. Das alles hier passte ihm gar nicht. Es erinnerte ihn viel zu sehr an die Ereignisse von vor fast zwei Jahren, die Harry doch so angestrengt zu verdrängen sucht. Der Irrgarten, der Friedhof, Cedric tot, Voldemorts rote, durchdringende, furcht erregende und schlitzartige Augen, die ihn ansahen. Die Bilder liefen wieder vor seinem Auge ab. Besonders jenes von Cedric blieb länger haften. Harry wusste, er würde diese Nacht genauso wenig schlaf bekommen, wie in der letzten. „Schön", sagte Hagrid schnell, der offenbar bemerkt hatte, was er bei Harry ausgelöst hatte, „Wenn ihr dreier Gruppen bildet, können alle gleichzeitig üben. Drüben auf der Koppel stehen noch mehr."Sie machten sich auf den Weg. Harry, Ron und Hermine waren in einer Gruppe. Sie saßen auf dem Boden und hörten sich das Rätsel ihrer Sphinx an.
Man kann sie nicht sehen, jedoch spüren.
Sie kann einem den ganzen Kopf umrühren.
Sie kann schön, aber zugleich auch grausam sein.
Sie bringt jemanden zum lächeln, den anderen zum weinen.
Sie kann ein schwach, aber auch stark machen.
Jeder kennt sie, sowohl Mensch als auch Tier.
Ohne sie wären wir heut nicht hier.
Harry und Ron sahen Hermine an, die überlegte. Als sie dies bemerkte sagte sie: „Was ist? Was guckt ihr so?"„Wir warten darauf, dass du das Rätsel löst", sagte Ron gelassen. „Du bist nun mal die mit dem meist logisch tickenden Gehirn von uns drein!", meinte Harry. „Aber Harry, du hast das auch schon mal geschafft. Wisst ihr was? Ich glaube ich überlasse euch die Sache mal. Sonst tut ihr nämlich gar nichts!", fügte sie gehässig hinzu. „Wir müssen das doch nicht machen.", sagte Ron entschlossen. „Wenn ihr Hausaufgaben wollt, bitte sehr. Ich weiß die Lösung!" Sie wirkte etwas geknickt. „Und?", fragten Harry und Ron begierig wie aus einem Munde. „Hört ihr mir eigentlich nicht zu? Ich sag es euch nicht. Ihr seid nicht weniger klüger als ich!" Damit war für Hermine die Sache beschlossen. „Na schön", murmelte Ron beleidigt. Er sah Harry an. „Glaubst du etwa ich kann das?", fragte Harry und lachte auf, „Das kannst du dir gleich wieder aus dem Kopf schlagen."Harry und Ron hörten sich das Gedicht immer und immer wieder an, während Hermine sie dabei beobachtete. „Jetzt kann ich es schon auswendig!", sagte Harry genervt. „Also man kann es nicht sehen, aber spüren..." „Einen Schlag in den Magen!", sagte Ron gelangweilt. „Das kann man doch seh... oh, verstehe das war ironisch gemeint", sagte Harry. „Ihr denkt einfach nicht richtig nach!", sagte Hermine beiläufig. „Dann hilf uns doch! Hermine, meine Hirnwindungen tun schon weh!", sagte Ron gereizt. Sie machte den Mund auf um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber doch wieder. Harry hatte stark das Gefühl, dass sie etwas wie „Welches Gehirn?", sagen wollte. „Harry", fing sie an, „Ich weiß ganz genau, dass du das im Moment durchmachst. Bei Ron bin ich mir nicht sicher ob er das überhaupt kann, mit seiner Gefühlswelt eines Teelöffels!"Sie wandte sich kurz ab. Ron streckte ihr die Zunge aus und schnitt eine Grimasse. „Ich weiß, dass du das machst Ron!", sagte Hermine bissig. Rons Augenbrauen waren so sehr zusammengezogen, dass sie praktisch eine Linie bildeten. Harry grinste und dachte dann darüber nach, was Hermine gesagt hatte. Wenn sie wusste das er es durchmachte, was konnte es dann sein? Die Sache mit Voldemort? Nein, das brachte einen nicht zum lächeln. Dann war da natürlich noch die Sache mit Cho. Darüber wussten Hermine und Ron bescheid. Und wenn Harry es sich so recht überlegte passte alles aus dem Rätsel der Sphinx perfekt. „Cho", flüsterte er vor sich hin. Hermine und Ron wandten sich Harry zu. Hermine lächelte. „Genau. Und was empfindest du für sie?", sagte sie. Harry spürte wie er wieder einmal rot anlief. „Na ja...", Harry wusste es genau, aber es auszusprechen, war etwas ganz anderes. „Ach zum Teufel, die Lösung ist Liebe!", fauchte Hermine. In diesem Moment läutete es. Hermine rauschte ohne einen weiteren Blick auf sie davon. „Vollkommen durch den Wind! Die Sache macht ihr doch ganz schön zu schaffen, oder wie siehst du das?", sagte Ron uns schüttelte leicht den Kopf, als Harry und er sich auf den Weg zum Mittagessen machten. Hermine saß schon am Tisch und las in einem sehr dicken Buch, während sie ihren Kartoffelbrei aß. Harry und Ron setzten sich ihr gegenüber. „Hermine?", sagte Ron zaghaft. „Was?", gab sie schroff zurück. „Alles in Ordnung mit dir?", fragte Harry. „Ja klar!"Sie klang nicht sehr überzeugend. Er sah Hermine mit hochgezogenen Brauen an. Sie schrei vor Wut auf, klappte energisch ihr Buch zu und wütete dann: „Lasst mich doch einfach in Ruhe okay?"Wie schon beim Frühstück ging sie zügigen Schrittes aus der Großen Halle.
Harry und Ron ließen Hermine für den Rest des Tages in Ruhe, so wie sie es gesagt hatte. Es hatte einfach keinen Sinn mit ihr zu sprechen, wenn sie derart aufgebracht war. Die Doppelstunde Zaubertränke war wie jedes Jahr der Horror. Snape ließ sie einen derart schwierigen Trank brauen, dass Neville schon nach einer Minute eine kleine Explosion ausgelöst hatte. Sein Gesicht war schwarz und die Haare standen ihm ab. „Ich glaube ich habe noch nie einen erbärmlicheren Schüler als sie gehabt, Longbottom!", schrie Snape den vollkommen starren Neville an. „Obwohl...", er drehte sich zu Harry um, lächelte gehässig und brachte dann mit einem Schwung seines Zauberstabs wieder alles in Ordnung.
„Das musste doch kommen, oder?", sagte Harry ärgerlich, nachdem sie Schluss hatten. „Seitdem was letztes Jahr passiert ist, hasst er mich noch mehr!"„Was ist letztes Jahr passiert?", fragte Ron verdutzt. Harry hatte ganz vergessen, dass er Ron und Hermine nichts von dem Ereignis im Denkarium erzählt hatte. Und so berichtete er Ron was damals geschehen war. Ron hatte ihm mit offenem Mund zugehört. „Wow", sagte er dann knapp. „Jah", sagte Harry niedergeschlagen. „Deswegen wolltest du damals mit Sirius sprechen?"„Ja."Ron sagte den ganzen Weg zum Gemeinschaftsraum kein Wort mehr. Auch dort angekommen, machten sie sich stumm an ihre Hausaufgaben, bevor sie hinunter zum Abendessen gingen. Am Gryffindor- Tisch herrschte fröhliches Treiben. Harry und Ron taten sich von all den köstlichen Speisen etwas auf. Gerade war Harry dabei seine Steak und Nieren- Pastete hinunterzuschlucken, da hörte er wie Parvati zu Levander sagte: „Ja, sie sitzt nur auf ihrem Bett und starrt diesen Brief an."Harry stupste Ron in die Seite und spitzte die Ohren. „Das ist ja schrecklich! Weißt du wie es ihr geht?", flüsterte Lavender ihrer Freundin zu. „Nein, sie redet nicht. Sie starrt nur diesen Brief an, das ist alles."„Sie war heute den ganzen Tag schon so komisch. Beim Frühstück, aber da hat sie ja den Brief gekriegt. Und dann im Unterricht. Besonders bei Hagrid!"Hagrid? Bei Harry fingen die Alarmglocken an zu läuten. „Oh, so ein Mist! Ron, ich muss noch zu Hagrid."„Kann ich mitkommen?", fragte Ron. „Nein, tut mir Leid. Hagrid will mich alleine sprechen!", sagte Harry und warf Ron einen entschuldigenden Blick zu. „Oh... okay. Wir sehen uns nachher!", sagte er ein wenig traurig. Harry spurtete durch die Eingangshalle, durch das Eichenportal und über die Länderein auf Hagrids Hütte zu. Dort angekommen klopfte er außer Atem an die Tür. Hagrid öffnete ihm sofort die Tür. „Hallo Harry, dachte schon du kommst nicht mehr", sagte er und ließ Harry eintreten. „Möchtest du 'nen Tee?"„Nein danke, Hagrid.", sagte Harry knapp, „Also, warum wolltest du mich sprechen?"„Ich wollt nur mal 'nen bisschen mit dir reden Harry. Aus keinem besonderen Grund", sagte Hagrid und setzte sich auf das Sofa. Doch Harry hätte schwören können, dass Hagrid ihm nicht in die Augen gesehen hatte, was bei ihm immer in Zeichen dafür war, dass er nicht ganz die Wahrheit sagte. „Und warum sollten Ron und Hermine dann nicht mitkommen?", fragte Harry um Hagrid in die Zwickmühle zu bringen. „Nu... also...", stammelte er, „Also... ach na gut. Harry ich wollt sehen wie es dir geht."„Mir geht's toll", sagte Harry kühl, dem wegen dieser ständigen Fürsorge beinahe der Kragen platzte. „Dumbledore hat mir alles erzählt, was in seinem Büro passiert ist", sagte Hagrid und sah zu Boden. Harry saß jetzt gerade im Sessel. „Alles?", fragte Harry ungläubig. „Auch alles über die..."„Prophezeiung, ja.", schloss Hagrid den Satz für Harry. Harry stand augenblicklich auf. „Muss gehen", sagte er kurz angebunden, „Muss noch Hausaufgaben machen!"Und mit diesen Worten ging er auf die Tür zu. „Warte!", rief Hagrid und Harry blieb wie angewurzelt stehen, „Ich mach mir Sorgen um dich Harry."Das war zu viel. „KÖNNTET IHR EINFACH ALLE MAL AUFHÖREN EUCH SORGEN UM MICH ZU MACHEN UND EUCH UM EURE EIGENEN SACHEN KÜMMERN?", brüllte Harry, so dass Fang, der Saurüde sich hinter dem Sessel verkroch, schlug die Tür auf und stampfte zurück zum Schloss. Wie konnte Dumbledore das alles nur Hagrid erzählen? Harry hatte Dumbledore immer vertraut, in allem was er entschieden hatte. Innerhalb von wenigen Minuten war Harry an der fetten Dame angelangt, sagte wütend das Passwort (Siruptorte) und ging hinauf in den Schlafsaal. Was ihn dort erwartete besserte seine Laune ein wenig. Dean, Seamus und Neville saßen auf ihren Betten und beobachteten Ron, der geistesabwesend immer wieder die Selben Bewegungen machte. Erst wies er mit dem Daumen Richtung Tür, dann mit dem Zeigefinger auf sich und berührte dann seine linke Wange. Harry lächelte und ging auf Ron zu. „Hat sie dich auf die Wange geküsst?", flüsterte er Ron ins Ohr, so dass nur er es hören konnte. Ron nickte, sah Harry an und fing an zu kichern. Dann legte er sich auf sein Bett. Harry zog sich um, wünschte den anderen eine gute Nacht und legte sich auf die Seite. Das war der verrückteste erste Tag, den er wohl jemals hatte.
