Träum und Ängste
Auf dem Weg zum Frühstück am nächsten Morgen, erklärte Ron Harry, was am Abend zuvor passiert war. „Weißt du, als du zu Hagrid bist, ging ich hoch in den Gemeinschaftsraum. Und wen hab ich da getroffen?", sagte Ron und sah Harry an. „Hermine?", antwortete Harry. „Genau! Und ich seh sie, wie sie da sitzt und heult. Und ich ‚Hermine was is los?' Und sie schluchzt ‚Ach Ron! Das ist alles so'. Ich hab nie erfahren wie es ist. Sie kommt auf mich zugestürmt und umarmt mich und ich weiß gar nicht was ich tun soll. Also steh ich da wie der letzte Trottel und tätschle ihr so 'nen wenig den Kopf und dann, lässt sie mich los und küsst mich auf die Wange und sagt ‚Danke Ron'. Frag mich nicht wieso!"Ron schüttelte heftig den Kopf. „Aus Mädchen soll einer schlau werden!"„Na ja, ich denke mal, sie hat das gesagt, weil du nicht weggegangen bist, sondern sie getröstet hast- auch wenn du ihr nur den Kopf getätschelt hast- verstehst du?", sagte Harry schlaumeierisch, wie es sonst Hermines Art war. „Nicht wirklich, aber egal-". Sie waren in der Großen Halle angelangt und setzten sich wieder einmal zu Ginny an den Tisch. Harry wünschte ihr einen guten Morgen. „Hast du Hermine heute schon gesehen?", fragte Ron und sah am Gryffindor- Tisch entlang. „Ja. Sie war hier. Sie ist vor etwa zehn Minuten gegangen und sagte, sie wolle noch in die Bibliothek", sagte Ginny und füllte sich Speck und Eier auf ihren Teller. „Wieso?", fügte sie verschmitzt lächelnd hinzu. „Weil sie gestern Abend so schlecht drauf war. Ich will nur sehen wie es ihr geht. Ist das jetzt schon verboten?"Ron tat als ob ihn diese Frage nicht peinlich berührte, doch seine Ohren waren hochrot angelaufen. Ginny sah Ron immer noch lächelnd an. „Er sagt die Wahrheit. Wir wollen nur sehen wie es ihr geht", versuchte Harry Ron zu helfen. Das schien Ginny zu genügen. „Danke", wisperte Ron Harry zu.
Auf dem Weg zu Verwandlung trafen Harry und Ron auf Hermine. „Hi!", sagte sie schlaff. „Hi", gaben Harry und Ron wie aus einem Munde zurück. „Na, alles in Ordnung?", fragte Harry ganz automatisch. „Ja natürlich", sagte Hermine sehr steif. Ron sah Harry aus den Augenwinkeln an. Er wusste, dass dies in Hermines Situation die falsche Frage war. Aber Ron und sie nervten ihn auch immer damit, also war es ihm so ziemlich egal. Gerade wollte Hermine die Tür zum Verwandlungsraum aufmachen, da sah Harry Cho Chang an der Ecke des Korridors stehen. Sie sah ihm direkt in die Augen und lächelte. Harry lächelte zurück, ungewollt, als gerade Michael Corner um die Ecke kam. Cho sah sich um und hörte auf zu lächeln. Auch Harrys Lachen verblasste. Warum um Himmels willen tauchte Michael immer auf, wenn Cho in der Nähe war. Bei Ginny hätte er das verstanden, aber so war das etwas ganz anderes. Harry ging Hermine und Ron nach in den Klassenraum und setzte sich zu ihnen. „Warum kommst du jetzt erst?", fragte Ron. „Ach, nicht so wichtig", sagte Harry und war jetzt ziemlich schlecht gelaunt. „Sag mal, Ginny hat nicht zufällig mit Michael Schluss gemacht, oder?", fragte Harry nun an Ron gewandt. „Was? Schön wär's!", sagte Ron und schnaubte, „Wieso?"„Nicht so wichtig", erwiderte Harry. „Heute ist auch gar nichts wichtig, oder?", fragte Hermine und lächelte ein wenig. Professor McGonagall kam herein. Sie fing ohne Umschweife an ihnen den neuen Zauber beizubringen, der, wenn man ihn richtig beherrschte, einen Gegenstand in einen Karton verwandelte. Der Zauber war so kompliziert, dass nicht einmal Hermine ihn richtig hinbekam. Ihre Tasse war zwar viereckig und leicht bräunlich angelaufen, aber ein Karton war sie nicht geworden. Das erstaunlichste daran war, Hermine schien sich nicht darüber zu ärgern. Sonst wäre sie wahrscheinlich an die Decke gegangen, aber heute schien sie das nicht aufzuregen. Hermine saß einfach nur da und starrte auf ihre Tasse. Auch in Geschichte der Zauberei war sie nicht bei der Sache. Ron machte sich Notizen auf Hermines Pergament, weil sie es völlig vergaß. In der Mittagspause beim Essen stocherte sie auf ihrem Teller herum und bei Arithmantik hatte sie, wie Ernie Macmillian ihnen berichtete, nicht ein einziges Mal aufgezeigt. „Oh, ich könnte diesen Krum...", sagte Ron und machte eine Bewegung mit seinen Händen, die aussah, als wolle er ein Handtuch auswringen.
Hermines Laune besserte sich im Laufe der Woche und sie schien wieder ganz die alte zu sein. Sie fing sogar wieder an Elfensachen zu stricken, was Ron ziemlich ärgerte. „Hermine, hat es eigentlich noch irgendeinen Sinn dir zu sagen, dass diese Elfen nicht befreit werden wollen?", sagte er kopfschüttelnd und stirnrunzelnd. „Nein Ron, denn offensichtlich wollen sie es ja", sagte Hermine kühl, „Letztes Jahr waren alle Hüte und Socken die ich gemacht hatte morgens verschwunden."Harry lachte kurz und unabsichtlich auf. Hermine sah ihn an. „Was gibt es denn da zu lachen?", sagte sie recht bissig. „Ach, gar nichts. Ich hab gerade an was anderes gedacht", sagte Harry hastig. Er hielt es für eine schlechte Idee Hermine zu sagen, dass Dobby, der Hauself, all die Sachen genommen hatte. Besonders jetzt, wo sie über die Sache mit Viktor Krum hinwegzukommen schien. Harry war sich einfach nicht sicher, wie viele Enttäuschungen Hermine im Moment noch ertragen konnte. Hermine sah ihn einen Moment argwöhnisch an, bevor sie sich wieder der Socke zuwandte, die sie gerade strickte. Genau in diesem Augenblick kam Katie Bell zu ihnen an den Tisch. „Hi! Na wie geht's?", sagte sie und ohne eine Antwort abzuwarten fuhr sie fort. „Ich wollte euch beiden nur sagen, dass ich die neue Mannschaftskapitänin bin. Das erste Training, das ich angesetzt habe ist am nächsten Freitag, aber am Dienstag ist das Auswahltraining. Ihr müsst beide um fünf Uhr unten auf dem Feld sein, vergesst es nicht, das ist wichtig! Wir brauchen eine starke Mannschaft, wenn wir uns dieses Jahr den Quidditchpokal sichern wollen. Ich habe gehört, dass Ravenclaw dieses Jahr ein richtig gutes Team auf die Beine gestellt hat. Also wird es schwierig werden gegen sie den Pokal zu gewinnen. Und wir müssen einfach, auch, wenn ist das Letzte ist was wir tun!", sagte Katie energisch und Harry konnte ein Feuer in ihren Augen lodern sehen, das, wie er befürchtete, nicht die Spiegelung des Kamins war. „Also, Dienstag um fünf. Vergesst es nicht! Bis dann!"Der gesamte Vortrag sprudelte in so unglaublicher Geschwindigkeit aus Katie hervor, dass Harry und Ron ihr mit offenen Mündern nachstarrten, als sie ging. Harry bekam als erster wieder ein Wort heraus. „Erst Angelina", sagte er langsam, „und jetzt auch noch Katie. Mein Gott, ruft einen Exorzisten!"Ron sagte immer noch nichts. Hermine beugte sich zu ihm vor und schob Ron das Kinn hoch, so dass sein Mund sich schloss. Er schien aus einer Art Trance zu erwachen. „Das", sagte Ron sehr leise, „das war kein Mensch, sondern ein Wasserfall. Zumindest redet sie wie einer."„Die Auswahlspiele sind also am Dienstag. Ginny wird sicher kommen, oder?", rätselte Harry vor sich hin. „Ja, das werde ich", sagte Ginny, die sich just in diesem Moment an den Tisch der drei setzte. „Wo kommst du denn jetzt noch her?", fragte Ron misstrauisch und sah auf seine Armbanduhr. Harry tat es ihm gleich. Es war viertel nach neun. „Ich hab mich noch mit jemandem getroffen", sagte Ginny lässig und streichelte Krumbein, der neben Hermine lag. „Mit wem? Mit diesem Michael Corner, nicht wahr?", sagte Ron und blickte finster drein. „Wenn du es unbedingt wissen musst, ja.", gab Ginny immer noch vollkommen gelassen zurück. „So spät noch?", entrüstete sich Ron so laut, dass einige Drittklässler zu ihm hinüber sahen. „Wieso?"„Ich wüsste nicht was dich das angehen sollte Ron", sagte Ginny nun mit leicht zitternder Stimme, „Nein, lass es sein! Du weißt was sonst passiert", fügte sie scharf hinzu, denn Ron hatte den Mund aufgemacht, um seine übliche Frage an sein Schwester zu stellen. Mit einem raschen Seitenblick auf Hermine, schloss Ron den Mund und sah zu Boden. Hermine blickte misstrauisch, ihre Brauen waren zusammengezogen und ihre Augen huschten wie bei einem Tennismatch von Ron zu Ginny und wieder zurück. „Was geht hier eigentlich vor?", wollte Hermine wissen. „Nichts", sagte Ron, der immer noch den Teppich anstarrte, „Vergiss es, Hermine."„Schön!", sagte Hermine kühl, erhob sich und ging offensichtlich beleidigt zu den Mädchenschlafsälen davon. „Toll gemacht, Ron!", sagte Ginny verärgert und lief Hermine nach. „Jetzt bin ich Schuld?", sagte Ron empört, „Was hab ich denn gemacht?" „Komm schon, Ron", sagte Harry um Ron auf andere Gedanken zu bringen, „Wir müssen noch Hausaufgaben machen."„Dazu hab ich jetzt keine Lust."„Koboldstein?", versuchte es Harry erneut. „Nein!", gab Ron trocken und lustlos zurück. „Zaubererschach?"„Nein."„Snape explodiert?", fragte Harry nun schon fast verzweifelt. So langsam gingen ihm die Ideen aus. „Nein. Ach, lass gut sein, Harry. Ich verschwinde. Gute Nacht!", sagte Ron, erhob sich und war mit diesen Worten verschwunden. Harry saß nun ganz allein da. Was nun? Auf Hausaufgaben hatte er keine Lust (wie üblich), sich umzusehen wurde auf die Dauer langweilig (ein Feuer konnte einen auch nicht stundenlang faszinieren) und zum Schlafen war es zu früh (wenn man das, was Harry tat überhaupt Schlafen nennen konnte, wo er doch alle zehn Minuten aufwachte, verfolgt von Träumen auf dem Friedhof und von Sirius). Also fasste Harry den Entschluss noch ein wenig hinauszugehen. Doch er brauchte seinen Tarnumhang und die Karte, weil es ja schon nach neun war. Und so schlich Harry sich die Treppe zum Schlafsaal hoch, öffnete leise die Tür, so dass Ron ihn nicht hörte, schnappte sich Umhang und Karte, schlüpfte wieder aus der Tür und ging unten aus dem Portraitloch auf den Korridor. Er warf sich den Tarnumhang über, tippte die Karte des Rumtreibers mit dem Zauberstab an, sagte: „Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin."und Schloss Hogwarts bildete sich auf ihr ab mit seinen Bewohnern. Es war niemand in der Nähe. Filch saß in seinem Büro, Mrs Norris streifte in einem Korridor im zweiten Stock entlang und Snape ging in seinem Büro im Kerker auf und ab. Harry überlegte wo er hingehen konnte. Vielleicht in den Raum der Wünsche und noch ein wenig Verteidigung üben? Aber nein, erstens hatten sie jetzt eine gute Lehrerin, und zweitens machte es alleine keinen Sinn. Bei dem Gedanken an den Raum der Wünsche fiel Harry Dobby ein. Er könnte ihn besuchen gehen. Harry entschied sich dafür. Also machte er sich auf den Weg in die Küche, wobei er sorgfältig die Karte studierte. Das war ein Glück, denn fast wäre er auf Peeves und zweimal auf Mrs Norris gestoßen. Unten in der Eingangshalle war alles still. Niemand war da, weder Mensch, noch Geist, noch Tier. Harry ging die Treppe hinunter in den Korridor, der mit Gemälden voll mit Essbarem geschmückt war. Vor dem Bild mit der Obstschale hielt er inne, streckte den Zeigefinger aus, kitzelte die Birne, die sofort anfing zu kichern und sich in eine Türklinke verwandelte und Harry trat ein. In der Küche war es genauso ruhig, wie auf den Korridoren. Keine Elfen kochten nun, keine Düfte von herrlichem Essen lagen in der Luft, wie es sonst der Fall war. Doch gerade als Harry ein paar Schritte weiter in die Küche trat, kam eine sehr kleine Elfe um eine Ecke gewuselt. „Guten Abend, Sir!", quiekte sie und verbeugte sich so tief, dass ihre Nase fast den Boden berührte. „Hallo", sagte Harry, „Ist- ähm- ist Dobby da? Ich wollte ihn besuchen."Die Elfe verschwand ohne ein weiteres Wort zu sagen wieder um die Ecke, um die sie herumgekommen war. Harry fragte sich gerade, ob er etwas Falsches gesagt hatte, als eine kleine Gestalt auf ihn zu gerannt kam. Das nächste, das er spürte, war ein harter Knuff in die Magengegend. Um Luft ringend sah Harry hinunter in Dobbys tennisballgroße Glubschaugen. „Harry Potter, Sir!", rief Dobby freudig. „Hallo Dobby", grinste Harry, "Wie geht's dir?" Und Dobby fing an zu erzählen. Davon, wie toll seine Arbeit in Hogwarts sei, davon, wie viele Paare von Socken er jetzt schon hatte, davon, wie sämtliche Elfen sich immer noch über die versteckten Kleidungsstücke Hermines beschwerten und von Dumbledore. „Professor Dumbledore vertraut Dobby all seine Geheimnisse an", berichtete er Harry stolz. Harry wurde hellhörig. „Auch die über den Orden?", fragte er neugierig. Dobby rutschte, mit einem Gesichtsausdruck, als wäre ihm schlecht, auf seinem Stuhl herum. Seine Augen streiften im Raum umher, offenbar auf der Suche nach etwas, womit er sich bestrafen konnte. Harry brachte ihn schnell auf andere Gedanken. „Schon gut, vergiss meine Frage. Wie geht es Winky?"Dobby, sichtlich erleichtert auf Harrys Frage keine Antwort geben zu müssen, machte ein etwas fröhlicheres Gesicht. „Winky hat endlich aufgehört Butterbier zu trinken, Sir. Sie war auf einer Versammlung der anonymen Alkoholikerelfen, Sir, und danach hat Winky nicht mehr eine Flasche angerührt, Sir. Außerdem erkennt Winky Professor Dumbledore jetzt als ihren neuen Meister an, Sir. Sie denkt natürlich oft an Mr Crouch, Sir, aber dann lenkt Dobby sie schnell ab. ‚Aber Winky hat jetzt ja Professor Dumbledore' sagt Dobby dann immer und Winky denkt nicht mehr an Mr Crouch, Sir."„Das ist gut", sagte Harry, denn eine andere Antwort fiel ihm einfach nicht ein. Er sah auf seine Uhr. Es war schon kurz vor elf. „Dobby, ich muss gehen", sagte Harry stand auf und ging zur Tür. „Kommt Harry Potter Dobby wieder einmal besuchen, Sir?", fragte der Elf hoffnungsvoll. „Ganz bestimmt", versicherte Harry und Dobby schlackerten die Ohren. „Bis dann, Dobby!"„Auf Wiedersehen, Harry Potter, Sir!" Harry warf sich erneut den Tarnumhang über und ging zurück in die Eingangshalle. Er sah sich um und in dem Glauben alleine zu sein, machte Harry sich keine große Mühe leise zu sein. Doch plötzlich hörte Harry schnelle Schritte und dann das Klappern einer Rüstung. Er blieb wie angewurzelt stehen und machte keinen Mucks. Die Schritte erstarben für eine Weile und dann konnte Harry eine Person erkennen. Eine Person mit langen Haaren und als sie sich in der Eingangshalle prüfend umsah fiel ein Strahl Mondlicht auf ihr Gesicht. „Cho?", sagte Harry und vergaß ganz zu flüstern. Sie machte einen kleinen Hüpfer, wahrscheinlich vor Schreck, und sah sich hektisch um. „W- wer ist da?", fragte sie mit zittriger Stimme. Harry nahm den Tarnumhang von Kopf. Sie kniff einen Moment die Augen zusammen und versuchte ihn zu erkennen. „Harry?", fragte sie dann zaghaft. „Ja."„Was machst du denn hier?", sagte sie überrascht und kam auf ihn zu. „Das Selbe wollte ich dich gerade fragen", gab Harry zurück. „Ich...", fingen sie beide gleichzeitig an. „Du zuerst", sagte Harry. „Ich war draußen auf dem Gelände. Ich brauchte ein wenig Zeit zum Nachdenken", erklärte Cho. „Und das kann man nur auf dem Gelände?", fragte Harry. „Haha! Du bist ja auch mitten in der Nacht unterwegs, also guck mich nicht so an, als ob ich ein Schwerverbrechen begangen hätte."„Tu ich doch gar nicht", sagte Harry und schüttelte den Kopf. „Wo warst du denn?", wollte Cho nun wissen. „Ich war in der Küche. Ich hab Dobby, den Hauself besucht", erklärte Harry. Sie starrte ihn an. „Du weißt wie man in die Küche kommt?", sagte Cho erstaunt und Harry nickte. „Woher?"Harry wollte gerade anfangen ihr die Geschichte zu erklären, da hörte er Schritte und Stimmen. „Da kommt jemand!", flüsterte er, packte Cho am Handgelenk, zog sie näher heran und stülpte den Tarnumhang über sie beide. „Harry, wir können doch hier nicht einfach mitten in der Eingangshalle unter einem Umhang stehen bleiben", sagte Cho panisch, „Wir müssen hier we-" Weiter kam sie nicht, denn Harry hielt ihr den Mund zu und das keinen Moment zu früh. Professor McGonagall und Professor Dumbledore kamen die Treppen zu den Kerkern hochgestiegen. „Severus hat Recht Dumbledore. Wir sollten jemanden vom Orden als Spion einsetzten.", sagte McGonagall und sie und Dumbledore kamen immer Näher an Harry und Cho heran. Harry bedeutete Cho stumm, dass sie sich hinüber zu den Rüstungen schleichen sollten. Doch sie schien völlig erstarrt und zu einer Bewegung unfähig zu sein. „Wir dürfen die Aktivitäten der dunklen Seite keinesfalls aus den Augen lassen. Besonders jetzt nicht. Wir können nur von Glück reden, dass Du- weißt- schon- wer nicht die Prophezeiung in die Hände bekommen hat. Nicht auszumalen, was dann passiert wäre", fuhr sie fort, während Dumbledore und sie immer noch direkt auf Harry und Cho zugingen. Cho, offensichtlich voller Angst, klammerte sich an Harry. Selbst, wenn er es gewollt hätte, jetzt hätte Harry sich kein Stück bewegen können. Es war als würde sich das letzte Treffen der DA vor den Weihnachtsferien wiederholen. „Oh der arme Harry, wenn er wüsste", sagte McGonagall in sehr trübseligem Ton, und sie rückten wieder ein Stück näher an die Beiden heran. Harrys Herz klopfte heftig. Erstens, weil Cho sich immer noch an ihn klammerte, zweitens, weil sie Gefahr liefen von Professor McGonagall und Professor Dumbledore umgerannt zu werden und sich Strafarbeiten aufzuhalsen und drittens, weil er kurz davor war wichtige Informationen über den Orden und sich selbst zu hören. „Nun machen Sie sich nicht so verrückt, Minerva. Es wird alles wieder gut!", sagte nun Dumbledore und jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er und McGonagall auf Harry und Cho stoßen würden. Harry schloss die Augen. Er konnte nicht mehr hinsehen... „Dumbledore!", rief eine Stimme. Dumbledore hielt inne, keinen Zentimeter vom Saum des Tarnumhangs entfernt. Es war Snape der gerufen hatte und zum ersten Mal in seinem Leben war Harry froh gewesen Snapes Stimme zu hören. „Sie haben ihren Zauberstab vergessen", sagte Snape langsam und kam zu den beiden anderen Lehrern herüber. Harry nutzte die Geräusche seiner Schritte um Cho zuzuflüstern: „Lass uns zu den Rüstungen schleichen."Und sie willigte ein. Langsam und vorsichtig, darauf bedacht ja keinen Lärm zu machen, tapsten sie los (Es war eine schwierige Angelegenheit, denn Cho müsst immerhin rückwärts gehen). Endlich erreichten sie den sicheren Schutz der Rüstungen. Sie warteten eine Weile, bis die drei Professoren gegangen waren. Harry atmete erleichtert auf. Cho ließ ihn los und fragte: „Sind sie weg?"„Ich denke schon. Verdammt, war das knapp!", sagte Harry. Sie nahmen den Tarnumhang ab. „Ich bin erstaunt, dass sie uns nicht gesehen haben. Was ist das für ein Umhang?", sagte Cho und besah sich den Tarnumhang in Harrys Hand. Harry erklärte ihr alles. „Wow! Die sind ganz selten.", sagte sie begeistert. „Ich hatte ja solche Angst", fügte sie hinzu und atmete tief ein und aus. „Ja, ich auch", gab Harry zu. „Das hab ich gemerkt", sagte Cho und grinste, „Dein Herz hat ganz schnell geschlagen."Harry entschied sich dafür es für sich zu behalten, dass sein Herz nicht nur aus Angst, sondern größten Teils auf Grund Chos Nähe so schnell geschlagen hatte. Sie standen einen Moment schweigend da. „Harry, ich gehe lieber, bevor Professor Dumbledore oder Snape wieder zurückkommt", sagte Cho schließlich. „Ich komm mit", sagte Harry und faste dann all seinen Mumm zusammen, „Soll ich dich noch begleiten, damit du nicht gesehen wirst?"„Das wäre nett", sagte Cho und Harry meinte, auch wenn er es im Dunkeln nicht genau erkennen konnte, dass sie leicht rosa angelaufen war. Also gingen sie unter dem Tarnumhang zum Ravenclaw Gemeinschaftsraum und Harry stellte fest, dass es gar nicht so weit vom Gryffindor- Turm entfernt war. Vor dem Portrait eines schlafenden Satyrs machten sie Halt und Cho nahm sich den Tarnumhang von Kopf. Harry und sie standen sich jetzt gegenüber und sahen sich in die Augen. „Also, danke, dass du mich noch hierher gebracht hast", sagte Cho verlegen. „Kein Problem", sagte Harry kein Stück weniger verlegen als Cho. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, sagte dann ein Wort, das Harry nicht verstand, das Portrait schwang auf und Cho verschwand (Der Satyr auf dem Gemälde meckerte leise vor sich hin, weil er so spät noch geweckt wurde). Im Schlafsaal angekommen schloss Harry leise die Tür und schlich zu seinem Bett, bis- „Autsch", reif er. Es gab ein lautes RUMS und Harrys Koffer war umgefallen. Ron saß Kerzengerade im Bett, sonst schien keiner aufgewacht zu sein. „Harry?", sagte Ron schlaftrunken, „Bist du das?"„Ja. Tut mir Leid! Ich wollte dich nicht wecken", sagte Harry unter Schmerzen in seinem Fuß, mit dem er aus Versehen gegen den Koffer getreten war. „Schon gut. Ist nicht so schlimm", sagte Ron und machte ein Handbewegung, als wolle er etwas vor sich wegwischen. „Aber wo zum Teufel warst du? Es ist schon nach zwölf."„Oh ich, ich, ich hab Dobby besucht", flüsterte Harry. „Ach so", gähnte Ron, „Gute Nacht, Harry!"Harry sah, wie Ron friedlich in sein Kissen sank und sofort anfing zu Schnarchen. Harry zog sich aus, schlüpfte in seinen Pyjama und legt sich ins Bett, zog jedoch noch nicht die Vorhänge zu. Er starrte noch ein wenig gedankenversunken aus dem Fenster neben Nevilles Bett, der genauso laut schnarchte wie Ron. Zuerst dachte Harry an Cho und wie nahe er ihr gekommen war. Aber dann fiel ihm ein was Professor McGonagall gesagt hatte. „Der arme Harry. Wenn er wüsste."Wenn Harry was wüsste? Was hatte das zu bedeuten? Und wen würden sie wohl als Spion einsetzten? Vielleicht wieder Snape? Aber das war nicht möglich, denn Voldemort wusste, dass Snape ihn verraten hatte. Doch bevor Harry noch einen weiteren Gedanken daran verschwenden konnte, wer als Spion gesendet wurde, fielen ihm seine Augen zu und er sank in tiefen Schlaf.
Er hatte einen merkwürdigen Traum. Er war auf einer großen Wiese. Rings herum war Nichts. Keine Häuser, keine Berge, keine Bäume oder Sträucher. Doch bei genauerem hinsehen, sah Harry weit entfernte Schatten. Plötzlich verspürte er große Wut und Trauer zugleich, hatte aber keine Ahnung warum. Harry wollte einen Schritt in Richtung Schattengestalten machen, doch jemand hielt ihn zurück. Es waren Ron und Hermine. „Wir kommen mit dir", sagte Ron. „Wir stehen das gemeinsam durch", meinte Hermine. Und schon rannte Harry los, seine beiden Freunde dicht auf den Fersen. Er fing an zu schreien. „Du hast sie getötet! Du hast sie getötet! Ich werde dich umbringen!"und er zückte seinen Zauberstab und richtete ihn mitten auf die Gruppe von Schatten. Dann flammten zwei rote Schlitze auf.
Harry wachte schweißgebadet und schreiend auf. Er atmete schnell. Sein Herz wollte sich nicht beruhigen. Mehrere Stimmen drangen zu ihm durch. „Alles in Ordnung Harry?"„Geht's dir gut?"„Was ist passiert?"Harry versuchte ruhig zu atmen und antwortete dann: „Macht euch keine Gedanken. War nur ein Alptraum."„Muss ja ziemlich schlimm gewesen sein. Du hast geschrieen wie am Spieß, dass irgendwer jemanden umgebracht hätte", sagte Neville. „Ich hab- ähm- nur von meiner Maus geträumt. Mein Onkel hat sich auf sie draufgesetzt", log Harry rasch und er konnte Rons Blick spüren. „Und dafür wolltest du ihn umbringen?", fragte Dean sachte. „Na ja... ich mochte die Maus eben sehr. Wie gesagt, ist nichts passiert. Alles in Ordnung", sagte Harry und alle legten sich wieder schlafen. Kaum, da man drei verschiedene Schnarcher hören konnte, saß Ron bei Harry auf dem Bett. „Was ist passiert?", fragte er Harry ernst, wie Harry es von seinem besten Freund gar nicht kannte. „Ich meine diese alberne Maus- Geschichte war doch nicht echt?"„Natürlich nicht! Im Ligusterweg Nummer vier würden Mäuse verhungern oder sofort erschlagen werden!" „Also?", hackte Ron noch einmal nach. „Es war ganz verrückt", fing Harry an. „Ich war auf einer Wiese. Oder besser gesagt, wir drei waren auf einer Wiese. Es war rein gar nichts da, außer Schatten von Personen. Und dann war ich ganz plötzlich wütend und bin losgerannt und hab das geschrieen, was du ja schon kennst. Ich frag mich wen er getötet hat?", sagte Harry mehr zu sich selbst als zu Ron. „Wer denn?", fragte Ron. „Voldemort."Ron zuckte nicht wie üblich zusammen, sondern schloss nur kurz die Augen und atmete tief ein. „Und weiter?"„Und dann waren da diese roten Schlitze", sagte Harry und die Nacht im Ministerium war nun wieder ganz deutlich vor seinen Augen. „Kennst du das Gefühl, dass du denkst du bist wie gelähmt, praktisch wie versteinert und es läuft die so eiskalt den Rücken hinunter, dass du denkst selbst dein Herz gefriert?", hauchte Harry in die Dunkelheit. „Nein", sagte Ron leise. „So ist es wenn er dich ansieht. Du denkst, dein Atem bleibt dir im Hals stecken. Du weißt, dass du nicht mehr lange lebst und versuchst nur noch verkrampft dich an dein letztes bisschen Zeit zu klammern. Und dann trifft dich der Fluch und du weiß, dass du stirbst."Stille trat ein, die nur durch einen langen und lauten Schnarcher Nevilles durchbrochen wurde. „Aber Harry", sagte Ron dann und schluckte, „Du- na ja- du lebst."„Manchmal wünschte ich der Fluch hätte mich getroffen."Wieder trat eine Pause ein. Harry spürte, wie Ron aufstand. „Gute Nacht, Harry", sagte er schon zum dritten Mal in dieser Nacht, aber es war viel trübseliger und besorgter als die letzten beiden Male. Harry legte sich flach auf den Rücken und stierte an den Baldachin seines Himmelbettes. Er hatte keine Gedanken. Sein Kopf war wie leer geblasen, als ob ihn jemand mit dem Vergessens- Zauber belegt hätte. Nach sehr langer Zeit wurden Harrys Lider wieder schwer und er verfiel erneut in tiefen Schlaf.
Der Morgen brach an und Harry erwachte früh, fühlte sich jedoch müde und unausgeschlafen. Auch beim Frühstück fielen ihm fast die Augen zu. Sowieso herrschte dieser Tage bei Harry, Ron und Hermine gedrückte Stimmung. Ron musste Hermine erzählt haben, was geschehen war. Die beiden wechselten nur wenige Worte mit Harry. Im Unterricht am Montag wäre Harry fast eingeschlafen, wenn Ron ihn nicht alle fünf Minuten in die Rippen gestoßen hätte und am Dienstag beim Auswahlspiel, flog er so schlecht, dass Katie ihn auf die Bank setzte und ihn dabei zusehen ließ, wie die Jägerinnen ausgewählt wurden (Ginny wurde zusammen mit einem Mädchen aus der vierten Klasse ins Team gewählt). Nach dem Training fing sie ihn ab. „Harry, Ron sagt zwar, dass du im Moment einfach schlecht drauf bist, aber wenn das so bleibt, sehe ich mich gezwungen dich aus dem Team zu nehmen!", sagte sie und sah ihn streng an. „Aber..."Harry war sprachlos. Jetzt wollten sie ihm auch noch Quidditch wegnehmen. „Ich bin einfach etwas aus der Übung, weil ich doch letztes Jahr nicht spielen durfte", sagte er zu seiner Verteidigung, „Gib mir ein, zwei Trainingsstunden und ich bin wieder voll da!"„Das will ich hoffen!", sagte Katie, „Denn du bist der beste Sucher, seit Charlie Weasley weg ist!" Sie ließ ihn alleine stehen. Harry warf wütend seinen Feuerblitz zu Boden. „Harry", rief Ron, der auf ihn zugehastet kam. „Sie hat dich doch nicht etwa...?"„Nein Ron sie hat mich nicht rausgeworfen", sagte Harry trocken, „Aber sie hat es mir angedroht!"Als sie in den Gemeinschaftsraum gingen, saß Ginny schon bei Hermine und überbrachte ihr die Neuigkeit. Gerade als Harry und Ron sich zu den beiden gesellten, sagte Ginny aufgeregt: „Das muss ich Michael erzählen!"und verschwand. „Was hat sie bloß mit diesem Kerl?", sagte Ron zu sich selbst. „Ich freu mich für Ginny. Genau das wollte sie doch schon letztes Jahr", sagte Hermine und lächelte. „Jetzt hab ich's!", sagte Ron freudestrahlend und klatschte einmal in die Hände, „Wir müssen nur ein Spiel gewinnen, dann trennt dieser Blödmann sich von meiner Schwester, weil er einfach nicht verlieren kann!"„Ach Ron, du bist unmöglich!", sagte Hermine wütend. Während die beiden sich stritten, dachte Harry noch einmal über die Nacht nach, in der er diesen merkwürdigen Traum hatte. Hatte es etwas zu bedeuten, was ihm in dieser Nacht durch den Kopf gespukt war, oder war es nur das was es gewesen war? Ein Traum. Und dann das Gespräch mit Ron. Was er gesagt hatte, wollte er jetzt am liebsten wieder zurücknehmen. Harry hatte einfach unter Schock gestanden und sich daran erinnert, wie schlimm es damals auf diesem Friedhof gewesen war. Deshalb hatte er wirres Zeug geredet, das er eigentlich nicht ernst gemeint hatte. „Hey Leute", sagte Harry ohne Ron und Hermine anzusehen, die sofort aufhörten zu streiten, „Ich muss euch was sagen. Das, was ich da neulich Nacht gesagt hab, das hab ich nicht so gemeint. Das wollte ich euch nur noch mal sagen."Ron nickte und Hermine sah Harry an und lächelte kurz. Und dann fiel Harry noch etwas ein. Er hatte seinen beiden Freunden noch gar nichts davon erzählt, was er über den Orden gehört hatte. „Da ist noch etwas! Ich hab, als ich auf dem Rückweg von der Küche war, etwas davon gehört, dass der Orden jemanden als Spion bei Voldemorts Todessern einschleusen will."„Wen?", fragten Ron und Hermine sofort. „Keine Ahnung, Cho und ich mussten uns verstecken, oder Dumbledore und McGonagall hätten uns erwischt", sagte Harry. „Cho?", fragte Ron verwirrt, „Du hast gar nichts davon gesagt, dass du sie getroffen hast. Und- warte- wobei erwischt?"„Na, wir waren unter dem Tarnumhang und haben mitten in der Eingangshalle gestanden. Dumbledore wäre fast in uns reingelaufen", sagte Harry und ärgerte sich ein wenig über Ron. Der hatte gerade den Mund aufgemacht, um etwas zu sagen, da hörten sie ein ohrenbetäubendes Splittern aus dem Jungenschlafsaal. Harry, Ron und Hermine sahen sich einen Moment an, sprangen dann auf und rannten hoch um zu sehen, was passiert war. Harry stieß die Tür auf und was er dann sah, erschrak ihn fürchterlich. Neville lag ausgestreckt und blutend auf dem Boden.
