Im Fuchsbau:
Hermine, die die letzten Wochen der Sommerferien bei den Weasleys verbracht hatte, machte sich riesige Sorgen um ihren besten Freund Harry. Sie hatte ihm die letzten Wochen ständig eine Eule geschickt, doch kam diese jedes Mal unbeantwortet und immer noch mit ihrem eigenen Brief am Fuß wieder zurück. Nun saß sie mit Ron in seinem Zimmer. "Ron, ich mach mir große Sorgen um Harry, wir müssen etwas unternehmen!"
Ron nickte und zusammen gingen sie in die Küche, wo Mrs Weasley vor einem riesigen Kochtopf stand und den Inhalt magisch umrührte. "Mom?", fragte Ron vorsichtig, mit dem Erfolg, dass seine Mutter sich fast zu Tode erschreckte und der Kochlöffel in den Kochtopf plumpste. "Himmel, Merlin! Müsst ihr euch so ranschleichen?", stieß sie erleichtert aus. "Sorry, Mrs Weasley, aber wir müssen mit Ihnen über Harry reden!" "Was ist mit ihm?", fragte sie hellhörig. "Das ist es ja eben, wir wissen es nicht, Mom!" "Ich mache mir langsam große Sorgen um ihn. Meine Briefe kamen alle ungelesen und unbeantwortet zurück und von sich aus hat er auch nicht geschrieben!" Nachdenklich zog Molly ihre Stirn in Falten. Bis sie schließlich nickte.
Sie ging zum Kamin hinüber, nahm die Schachtel mit Flohpulver vom Kaminsims und warf eine Handvoll des Pulvers in die züngelnden Flammen. Dabei rief sie laut und deutlich:" Professor Dumbledore!" Nach kurzer Zeit erschien das alte, weise Gesicht des Schulleiters in den grünen Flammen. "Meine liebe Molly, was gibt es?" "Albus, haben Sie was von Harry gehört?" Betretenes Schweigen. Sorgenvoll blickte der Professor Molly an. "Leider, nein!" "Können Sie jemanden schicken, der nach ihm schaut? Ich kann hier leider nicht weg, sonst würde ich es selber machen!" Wieder schwieg der Professor, bis er schließlich nickte. "Mach dir keine Sorgen, ich werde Severus nach ihm sehen lassen. "Danke, Professor!" Albus Dumbledore zwinkerte ihr zum Abschied zu und verschwand aus den Flammen.
Molly wandte sich wieder zu Hermine und Ron um und schaute in zwei sorgenvolle Augenpaare, die sie erwartungsvoll anblickten. "Professor Dumbledore schickt jemanden, um nach Harry zu sehen! Ihr werdet sehen, es ist alles in Ordnung!", versuchte sie die beiden zu beruhigen, während sie selbst ihren eigenen Worten keinen Glauben schenken konnte. Und doch hoffte sie von ganzem Herzen, dass es ihrem Harry, den sie so in ihr Herz geschlossen hatte (Wer tut das nicht? gg), gut ging und sie sich ganz umsonst Sorgen machten. 'Hoffentlich!'
Es war dunkel und stickig in dem winzigen Raum unter der Treppe. Wieder einmal hatte Mr. Dursley seinen Neffen in den Schrank unter der Treppe gesperrt. Harry lag zusammengekrümmt auf der alten, rostigen Pritsche. Er stöhnte vor Schmerzen, die sich in seinem ganzen Körper ausgebreitet hatten. Sein rechter Fuß war unnatürlich vom Körper weg verdreht. Der Fuß brach bei dem Sturz von der Treppe. Was eigentlich genau passiert war, wusste er nicht mehr. Er wusste nur noch, dass er, als er aus der Bewusstlosigkeit aufwachte, schon in dem Schrank lag. Er wusste auch ganz genau, in welchem Schrank er sich befand. Hatte er doch die unzähligen Nächte seiner Kindheit im Hause der Dursleys darin verbracht. Sein Kopf schmerzte, raubte ihm fast den Verstand. und sein Blick war verschwommen, was nicht nur daran lag, dass er seine Brille nicht trug. Seine Nase war vom harten Aufprall auf den Fliesenboden im Flur gleichfalls gebrochen und erschwerte ihm das Atmen zusätzlich. Zähflüssiges Blut rann unaufhörlich aus seiner Nase, über Mund und Kinn, hinab auf seine zerrissene Kleidung.
Er hörte schwere Schritte näher kommen, bis sie vor dem Schrank stehen blieben. 'Nein, bitte nicht! Lass mich doch einfach nur sterben!', flehte er in Gedanken. Er hörte das Klicken der Schlösser, die aufsprangen und er sehnte sich nichts mehr, als in eine tiefe Ohnmacht zu fallen, um dem Martyrium zu entkommen. Quälend langsam wurde die Schranktür geöffnet. Nur schemenhaft konnte er die gewaltige Statur seines Onkels erkennen.
Ein Arm packte ihn brutal am Kragen und zerrte ihn rücksichtslos aus dem Schrank und auf den Flur hinaus.
Albus Dumbledore saß in dem gemütlichen altenglischen Ledersessel in seinem Büro und dachte an die Worte von Molly Weasley. Ihre Stimme war so voller Sorge um den Jungen, der lebte, gewesen. Nur, wie sollte er Hogwarts' Meister der Zaubertränke dazu bringen, nach dem Sorgenkind zu sehen? Er seufzte laut. Fawks, der aus seinem Schlaf auf der Sitzstange erwacht war, als hätte er die Sorgen seines Herren gespürt, kam zu ihm geflogen. Er ließ sich auf der Schulter des Schulleiters nieder und schaute ihn mit schief gelegtem Kopf an. "Du hast ja recht.", sagte er zu seinem Phönix und streichelte ihm sanft übers Gefieder. Fawks hatte erreicht, was er wollte und flog wieder zurück auf seine Stange. Dumbledore erhob sich und trat an den Kamin. Die Flammen, die lebendig darin zügelten, tauchten das Büro in ein warmes Licht und schenkten ihrer Umgebung eine wohlige Wärme. Der Schulleiter nahm eine Handvoll Flohpulver vom Kaminsims und warf das Pulver in die Flammen, welche sich augenblicklich grün färbten. Laut und deutlich sprach er ins Feuer:" Professor Snapes Labor!"
Sofort erschien das Bild des Labors in den grünen Flammen und zeigte den Zaubertränkemeister über einige brodelnden Kessel gebeugt. Der alte Zauberer schmunzelte bei dem Anblick. Severus war vollkommen in seinem Element. Er räusperte sich laut, um die Aufmerksamkeit seines hoch konzentrierten Tränkemeisters auf sich zu ziehen.
Professor Severus Snape stand an einem der Labortische in Hogwarts' Kerkern. Er brütete gerade über einen neuen Trank, dessen Zubereitung er in den Unterrichtsstunden lehren wollte. Gerade, als er dem Trank die Molchaugen hinzufügen wollte, erschien der Kopf von Albus Dumbledore in den Flammen des Kamins. Severus erschrak so sehr, dass ihm das Glas mit den Molchaugen aus den Händen glitt und in den sprudelnden Kessel fiel. „Verflucht noch mal, Albus!", zischte er, als es im Kessel laut puffte. Der Direktor konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, als er das verrußte Gesicht seines Zaubertränkemeisters begutachtete. Er räusperte sich und sagte mit ernster Stimme „Severus, ich muss dich bitten, sofort in mein Büro zu kommen. Es ist von äußerster Wichtigkeit." Severus schnaubte verdrossen, nickte dann aber. „Ich komme sofort, Albus! Lass mich nur schnell mein Gesicht säubern." Albus Dumbledore lachte nur noch einmal leise auf. Er wollte seinen Professor nicht noch mehr verärgern – schließlich war er nun auf seine Hilfe angewiesen - und verschwand aus den Flammen.
„Das sieht ihm mal wieder ähnlich!", fluchte Severus Snape, als er mit sauberem Gesicht eilig durch die Gänge Hogwarts schritt. Vor dem riesigen Gargoyle blieb er abrupt stehen und murmelte „Zitronen Souffle". Die Statue gab unverzüglich den Weg frei zur Wendeltreppe, die zum Büro des Schulleiters führte. Vor der Tür blieb er stehen. Er wollte gerade klopfen, als von drinnen ein „Herein!" ertönte. Severus verdrehte die Augen und zischte. „Typisch!" Er betrat das Büro und blieb direkt vor dem Schreibtisch des Schulleiters stehen. „Ah, Severus. Schön, dass du so schnell kommen konntest!" ‚Da! Schon wieder das verdammte Zwinkern.' „Tee, Severus?" „Albus, du hast mich doch nicht hier her beordert, um mit mir Tee zu trinken!" "Leider nein." Er seufzte tief. „Es geht um Harry!" 'Soso, Potter, das hätt' ich mir auch denken können!' „Was hat Potter nun schon wieder angestellt?", wollte er genervt von Dumbledore wissen. „Bitte, Severus! Ms Granger und Mr. Weasley machen sich große Sorgen um ihren Freund. Er hat seit Ende des letzten Schuljahres nichts mehr von sich hören lassen." „Und?" „Lemon Drop?" Severus verdrehte die Augen. Es war absolut typisch für den alten Zauberer, vom Thema abzuweichen, wenn ihm etwas unangenehm, ja sogar peinlich war. Nur traf das Peinliche in diesem Fall offensichtlich weniger zu. Severus erstarrte. Es musste also etwas sein, das dem alten Zauberer unangenehm war. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Das durfte nicht sein Ernst sein! Meinte Dumbledore wirklich, er würde....? „Albus, das kannst du nicht von mir verlangen? Das. Kannst. Du. Einfach. Nicht!" Snapes Stimme klang hart wie Stahl. „Aber Severus! Nur einmal kurz gucken, ob mit dem Jungen alles in Ordnung ist und dann kommst du wieder hier her!" Severus stöhnte auf. „Gut, ..." gab er schließ widerwillig nach, „...auch wenn ich wirklich Besseres zu tun hätte, als nach dem Jungen, der lebte zu sehen. "Du wirst sehen, Potter liegt bestimmt ganz entspannt im Garten, sonnt sich und lacht sich über uns kaputt." „Severus!", ermahnte ihn der sein Mentor mit ernster Stimme, verlor allerdings nicht das Zwinkern in den alten, aufmerksamen Augen. Severus stand auf und verließ das Büro, verzichtete jedoch nicht darauf, die Tür demonstrativ hinter sich zuzuknallen. Albus Dumbledore konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Diese Reaktionen kannte er nur zur Genüge von seinem Schützling. Wie viele Jahre versuchte er nun schon, den harten Panzer um Severus' Gefühle aufzubrechen...?
Wütend rannte Severus Snape die Flure entlang, hinab in die dunklen Kerker der Schule. Seine Robe, die flatternd hinter seinem Rücken wehte, hätte eventuelle Betrachter unweigerlich an ausgebreitete Fledermausflügel erinnert. Jetzt musste er auch noch nach dem Jungen, der lebte gucken, als wüsste er nichts Besseres mit seiner Zeit anzufangen. Wütend knallte er die Tür zu seinem Labor zu. Er ging in seine privaten Räume, riss eine der Schranktüren auf und kramte seine alte Muggelkleidung hervor. Er zog eine schwarze, abgetragene Jeans an, ein moosgrünes Sweatshirt und darüber sein beige Polohemd. Seinen Zauberstab steckte er unsichtbar in den Hosenbund. Skeptisch warf er einen kurzen Blick in den Spiegel, war jedoch mit seinem Erscheinungsbild zufrieden und verließ den Kerker in Richtung Hogsmead.
Von Hogsmead aus apparierte er in eine dunkle Nebengasse des Ligusterwegs. Er holte den Zettel aus seiner Hosentasche, den er zuvor vom Direktor erhalten hatte. „Ligusterweg 4" stand auf dem Zettel. Severus Snape machte sich nun im Mondschein auf den Weg zur Hausnummer 4.
Er ging die Straße entlang und fluchte leise vor sich hin. 'Dieser verdammte Potter! Ein unverschämter Gryffindor, der es wagt, mich aus den wohlverdienten Ferien zu holen! Typisch für sein Haus! Ein kurzer Blick muss reichen, dann bin ich sofort wieder weg.'
Endlich stand er vor der angegebenen Haustür. Die Lichter waren aus und zeigten ihm, dass die Hausherren bereits schliefen. Leise, um ja keine Aufmerksamkeit zu erregen, öffnete er mit einem geflüsterten "Alohomora!" die Haustür. Er trat in den dunklen Hausflur, hob den Zauberstab und flüsterte: "Lumos!" Sofort glimmte eine kleine Lichtkugel an der Spitze des Zauberstabs auf und spendete ihm ausreichend Helligkeit. Er wollte den großen Potter schließlich nicht bei seinem Schönheitsschlaf stören. Bei diesem Gedanken verzogen sich seine Mundwinkel zu einem spöttischen Grinsen. Auf Zehenspitzen schlich er die Treppe nach oben. Die erste Tür auf der linken Seite öffnete er als erstes ganz leise und spähte hinein. Fehlanzeige! Kein Potter! Nur ein Nilpferd und eine Giraffe! Er schnaubte, wandte den Blick ab und schloss geräuschlos die Tür. Leise, immer darauf bedacht keinen Lärm zu machen, schlich er zur nächsten Tür. Auch diese öffnete er und spähte hinein. Wieder nichts, außer einem fetten Jungen, der wie ein Schwein grunzte. Wieder schnaubte er abfällig. 'Verdammt Potter, wo steckst du?', fluchte er innerlich.
Die letzte Tür zog seine Aufmerksamkeit besonders auf sich. Eine auffällige Anzahl Schlösser zierte die Tür. 'Wozu bloß all diese Schlösser?', fragend zog er eine Augenbraue hoch. Severus bezweifelte sehr, dass der berühmte Potter dahinter zu finden sei. Dennoch öffnete er die Tür mit einem schnellen und leisen Alohomora und trat ein. Der Zauberstab spendete ihm gerade so viel Licht, dass er erkennen konnte, dass das Zimmer sehr spärlich eingerichtet war. Auf seiner rechten Seite befand sich ein altes, klappriges Bett, das jedoch leer war.
In der Mitte, am Fenster, ein alter, schäbiger Schreibtisch, daneben eine alte Kommode – oben drauf ein leerer Eulenkäfig. Und auf der linken Seite stand ein ziemlich morscher Schrank, der jeden Moment drohte, zusammen zu klappen. Er konnte kaum fassen, was er sah. Sollte dies wirklich das Zimmer des ach so großen Harry Potter sein? Er schüttelte den Kopf, um einen klaren Gedanken zu fassen. Nirgends war er. Waren die Todesser, oder sogar Voldemort hier? Nein, sicherlich nicht, denn dann hätte es Dumbledore gewusst, oder etwa nicht? Hatte er schon alle Zimmer durch? Und wo war seine Eule? Er schaute zum Fenster. Noch mehr Gitter und Schlösser. Wut schoss durch den Körper des Tränkemeisters und sein Magen krampfte sich zusammen. Er hasste diese Muggel jetzt schon. Er drehte sich im Kreis. Wo konnte er noch suchen? Wo war Potter? Dann Sein Blick fiel auf den Dielenboden. Etwas Rötliches schimmerte da. Er kniete sich hin und roch daran. Es war eindeutig Blut. Potters Blut? Panik ergriff ihn. Wieso hatte er das nicht schon vorher bemerkt? Die Blutspur führte ihn hinaus auf den Flur, zur Treppe und hinunter ins Erdgeschoss. Am Ende der Treppe hatte sich eine kleine Blutlache gebildet. Er schlussfolgerte, dass Potter hier eine Zeit lang gelegen haben musste. Die Blutlache war verwischt - so, als ob sein Körper weiter gezogen worden wäre. Die Spur führte zu einem Schrank. Dem Schrank unter der Treppe. Irgendwann hatte er mal davon gehört. Wieder zog er eine Augenbraue hoch. Konnte es sein? Er betrachtete die Tür genauer, auch diese war mit reichlich Schlössern versehen.
"Alohomora!", flüsterte er in die Dunkelheit. Die Schlösser sprangen auf und er hatte freien Zugriff auf das Innere des Schrankes. Er schob die Verschlussklappen beiseite und öffnete die Tür. Ein unglaublicher Gestank flutete ihm entgegen. Übelkeit stieg in ihm hoch. Am allerschlimmsten setzte ihm der vermischte Geruch aus getrocknetem und frischem Blut zu. 'Oh, Merlin!', stieß er aus.
Als er hineinleuchtete entdeckte er eine zusammen gekauerte Gestalt, die sich in die hinterste Ecke gedrückt hatte. Er musste sich bücken, um sich in den Schrank hineinzwängen zu können und tastete sich langsam und behutsam näher an das fast undefinierbare Häufchen Mensch heran. "Potter?" Keine Reaktion. Vorsichtig legte er eine Hand auf die Schulter des Jungen. Unter der leichten Berührung der Hand zuckte Harry panikartig zusammen und versuchte, sich noch weiter nach hinten an die Wand zu drücken. Schreckliche Angst ergriff ihn und sein Körper wurde von heftigem Zittern hin und her geschüttelt. Ein gedämpftes Wimmern drang an die Ohren des Professors. "Nein.. Bitte nicht, Onkel Vernon, ich werde nichts sagen.", hörte er die verzweifelte Stimme des Jungen immer und immer wieder leise flehen.
Der sonst so kalt wirkende Zaubertrankmeister war zutiefst erschüttert. "Scht, Potter!", flüsterte er ihm zu. Wagte es aber nicht, den Jungen noch einmal anzufassen. Mit sanfter Stimme versuchte er, ihn zu beruhigen, damit er ihn hier rausschaffen konnte. Nach einiger Zeit hatte er wenigstens erreicht, dass Harry ihn anschaute und zu erkennen versuchte. Er blinzelte ein paar Mal und öffnete den Mund. Erst war es nur ein unverständliches Gekrächze, doch dann kamen ein paar heisere Worte . Severus musste sich anstrengen, um den Jungen verstehen zu können. "Pro...Profess...sor? Sind s...sie d...da...das?" Severus nickte. "Ja, und ich werde dich jetzt hier rausholen. Komm!"
"Niemand wird ihn hier rausholen!", zischte eine tiefe Stimme gefährlich nahe hinter ihm.
