Eine Nacht unter Sternen

Legolas verzichtete auf das Abendessen und suchte stattdessen nach einem Ort, wo er etwas nachdenken konnte. Er lief ziellos auf den Brücken entlang und fand sich schließlich an der Stelle bei den Wasserfällen wieder. Die Sonne war schon fast hinter den Bergen verschwunden und es überraschte ihn, dass es sich plötzlich so schnell abkühlte. Es fröstelte ihn und der immer stärker werdende Wind machte es auch nicht angenehmer. Seine Gedanken waren wieder bei seiner Mutter und seinem Volk, welches jetzt in der Ferne zusammengedrängt in einem Lager hockte, ungewiss was der nächste Morgen bringen würde. Er fragte sich, welche Entscheidung sein Vater wählen würde, obwohl er sich dabei selbst belog. Legolas schreckt hoch, als etwas auf seine Schultern gelegt wurde. Ein brauner Umhang mit kunstvollen elbischen Stickereien versehen, umhüllte ihn mit wohltuender Wärme. "Es wird hier abends kälter, als man zunächst glaubt." Er fuhr herum, als er die sanfte Stimme hörte und sah direkt in die grünen Augen, die seit einiger Zeit nicht mehr aus seinen Sinnen verschwinden wollten.

"Eleya, was tut ihr hier?" "Ich habe bemerkt, dass ihr keine Ruhe findet mein Prinz", ihre Worte waren zurückhaltend, beinahe schüchtern. "Bitte nennt mich Legolas", zum ersten Mal hatte er die Möglichkeit, das bezaubernde Wesen vor ihm genauer zu betrachten. Sie hatte das Aussehen von Maleyna. Sanfte und geschmeidige Züge, bis hin zu ihrem schlanken wohlgeformten Körper. Obwohl ihre Augen grün waren, hatten sie die helle und durchdringende Färbung von denen ihres Vaters. "Vielen dank", lächelte der Prinz und wies auf den Umhang. Sie nickte ihm zu "Es tut mir leid, was in eurer Heimat geschehen ist", wieder sah sie den Prinzen etwas unsicher an. Ein trauriger Ausdruck trat in seinen Blick "Du lebst in einem wundervollen Land, leider habe ich nicht die Möglichkeit auch nur einen Blick darauf zu werfen." Eleya sah über ihre rechte Schulter in Richtung eines Vorsprunges über den Wasserfall. "Komm mit", sie streckte ihre Hand Legolas als Aufforderung entgegen. Etwas fragend blickte er sie an.

"Na komm, ich werde schon nicht beißen!" Auch wenn er nicht wusste, was ihn jetzt erwartete, folgte Legolas ihr. Sie begaben sich in die höchste Ebene der Brücken und standen auf einem kleinen Talan, der weder an den Seiten gesichert noch eine schöne Aussicht gab. Der Ausläufer des Flusses schien hier seinen Ursprung zu haben. "Darf ich erfahren, was du gerade vor hast", seine Neugierde war nun endgültig geweckt, als sie auf einen kleinen Pfad am Wasser deutete. "Ich finde, wir sollten die Zeit nutzen die bleibt, damit du wenigstens einen kleinen Eindruck von diesem Tal bekommst" erwiderte sie lächelnd. "Ich weiß nun wirklich nicht, ob das der geeignete Moment für so etwas ist?" "Sei unbesorgt, ich werde gut auf dich achten" neckte Eleya den Prinzen, doch dann veränderte sich ihre Miene schlagartig ins Enttäuschte "Oh, du hast wohl bereits etwas anderes vor! Daran habe ich nicht gedacht, bitte entschuldige." Legolas bedachte sie mit einem durchdringenden Blick und schüttelte ungläubig seinen Kopf. Noch niemals war er einer so bemerkenswerten Elbe begegnet, Eleya war einfach einmalig. "Wollen wir", Legolas trat an den Rand des Talans, wo er einen Flaschenzug bemerkt hatte. Eleya ging verdutzt einen Schritt auf ihn zu und sah ihn prüfend an. "Ich dachte, du würdest mich etwas herumführen?"

"Ja, natürlich!" endlich hatte sie sich aus ihrer Starre gelöst und trat neben ihn "Weißt du eigentlich, dass du gerade zum ersten Mal seit du hier bist gelächelt hast." Es war ihm gar nicht bewusst gewesen, doch sie hatte Recht, die Schatten auf seiner Seele waren nicht mehr ganz so düster. Er stellte einen Fuß in die Schlaufe des Seiles und legte einen Arm um Eleyas Taille, damit er sie besser festhalten konnte. Als er sich langsam nach unter gleiten ließ, legte die Elbe ihre Hand auf seine Schulter um einen besseren Halt zu finden. Auch, wenn es nur eine leichte Berührung von ihr war, machte sich ein Schauer in Legolas breit. Bedauernd stellte Eleya fest, dass sie wieder festen Boden unter den Füßen spürte. Sie zögerte noch einen Moment, bis sie ihre Hand von seiner Schulter nahm und ging dann ein paar Schritte den Pfad entlang. Sie blieb stehen, als sie merkte, das Legolas ihr nicht folgte. Er durchsuchte die Zweige "Wir werden beobachtet!" Eleya verfolgte unauffällig seinen Blick und sah in die Krone einer alten und knöcherigen Eiche. "Da kann nur jemand ebenfalls keine Ruhe finden", sagte sie unbesorgt und wandte sich wieder zum gehen. Legolas nickte ihr zu und folgte der Elbe. Eleya sah noch einmal kurz mit einem Grinsen in den Mundwinkeln in die Baumgipfel auf, bevor sie mit Legolas in eine Biegung einbog.

Geritor wusste sofort, dass seine Tochter ihn entdeckt hatte. Eine Mischung aus Stolz und Missbehagen durchfuhr ihn. Er konnte Eleya nichts mehr vormachen und manchmal fragte er sich, ob es nicht ein wenig zu viel war, das er sie gelehrt hatte. Während er auf die Stelle blickte, wo seine Tochter und Legolas eben verschwunden waren, kam ihm wieder ein Gedanke in den Sinn. Seine Frau Maleyna hatte ihn schon damals, als er das kleine Bündel zum ersten Mal in seinen Armen hielt gesagt, dass ihr Schicksal im Düsterwald läge und große Hoffnung erwachte in ihm. Legolas ging schweigend neben seiner Führerin und warf des Öfteren einen Blick in Eleyas Richtung. Es war ihm durchaus bewusst, dass sie ihn abzulenken versuchte, doch war das nicht alles. "Eleya?", eine Frage beschäftigte den Prinzen noch immer "Was ist eigentlich mit deiner Mutter ich habe sie hier die ganze Zeit noch nicht gesehen?" "Sie ist in den Westen gegangen", das Leuchten ihn ihren Augen verlosch für einen Augenblick. Legolas erkannte, dass es kein freiwilliger Abschied gewesen war. "Meine Brüder und ich haben noch eine kleine Schwester. Vor ungefähr siebenhundert Jahren, bei dem letzten großen Angriff der Orks in dieses Tal, wurde sie verschleppt und dabei schwer verwundet. Niemand war in der Lage ihr zu helfen. Kareyna hatte nur eine Möglichkeit, wenn sie weiter leben wollte. Da sie aber gerade mal dreiundfünfzig Jahre war, beschloss Mutter sie nicht alleine gehen zu lassen", beantwortete Eleya seine unausgesprochene Frage.

" Aber Geritor? Warum ist er nicht mit ihr gegangen?" Es war für Legolas nicht begreifbar. Dieser Elb hatte einst für diese Frau seine Heimat und alles an dem er hing hinter sich gelassen. "Er wäre nur zu gerne mit ihr gegangen, doch Vater hatte ein Versprechen gegeben und hinter solchen steht er auch. Meine Eltern haben lange geredet und dann zusammen etwas entschlossen", die Elbe verstummte plötzlich. "Was ist mit dir", Legolas blickte ihr in das nachdenkliche Gesicht. "Niemals hat er mit uns Kindern darüber geredet, worum es sich handelte und jedes Mal, wenn ich Vater danach gefragt habe, sagte er nur, dass die Zeit noch nicht gekommen sei." Eleyas Gesicht nahm wieder diese unbefangene Art an, als sie ihn lächelnd ansah. Er konnte nachempfinden, was sie beschäftigte, denn es kam ihm durchaus bekannt vor. Je mehr Legolas von Geritor erfuhr, umso mehr Ähnlichkeiten verbanden ihn mit dem König des Düsterwaldes. Sie stiegen ein paar seichte Klippen hinauf und das Donnern des Wasserfalles wurde immer lauter. Legolas bemerkte, dass sie den Vorsprung, der vorhin noch weit entfernt zu sein schien schon fast erreicht hatten.

"Es ist einer der schönsten Orte hier, um den Sternenhimmel zu genießen", Eleya sah dem Prinzen dabei kurz in die Augen. Noch niemals zuvor hatte sie einen Elben mit blauen Augen gesehen und dieses Indigo fesselte sie schon seit ihrer ersten Begegnung. Während sie ihn ihren Gedanken versunken war, trat Eleya auf einen lockern Stein und drohte zu stürzen. Doch noch bevor etwas Derartiges geschehen konnte, legten sich zwei starke und wohl geformte Arme um ihre Hüften und zogen sie stützend an Legolas seine Brust. Nachdem der Schock in Eleya gewichen war, konnte sie den Herzschlag des Elben in dessen Armen sie gerade lag spüren, ebenso nahm sie den fremden und doch zugleich sehr angenehmen Geruch von ihm wahr. Sie hatte auf einmal das Bedürfnis sich einfach nur zurück zu lehnen und Legolas Nähe zu fühlen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass auch er nicht die geringsten Anstalten machte sich von ihr zu lösen. Nur sehr widerwillig zerstörte Eleya diesen Moment, indem sie ihre Hand auf seine legte und sich fortzog. "Danke", war alles, was sie nur mühsam hervorpressen konnte. Legolas öffnete seinen Mund aber es kam nichts heraus, stattdessen sah er ihr einfach nur direkt in die Augen. Die Elbe verlor sich in dem Blau und wich erschrocken zurück, als das Sehnen nach einem Kuss in ihr erwachte.

"Wir sollten weiter", stotterte sie und begann wieder die Klippe hinaufzuklettern. Legolas schüttelte seinen Kopf und versuchte das, was da eben geschehen war zu begreifen. Die letzten Meter waren schnell geschafft und als sie auf den Vorsprung traten, stockte dem Prinzen beinahe der Atem. Sie standen direkt über dem Wasserfall und er konnte die Macht des Wassers, das unter ihnen in die Tiefe stürzte, noch durch den Stein fühlen. Die Berge versperrten nicht mehr den jetzt endlos scheinenden Sternenhimmel über ihnen und in dem Tal, das unter ihnen lag, erstreckte sich ein Bild von Frieden und Ausgeglichenheit. Lange ließ Legolas alles einfach nur auf sich wirken, bis er seine Augen schloss und es schien, als ob er das Bild in sich aufnehmen würde. "Deine Heimat ist wunderschön, ich kann verstehen, warum niemand hier je wieder weg möchte", der Prinz setzte sich zu Eleya, die auf einem umgestürzten Baumstamm Platz genommen hatte. "Ja", lächelte sie "Hier komme ich immer her, wenn ich mal Zeit für mich brauche." Die Elbe wollte zu einer Frage ansetzten, verstummte aber gleich wieder. Neugierde leuchtete in den Augen von Legolas auf "Was wolltest du sagen?" "Darf ich dich etwas über den Düsterwald fragen?" Eleya war sich unsicher darüber, ob es im Moment angebracht war solche Fragen zu stellen.

"Bitte frag", der Prinz drehte sich neugierig zu der Elbe und ein amüsiertes Schmunzeln lag in seinen Zügen. "Mein Vater hat mir bestimmt schon hunderte von Malen von einer Lichtung mitten im Wald erzählt. Sie hat eine besondere Bedeutung für ihn, er meinte sie sei der schönste Ort unter den Sternen. Ich habe mich schon lange gefragt, was diese für ihn so einzigartig macht?" Legolas schaffte es nicht sein Grinsen zu überspielen "Nun Tags über spielen dort meist Kinder und man kann sich herrlich erholen. Aber wenn die Sonne hinter den Bäumen verschwindet, verwandelt sie sich in einen der romantischsten Orte des gesamten Düsterwaldes und ist bei verliebten Paaren sehr beliebt, wenn man gänzlich ungestört sein will." Eleya sah Legolas verdutzt an. Das war mal wieder typisch Geritor, eigentlich hätte sie es sich ja auch gleich denken können. Kopfschüttelnd senkte sie ihren Blick "Jetzt wird mir so einiges klar, na warte Vater!"

Der Elb hob fragend eine Augenbraue, doch Eleya winkte nur ab "Du wirst noch früh genug in den Genuss kommen, dir seine endlosen Geschichten anhören zu müssen." Ein kalter Wind zog auf und Legolas bemerkte, wie sich die Elbe fröstelnd über die Arme rieb. Sie war an das kalte Klima, das hier herrschte zwar gewöhnt, hatte aber in der Eile vergessen sich selbst einen Umhang mit zunehmen. Es war zwar ein wunderschöner Platz, an dem sie beide saßen, doch keines Wegs geeignet, auch nur ein wenig Schutz zu bieten. Ohne zu überlegen, begann er seinen Umhang zu öffnen und rutschte ein Stück näher an sie heran. Eleya blickte ihn zwar etwas fragend an, doch machte keinerlei Anzeichen, dass es ihr auf irgendeine Weise unangenehm war. Legolas drapierte den Umhang so, dass sie ebenfalls in seine Wärme eingehüllt wurde. Ihre Anspannung ließ schnell nach und in ihrem Inneren begann etwas zu erwachen, das sie noch niemals zuvor gespürt hatte. Lange blickten sie schweigend zu den Sternen, ohne sich zu rühren, bis eine neue noch stärkere Windböe aufkam.

"Warte", der Prinz richtete den Umhang wieder und gerade, als er seine Hand wieder ins Warme ziehen wollte, erschauderte Legolas, als er ihre weichen Finger unter seiner Handfläche spürte. Anstatt sie jedoch weg zu ziehen umschlossen seine Finger ihre Hand und hielten sie fest. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, lehnte Eleya ihren Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Legolas genoss das Gefühl, sie bei sich zu haben. Allein ihre Nähe ließ ihn neue Kraft schöpfen und alles etwas leichter erscheinen. Zum ersten Mal verstand er wirklich, warum sein Vater immer soviel daran lag, dass seine Melyanna vor allem in schwierigen Zeiten an seiner Seite war. Der Prinz fragte sich, ob Eleya gerade die gleichen Gefühle in sich trug? Doch immer, wenn er sie ansah, waren da diese Zufriedenheit in ihren Zügen und ein glückliches Lächeln. Erst, als die die ersten Sonnenstrahlen sich am Horizont ihren Weg suchten, blickten beide wieder auf. "Wir sollten uns langsam auf den Rückweg machen", fast schon sträubend löste sich Legolas von ihr und ging ein paar Schritte in Richtung der Klippen wo sie hinaufgestiegen waren. "Warte es gibt einen einfacheren Weg", Eleya stieß einen dieser melodischen Pfiffe aus, der mit einem schrillen Schrei beantwortet wurde. Über einer Bergspitze, die direkt gen Westen zeigte, wurden zwei riesige Schwingen sichtbar und sahen vor den roten Strahlen majestätisch aus. "Das ist Gaiwan. Er lebt auf dem Berg des schlafenden Drachen", erklärte die Elbe, als der Adler neben ihnen landete.

"Bitte kommt, Mylady", lud sie eine krächzende Stimme ein. Der Adler senkte einen seiner Flügel etwas damit die beiden Elben besser aufsteigen konnten. "Haltet euch fest Elbenprinz", krächzte es und ein leises Lachen entfuhr Eleya, als sie in Legolas misstrauisches Gesicht sah. "Können wir?" erkundigte sie noch einmal sicherheitshalbar. Legolas nickte nur grinsend hinter ihr, denn zum ersten Mal in seinem Leben saß er auf dem Rücken eines solchen Tieres. Sanft erhob sich der Adler in die Lüfte, doch er setzt nicht gleich zum Landeanflug an, sondern ließ sich noch eine Weile über das Tal gleiten. Es waren unbeschreiblich schöne Anblicke die sich boten, als die Sonne sich ihren Weg zum Himmel kämpfte und ein atemberaubendes Schattenspiel in den Gipfeln der Bäume veranstaltete.

Gaiwan setzte seine zwei Gäste vorsichtig in der Nähe des großen Dorfplatzes auf den Boden ab. Legolas half Eleya beim Absteigen, indem er sie an den Hüften festhielt und langsam in seine Arme rutschen ließ. Dabei war sie ihm so nahe, dass er ihren Atem auf seiner Wange spüren konnte. Er dachte nicht auch nur einen Moment nach, als er sein Gesicht hob und ihr sanft, beinahe schüchtern einen Kuss auf die Lippen hauchte. Legolas hatte sie kaum berührt und doch bebte Eleya in ihrem Inneren und ein Gefühl stieg in ihr auf, dass sie bis jetzt noch nicht kennen gelernt hatte. "Macht es gut Mylady, Prinz", erst das Krächzen des Adlers holte sie in die Realität zurück und er warf einen bedeutsamen Blick auf das Paar. "Danke Gaiwan", rief sie dem Adler zu, als dieser bereites seine Flügel zum Abheben ausbreitete. Die Siedlung erwachte schon zum Leben, als sie zusammen den Dorfplatz überquerten.