Ein riskanter Plan

Geritor stürmte wütend von der Feuerstelle weg, wo er mit den anderen hohen Elben-herrschern und Aragorn versucht hatte, einen Weg zu finden um Thranduil aus seinem Kerker zu befreien. Es ärgerte ihn maßlos, dass alle so gefühlskalt über seinen Freund sprachen, als wäre er ein Schwert, bei dem es nicht weiter dramatisch wäre, ob es ein paar Tage kürzer oder länger da herum läge. Er sah das aus einem ganz anderen Blickwinkel. Zu viele Dinge hatten sie zusammen erlebt und gemeinsam Abenteuer überstanden. Thranduil war ein eigensinniger Geist und wohl der Sturste noch dazu. Er war bei weitem nicht die Sorte Elb, dessen Haus für jedermann sofort offen stand und dem es wichtig war, flüchtige Bekanntschaften zu vertiefen. Was nicht bedeutete, dass er ein unhöflicher Gastgeber war oder jemandem, der seine Hilfe brauchte, sie jemals verweigert hätte. Im Kreise seiner Familie und wenigen engen Vertrauten fühlte er sich jedoch stets am Wohlsten. Es hatte lange gedauert, bis Geritor sein Vertrauen und vor allem seine Freundschaft gewonnen hatte.

Doch seit diesem Moment gab es jemanden, der bereit war, mehr als nur sein Leben, oder was er besaß hinter Geritor zu stellen. Die Szene mit Kardel kam wieder in ihm hoch. Niemand hatte damals am Ende der Schlacht mitbekommen was geschehen war.
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Es gab nur noch wenige der feindlichen Krieger, die noch in der Lage waren aufrecht zu stehen. Das Heer des Elbenkönigs war schon in Siegesstimmung und viele seiner Krieger hatten bereits ihre Aufmerksamkeit verloren. Geritor setzte sich noch mit einer kleinen Gruppe als einer der Letzten zur Wehr. Sie waren erfolgreich und die Orks begannen zu flüchten. Er befahl seinen Leuten sie zu verfolgen und wollte ihnen gerade nachgehen, als hinter einem Baum ein vereinzelter Nachzügler des feindlichen Trupps hervorstürmte. An seiner Halsbeuge klaffte eine tiefe Wunde, die darauf deuten ließ, dass der Versuch ihm die Kehle durchzuschneiden, nicht ganz geklappt hatte. Geritor verteidigte sich mit letzten Kräften, doch gegen jemanden, der sowieso nichts mehr zu verlieren hatte, war das bei Weitem keine leichte Aufgabe. Bei einer unerwarteten Bewegung des Orks rutschte er aus und fiel auf den mit feuchten Blättern übersäten Boden. Noch ehe der Elb sich mit seiner neuen Situation auseinander setzten konnte, hob der selbst strauchelnde Ork seine Klinge und ließ sie zum tödlichen Schlag fallen. Geritor sah mit starrem Blick auf das Schwert und war für Bruchteile von Sekunden nicht in der Lage auch nur einen Muskel zu bewegen.

"Ist alles in Ordnung mit dir?" hörte er plötzlich wie aus weiter Ferne und spürte, wie die Isolation um ihn herum sich wieder verlor. Vor ihm kniete ein besorgt dreinschauender Thranduil. Und der Ork lag mit einem Messer im Herzen ein Stück neben ihm. "Was ist geschehen?" fragte er noch immer leicht benommen den König und musterte blinzelnd die Umgebung. "Wir haben gesiegt und du wärst um ein Haar ihr letztes Opfer geworden", stellte Thranduil trocken fest, doch das freundschaftliche Grinsen um seine Mundwinkeln verriet Geritor, dass er sehr erleichtert war, dass sein Freund noch an seiner Seite stand. Er erfasste die Hand des Königs und ließ sich von ihm auf die Füße ziehen um kurz freundschaftlich an dessen Brust gedrückt zu werden.
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Geritor erwachte aus seiner Vergangenheit und schüttelte lächelnd seinen Kopf über diesen einzigartigen Elben. Noch nie zuvor war er einem Wesen seiner Rasse begegnet, das ein so eckiges und markantes Gesicht gehabt hatte. Dazu noch das lange blonde Haare, das an den Seiten schon silberne Strähnen aufwies. Das Auftreten war jederzeit das eines Königs. Seine stolze Haltung, diese gebieterische Art und eine Körpergestik, die nicht die kleinste Schwäche zeigte, wenn er verhandelte und oder Feinden gegenüberstand. Selbst Geritor konnte es nur schwer deuten, wenn Thranduil ihn mit einem seiner stählernen Blicke lange kritisch ansah und es gerne auf einen kleinen Machtkampf zwischen ihnen ankommen ließ.

Es gab nur wenige, denen er jemals seine anderen Seiten zeigte. Wenn er in seinen privaten Räumen oder unter Freunden war, veränderte er sich und zeigte noch ganz andere Eigenschaften. Er lachte offenherzig, machte unüberlegte Scherze und seine königliche Maske fiel von ihm ab. Es war schon ein Anblick, wenn Thranduil sich gelassen in einen der Sessel fallen ließ und ohne eine bewusste Wortwahl zu treffen einfach anfing zu plaudern. Genauso war es auch, wenn seine Frau in so einem Moment in seine Nähe trat. Seine Gesichtszüge wurden weich und selbst nach der langen Zeit, die sich die beiden schon kannten, leuchteten seine blauen Augen noch immer verliebt auf. Unzählige Bilder liefen noch in Geritors Geist ab, bei denen er sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte.

Die fragenden Blicke bei konfusen Vorschlägen, das versteckte Lachen bei manchen Verhören und das nervöse Verhalten bei der Geburt seines Sohnes. Weiter kam er nicht. "Glaubt nicht, dass uns das Schicksal von Thranduil gleichgültig ist", Elronds Stimme tauchte plötzlich leise neben ihm auf. "Ist das so?" Geritors Melancholie war unüberhörbar "Dann muss ich mich wohl getäuscht haben." "Ich weiß jetzt von der tiefen Bindung zwischen euch", sprach der Herr von Bruchtal geduldig und ruhig weiter. Geritor blickte sich skeptisch zu ihm um, reagierte aber nicht weiter auf diese Äußerung. "Legolas hat mir erklärt, was für ein Band euch beide verbindet", auch auf diese Worte erwiderte er nichts. "Es ist an der Zeit eine Lösung zu suchen, findet ihr nicht auch!" Elrond begriff, dass es gerade keinen Sinn ergab, sich weiter zu entschuldigen. Geritor stand auf, nickte nur und ging zurück zu den anderen.

Ein Feuer war entfacht worden und mittlerweile hatten sich auch Legolas, Gimli und Meradeth zu der Gruppe gesetzt. Schweigend ließ sich Geritor an seinen alten Platz nieder und schaute in eine niedergeschlagene und unschlüssige Runde. Etwas war in der Zwischenzeit hier geschehen und es war ihm klar, dass es nichts Gutes gewesen sein konnte. Doch an dem wie versteinert wirkendem Gesicht des Prinzen vom Düsterwald blieb sein Blick hängen. In seinen Augen tobte ein Kampf von Verzweiflung und Aufruhr. Geritor nahm einen tiefen Atemzug, als nicht einer der Anwesenden auch nur eine Andeutung machte ihn aufzuklären "Warum sagt ihr nicht einfach, was beschlossen wurde!" "Der Vorschlag von euch ist schon gut durchdacht, aber wie sollen wir ihn umsetzen, wenn man bereits das ganze Lager ausspioniert hat?" Celeborn hatte lange über die Ausführung nachgedacht. Doch es war fraglich, ob, selbst wenn man es schaffen würde in den Palast zu kommen, man eine Chance bekam Thranduil zu befreien. Aus den letzten Berichten war hervor gegangen, dass dessen Kräfte und Durchhaltevermögen bedrohlich schnell schwanden. Bei dem Gedanken, was sein Verwandter erleiden musste, fuhr es dem Elben kalt den Rücken herunter.

Elrond nickt zustimmend "Ihr und eure Tochter waren die einzigen, die ihren Blicken entgangen sind und noch ein paar der Wachen, die in den Bäumen Ausschau hielten", stellte er fest und sah seinen Gegenüber ernst an. "Aber dass sie mich nicht erblickt haben ist nicht weiter von Belangen, da Kardel mich selbst nach unzähligen weiteren tausenden von Jahren noch immer erkennen würde", stellte Geritor betroffen fest. "Es wäre ein nur sehr geringer Kreis, aus dem man überhaupt noch jemanden für diesen Auftrag erwählen könnte!" Geritor schloss verzweifelt die Augen und in seinem Herzen fühlte es sich an, als ob Elrond ihm mit seinen Worten persönlich ein Messer ins Herz gestoßen habe. "Und da es keine weiblichen Gefangenen mehr gibt, würde es uns bestimmt einen Vorteil bringen, wenn", Celeborn wagte es nicht weiter zu sprechen, denn ihm war klar, wie Geritor darüber denken würde, seine Tochter als Köder zu benutzen.

Legolas versteifte sich noch mehr bei diesen Worten. Bisher hatte noch niemand in dieser Runde gewagt es auszusprechen. Meradeth wusste um den inneren Aufruhr seines Freundes und wünschte sich, dass es etwas gäbe, mit dem er ihm zumindest etwas Erleichterung verschaffen könnte. "Wisst ihr überhaupt, was ihr da gerade verlangt habt!" Geritor war aufgesprungen und Fassungslosigkeit war ihm ins Gesicht geschrieben. Er würde es nicht zulassen, dass man Eleya wie ein Stück Fleisch diesen Tieren zum Fraß vorwirft. "Es wird ihre Wahl und Entscheidung sein", Melyanna, welche die ganze Zeit nur schweigend zugehört hatte, erhob sich "Und wie sie auch ausfallen mag, wir müssen sie akzeptieren!"
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Odine ging der Elbe nach, die gerade über einen der Hügel verschwand. Sie lief, nein rannte, über die unebenen Hänge und machte keine Anstalten auf die Zurufe des Mädchens zu reagieren. Erst als sie auf dem losen Geröll ausrutschte und direkt auf ihren bandagierten Arm fiel, war Odine in der Lage sie einzuholen. Sie sah wie sich Eleya schmerzverzerrt auf die Unterlippe biss und ihren wieder leicht blutenden Arm an ihren Körper presste. Das Mädchen setzte sich daneben und tat nichts weiter, als die blonden Locken auf ihren Schoss zu betten und sanft darüber zu streicheln. "Was soll ich tun Odine?" erst nach einer Weile war die Elbe bereit darüber zu sprechen, um was sie gebeten worden war. Das Mädchen schüttelte nur den Kopf.

"Niemand kann und sollte dir diese Entscheidung abnehmen, denn das Unternehmen riskant zu nennen ist wahrlich untertrieben." Eleya drehte sich auf den Rücken und beobachtete den Sternenhimmel. Die Angst, die sie alleine schon bei dem Gedanken zu diesem Monster zu gehen empfand, zehrte an ihr und der verzweifelte Gesichtsausdruck ihres Vaters lastete auf ihrem Herzen, aber noch mehr das versteinerte Gesicht von Legolas. "Du hast mitbekommen, dass es keine andere Rettung für Thranduil gibt", nachdenklich schaute sie in das vom braunen Haar umrahmte Gesicht "Habe ich wirklich eine Wahl? Es ist immerhin mein König." Odine presste die Lippen aufeinander und schien mit der Antwort zu hadern. "Doch die hast du! Nur würdest du es schaffen, sie dein ewiges Leben lang zu akzeptieren?"

Geritor hatte schon des Öfteren über die Kerker des Düsterwaldes gesprochen und ihr erzählt, dass diese tief unterhalb der Erde lagen und es möglich war, auch nur den kleinsten Lichtstrahl zu verdecken. Dann saßen die Gefangenen in völliger Dunkelheit und das würde selbst Elben sehr langsam, aber stetig die Lebensenergie nehmen. Aber auch die Foltermethoden, die den Orks bekannt waren und die nicht die geringsten Gewissensbisse hatten sie auch zu benutzen, würden ihr übriges tun. Wenn Thranduil auch nur halb so zäh und stark war, wie es ihr Vater immer beteuerte, würde selbst dieser jetzt nach einer Woche in diesem feuchten und kalten Loch, sich kaum noch erwehren können. Die beiden Frauen schreckten hoch, als ein schriller Schrei aus Richtung des Lagers erschallte. Sie sahen sich an, sprangen gleichzeitig wortlos auf und rannten zurück zu den anderen.

Der Schrei gehörte einem zerlumpten und mit unzähligen Narben übersäten Elben, der zitternd und bis aufs Letzte erschöpft zusammengekrümmt am Boden lag. Es war eindeutig, dass man ihn gefoltert und aufs Schlimmste hatte zurichten lassen. Sein Rücken war mit Peitschenhieben und sein Körper mit Blutergüssen übersät. "Orpheus, was ist geschehen?" Die Königin kniete sich neben den Berater ihres Gatten und hielt ihm vorsichtig einen Wasserschlauch an den Mund. Der Elb nahm einen hastigen Schluck und begann zu husten. "Langsam mein Freund", die Stimme Melyannas wurde sanft, doch sie wusste, dass man Orpheus nicht aus Gutmütigkeit hatte gehen lassen. Nachdem der geschundene Elb sich ein paar Atemzüge lang erholt hatte, platzte auf einmal ein wirrer und kaum verständlicher Redeschwall aus ihm heraus. "Kardel schickt mich um euch zu sagen, dass ihr niemals eine Chance haben werdet, was auch immer ihr aushecken möget. Der König, Mylady, bitte ihr müsst schnellstens etwas unternehmen!" seine ohnehin schon leeren Augen wurden glasig und füllten sich mit Tränen.

"Sie halten ihn angekettet, Mylady, wie ein Tier und foltern ihn nur zu ihrem reinen Vergnügen. Ansonsten lässt Kardel ihn den ganzen Tag alleine in einer dunklen Zelle und gibt ihm gerade mal so viel Wasser und Brot, dass er nicht verhungert", flehend klammerte er sich an die Königin. Auch wenn Eleya sie nicht ansah, konnte sie den Blick Melyannas auf ihrer Seele spüren. Sie wusste, dass das ewige Leben in einer solchen Lage auch eine große Qual sein konnte und umso dringlicher war es an der Zeit, dass sie ihre Wahl traf. Angst stieg wieder in ihr hoch und sie fühlte sich wie vor einen Abgrund gestellt, in den sie springen musste, wenn sie überleben wollte. "Hat er noch etwas zu dir gesagt Orpheus?" zitternd vor Panik drängte die Königin weiter auf den Verletzten ein. "Uns wurde verboten miteinander zu sprechen, Mylady! Aber ich habe ihn des Öfteren euren Namen rufen hören und auch den des Prinzen", antworte der Elb leise. Zum ersten Mal sah Legolas in die Richtung Eleyas und sie entdeckte in seinem Blick die Mischung einer Bitte zu gehen und zu bleiben zugleich. Ein grausames Schweigen trat auf dem Lagerplatz ein und ließ alle das Gefühl haben kaum mehr atmen zu können. Einzig auf den Schultern der blonden Elbe schien es mit aller Macht zu drücken und es wollte sie auf die Knie zwingen. "Bitte meine Königin", hauchte Orpheus noch bevor er ohnmächtig vor ihren Füßen zusammenbrach. "Um Himmels Willen!" fuhr Melyanna hoch "Bringt ihn in meine Hütte." Geritor und Meradeth hoben den schlaffen Körper behutsam auf und trugen ihn vorsichtig in das kleine Holzhaus. Legolas war wortlos neben Eleya getreten, blickte aber nicht auf. Sie nahm sein Kinn und zwang den Prinzen sie anzusehen. Es lag noch immer der gleiche seltsam schmerzerfüllte bittende Blick in seinen Augen. In diesem Moment war sich Eleya sicher, dass es nur einen Weg gab diesem Reich zu helfen.