Ein fatales Missgeschick

Die Sonne stand bereits hoch über dem Düsterwald, als sich die kleine Truppe bestehend aus drei Elben, zwei Hobbits und einem Zwerg zum Aufbruch zusammen gefunden hatte. Eleya kam mit Odine als letztes an dem kleinen Flussarm an und bemerkte mit aufsteigender Angst, dass bereits alles zum Aufbruch vorbereitet war. Die Stimmung war gedrückt, denn das Wagnis, auf das sich diese sechs Seelen bereit waren einzulassen, zeugte schon von einer großen Verzweiflungstat. Neben Meradeth sollte sie noch Feladrion begleiten, der zu den Elben gehörte, die am letzten Nachmittag Wache in den Bäumen gehalten hatten. "Na dann, wir sollten nicht noch mehr Zeit verlieren", brummte Gimli und ging zögernd auf das Apfelfass zu, welches er sich hart erstritten hatte. "Gebt auf euch acht", waren die einzigen Worte der Königin, der es sichtlich schwer fiel zu sprechen.

Wortlos umarmte Eleya ihren Vater, der nur ein "Pass auf dich auf!" heraus pressen konnte. Ihr Blick fiel über seine Schulter auf Legolas, welcher etwas abseits stand und sie schwer atmend und mit glasigen Augen ansah. Sie löste sich von Geritor und ging auf den Prinzen zu. "Ich habe dir versprochen, dass ich in deine Arme zurückkehren werde", flüsterte sie zitternd, so dass nur er es hören konnte. "Und ich werde auf dich warten", kam es lediglich zurück und zwei Arme legten sich um Eleya und drückten sie an Legolas Brust. "Ich mag auch nicht gerade gerne Fisch", diskutierte Merry mit Gimli noch einmal über die Fassaufteilung, doch als er stockte, sich seine Augen rieb und sich dann ein immer breiteres Grinsen auf seinem Mund bildete, sah auch der Zwerg in die von ihm anvisierte Richtung. "Was ist denn da so lustiges?" wollte Pippin lauthals wissen, als auch Gimlis Mundwinkel zu zucken begannen.

Wie auf Kommando drehten sich jetzt alle zu den beiden Elben hin. Melyanna schmunzelte in sich hinein, als sie ihren Sohn sah. Er hielt Geritors Tochter eng umschlungen und sein Kopf war zu ihr herunter gebeugt. Legolas jedoch stand so mit dem Rücken zu ihnen, dass jedem ein genauerer Blick verwehrt wurde. Die Beiden schienen das alles nicht zu bemerken, oder zumindest ließen sie sich, wenn es doch so sein sollte, davon nicht weiter stören. "Wir sollten schon mal anfangen euch in die Fässer zu helfen, meint ihr nicht auch?" versuchte Geritor die neugierigen Gesichter abzulenken, doch es sollte ihm nicht wirklich gelingen. Noch immer blickten alle auf das Paar und vor allem die beiden Hobbits konnten kaum noch ein Kichern unterdrücken. "Es wird Zeit!" drängte der Elb weiter und nur widerstrebend machte man sich murrend daran die Halblinge und den Zwerg in die mit den dementsprechenden Waffen bestücken Fässer zu heben und die runden Deckel festzudrücken.

Odine ging ein paar Schritte in Richtung des Paars. "Eleya", ihre Stimme war kaum hörbar. Erst schien es, als wenn diese es nicht gehört hätte, doch dann löste sich die Elbe ruckartig von dem Prinzen und lief ohne einen Blick zurück zu den anderen. Im gleichen Moment in dem sie einen Fuß auf das Floß setzte, stoßen sich Meradeth und Feladrion mit zwei langen Holzstäben auch schon ab. Die Zurückgebliebenen hoben zum Abschied noch einmal ihre Hände, als das kleine Floß auf den großen Waldfluss bog. "Wir sollten unsere Positionen einnehmen, für den Fall, dass man sie durchschaut", Legolas Aufforderung war kalt und absolut gefühllos. Die Gruppe teilte sich wieder um zurück zu gehen, doch dieses Mal ging Odine ohne zu fragen mit Legolas. Der Prinz warf ihr nur einen Blick zu, den sie beim besten Willen nicht in der Lage war zu verstehen, doch er schickte sie auch nicht wieder fort.

Wortlos führte er sie einen Hügel hinauf, von dem aus man einen sehr guten Blick auf den Palasteingang hatte. Es stellte sich heraus, dass eine große und dicht gewachsene Eiche sein Ziel war. Legolas langte mit einem sicheren Griff tief in das Laub der Blätter und hob eine Falltür an. Unter ihr lagen in einem Loch alle möglichen Waffen, die von Bögen, Schwertern bis hin zu großen Äxten reichten. Er suchte für Odine einen nicht zu arg gespannten Bogen heraus und drückte diesen in ihre Hand. Dazu gab er ihr noch einen Köcher mit Pfeilen und einen kleinen Dolch. Dann half er dem Mädchen hochzuklettern und deutete ihr sich auf einem breiten und gut Halt gebenden Ast zu setzten, während er sich noch ein Stück höher positionierte. Für einen Elben war es keine große Mühe aus dem Gipfel seine Pfeile genaustens in das erwählte Ziel zu schießen, doch für sie? Sein eisernes Schweigen brachte sie innerhalb von kürzester Zeit zur Weißglut und Odine schaffte es nicht sich weiter zusammen zureißen. "Du bist nicht der einzige, der sich hier Sorgen macht", zischte es plötzlich ungewollt laut aus ihr heraus.

Seine Augen und sein Gesichtsausdruck wurden noch kälter, als es ihrer Meinung nach überhaupt noch möglich war und der Elb hockte blitzschnell an ihrer Seite. "Natürlich weiß ich das, Madame!" seine Stimme war leise und ausgeglichen, doch sie zuckte zusammen, als Legolas dann ins übertrieben Höfliche wechselte "Nur bedenkt bitte, dass meine beiden teuersten Freunde auf dem Floß sind und ganz nebenbei noch das Wesen, an das ich vor erst sehr kurzer Zeit mein Herz verloren habe und nicht bereit bin es wieder zu verlieren." Odine starrte den Prinzen lange regungslos an und ein Schuldgefühl flutete über sie herein.

Eleya hatte ihr auf dem Weg zum Treffpunkt berichtet, was am Vormittag zwischen ihr und Legolas geschehen war. Auch wenn die Elbe nicht ein Wort gesagt hätte, das Leuchten in ihren Augen erzählte Odine mehr, als sie wissen musste und der Blick des Prinzen drückte exakt die gleichen Gefühle aus. Doch viel schlimmer war, dass sie sich durch ihr Schreien, wahrscheinlich verraten hatte. "Bitte verzeih mir", war alles was sie aussprechen konnte, bevor ihre zitternde Stimme gänzlich versagte, doch Legolas schien sich daraufhin wieder zu beruhigen. Der Elb wollte gerade ansetzen zu sprechen, doch seine Aufmerksamkeit wendete sich abrupt von ihr ab. Er erhob sich lautlos und blinzelte in die Wälder um ihn. Das dunkelhaarige Mädchen hatte fast ihr ganzes Leben unter Elben verbracht und wusste, dass es ratsam war sich nicht zu bewegen, solange er sich in diesem Zustand befand. Legolas zog für des Menschen Auge kaum sichtbar einen Pfeil und spannte mit ihm die Sehne seines Bogens, doch es war bereits zu spät.

Odine schrie laut auf, als sich einer der gegnerischen schwarzen Pfeile durch ihren Oberarm bohrte. Sie schwankte und verlor den Halt noch bevor Legolas sie richtig greifen konnte. Das Mädchen fiel direkt auf einen der Orks und hatte so zumindest Glück den Sturz zu überleben. Aber konnte man da wirklich von Glück reden?
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Das Floß hatte mittlerweile die Große Brücke, die zum Palast führte, erreicht und Meradeth hatte die Wachen überzeugen können, dass sie vor einigen Wochen von König Thranduil ausgeschickt wurden um einige spezielle Waren für ihn zu holen. Zumindest waren sie bereit, erst Kardel zu unterrichten, bevor man sie einfach erschoss. Meradeth dreht sich abrupt um, als ein Schrei von der anderen Seite ertönte. Er sah zu Eleya, die reflexartig an seinen Arm gegriffen hatte. "Das war Odine", der Schrecken in ihrer Stimme war unüberhörbar "Es ist etwas schief gegangen!" "Abwarten, lass dir nichts anmerken", versuchte Meradeth sie zu beruhigen, doch im gleichen Moment kam ein scharfer Befehl aus dem Inneren der Palasttür. Keiner der drei Elben verstand was er besagte, es schien eine Abänderung der dunklen Sprache von Mordor zu sein. Aber es ließ sich erahnen, dass es nichts Gutes bedeuten würde.

Die Orks reagierten sofort und in der nächsten Sekunde waren Unmengen von Pfeilspitzen auf das Floß gerichtet. Keiner von ihnen hatte auch nur die Chance eine der versteckten Waffen zu erreichen. Vorher wären sie niedergestreckt worden und dafür stand einfach zu viel auf dem Spiel. Der Anführer der Wachen, der äußerst kräftig war, kam aus den Wäldern und über seiner Schulter lag ein zierlicher lebloser Körper. Eleya erkannte sogleich die braunen langen Haare Odines. "Sie ist aus der großen Eiche gefallen, als sie von uns angeschossen wurde, Herr", berichtete der Hauptmann und warf das Mädchen unsanft vor die Füße Kardels, der herausgekommen war. Die Elbe konnte nur dessen Rücken und die langen schwarzen Haare, die wirr über der schwarz-grauen Kleidung lagen, sehen. Diese wurde mit einem breiten, aus groben Leder gefertigte, Gurt gehalten. Ein langes ungewöhnlich breites Schwert, welches selbst von einem Mann nur mit zwei Händen geführt werden konnte, hing an seiner Seite.

"Ein hübsch anzusehendes Exemplar habt ihr da gefangen!" grinste Kardel böse, während er Odine ohne jegliche Vorsicht mit seinem Schuh um ihre eigene Achse rollte "Bringt die anderen her zu mir", mit einem Nicken deutete er auf das Floß. Die beiden Männer trat und stieß man brutal auf die hölzerne Brücke, während riesige fleischige Krallen sich in Eleyas Oberarme quetschten. "Los runter mit euch", brüllten sie die Elben an und zwangen mit einigen gezielten Tritten die Gefangenen in die Knie. Zum ersten Mal konnten sie direkt in Kardels Gesicht schauen. Selbst die beiden Männer aus dem Düsterwald hatten ihm noch nicht gegenüber gestanden. Meradeth war noch ein Kind und Feladrion war zur Zeit des Krieges noch nicht einmal geboren. Hässliche verwinkelte Narben durchzogen das Antlitz überall und an den Seiten waren Brandmale, die von einem heißen Eisen zu sein schienen. Die Spitzen seiner Ohren waren abgeschnitten worden und nichts erinnerte mehr daran, dass dieses abscheuliche Monster einmal ein gebürtiger Elb gewesen sein soll.

"So euch hat also der Prinz geschickt um den König zu befreien?" fragte er und sah jedem einzelnen lange ins Gesicht, als ob er nach Bildern aus der Vergangenheit suchen würde. Von Meradeth und Feladrion ließ er recht schnell ab, doch Eleyas Augen schienen ihn besonders zu interessieren. Diesen Ausdruck, der in ihnen brannte kannte er, doch wusste Kardel ihn im Moment nicht einzuordnen. "Du solltest den Köder für mich spielen, nicht wahr", spottete er Eleya an und fing lauthals an zu lachen "Ich muss dich leider enttäuschen, es hätte nicht geklappt." Neben ihnen schleppten sich einige Orks mit den Fässern, die man geladen hatte, ab. Alles was an Bord war, wurde in die Tiefen des Palastes gebracht, somit auch die Hobbits und Gimli, die jetzt ihre letzte Chance sein würden, Thranduil zu helfen.

Odine begann sich stöhnend zu regen und Kardels Aufmerksamkeit flog ihr sogleich zu. "Hallo mein bezauberndes Kind", ein gieriger Blick wanderte über ihren Körper und er half ihr ungewohnt zuvorkommend auf die Beine "Du wirst mir ein bisschen Gesellschaft leisten, hörst du!" Er winkte seinen Hauptmann zu sich und übergab ihm das Mädchen. "Bring sie in meine Kammer und sorge dafür, dass sie alles bekommt, was sie möchte", befahl er mit einem drohenden Unterton. Der Ork nickte nur und führte die immer noch benommene Odine in das Innere des Palastes. Sein Blick wanderte wieder zu Eleya und er musterte sie abermals kritisch, doch ihm wollte beim besten Willen nicht einfallen, woher er diese seltsamen Augen kannte und Kardel wusste wohl, dass sie es ihm auch nicht verraten würde. Plötzlich ließ Kardel von den Gefangenen ab und ging die Brücke ein Stück weiter Richtung des Waldes.

"Eure Hoheit", rief er in die hohe Eiche vor sich "Legolas Grünblatt ist euer Name nicht wahr Prinz? Ich weiß, dass ihr da oben steckt." Die Bogenschützen seiner Wache spannten ihre Bögen und die Spitzen ihrer Pfeile zielten genau in die Kuppel, in der der Prinz sich verbarg. Legolas war vollkommen apathisch, denn der Anblick, der sich ihm gerade bot verhinderte, dass auch nur ein klarer Gedanke in seinem Kopf möglich war. Geritor war in der Zwischenzeit lautlos zu einem Gebüsch, das nahe der Eiche stand, geschlichen und ein Blick zu dem Prinzen hinauf verriet ihm gleich, dass dieser im Moment nicht im Geringsten in der Lage war, sich Kardel als gleichwertigen Gegner gegenüber zu stellen.

"Wir haben uns lange nicht gesehen", sprach er mit einmal laut und es klang, als wenn er einen alten Freund begrüßte und nicht den Feind. Kardels Augen blitzten schlagartig auf und ein Grinsen legte sich auf sein Gesicht. "Ich hätte es mir auch gleich denken können. Geritor! Mein Kompliment, dass es dir solange gelungen ist dich vor mir zu verbergen", säuselte dieser ebenso liebenswürdig zurück.

"Nur warum hast du dich jetzt zu erkennen gegeben?" er stockte und ging eilig die Brücke zurück, bis er wieder neben Eleya stand. Er fasste in die blonden Locken und riss ihren Kopf in den Nacken. Kritisch begutachtete er noch einmal das Gesicht, aber vor allem die Augen. "Ihr habt tatsächlich euer eigen Fleisch und Blut geschickt?" lachte Kardel plötzlich bösartig auf "Das hätte ich euch gar nicht zu getraut." Legolas hatte sich während dem kleinen Wortgefecht wieder gefangen und sich neben Geritor in Position gestellt. Sein Gesicht war wie eine steinerne Maske, die keinerlei Gefühlsregungen zuließ, gleich welcher Art sie sein sollten. Als er diesem Monster erstmals gegenüberstand und deutlicher als je mitbekam, wie dieser seine Geliebte behandelte, war Legolas mehr als nur versucht ihn mit einem seiner Pfeile niederzustrecken. Geritor bemerkte dieses jedoch früh genug und legte ihm beruhigend seine Hand auf die rechte Schulter. "Ich gebe euch genau zwei Tage, Prinz, um zu kapitulieren. Solange werden Geritors Tochter und die beiden anderen meine Gefangenen sein. Doch wenn euer Heer angreift oder eure Zeit abgelaufen ist, ohne dass ich eine zufrieden stellende Antwort bekommen habe, werden sie und alle anderen Gefangenen das Schicksal des Königs teilen", sprach Kardel gelassen und auf sein Zeichen wurden die Drei in das Innere des Palastes gebracht.

Eleya gelang es sich noch einmal umzusehen und ihr Blick galt nicht im Geringsten ihrem Vater. Legolas schluckte die Tränen, die in ihm aufstiegen fort und seine Augen deuteten ihr, dass sie nicht den Mut verlieren solle. Nicht solange er lebte! Alle Hoffnungen lagen jetzt auf den Schultern der beiden Hobbits und des Zwerges, welche im Moment noch unentdeckt geblieben waren. Aber wie sollten diese überhaupt eine Möglichkeit finden, wenn es ihnen nicht gelang sich aus ihren fest verschlossenen Fässern zu befreien? Das letzte, was Geritor und der Prinz von Eleya sahen war, wie Kardel sie durch die riesigen Tore zerrte, welche direkt hinter ihm zuschlugen.