Ein einziger Versuch

Legolas hatte sich von seinem anfänglichen Schock erholt und seinen Platz wieder eingenommen. Er war der Kronprinz seines Reiches und hatte die Pflicht an seines Vaters Stelle zu treten. Das Wissen und Können, das er dazu brauchte, hatte ihm Thranduil in all den Jahren geduldig gelehrt und seinen Sohn somit zu einem seiner engsten Berater gemacht. Der König des Düsterwaldes war immer sehr stolz darauf gewesen, dass sein Sohn ihm ebenbürtig war. Darum hatte er damals auch Legolas anstatt seiner selbst zu Elronds Rat geschickt und er wusste, dass er mit ihm einen würdigen Nachfolger hatte, wenn der richtige Zeitpunkt kommen würde die Krone abzugeben.

Legolas sorgte dafür, dass das Heer sich in Bereitschaft hielt und sämtliche Vorsorge für die Ankunft der Gefangenen getroffen wurde, da man noch immer auf das Gelingen ihrer Flucht hoffte. Viele von ihnen müssten gewiss von den Heilern behandelt werden und benötigten Ruhe um wieder zu Kräften zu kommen. Aber vor allem musste er die Ruhe bewahren und durfte keines Falls auch nur den kleinsten undurchdachten Schritt machen.

Die Sonne war schon lange hinter dem Horizont verschwunden und hatte die Welt in Dunkelheit getaucht. Geritors Worte hatten ihn seinen Mut und seine Kraft wieder finden lassen. Er sah in die Sterne und lächelte. Ja, es würde ein neuer Morgen kommen.

Der Prinz und Aragorn halfen gerade dabei zusätzliche Unterkünfte zu bauen, als im Baum direkt vor ihnen plötzlich lautlos der Adler seines Vaters landete. Es war ein kluges Tier und wusste, dass es keinen unnötigen Lärm machen durfte. Da Legolas ihn bereits erblickt hatte, blieb der Adler ruhig auf seinem Ast sitzen und wartete einfach ab, bis der Prinz zu ihm kam.

"Wer hat dich geschickt?" wollte er wissen, doch im gleichen Augenblick entdeckte er einen kleinen Zettel, der auf eine sehr außergewöhnliche Weise am Fuß des Adlers befestigt worden war. Hoffnung flammte in Legolas Herzen auf, denn als er das Schriftstück aufrollte, erkannte er sogleich Gimlis krakelige Handschrift.

Alle Gefangenen leben noch und sind in der Lage zu fliehen. Halte dich bei Sonnenaufgang mit einem Teil des Heeres bereit. Wir werden versuchen, die Stunde der Trunkenheit der Feinde zu nutzen. Eleya ist bei deinem Vater und wird ihr Versprechen halten.

Für einen Moment schäumte der Prinz vor Glück und Dankbarkeit über. Er dankte den Sternen, die sich am Himmel dieser Nacht in ihrer vollen Pracht zeigten. Aragorn hatte den Wandel, der sich im Gesicht seines Freundes abzeichnete wohl bemerkt und trat an Legolas Seite.

Der Elb sah ihn zum ersten Mal seit dem bedauerlichen Missgeschick direkt in die Augen. Doch zur Überraschung des Königs waren diese voller Hoffnung und Tatendrang, sogar ein Lächeln zog sich über sein Gesicht und die Schultern hoben sich wieder gefüllt mit Stolz.

"Was steht in dem Brief, das dir wieder so eine Zuversicht schenkt?" der König konnte sich zwar fast die Antwort selber geben, doch brannte er vor Neugierde. Der Prinz gab wortlos den kleinen Zettel an Aragorn weiter und hob seinen Blick erneut zu den Sternen.

Dieser überflog schnell die wenigen Zeilen und verstand, was Legolas das Herz so leicht werden ließ. Bis auf eines! "Um was für ein Versprechen handelt es sich?" er wusste, dass es ihn eigentlich nicht interessieren sollte, aber gerade bei dem Prinzen konnte und wollte Aragorn sich nicht zügeln.

Legolas Lächeln verstärkte sich noch weiter "Eleya wird wieder in meine Arme zurückkehren!" "Es gibt noch eine Menge zu tun", der Elb klopfte auf Aragorns Schulter und ging mit zügigen Schritten zurück zu der Hütte seiner Mutter.

Der ehemalige Waldläufer schüttelte schmunzelnd seinen Kopf und folgte seinem Freund. Es war an der Zeit zum ersten Mal die Waffen zu erheben und anzugreifen. Ansonsten hatten die Gefangenen keinerlei Aussicht sich der Übermacht ihrer Gegner zu erwehren.

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Eleya hatte die Knie an ihren Körper gezogen und die Arme um sie geschlungen. Es war bitter kalt und es gab nicht das Geringste innerhalb dieser steinernen Wände, womit sie sich etwas schützen konnte.

Thranduil lag neben ihr und war in einen tiefen Schlaf gefallen. Kaum ein paar Atemzüge nachdem sie seine Wunden versorgt hatte, wurden seine Augen schwer und endlich fand der König die Ruhe, die er brauchte um seine Kräfte wieder aufleben zu lassen. Der Trank, den sie ihm verabreicht hatte, brachte seine erwünschte Wirkung.

Erst jetzt hatte sie die Möglichkeit zumindest einen Teil der Verletzungen an Thranduils Körper zu sehen, die man ihn im Laufe seiner Gefangenschaft als Erinnerung zugefügt hatte. Peitschenhiebe waren über die gesamte Vorder- und Rückenseite verteilt und die in seinen Kniekehlen schienen die Hauptursache für seine Schmerzen beim Laufen zu sein. Kardel wusste genau, was er tun musste um einen Elben zu bezwingen. Er war systematisch darin vorgegangen seinen Feind grausam langsam das Leben auszuhauchen.

Doch je länger Eleya in dem Verlies saß, desto unruhiger wurde sie. Was brauchten die Drei so lange? Die Unbehaglichkeit in ihr wuchs ständig und die Elbe widerstand nur schwer dem Drang Thranduil zu wecken, damit wenigstens ein freundliches Wort ihren Schrecken linderte.

Vor ihrem inneren Auge spielten sich immer wieder die gleichen Bilder ab. Die wunderschönen, doch leider viel zu wenigen Momente mit Leoglas, die sie verbringen dufte, halfen ihr den Mut nicht zu verlieren.

Eleya sprang auf, als sie ein leises Tuscheln in der Ferne hörte. Es waren die beiden Hobbits! Diese versuchten hartnäckig das Schloss zu öffnen, aber da sie sogar noch ein Stück kleiner waren als Gimli, standen sie vor einem Problem. Noch ein unterdrückter Fluch, der Merry entfuhr war zu hören und dann doch ein lautes Klicken des Schlosses. Zumindest schien es in der grausamen Stille unglaublich geräuschvoll.

"Mylord, kommt es ist Zeit", drängte sie den König, als dieser durch ihre sanfte Berührung an seinem Oberarm erwachte. Einen Moment später jedoch hatte er sich schon aufgerappelt und stand schwach auf seinen Beinen. "Trinkt den Rest", Eleya reichte ihm abermals das kleine Fläschchen, welches aber gerade noch zwei Schlucke enthielt.

Merry und Pippin starrten den Elbenkönig an. Sie konnten es nicht fassen, was man diesem stolzen Herrscher angetan hatte. Ein gezwungenes Lächeln war ihre Antwort, doch keiner sagte etwas.

"Wir sollten uns beeilen, wir haben nur diesen einen Versuch", mit diesen Worten, legte Eleya sich den Arm des Königs um den Nacken, damit sie Thranduil besser stützen konnte. "Hier sind deine Messer, ich habe gut auf sie aufgepasst", grinste Pippin und Eleya steckte diese in ihre Schärpe.

Sie kamen nicht so schnell voran, wie es ihnen lieb gewesen wäre. Aber keiner machte dem Verletzten einen Vorwurf oder ähnliches, denn der König tat sein bestes um ihnen nicht zur Last zu fallen. "Na endlich", hörten sie Gimli brummen und Merry machte sich daran die schwere Bohlentür, die zu Meradeth und Feladrion führte zu öffnen.

Als sie eintraten, fielen schlagartig alle Blicke auf sie, die zum Teil Erleichterung aber auch Bestürzung zeigten. Was wohl auf den Anblick ihres Königs zurückzuführen war, der noch immer von Eleya gestützt wurde. Einer nach dem anderen wurde von seinen Fesseln befreit und gesellte sich zu der Elbe und Gimli.

"Wie seid ihr eigentlich an die Schlüssel gekommen?" wollte Meradeth wissen und rieb sich unbewusst über die schmerzenden Handgelenke.

"Pippin hat ihn besorgt, ich habe ihm das gar nicht zugetraut, aber er ist ein Meister in diesem Fach", murmelte Merry mit zuckenden Schultern und sah zu seinem Freund, der bereits in der nächsten Tür verschwunden war und weiteren Gefangenen zu Hilfe kam.

"Wir brauchen Waffen, sonst können wir gleich wieder in unsere Zellen gehen", nervös sah sich Feladrion um und deutete mit einem Nicken einem der anderen Elben, mit ihm zusammen Eleya Thranduil abzunehmen und den König zu zweit zu stützen. "Die Waffenkammern sind besetzt. Wir wären tot, bevor wir auch nur ihre Pforte durchschritten hätten", warf Meradeth betrübt ein.

Thranduil aber schien seine Meinung nicht zu teilen, denn er winkte ab "Wir müssen in den Thronsaal und zwar schnellstens!" Keiner gab ein Widerwort von sich und so versuchten sie ohne einen Laut durch die Gänge zu gelangen.

Sie waren jetzt zu einem Trupp von über vierzig Mann angewachsen und hatten zumindest eine recht gute Chance sich erwähren zu können. Das Glück schien auf ihrer Seite zu sein, denn noch immer traute sich keiner der Orks in diesen Teil des Palastes. Meradeth öffnete eine der mit Eichen und Buchen verzierten Flügeltüren und entfachte im Thronsaal ein schwaches Licht.

Erst jetzt fiel den beiden Hobbits auf, dass es noch eine zweite Ebene gab, die sich wie ein riesiger Balkon an den Wänden entlang zog. An ihrem Geländer hingen die edelsten und meisterlich reich geschmückten Bögen, Schwerter und Messer, die je von den düsterwaldischen Waffenschmieden gefertigt wurden. Meradeth hatte wohl verstanden, was sein König beabsichtigte, doch es war Untat.

"Es sind Waffen und wenn sie es nicht Wert sind jetzt geführt zu werden, dann werden sie niemals sein." Auf das Wort des Königs hin, machte man sich daran die Waffen aus ihren Halterungen zu lösen und zu verteilen.

Eleya wurde von Legolas dunkelhaarigem Freund ein Bogen mit Köcher gegeben, welcher mit Goldranken und Mytrill versetzt war. Auf den Dolch verzichtete sie und blieb lieber bei ihren eigenen Messern.

Thranduil sah jedem Einzelnen kurz in die Augen und nirgends fand er Ablehnung. Allen war bewusst, dass es für sie nur einen Weg hinaus gab und der war durch das Haupttor. Es würde ein harter Kampf werden und ihre größte Chance lag darin, so lange wie möglich unerkannt zu bleiben.

Meradeth ging voran und acht der Krieger wurden an die Seite des Königs gestellt, der in seiner schlechten Verfassung nicht in der Lage war sich selbst zu verteidigen.

Lautes Grölen und ein markerschütterndes Geschrei kam mit jedem Schritt, den sie gingen näher und sie konnten erkennen, dass in einer der kleineren Hallen wohl eine Art Siegesfeier sich dem Ende zuwendete.

Durch Eleyas Herz bohrte sich ein unerwarteter Schmerz. Orks lagen in sämtlichen Ecken und waren in einen berauschten Schlaf gefallen. Andere hielten schwankend ihre Krüge und waren nicht mehr in der Lage aus eigenen Kräften zu stehen. Aber es waren bei Weitem nicht so viele, wie sie es gehofft hatten.

Doch was die Elbe auf der Stelle erstarren ließ, war ein Bild, das, so hoffte sie zumindest, ein Trugbild war.

Kardel saß auf dem am reichhaltigsten geschmückten Stuhl des Raumes und Odine kichernd auf seinen Knien. Ihre Arme waren um den Nacken des Tyrannen geschlungen und ihr Gesicht vergrub sich an seiner Brust. Sie flüsterte ihm Worte zu, auf diese nur ein höhnisches Lachen erklang und eine mit Narben überzogene und teils verstümmelte Hand legte sich auf ihren Halsansatz. Angewidert musste die Eleya mit ansehen, wie Kardel ihrer Freundin gierig und fordernd über ihr Dekollete, bis hinunter zu ihrem Schoß strich. Aber das Unwahrscheinlichste, was ihr auffiel war, dass es vertraut schien und das Mädchen keinerlei Ekel oder Abneigung zeigte. Im Gegenteil!

Für einen kurzen Moment hob Odine ihr Gesicht an und selbst aus der Entfernung konnte die Elbe das Leuchten ihrer Augen und Freude über das, was er tat eindeutig erkennen. Sie war wohl etwas zulange stehen geblieben, denn Meradeth zog sie hektisch mit sich. "Komm, wir müssen weiter", er hatte die Szene auch verfolgt und gemerkt, wie sehr es Eleya mitgenommen hatte.

Gimli, der ebenfalls neben den Beiden stand, warf ihnen nur einen traurigen Blick zu. Er hatte Recht behalten und wünschte aber, dass es diesmal anders gewesen wäre. Doch es war eine Tatsache, welche die Drei sahen.

Ein Schrei erklang durch die Gänge und keinen Atemzug später hörten sie ein ohrenbetäubendes Getrampel. Pfeile schossen an ihnen vorbei und sie rannten der Truppe hinterher in Richtung des Haupttores.

"Und was jetzt? Eleya sah fragend in die Richtung des Zwerges, doch dieser warf einen seltsamen Blick zum Torflügel "Wenn dieser Adler mich verstanden hat, müsste Legolas uns bereits erwarten. Aber das nützt uns nichts, solange wir hier festsitzen."

"Sei Gewiss, er hat dich verstanden!" ohne ein weiteres Wort zu verlieren trat der König, immer noch von Feladrion gestützt, nach vorne und begann einige Textzeilen im alten Quenya zu murmeln und versuchte so den Zauber des Tores zu lösen. Meradeth hatte dieser Prozedur schon einige Male beigewohnt und wusste wie kräftezehrend es für seinen Herren war, selbst wenn dieser sich in bester Verfassung befand. Aber es jetzt zu versuchen, war einfach Wahnsinn.

Längst hatte der erste Ansturm von Orks sie erreicht und der Nahkampf war in vollem Gange. Die vierzig ehemaligen Gefangenen verteidigten sich zum größten Teil mit ihren Schwertern und Dolchen. Sie waren routiniert und ließen sich nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen und doch war es nur eine Frage der Zeit, bis Müdigkeit und Erschöpfung sich in ihre Arme legen würde. Gimli stand brummend und zu allem breit zwischen den Elben. Er schwang seine Axt mit einer Leichtigkeit und peniblen Genauigkeit, sodass unzählige seiner Gegner ihren Kopf verloren.

Eleya und Meradeth waren indessen auf einen der sehr unsicheren Vorsprünge geklettert, welche sich je an den beiden äußeren Flügelhalterungen befanden und versuchten ihren Mitstreitern die bestmögliche Deckung zu gewährleisten. Währenddessen versuchten vier weitere der Bogenschützen verzweifelt die nachkommenden Orks schon im Vorfeld zu dezimieren. Sie alle waren gezwungen ihre Opfer genau auszuwählen, denn ihr Vorrat an Pfeilen war nur gering und es gab nur wenige Möglichkeiten in dieser Situation genügend Nachschub einzusammeln.

Der Kampf, den sie führten wäre absolut aussichtslos, wenn Thranduil es nicht schaffte ihnen den Weg ins Freie zu öffnen. Dafür brauchte er jedoch Zeit und Ruhe, doch keines von Beiden wurde ihm gewährt. Seine Schmerzen wurden wieder schlimmer und die Energie, welche ihm geholfen hatte auf die Beine zu kommen, versickerte zusehends. Dazu kam auch noch, dass sie später die Unterstützung des Prinzen und seines Heeres brauchten, um sich außerhalb der Tore in Sicherheit zu bringen.