Die Befreiung

Die hölzerne Brücke und die Tore des Palastes waren geschlossen, doch Legolas und Geritor konnten deutlich vernehmen, dass im Inneren gekämpft wurde. Schon lange bevor die Sonne aufgegangen war, hatten sich die beiden Elben in das Versteck geschlichen, denn sie wollten auf alles vorbereitet sein. Das Heer, welches sie aufgestellt hatten, hielt sich verstreut im Hintergrund und wartete beinahe angriffslustig auf weitere Befehle. Es waren ausschließlich Waldelben, die es sich nicht hatten nehmen lassen, bei der Befreiung ihres Königs zu helfen.

Gerade mal ein Fünftel ihrer gesamten Angriffskraft war es, die Legolas einzusetzen brauchte, da seine Kundschafter ihm berichtet hatten, dass auch Kardel nur einen geringen Teil seiner Truppen in den Palast geordert und den Großteil einen halben Tagesmarsch entfernt zurückgelassen hatte.

Es war Eleya, Meradeth und den anderen also tatsächlich gelungen einen Weg zu finden sich zu befreien und an die Oberfläche zu gelangen. Thranduil jedoch war der einzige, der in der Lage war den Zauber der Tore zu brechen und ihnen den Weg in die Freiheit zu ermöglichen. Die Palasttüren begannen sich einen kleinen Spalt zu öffnen und Legolas konnte erspähen, dass einige Elben die Flügel gewaltsam ein Stück weiter aufschoben. Das Erste, was er genauer erkennen konnte, war sein Vater, der mit eisernem Willen an seinem Vorhaben festhielt.

Der Prinz gab das Zeichen zum Angriff, denn die ersten Orks kamen zum Vorschein und wurden von den Ausbrechenden noch in Schach gehalten. Doch ohne Hilfe würde das kein gutes Ende nehmen. Geritor und er selbst sprangen mit den Truppen auf und rannten auf die hölzerne Brücke vor den Toren zu.

"Wir brauchen Pfeile", schrie Feladrion, als Legolas schon die Kraft des Flusses unter seinen Füßen spürte. Doch er beruhigte sich, als er das Heer von bewaffneten Elben auf seine kleine Gruppe zueilen sah.

Thranduil konnte nur noch verschwommen erkennen, dass sein Sohn vor ihm stand und ein dankbares Lächeln überflog seinen Mund, bevor er vor Erschöpfung zusammenbrach. Der Prinz fing ihn geistesgegenwärtig auf und legte seinen Vater sanft auf den Boden.

"Bringt ihn augenblicklich zu meiner Mutter", befahl Legolas Feladrion und sogleich kamen ihnen ein paar weitere Elben zu Hilfe, um ihren König aus der Gefahrenzone zu bringen. Meradeth sah aus dem Augenwinkel, dass man den Bewusstlosen in einem Gebüsch versteckte, wo man höchstwahrscheinlich eine notdürftige Trage bauen würde. Weiter konnte er auch seinen Freund erblicken, welcher unruhig seine Umgebung erforschte und anscheinend jemanden suchte. Es war keine Frage, nach wem er Ausschau hielt.

"Legolas, wir sind hier!" rief er und beinahe hätte ihm einer der gegnerischen Pfeile getroffen, wegen des einem Momentes der Unaufmerksamkeit. Der blonde Elb sah sich um, als er seinen Namen hörte, den Rest konnte er nicht verstehen, doch erkannte er sogleich die Stimme von Meradeth. Der Prinz kämpfte sich langsam in die Richtung des Tores, aus dessen Inneren der Ruf ausgestoßen worden war. Rings um ihn herum tobte ein Kampf um zumindest die restlichen Gefangenen nicht auch noch entwischen zu lassen. Blut und unzählige Orkleichen säumten seinen Weg, doch je mehr Legolas von ihnen zählte, desto mehr nahmen auch schon den Platz ihrer gefallenen Mitstreiter ein.

Geritor war ihm gefolgt, ohne dass er es merkte und hielt ihn nun zurück. "Wir dürfen sie nicht aus dem Palast kommen lassen, dann sind wir im Nachteil", raunte er dem Prinzen zu und bekam ohne ein Zögern seine Zustimmung. Legolas überlegte, wie sie es schaffen könnten die Situation umzudrehen und Kardel samt seiner Gefolgschaft in ihrer eigenen Verschanzung einzusperren.

Die Antwort darauf war simpel. Die Brücke war der einzige Übergang zum anderen Ufer und da Orks keine besonders guten Schwimmer waren, wäre es bei der starken Strömung ein schwieriges Unterfangen für sie den Fluss zu überqueren. So würden sie mindestens einen Tag Zeit gewinnen, bis die außerhalb stationierten Truppen Kardels benachrichtigt werden könnten und eintreffen würden. "Runter von der Brücke", brüllte der Prinz seinen Mitstreitern zu und Geritor ahnte, was dieser vorhatte, als er dem Auftrag erteilte Fackeln zu holen.

Der Blick des Prinzen fiel erneut auf die Torflügel und er erkannte Pippin, der eifrig aus den toten Körpern der Orks und jeglichen anderen Stellen Pfeile zusammen sammelte. Niemand schien ihn zu beachten und wie ein Dieb stahl er sich durch die kämpfenden Massen. In Höhe des Eingangs blieb er stehen und reichte seine Beute zu jemandem nach oben. Dort wurde ein beige farbener Ärmel sichtbar, in dem ein zarter Arm steckte und eine schlanke Hand, die die Pfeile an sich nahm.

Legolas erkannte sofort, wer sich hinter der Mauer versteckte und versuchte den Gefangenen die bestmögliche Deckung zu geben. Er rannte auf sie zu und blieb direkt unter Eleya stehen. Sie war sichtlich erschöpft. Müdigkeit stand in ihrem Gesicht geschrieben und mit jedem Schuss, den sie abfeuerte, wurden ihre Arm deutlich schwerer.

"Eleya, komm wir müssen hier schnellstens raus", rief er ihr entgegen und erst jetzt wandte sie ihre Augen zu ihm. Grenzenlose Erleichterung war in ihnen zu erkennen, als sie in die dunkelblauen Augen des Prinzen sah und seine Hand ergriff. Die Elbe sprang von dem Vorsprung herunter und wurde direkt in Legolas Arme gezogen. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und genoss seine Nähe, doch ein Schrei holte sie in die Realität zurück. Der Prinz hatte kaum realisiert, dass seine Geliebte wieder bei ihm war, da löste sie sich auch schon erschrocken von ihm.

Pippin war ein Stück vor ihr zusammengekrümmt auf den Boden gesunken und wimmerte erbärmlich. Eleya kniete sich zu dem Hobbit, während Legolas und Meradeth, welcher zu ihnen getreten war, den Beiden Schutz boten. Ein Pfeil steckte zwischen den untersten Rippen des Hobbits, schien ihn aber nicht lebensgefährlich verletzt zu haben.

"Euer Hoheit, alles ist bereit, um die Brücke niederzubrennen", flüsterte eine von Legolas Wachen und deutete auf die angebrachten Fackeln. Der Prinz drückte noch einmal die Hand von Eleya und schenkte ihr ein sanftes Lächeln "Begib dich zum Ufer und bring dich in Sicherheit", sein Blick wanderte zu seinem dunkelhaarigen Freund, der ihn auch ohne jegliche Worte verstand.

"Ich werde auch weiter an ihrer Seite bleiben", auf die feste Stimme von Meradeth nickte der Prinz nur kurz, bevor er sich umdrehte und den Befehl zum Rückzug gab. Die Elbe sah ihn noch den Wink geben, dass die Fackeln angezündet werden sollten, bevor eine Horde von Orks auf ihn zu rannte um zu versuchen sein Vorhaben noch scheitern zu lassen. Doch es misslang und ein Großteil der entflohenen Elben rannte bereits zum Ufer, als die Gegner erst rochen, dass das Geländer bereits Feuer gefangen hatte.

Ein Windstoß, der sie erschaudern ließ, entfachte den Brand schneller als ihnen lieb war und ließ die Zeit zur Flucht mehr als knapp werden. Plötzlich tauchte Kardels Hauptmann wieder auf und versuchte alles daran zu setzten, dass Geritors Tochter, welche dabei war dem Hobbit einen notdürftigen Verband anzulegen, nicht entkommen konnte. Keinem der anderen ihrer Gefährten schenkte er auch nur im Geringsten seine Beachtung. Sie alle hätten fliehen können ohne sich auch nur dem kleinsten Widerstand erwehren zu müssen. Doch keiner dachte auch nur daran zu gehen, sondern sie alle stellten sich an Eleyas Seite und waren bereit sie mit allen Mitteln zu verteidigen.

Die Orks wurden nach bester Möglichkeit mit simplen und gezielten Schlägen und Hieben direkt getötet. Es war ein äußerst ungünstiger Moment um seine Kampfkünste in vollen Zügen zu präsentieren. Nach wenigen Minuten waren die Elben umzingelt von feindlichen Leichen und nicht ein neuer Gegner stellte sich ihnen entgegen. Der beißende Qualm hielt sie zurück, denn es waren zumeist ehemalige Moriaorks und diese fürchteten das Feuer. Ein kurzer Blick auf die hölzerne Brücke sagte, dass die Stabilität bereits um einen großen Teil nachgelassen hatte und es nur noch wenige Momente dauern konnte, bis diese zusammenbrach.

Pippin regte sich stöhnend in Eleyas Armen und blickte sie aus glasigen Augen Hilfe suchend an. "Wir müssen ihn schnellstens hier weg bringen", besorgt sah sie zu dem dunkelhaarigen Elben hinauf und sogleich nahm Meradeth Pippin auf die Arme und wandte sich schon zum gehen, als er Eleya noch einmal ernst anblickte.

"Halte dich im Fall des Falles in der Mitte des Flusses, sonst wird die Strömung dich in die Tiefe ziehen. Lasse dich treiben und in etwa drei Meilen kommt eine seichte Stelle, wenn der Fluss eine Linksbiegung macht", raunte er ihr schnell noch zu.

Die Brücke stand bereits an den Geländern komplett in Flammen, die sich mit eiserner Beharrlichkeit immer weiter fraßen. Meradeth befand sich gerade mal auf der Mitte, als das Holz nachzugeben drohte und er spurtete verzweifelt an das rettende Ufer, während unter Eleya die Brücke auch ihren letzten Halt verlor und in den Fluss stürzte.

Die Elbe schwankte und drohte mit ihr in die Tiefe zu fallen. Doch der Zwerg, welcher als letzter noch auf festem Boden stand um ihr den Rücken frei zu halten, umfasste geistesgegenwärtig ihre Hüften und ließ sich nach hinten fallen.

"Verdammt", Gimlis Brummen klang nervös und unruhig. Er blickte um sich und versuchte auf die Schnelle eine Lösung zu finden "Gibt es noch einen anderen Weg hier heraus?" Eleya schüttelte sich und rappelte sich wieder auf "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es keinen anderen Ausweg gibt. Nur wo sollen wir anfangen zu suchen? Meradeth hat mich gewarnt, hier am Rande in den Fluss zu springen."

Gimli blickte die Elbe zweifelnd an. Sie wusste von seinem Geheimnis und doch verlangte sie selbst in dieser Situation nicht einmal ansatzweise von ihm es zu offenbaren. Legolas verzweifelte währenddessen fast in seinem Herzen, denn das hätte nicht geschehen dürfen. Er spürte mehr ihren kurzen Blick, als dass er ihn sah und bevor er ihr noch etwas zurufen konnte, hatte Gimli sie schon mit sich zurück ins Innere des Palastes gezerrt.

"Was hast du vor?" rief sie dem Zwerg hinterher, der geradewegs wieder in Richtung des Thronsaales rannte. "Zeit gewinnen", war die schlichte Antwort, als sie unter den riesigen Säulen der großen Hallen entlang liefen und versuchten den Orks zu entkommen. Wieder standen sie vor der majestätischen Tür, welche zu dem Thronsaal führte und blickten auf die immer näher kommenden Verfolger. Ein scharfe Klinge legte sich plötzlich an die Kehle der Elbe, doch der Ork, der sich unauffällig von der Seite genähert hatte, schien darauf bedacht zu sein Eleya nicht einmal auch nur die Haut zu verletzen. Warum war man nur so darauf bedacht, dass sie unversehrt blieb?

Alle Fragen verbannend, zog sie blitzschnell ihre beiden Messer. Während Eleya mit einem die Klinge von ihrem Hals drehte, stieß sie das andere mitten in das Herz ihres Angreifers und schlagartig entwich jegliches Leben aus seinen Augen. Gimlis Axt zerspaltete indessen das Schulterblatt eines zweiten Orks und er versuchte daraufhin den linken Flügel möglichst leise zu öffnen.

"Komm schon, wenn wir Glück haben, tragen sie noch genug Furcht in sich, um nicht gleich wieder anzugreifen." Die Elbe nickte ihm zustimmend zu und schleifte ihren erstochenen Gegner hinter sich her. Der Zwerg sah sie mit einem Blick an, der zeigte, dass er an ihrem Zurechnungsvermögen zweifelte.

"Macht es einfach!" zischte sie gereizt und deutete ihm an, das gleiche mit dem anderen zu tun. Auf der Innenseite verriegelten sie nun die Türen mit einem langen, breiten dafür vorgesehenen Eichenstamm. Das würde ihnen einen Moment Zeit zum Verschnaufen geben, aber keinen Schutz vor den Truppen Kardels.

Eleya kniete sich neben den Ork und sah ihn missmutig und angewidert an. Dann griff sie sich an den Rücken in Höhe des Kreuzbeins und öffnete die edel bestickte Schärpe, welche um ihre Hüften gebunden war und streifte sich die kurze grüne Tunika von den Schultern. Gimli starrte sie erneut verständnislos an, als sie auch noch begann dem widerlichen Wesen die Sachen vom Leib zu ziehen.

"Darf ich fragen, was du um alles in der Welt da gerade machst?" knurrte der Zwerg mittlerweile sehr gereizt, da sie anscheinend nicht vorhatte ihm auch nur irgendeine Erklärung zu geben.

"Das gleiche wie du! Zeit gewinnen", doch als die Elbe in das jetzt erst recht verwirrte Gesicht Gimlis blickte, seufzte sie "Wir werden sie in unsere Gewänder kleiden und an ihrer Stelle durch die Gänge wandeln."

Ein zustimmendes Nicken kam nach einem Moment des Zögerns von dem Zwerg "Du hast vor sie zu täuschen, ich verstehe!" "Zumindest hoffe ich das", lächelte sie, nahm Hose, Hemd und den Lederwams und verschwand hinter dem Thron des Königs. Sie hörte Gimli vor sich hin murmeln, verstand aber nur so etwas wie "Verdammte Elben" und konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.

Eleya verzog das Gesicht, als sie das dreckige und stinkende Hemd schloss und dann auch noch das abscheuliche Wams zusammenband. Dem Zwerg schien es nicht anders zu gehen, denn seltsame Geräusche kamen von der Vorderseite des Raumes. Als sie wieder zum Vorschein kam und nur eine dunkle, unförmige Gestalt vor sich sah, liefen ihr vor Lachen schon Tränen aus den Augenwinkeln.

"Meinst du, dass du auch nur ein bisschen besser aussiehst?", brummte der Zwerg missmutig, grinste sie aber aus vollen Zügen an. Eleyas neue Kleidung war aus einem groben Stoff und nur großzügig zusammen genäht. Man hatte sich nicht im Geringsten bemüht die Nähte gerade und ordentlich zu fertigen und da die Uniform ihr auch noch um einiges zu groß war, ähnelte sie mehr einem Sack. Das Wams wäre nicht notwendig gewesen anzulegen, doch es verschleierte ihre weiblichen Züge und die schmalen Hüften enorm, was wohl auch ihre Absicht war.

Sie riss sich einen Fetzen aus ihrer Kleidung und nahm sich ein Beispiel an Gimli. Sein rotes Haar war unter einem Helm versteckt und der Bart steckte unter seiner Kleidung. Den Kragen hatte der Zwerg so hoch wie nur möglich gezogen um auch den oberen Teil überwiegend zu verbergen.

Eleya flocht ihre blonden Locken zu einem groben Zopf und wickelte diesen zu einem Knoten auf ihrem Kopf. So verschwand alles unter einer Lederbedeckung, die sie sich ebenfall vom Kopf des Orks lieh. Zudem beschmierten sich die Beiden das Gesicht mit soviel Dreck, wie man von der Kleidung abbekommen konnte. Allerdings war es ein wahrer Kraftakt dem Ork ihr Kleid aufzudrängen. Notdürftig banden und knoteten sie es zusammen, so dass es zumindest hielt.

"Und was machen wir jetzt Elb?" fragte Gimli sarkastisch und sah sie auffordernd an. Sie biss sich auf die Lippen, während sie ihren Blick durch den Saal schweifen ließ.

"Wenn ich mich nicht irre, müssten wir direkt über dem Haupttor sein", redete die Elbe mehr zu sich selber als zu ihrem Begleiter. "Wir könnten versuchen uns umzubringen!"

Gimli verlor jegliches Benehmen, packte sie und fuhr sie gefährlich an "Wenn du sterben möchtest, warum hast du dich dann nicht in den Fluss fallen lassen?"

Ein weiches Lächeln zog sich über ihr Gesicht und ihre Hand legte sich besänftigend auf die Schulter des Zwerges "Beruhige dich, ich meinte damit unsere Trugbilder." Deutlich war zu erkennen, dass sämtliche Spannung aus den grimmigen Augen verschwand und er verstand was Eleya meinte.

Gimli folgte ihrem Blick und erspähte den Lüftungsschacht, der groß genug schien, dass die leblosen Köper durchpassen könnten. "Na dann, es liegt ein gutes Stück Arbeit vor uns, wenn wir sie in die obere Ebene schaffen wollen", voller Tatendrang schleifte der Zwerg sein Abbild hinter sich her.