Eisige Flucht

Eleya starrte lange auf die tosenden Wassermassen unter sich und wandte sich schließlich zu Gimli "Können Zwerge eigentlich schwimmen?"

"Ja, das kann ich wohl Elb, aber dafür müsste ich mich schon in einer äußerst dringlichen Situation befinden. Freiwillig würde ich niemals da hinein springen", er ging ein paar Schritte rückwärts und umfasste mit seinen Fingern den Griff des Flaschenzuges "Ladys, es ist keine Zeit jetzt lange zu diskutieren!"

Die Elbe blickte Gimli auf eine Art an, die er noch nicht bei ihr gesehen hatte und er konnte sich nicht im Geringsten vorstellen, was durch ihren Kopf ging. "Nein!" war die schlichte aber eindeutige Antwort, die sie ihm gab als sie sein Handgelenk packte und es mit unerwarteter Kraft von dem hölzernen Griff löste. Eleya war nicht bereit sein Opfer anzunehmen, denn für den Zwerg galt es das meiste zu verlieren.

"Wir müssen einen Weg finden es festzuklemmen", Wut und Verzweiflung lagen in ihrer Stimme und ihre Augen suchten jeden Winkel und jedes Gerät im Raum ab. "Ich bin schuld, dass ihr beide hier unten seid, darum wird es meine Aufgabe sein hier zu bleiben und nicht die von Gimli oder gar deine", meldete sich jetzt zum ersten Mal Odine zu Wort. Sie ahnte, was ihre Freundin in Wahrheit plante.

Eisige Schauer liefen dem Zwerg den Rücken herunter, als er unerwartet die raue Sprache aus Eleyas Mund hörte, die er zuletzt am Saum des Bergs des schlafenden Drachen von ihrem Volk vernommen hatte.

Odine antwortete seelenruhig in der selbigen. Der Schlagabtausch, welcher sich nun entwickelte, wurde an manchen Stellen äußerst hart und abwertend, das konnte Gimli erkennen, wenn er auch nicht ein Wort verstand. Schließlich wandte sich das Mädchen ihm zu, nachdem Eleya begonnen hatte, abrupt zu schweigen und mit sich selbst zu kämpfen hatte.

"Ich habe an diesen Tyrannen meine Freunde, meinen Körper und meine Seele verloren. Ich kann und will so nicht Geritor, der mich wie eine Tochter angenommen hat, ins Gesicht schauen müssen. Aber was ich kann, ist euch Beiden zur Freiheit zu verhelfen und so zu versuchen, meine Schuld zumindest ein bisschen zu vermindern."

Ohne ein weiteres Wort nahm sie Gimlis Platz ein und wies ihnen an sich zur Falltür zu bewegen. Der Zwerg begab sich zwar an deren Rand, machte aber keine Anstallten, auch nur den kleinsten Muskel zu bewegen um weiter zu gehen.

"Wenn Kardel herausfindet, was du getan hast, wird er dich ohne jegliche Gnade töten", fuhr Gimli sie aufgebracht an.

"Das hat er doch schon längst getan", die Worte des Mädchens waren leer, nur ein Hauch von Melancholie lag noch in ihnen.

Der Zwerg ahnte, dass es noch einiges mehr war, was die beiden Frauen besprochen hatten, doch keine von ihnen wollte im Moment weitere Dinge preisgeben. Eine tiefe Freundschaft verband sie, selbst jetzt noch.

"Pass auf dich auf", Eleyas Stimme war ungewohnt leise und als sie ihre rechte Hand auf ihr Herz legte, um sie dann mit der Handfläche sanft zurück in Odines Richtung gleiten zu lassen, wusste Gimli, dass sie Abschied nahm. Er hatte diese Geste schon ein paar Mal gesehen, seit dem er Legolas getroffen hatte.

In ihren Augen stand Traurigkeit und auch noch ein Rest von Wehmut, jedoch nicht im Geringsten ein Vorwurf über die Schwächen des Mädchens. "Danke", war das Letzte, was Odine erleichtert sagte und den Beiden zunickte. Dann begann sie das Fallgitter langsam hoch zu ziehen.

"Ich bitte dich um Entschuldigung, Herr Zwerg", der Ernst in Eleyas Stimme war unüberhörbar und Gimli blickte sie nur fragend an. Er überlegte ernsthaft, ob sie ihn wirklich ohne jeden weiteren Versuch zurücklassen wollte.

"Wofür?" irgendetwas gefiel ihm gar nicht, doch noch bevor er reagieren konnte, wurden seine Füße von der Elbe weggefegt und zwei Hände schubsten ihn in das Loch vor ihm. "Dafür, es ist nämlich äußerst dringend!" rief sie dem Zwerg noch mit einem entschuldigenden Klang in der Stimme hinterher und sah noch einmal lächelnd zu Odine zurück, bevor sie ebenfalls sprang.

Der Aufschlag in das eisige Wasser ging ihr durch Mark und Bein. Wie unzählige Nadelstiche bohrte es sich in ihren Körper und es wurde der Elbe klar, dass dieser Quell in den Bergen seinen Ursprung haben musste, wo bereits der erste Frost aufgezogen war. Die Kälte kroch innerhalb von wenigen Sekunden durch ihren Körper und drohte ihre Muskeln erstarren zu lassen. Wenn sie sich nicht dazu durchringen könnte sich zu bewegen, würde es ihren Tod bedeuten.

Es kostete Eleya eine Menge Kraft sich wieder an die Oberfläche zu kämpfen. Panisch blickte sie sich nach allen Seiten um und suchte nach einem ziemlich übel gestimmten Zwerg. Das geöffnete Fallgitter kam mit jedem Moment näher und nirgends konnte sie Gimli erspähen.

"Erst schmeißt du mich hier herunter und dann kommst du nicht mal nach", brummte es mit einmal vor ihr. Gimli hielt sich krampfhaft an einem kleinen Vorsprung direkt vor dem Gitter fest und sah sie bitterböse an.

"Wir müssen in der Mitte des Flusses bleiben, sonst zieht uns die Strömung in die Tiefe", konnte die Elbe ihm nur stoßweise zurufen, denn es war viel zu anstrengend jetzt in eine Diskussion zu verfallen.

Der Zwerg nickte ihr lediglich zu und ließ sich neben ihr wieder vom Wasser mitreißen. Als sie fast unter dem Fallgitter waren, begann dieses gefährlich zu wackeln. Es machte den Anschein, dass jemand mit den letzten verzweifelten Kräften versuchte es offen zu halten und dieser jemand war zweifellos Odine.

Eleya konnte noch die Macht des Aufschlages spüren, als das Gitter direkt hinter ihr und dem Zwerg nach unten schoss. Bedauerlicher Weise war es ihr unmöglich in dem schallenden Gang auch nur irgendetwas aus den Kellerräumen zu hören. Sie würde niemals erfahren, ob man ihre Freundin gefunden hatte oder nicht. Leider war es aber nur all zu wahrscheinlich!

"Komm schon", unsanft boxte Gimli seine Mitflüchtige in den Nacken. Er konnte sich schon denken, was Eleya so schwer auf der Seele lag. Aber fürs Erste war es schon hart genug zu versuchen am Leben zu bleiben.

Erste Lichtstrahlen erschienen vor ihnen wie ein einzelner Stern am dunklen Horizont. Jetzt hatten sie es fast geschafft, wenn Kardel Odine nicht doch ertappt hatte und Truppen ans Ufer schickte.

Mit jeder Sekunde kam mehr Helligkeit in die unterirdische Hölle und als ihnen plötzlich ein kalter Wind ins Gesicht schlug, mussten sie die Augen vor dem grellen Licht verschließen. Sie hatten es geschafft den Palast zu verlassen, doch kaum, dass sie es realisierten, hagelte es Pfeile auf sie nieder. Eleyas Körper durchzog ein stechender Schmerz und in ihrer Schulter machte sich ein taubes Gefühl breit.

Ein gegnerischer Pfeil hatte sich komplett durch ihr rechtes Schlüsselbein gebohrt und steckte in dem Lederwams den die Elbe trug. Blut sickerte unablässig aus der Wunde und Schwärze breitete sich vor ihren Augen aus. Die Macht des Wassers siegte Schluss endlich über den geschwächten Körper und zog sie mit sich.

Gimli tauchte ohne groß zu überlegen Eleya hinterher und es gelang ihm ihr Handgelenk zu fassen zu bekommen. Er entschied sich dazu, so lange mit seiner Gefährtin unter der Oberfläche zu bleiben, wie es ihm gelang. So würden sie es vielleicht schaffen aus der Schussweite der Orks zu gelangen.

Eleya beugte sich ganz dem Willen des Zwerges. Es war nicht leicht zu sagen, wie tief ihr Geist im Schatten verweilte. Doch irgendetwas in ihr veranlasste sie sich mit Gimlis Hilfe in der Mitte des Flusses zu halten.

Als ihnen die Luft ausging und die Beiden wieder auftauchten, blickte der Zwerg kritisch in die Gebüsche hinein um zu prüfen, ob man sie noch verfolgte. Sein zweifelnder Blick endete jedoch bei Eleya und sie verstand, was er von ihr wollte.

"Ich kann niemanden erkennen und auch nichts weiter spüren", meinte sie nachdem sie sich selbst noch einmal vergewissert hatte. Ihr geschwächter Zustand ließ sie nicht absolut sicher sein, das wusste Gimli auch, aber immerhin war sie eine Elbe und ihre Sinne waren selbst in solchen Situationen noch schärfer, als seine eigenen.

Es war ungewöhnlich, dass man sie nicht weiter verfolgte, doch dann gelang dem Zwerg ein kurzer Blick um die Linksbiegung, in die er gerade einbog und er erkannte unzählige von generischen Leichen, die kaum noch ein Stück Erdboden unbedeckt ließen.

Seine Augen schweiften automatisch zum Ufer, auf dem sich Legolas und seine Krieger befanden und er erstarrte fast vor Schreck. Da standen sein elbischer Freund zusammen mit Geritor und hatten noch jeder einen Pfeil in der Sehne stecken.

"Legolas!" schrie er mit der stärksten Stimme, die er noch in der Lage war aufzubringen. Viel helfen sollte es ihm nicht, denn die Lautstärke des Wassers verschluckte seinen nicht all zu lauten Ruf und schneller, als er erneut auf sich aufmerksam machen konnte, waren die zwei auch schon wieder im Wald verschwunden.

Gimli blieb keine Zeit sich zu grämen, denn der Zwerg hatte genug damit zu tun, die kaum noch ansprechbare Eleya festzuhalten. "Dort vorne muss eine seichte Stelle sein", die Stimme der Elbe war kaum noch mehr als ein Flüstern und bebte, als sie mit dem Kopf zum Ende der Biegung deutete.

"Du musst noch ein bisschen durchhalten, hörst du! Nur noch ein bisschen", raunte Gimli ihr zu und ein schwaches, gequältes Nicken war seine Antwort. Er kämpfte sich nahe ans Ufer und spürte plötzlich festen Boden unter seinen Füßen. Mit letzter Kraft gelang es ihm sich samt seiner bald doppelt so großen Last wirklich ans rettende Ufer zu schleppen, wo sie immerhin sicher vor Kardel und seiner Gefolgschaft waren. Gimli saß keuchend auf dem nassen Laub und blickte etwas ratlos in die Runde. Sie mussten irgendwie aus dem direkten Blickfeld der Orks.

Eleya lag reglos neben ihm und ihr Atem war ziemlich flach. Es war unmöglich, dass sie alleine stehen konnte um mal ganz davon zu schweigen mit ihr nach Legolas und den anderen zu suchen.

Darum entschied sich der Zwerg sich zu verstecken und einfach zu warten, bis die Elben sie finden würden. Da man bereits offensichtlich schon in dieser Gegend nach ihnen Ausschau hielt, dürfte es nicht all zu lange dauern.

Gimli zog sich und die Frau in seinen Armen rückwärts ein Stück in den Wald hinein. Plötzlich fand er nur noch Leere unter seinen Schritten und fiel in eine tiefe Mulde, in der sich schon Unmengen von bunten verwelkenden Blättern gesammelt hatten. Erst spürte Eleya nur einen äußerst feuchten, aber weichen Untergrund auf den sie rollte, doch dann krachte etwas sehr schweres auf ihren Brustkorb. Die Luft schwand aus ihren Lungen und Dunkelheit umhüllte sie jetzt vollständig.

Der Zwerg erhob sich leicht, um sein Gewicht, welches sie vollständig bedeckte, von der Elbe zu nehmen, fiel aber nur ausgelaugt neben sie und war nicht mehr in der Lage sich zu rühren.

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Geritor meinte noch immer ein Rufen, oder zumindest ein Geräusch gehört zu haben. Auch wenn es schon einige Zeit her war, als er diesen Laut vernommen hatte, so hallte er noch immer in seinem inneren Ohr. Ein kurzer Blick auf den Prinzen sagte ihm, dass er nicht total falsch liegen konnte, denn noch mehr als zuvor war dieser angespornt die Gegend abzusuchen.

Meradeth hatte ihnen bei ihrem Marsch zur Flussbiegung von seiner Vermutung berichtet und alle waren sich einig, dass wenn es ihnen gelang erneut zu fliehen, sie irgendwo und irgendwann hier auftauchen mussten.

Doch das Gelände, welches sie gerade durchsuchten, war nicht klein und dazu noch äußerst unübersichtlich. Legolas kannte jeden Winkel und jedes Versteck, welches es hier gab bestens. In seiner Jugend war er des Öfteren mit Meradeth gezwungen gewesen sich hier zu verstecken. Sei es wegen einem ihrer arg verärgerten Väter, oder wenn sie einfach nur nicht gefunden werden wollten, weil sie irgendwelchen Unfug im Sinn hatten. Um alles zu durchsuchen, könnte es durchaus zwei Tage in Anspruch nehmen!

Es wäre auch leicht möglich, dass sie direkt an ihnen vorbeilaufen würden, falls Bewusstlosigkeit über seinen Freund und seine Geliebten getreten war.

"Die Orks haben eindeutig jemanden verfolgt, aber wenn es Gimli und Eleya waren, hätte uns doch etwas auffallen müssen", in Legolas Worten befand Verzweiflung und kaum noch ein Funken von Hoffnung lag in ihnen. Jeden Zentimeter des Waldes, jeden Baum, jeden Strauch und jeden Teil des Erdbodens hatten sie durchforstet und nicht den kleinsten Hinweis auf die Beiden gefunden.

Der Prinz hoffte, dass Meradeth und Aragorn mehr Glück auf ihrer Suche haben würden. Diese waren ein ganzes Stück weiter flussaufwärts, hatten aber auch nicht wesentlich mehr Erfolg als ihr Mitstreiter.

Tiefe Mulden und Löcher zogen sich am Ufer entlang und waren für Schutz aber auch einen Hinterhalt bestens geeignet. Deshalb galt es Vorsicht walten zu lassen und nicht zu überstürzt auf jedes Geräusch, was sie vernahmen, zuzugehen.

Aragorn stand mit seinen Füßen im seichten Wasser, entzog sich ihm aber recht schnell wieder. Dieses war eisig, nicht sonderlich ungewöhnlich, denn es war Mitte November und die Kälte nahm immer deutlicher zu. Der Palast war ein ganzes Stück entfernt und wenn ihre beiden Freunde es bis zu diesem Punkt schaffen sollten, würden sie an starken Unterkühlungen leiden.

Aragorn starrte schon seit einiger Zeit auf einen Punkt vor seinen Füßen. Eine einer Schleifspur ähnliche Furche zog sich auf dem Boden lang und es machte nicht den Anschein, dass es ein Tier oder etwas dergleichen sie erzeugt hatte. Sie war viel zu tief, als dass ein Biber, oder ähnliches seine Beute an Land geschleift haben könnte.

Doch schlagartig verlor sich die Spur im Nichts und in der Mulde die direkt angrenzte konnte er nichts außer Unmengen von nassem und klebrigem Laub erkennen.

"Hast du etwas gefunden?" Meradeth hatte den seltsam kritischen Blick des ehemaligen Waldläufers durchaus mitbekommen und wenn dieser einen Ort so genau ob der Lösung eines Rätsels durchsuchte, dann musste er zumindest einen Verdacht haben.

"Was hältst du davon?" Aragorn deutete auf den Boden und der Elb beäugte ihn lange. "Ich kann nicht sagen was es war, aber es ist nicht die Zeit es herauszufinden, es gilt unsere Freunde zu suchen", Schulter zuckend ging Meradeth vorsichtig am Rand des kleinen Abgrundes entlang, zurück in Richtung des Waldes.

Er beäugte noch einmal genau die Unmengen von Blättern in dem Loch unter ihnen, die eine Windböe zu einem kleinen Strudel formte. Einen kurzen Moment beobachtete der Elb das Schauspiel und wollte schon weitergehen, als er plötzlich meinte etwas in der Sonne blitzen gesehen zu haben.

Verwirrt drehte Meradeth sich noch einmal um, konnte aber nichts der Gleichen erneut erkennen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder auf Aragorn. Dieser schien noch immer mit sich zu hadern, was die seltsame Schleifspur wichtiges oder unwichtiges zu bedeuten haben könnte.