Unnachgiebigkeit

Thranduil blickte der jungen Elbe mit dem blonden wehenden Haar lange hinterher und mehr als je zuvor wurde ihm bewusst, dass der Geist seines besten Freundes in ihr ruhte. Was heißt ruhte? Dieses Wesen würde nichts unversucht lassen den Düsterwald, welchen sie erst vor einer Woche überhaupt zum ersten Mal betreten hatte, bis aufs Letzte zu verteidigen.

"My Lady, wartet!" rief Orpheus, der hinter ihnen war, als er versuchte, ihr die steilen Felshänge hinab zu folgen.

Thranduil ging mit gemäßigten Schritten hinterher, wandte seine Augen aber nicht von seiner zukünftigen Schwiegertochter ab. Es war für ihn keine Frage gewesen, ob er Eleya in seiner Familie aufnehmen wollte, denn noch niemals zuvor hatte sein Sohn ein solches Verhalten zu Tage gelegt und sein Herz vergeben. Wieder einmal war seine Meinung, dass sich die wichtigen Dinge im Leben von ganz alleine regeln würden, bestätigt worden.

Wie damals, als man ihn zur Heirat drängen wollte und meinte, dass es nicht gut für einen König sei, lange ohne eine Gemahlin und ohne Thronfolger zu sein. Das war der letzte ernsthafte Versuch Kardels gewesen ihn nach den Gesetzen des Düsterwaldes vom Thron zu stoßen, was Thranduil zum Glück in letzter Minute abwenden konnte.

Es gab eigentlich niemanden sonst, der sich wirklich daran gestört hatte, dass er bei seiner Krönung noch keine Frau sein eigen nennen konnte. Es war nicht unüblich, dass man in solchen Situationen erst danach den ewigen Bund einging und eine Familie gründete. Dass er sich nicht hatte drängen lassen und seine Melyanna so gefunden hatte, war offensichtlich ein Wink des Schicksals gewesen, denn es war das einzige Mal in seinem Leben, dass er eine Frau begehrte und sich ihrer vom ersten Moment an sicher war. Dieses Verhalten konnte er bei seinem Sohn, seitdem er aus den Hochebenen wiedergekehrt war, auch feststellen und es erfüllte sein Herz mit Freude.

"Mein König?" forderte Orpheus seine Aufmerksamkeit zurück und blickte etwas verwirrt um sich. Thranduil blickte ihn nur fragend an "Was suchst du denn bitte?"

"Eleya! Ich habe sie einen Moment aus den Augen gelassen und jetzt ist sie verschwunden", nervös, aber auch etwas genervt wandte er sich an seinen König "Ich habe nicht mehr den Willen dazu immer auf unseren Nachkömmling Acht zu geben."

Thranduil fing an zu lachen und schüttelte nur den Kopf. Das letzte, was diese Elbe wollte, war wohl ein Aufpasser, doch in diesen Dingen würde sich sein Berater sicher niemals mehr ändern und ebenso wenig verstehen, dass Kinder nicht immer hundert Jahre bleiben würden. Gleichzeitig suchte Thranduil die Felshänge ab und versuchte Eleya zu finden. Im Gegensatz zu seinem Gegenüber kannte der König die Angriffstechnik des Schattenvolkes, wenn sie in ihrem Element waren.

"Wie bitte sollen wir es denn umsetzen können, dass der Großteil von Kardels Truppen bereits im Vorfeld zu Fall gebracht wird", der Skeptiker, welcher Orpheus war, wollte einfach nicht zur Ruhe kommen.

Noch bevor er eine Antwort erhalten konnte, schlug etwas ungefähr eine Kopfbreite entfernt neben seinem Haupt ein. Erst nach genauerem Hinsehen, erkannte er, dass es ein grauer Pfeil war, dessen Ursprung er noch immer nicht erspähen konnte. "Ich glaube, da hast du die Erklärung, nach der du gefragt hast", neckte ihn der König und ging, als wenn nichts geschehen wäre, einfach weiter.

Orpheus tat es Thranduil gleich und beäugte noch immer kritisch den Pfeil in seiner Hand. In dieser Umgebung war er von Weitem tatsächlich selbst für sein Auge nur schwierig und für ein menschliches gar nicht zu sehen, zumindest wenn man nicht genau danach suchte. Er hatte zwar schon viel von den Erzählungen dieser Elbensippe gehört, doch war es ihm wahrlich schwer gefallen allem Glauben zu schenken.

"Hab doch ein wenig Vertrauen", kam es plötzlich leise von der Seite und als er seinen Kopf herumwirbelte, sah er eine lächelnde Elbe mit hellgrünen blitzenden Augen hinter einen der Steine hervortreten.

Orpheus zögerte und drehte währenddessen, unbewusst, das graue Geschoss zwischen seinen Fingern umher. Eleya seufzte leise, als sie an ihm vorbeiging, sagte aber nichts weiter. Der Weg zurück verging schnell und doch war es jedem so, als ob sie einen enormen Umweg machen würden. Kaum, dass sie die ersten Stimmen vernehmen konnten, stieß Thranduil einen Pfiff aus und in der Ferne konnte man bereits das Krächzen eines Adlers hören. Merry und Pippin sprangen auf, sobald sie den Vogel erkannten, welcher ihnen bereits schon einmal geholfen hatte eine Nachricht aus dem Innern des Palastes zu schleusen. Langsam traten sie neben den König, welcher damit beschäftigt war etwas auf ein Stück Papier zu schreiben.

"Du bist ganz schön nachtragend", murrte Merry, der lediglich mit einem Fauchen begrüßt wurde. Bei Pippin hingegen schaute der Adler nur skeptisch, machte aber ansonsten keine weiteren Anstalten, etwas Negatives hervorzubringen.

"Bring das zu Legolas", noch während der König die Worte flüsterte, öffnete der Vogel schon seine Schwingen und machte sich zum Abflug bereit.

"Alle Bogenschützen machen sich bereit zum Abmarsch", erklang indessen Eleyas Stimme im Hintergrund, nachdem sie kurz alle aufgeklärt hatte, welche Gefahr auf sie zukam. "Norin", wendete sie sich dann zu ihrem zwergischen Führer, welcher sie in die unterirdischen Höhlen bringen sollte.

"Wie lange dauert es noch bis zu der Höhle?" drängte die Elbe ihn und konnte noch immer eine Spur von Misstrauen, welches er gegen die Elben in sich trug, in seinen Augen sehen. Noch lange würden nicht alle Zugehörigen seiner Rasse und auch der ihren die Vorurteile und ehemaligen Geschehnisse vergessen können.

Für Eleya war es nie etwas Ungewöhnliches gewesen mit dem mürrischen Bergvolk Umgang zu haben. Zwar war ihr Bruder der Herr über das Osthochland und die meisten seiner Bewohner waren Elben, doch war jeder, welcher in Frieden und Ruhe leben wollte, willkommen.

Die Elbe bemerkte wohl, dass des Königs Aufmerksamkeit nicht von ihr wich, während sie Anweisungen gab, wie es jetzt weiter gehen sollte. Nur was sie wunderte war, dass er keinerlei Versuche unternahm, sich einzumischen, oder gar einen ihrer Vorschläge abzuändern.

Innerhalb weniger Minuten sammelten sich die Bogenschützen, welche zu Eleya vollstes Vertrauen zu haben schienen. Nach einer knappen Erläuterung der Umstände, stimmten sie zu und in allen Gesichtern spiegelte sich Zuversicht wieder. Auch der Großteil der Zwerge gesellte sich bei ihren entschlossenen Worten dazu, auch wenn noch immer die alten Vorurteile an ihnen nagten.

Die Älteren und Kinder begannen das Wenige, was sie mitgenommen hatten wieder aufzunehmen, jedoch traten die elbischen Frauen des Düsterwaldes mit einem entschlossenen Ausdruck auf Eleya zu.

"Wir wissen wohl mit dem Bogen umzugehen und ebenso uns zu verteidigen", sprach eine der Jüngeren mit silberblondem Haar und griff ohne eine Antwort abzuwarten, nach einem der Ersatzbögen, welche das Schattenvolk in der Regel überall in den Felsspalten zu verstecken pflegte.

Viele der Menschen tat es ihnen gleich und so wuchs die Anzahl der Kämpfer um ein vieles. Orpheus verfolgte die ganze Szene ungläubig und sah zu seinem König, bei dem hingegen nur ein zufriedener Ausdruck auf dem Gesicht geschrieben stand. "Wollt ihr da nicht auch was dazu sagen, Mylord?"

"Nein, ich stimme mit ihr da voll und ganz überein", Thranduil blickte seinen Berater nachdenklich an. Es wäre falsch einzugreifen, warum sollte er auch? Alle Entscheidungen, welche Eleya getroffen hatte, waren bedacht und gut geplant. Außerdem folgte das Volk ihr und ihrer Unnachgiebigkeit.

In all ihren Taten fand er die Schule Geritors wieder. Er hatte offensichtlich seiner Tochter auch alles, was diese Dinge anbelangte, beigebracht, was nicht gerade üblich war. Sicherlich wurden auch Frauen im Umgang mit Waffen geschult, damit sie in der Lage waren sich zu verteidigen, doch Eleyas Wissen umfasste so einiges mehr. Der König würde ihr gerne mit all seiner Erfahrung beistehen und sie unterstützen, aber sein Kampf sollte es nicht mehr sein.

Parwne allerdings zögerte, bis sie vortrat und nach der letzten Waffe griff. Eleya jedoch nahm den Bogen an sich, bevor ihre Schwägerin in erreichte und ließ keinerlei Protest zu. Parwne wechselte im Eifer ihres Gefechtes in die raue Sprache des Schattenvolkes, während sie mit Eleya eine kurze aber heftige Diskussion führte.

Thranduil hatte diesen Dialekt zwar schon öfter gehört, konnte aber nur die Worte "Kinder" und "beschützen" verstehen. Die dunkelhaarige Elbe stimmte Eleya ziemlich bald zu und ging zurück zu den beiden Zwillingen.

Dem König wurden Parwnes grauer Mantel und Bogen gereicht. Etwas überrascht blickte dieser in die hellgrünen Augen seiner Schwiegertochter und lächelte dankbar. Eleya wusste, das Thranduil sich resolut geweigert hätte, mit in die Höhlen zu gehen und versuchte erst gar nicht, ihn zu überzeugen, denn er würde sein Reich bis zum letzten Atemzug verteidigen.

"Seid ihr bereit?" lächelte sie den König an und noch während dieser nickte, hatte er sich schon den Unhang über die Schultern geworfen und befestigte die Riemen seines Köcher auf der Brust.

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Geritor brummte inzwischen schon nicht mehr ganz so gereizt vor sich hin, wie als er zusammen mit Gimli die Karte studiert hatte und seine Überprüfung der Umstände ein mehr oder weniger akzeptables Ergebnis gebracht hatte.

Es gab durchaus eine Chance die Orks, mit einem allerdings nicht ganz ungefährlichen Trick zu vernichten. Thranduil würde sie ohne weiteres Erkennen, doch die Frage war, wie weit er sich bei seinen Verletzungen hoch in die Berge wagte. Aber Eleya war bei ihm und zusammen würden sie schon einen Weg finden. Was heißt würden, sie mussten!

Legolas hatte in der letzten Stunde kaum ein Wort gesprochen und beobachtete wie gebannt das feindliche immer näher kommende Heer. Nur in wenigen Schlachten war solch eine Gewalt unausweichlich auf ihn zugekommen und er schaute nahezu in jedes Gesicht, welches ihm zur Seite stand und Willens war bis in den Tod den Düsterwald zu verteidigen und sie würden nicht ruhen, bis auch der letzte Ork sich weit außerhalb ihrer Grenzen befand.

Doch waren seine Gedanken auch bei Eleya. Wie gerne hätte er sie einerseits an seiner Seite, damit alles nicht ganz so dunkel schien. Andererseits war er froh, dass sie sich in Sicherheit befunden hatte, doch würde sie sich nun mit den Kriegern den Orks in den Weg stellen und niemals mit den Frauen und Kindern in den Höhlen verstecken.

Dann wurde jedoch seine gesamte Aufmerksamkeit von Kardel gefordert, welcher nebst zwei Urukais aus der Menge hervortrat. Als einziger saß er auf einem Pferd, sein Auftreten wie das eines Königs und doch schien es, als ob er nur Untergebene hätte.

"Thranduil, ich hätte nicht gedacht, dass du schon wieder auf den Beinen bist", schallte es gehässig zum Fuß des Berges. Als Kardel keinerlei Reaktion bekam, wurde sein Grinsen auf den Lippen noch böser "Oh, bitte verzeiht mein Prinz!" Erst jetzt regte sich Legolas und war dabei auf einen der Felsen zu klettern, damit man ihn von der unteren Ebene aus besser sehen konnte.

"Sei Vorsichtig!" raunte ihm noch Melyanna zu und hielt ihn für einen Moment an seinem Gürtel fest, da sie ihren Sohn nur zu gut kannte. Der Prinz lächelte leicht und drückte kurz die Hand seiner Mutter und stieg unbeirrbar weiter aufwärts. "Was wollt Ihr noch?" fragte er ohne jegliche Höflichkeitsfloskeln.

Kardel erschrak für den Bruchteil einer Sekunde, denn in dem Thronerben Düsterwaldes war der gleiche Stolz, die gleiche Entschlossenheit und die gleiche rücksichtslose Liebe zu seinem Volk wie bei seinem Vater zu erkennen. Schnell verwarf er den Gedanken zu versuchen ihn einzuschüchtern, oder anzubieten, dass er sich von seinem Untertanen abwenden könnte. Das einzige, womit er sich noch einen einfachen und für Thranduils Familie schmachvollen Sieg erreichen könnte, war die Kapitulation des Prinzen.

Die Krone sollte ihm gehören und nicht einem sich auf Grund seines hohen Ansehens erhobenen Königs wie Thranduil. Niemals würde Kardel vergessen, wie der König seinen hinterhältigen, aber Gesetzentsprechenden Versuch ihn vom Thron zu verbannen vereitelte. Mit seiner überraschenden Heirat, hatte es Thranduil geschafft ihm auch den letzten Funken Stolz und Ehrgefühl zu nehmen.

Wie auch konnte er damals ahnen, dass es doch eine Frau gab, die der sonst so gefühlskalte König begehrte und dann auch noch im rechten Moment zu seiner Gattin machte. Er hatte diesen Elben noch nie leiden können, doch das verwandelte sich schnell in grenzenlosen Hass. Wie dem auch einmal gewesen sei, jetzt stand er dessen Sohn gegenüber, welcher bereit war seiner Heimat wieder für alle Zukunft Zufriedenheit und vor allem Freiheit zu bringen.

"Jeder der bereit ist, seine Waffen niederzulegen, bekommt mein Wort, dass er sich frei und ohne jeglichen Widerstand zurückziehen darf", meinte der Tyrann ein großzügiges und gnädiges Angebot zu unterbreiten, doch er bekam nicht die Antwort, auf die er gehofft hatte. Sämtliche Waldelben umgriffen ihre Bögen, Schwerter oder Lanzen noch fester und hielten diese demonstrativ in die Höhe und signalisierten so, dass sie alles andere tun würden, als auf diesen lächerlichen Vorschlag einzugehen.

Wutentbrannt stürmte Kardel zurück und begab sich wieder in die Sicherheit hinter den Reihen seiner Truppen. Legolas verzog währenddessen nicht eine Miene. Im Gegenteil, mit jedem seiner Krieger, der bereit war alles zu geben, wuchs seine Zuversicht in eine neue Zukunft.

"Kardel!" rief er in Richtung der feindlichen Truppen und wie auf Kommando erschien noch einmal der von Narben übersäte Elb mit bis zu Schlitzen verengten Augen.

Der Prinz war der Sieger, dieses Kräftemessens und sah keinen Grund darin, dieses nicht laut auszusprechen. "Du besitzt zwar ein riesiges Heer, doch hinter mit steht ein ganzes Volk."

Für den Bruchteil eines Momentes, herrschte eine absolute Stille. Legolas wusste, dass seine Worte Kardel da getroffen hatten, wo es ihm am meisten wehtat. Sein Stolz war nicht nur angekratzt, sondern tief verletzt und das bedeutete, dass der Tyrann einen Schwachpunkt hatte.

Wer aus Wut handelt, riskiert oft flüchtige Fehler, indem er kleine aber wichtige Dinge übersieht. Dieses war eine der unzähligen Lektionen, welche ihm sein Vater schon sehr früh und unter unzähligen Missversuchen beigebracht hatte. Viele Jahre sollte es dauern, bis Legolas es geschafft hatte eine so große Ruhe in seinem Inneren zu bewahren, dass es niemandem gelingen konnte ihn aus der Reserve zu locken. Zudem hatte ihm die Nachricht seines Vaters erreicht, dass er nicht alleine stehen würde.

Ein lauter Agressionsschrei erschallte aus Richtung des feindlichen Heeres und es brauchte keinerlei Erklärung, wer ihn verursacht hatte. Ein scharfer Befehl, welcher in der dunklen Sprache Mordors ertönte, zog sich über die gesamte Ebene und trotz allem war seine Bedeutung unmissverständlich. Die Schlacht um die Zukunft des Düsterwaldes hatte begonnen!

Den Menschen aus der Seestadt schlug das Herz offensichtlich bis zum Hals, da alle bis auf wenige Ausnahmen in den Friedensjahren nach dem Ringkrieg geboren worden waren, hatten sie einen Kampf in dieser Größenordnung noch nicht miterlebt. Ihre Gesichter wurden kreide bleich, als sich die Orks bereits auf vierhundert Meter genähert hatte, die Elben jedoch verzogen nicht eine Miene. Im Gegenteil, die Gelassenheit, welche in ihren Augen stand, war schon mehr als beeindruckend. Denn noch keiner von ihnen machte auch nur Anstalten, seine Waffe zu heben oder einen Pfeil in die Sehne seines Bogens zu legen.