Schleichende Gefahr

Geritor war in der Nähe der ehemaligen Drachenhöhle auf einen Zwerg getroffen, der im Verborgenen Wache hielt. Aber dieser konnte ihm weder Auskunft über seine Tochter noch über Odine geben. Aber über die Hobbitspur, die er gefunden hatte, fand er Erklärungen, welche ihm jetzt auch einiges logischer erscheinen ließen.

Er befand sich schon wieder auf dem Rückweg, als ihn ein greller Pfiff von der anderen Seite des Berges ereichte. Meradeth hatte dieses Zeichen mit Geritor abgemacht, wenn sie fündig werden sollten und so schnell Geritors Beine ihn tragen konnten, rannte er in Richtung, aus welcher der Ruf kam.

Seine Gedanken kreisten noch immer um die anderen Fußspuren, die er neben denen des Hobbits gefunden hatte. Der Elb wusste genau, dass es Odine war, die sich neben seiner Tochter aufgehalten hatte. Zu gut kannte er alle Eigenarten seiner Ziehtochter, so auch ihre meist etwas kläglichen Versuche, sich wie ein Elb zu verhalten.

Je näher sich der Elb in Richtung der Abhänge des Berges bewegte, umso deutlicher wurde der Schlachtlärm aus dem Tal unter ihm. Geritor beschloss einen kurzen Blick auf den Kampf zu wagen, auch wenn er sich nicht ganz außerhalb der Reichweite der orkischen Bogenschützen befand. Vorsichtig und jeden Laut vermeidend schlich er sich an den Rand des Abhangs und drückte sich bestmöglich an einen Felsen. Der Verlauf des Kampfes stellte anders als erwartet dar. Die Urukais schienen im ersten Moment gegen ihre eigenen Truppen zu kämpfen, doch stießen sie elbische Kampfesschreie aus und Geritor erkannte sogleich die List, welche sich sein bester Freund zunutze gemacht hatte und so dem Prinzen zu Hilfe geeilt war.

Die Linien der Orks begannen offensichtlich zu brechen und nirgends konnte der Elb Kardel und seine nicht gerade unauffällige Leibwache ausmachen, was in ihm ein äußerst ungutes Gefühl aufflammen ließ. Sein alter Feind war zu gerissen um auf dem Schlachtfeld wie ein schlichter Krieger zu sterben; er würde sich einen Weg aus der Gefahrenzone suchen, gleich wie unehrenhaft die Art und Weise auch sei. Er besaß keinerlei Skrupel, solange es um sein eigenes Wohl ging.

Nur zu gerne hätte Geritor erfahren wollen, wie es wirklich um den Tyrannen stand, doch jetzt hatte das Finden seiner Tochter Vorrang. Sich von dem Felsen zu lösen und seine Aufmerksamkeit wieder vom Geschehen der Schlacht abzuwenden kostete ihm einige Überwindung. Einerseits war das Treiben fesselnd, aber mehr noch bedrückend, da er hilflos mit ansehen musste, wie die Seinen mit kaltblütigen Angriffen ihren Gegnern entgegentraten. Doch Legolas Vertrauen lag auf ihm und seine Aufgabe war in diesem Moment nach seiner Tochter zu suchen

Er grübelte noch immer was in der Zwischenzeit genau geschehen sein könnte, als ein herzzerreißender Anblick den Elben zurück in die schmerzliche Gegenwart riss. Das Mädchen, welches er angenommen hatte und wie seine eigene Tochter liebte, saß zusammengekauert auf dem Boden und versteckte ihr Gesicht vor der Welt.

„Mein Kind", zögerlich und leise klang seine Stimme, als er sich vor Odine kniete. Doch Angst und Verunsicherung ließen sie zurückschrecken. Der Elb versuchte es mit beschwichtigenden Worten und sanften Berührungen, aber alles was er erntete war Ablehnung. Erst als Geritor seine Hand unter ihr Kinn legte und sie somit vorsichtig zwang ihren Kopf zu heben, gab sie unfreiwillig nach. Der Blick des Mädchens war auf den Mund ihres Vaters gerichtet, da sie es nicht ertragen konnte ihm in die Augen zu sehen. Zu groß war die Scham des Versagens und der Leichtgläubigkeit in ihrem Herzen, ein Gefühl das sie langsam zu verschlingen begann.

„Odine", väterlich zärtlich war seine Stimme und gleichzeitig drehte Geritor seinen Kopf so, dass sich sein Blick mit dem ihren traf. Sie war genötigt in die sanften grauen Augen ihres Ziehvaters schauen zu müssen, welche sie eigentlich verachten sollten, doch fand sie keinerlei Anklage darin, auch wenn sie es nicht so wirklich verstehen konnte Nach ihrem Ermessen, wäre es angebracht gewesen sie zu verstoßen und nicht mehr eines Blickes zu würdigen.

Über ihre Lippen kam jedoch nur etwas, dass sich nach einem „verzeih" anhörte und sie verbarg ihr Gesicht wieder im Dunkeln. Alles was sie darauf hin vernahm, war ein leises Seufzen und wie Geritor sie in seine Arme zog. Das Mädchen wehrte sich in diesem Fall nicht, da die Nähe ihres Vaters sie schon immer hatte beruhigen können und sie bei ihm genau wusste, dass sie in Sicherheit war.

Lange sagte der Elb nichts, sondern wiegte Odine einfach nur wie ein Kind in seinen Armen. Er spürte wie ihr Zittern und ihre Furcht etwas nachließ und sich das Mädchen versuchte noch dichter an ihn zu schmiegen. Es war noch nicht an der Zeit zu reden, noch zu frisch waren die Wunden, welche sich in ihre Seele eingebrannt hatten.

Laute Siegesschreie hallten plötzlich selbst bis in diese hohen Regionen und schreckten den Elben aus seinen Gedanken auf. Es waren deutliche Rufe seines Volkes, welche sein Herz wieder etwas leichter schlagen ließen. Der Düsterwald war wieder frei, doch die Sorgen, welche er sich um Eleya machte, wollten nicht versiegen. Das Gebrüll hatte auch Meradeth und Pippin aus der Höhle gelockt, die Geritor nun überrascht aber freudig ansahen.

Meradeth fragte bewusst nicht, wie lange er schon hier draußen bei seiner Ziehtochter saß und sie in seinen Armen wiegte. Seine Nähe war wichtig für Odine, denn offensichtlich genoss sie seine Zuwendung, denn etwas Farbe war in das Gesicht des Mädchens zurückgekehrt.

Eleya war einige Momente später zu ihnen getreten und setzte sich schweigend zu ihrem Vater. Ihre Augen musterten ihn neugierig, da sie sich nicht vorstellen konnte, warum er und Meradeth mitten in der Schlacht losgezogen waren um sie zu suchen.

Durch Myra war sie zu beschäftigt gewesen um sich auch nur kurz mit dem dunkelhaarigen Elben zu unterhalten, so konnte sie sich nur denken, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste. Ihr Herz krampfte sich etwas zusammen als Eleya durch den Kopf schoss, dass Legolas etwas geschehen sein konnte, doch wenn es so gewesen wäre, hätte man in ihrer Gegenwart gewiss anders reagiert. Keiner von ihnen sagte etwas und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, was die neue Zukunft für ihn bringen konnte. Der Augenblick, war gemischt von Freude und Leid.

„Es ist vorbei", brach Eleya das eiserne Schweigen und legte Geritor behutsam eine Hand auf die Schulter. Erst in diesem Moment blickte er seine Tochter zum ersten Mal direkt in die Augen und Tränen bildeten sich in den seinen.

„Nichts ist in Ordnung", Zu ihrem Erstaunen sprang ihr Vater wütend auf und funkelte sie mit grauen Augen aus einigen Schritten Entfernung an. Die junge Elbe wagte es nicht sich ihm jetzt zu nähern, zu gut kannte sie diese Eigenart.

Geritor versuchte krampfhaft die Furcht, welche schlagartig in ihm aufgestiegen war zu zügeln. Keiner konnte verstehen warum ihn diese Worte bis tief ins Mark trafen. Kardel war noch nicht tot, das spürte er, auch wenn er nicht genau wusste, was auf dem Schlachtfeld geschehen war.

Der Tyrann würde seine Drohung, oder sein Versprechen, als was auch immer man es bezeichnen wollte in die Tat umsetzen. Doch Geritor brachte es nicht fertig ein Wort diesbezüglich über seine Lippen zu bringen. Tief in seiner Seele kannte er die grausame Wahrheit, dass sein alter Fein niemals seine krankhaften Vorstellungen ändern würde und genauso wenig das ausgesprochene Versprechen vergessen würde.

Kardel würde seine Tochter jagen und bevor der Tyrann nicht seinen letzten Atemzug gemacht hatte, würde ewig Angst und Schrecken Eleya folgen.

^^^^^^

Eleya stand am Höhleneingang und schaute schon seit geraumer Zeit zum Himmel, an dem unzählige Sterne in aller Pracht strahlten. Sie war tief in Gedanken und versuchte die Geschehnisse der letzten Stunden zu verarbeiten und teils auch zu verstehen.

Ihr Vater hatte zusammen mit Meradeth die Schlacht vorzeitig verlassen, um nach ihr zu suchen. Leider hatten Myras schmerzerfüllte Schreie die Elbe gedrängt sich wieder zu der Zwergenfrau zu begeben, da der Zeitpunkt offenbar erreicht war Gimli sein erstes Kind zu schenken. So konnte sie die Elben nicht weiter nach ihren Motiven befragen.

Eleya lächelte bei dem Gedanken, wie sie der erschöpften Myra ein kleines Bündel mit einem gesunden und starken Jungen in die Arme gelegt hatte. Die Erschöpfung wich Stolz und Hoffnung in die Zukunft, als Meradeth auf ihre Frage, ob er von weitem nach Gimli hatte Ausschau halten können, gute Kunde mitteilen konnte.

Auch Eleya durfte aufatmen, da der Zwerg scheinbar auch jetzt noch nicht von Legolas Seite wich. In der Elbe wuchs das unbändige Verlangen bei ihrem Geliebten zu sein und nichts sprach eigentlich mehr dagegen zu ihm zu gehen.

Doch im gleichen Moment wurde ihr auch wieder schwer ums Herz, denn es musste etwas Schlimmes passiert sein, wenn ihr Vater in einer solchen Situation seinen Platz verlies. Er verhielt sich seltsam apathisch, eine Eigenart die auf Eleya sehr befremdend wirkte, da sie Geritor noch niemals so erlebt hatte. Er redete nicht, nur einen kurzen Überblick hatte er sich von Meradeth geben lassen und seit dem saß er ruhig an eine Steinwand gelehnt und sprach nicht ein Wort. Odine hatte sich immens dagegen geweigert, sich zu den anderen zu gesellen und so ließ Geritor ihr die Möglichkeit nachzudenken, beobachtete aber aus einigem Abstand jeden ihrer Züge.

Man hatte ihr Böses angetan, soviel wenigstens hatte das Mädchen ihrer Freundin erzählt, aber nicht ein Kommentar mehr als nötig. Nach ihrer Befreiung konnte Odine selbst bis zum jetzigen Augenblick keinerlei Ruhe finden.

Je länger Eleya ihren Vater ansah, umso deutlicher wurde, dass sich ein Schatten über sein Gesicht zog. Seine Augen verrieten es der Elbe. Sie kannte genau das Farbenspiel in ihnen wenn etwas schwer auf seinem Gemüt lastete. Es war mehr als nur die Sorge um Odine, denn genau genommen war er auf der Such nach ihr gewesen.

Langsam trat sie auf Geritor zu, doch dieser lächelte sie nur gequält an. Er hatte nicht nur seine Ziehtochter beobachtet und in Eleyas Verhalten konnte er in den letzten Minuten ebenfalls lesen wie aus einem Buch. Er war unendlich dankbar, dass es Kardel bisher nicht gelungen war seinen Willen zu bekommen.

Der Elb konnte die Unruhe sehen, welche sich immer mehr in ihr aufbaute und es war nicht weiter schwer zu sagen, was Eleya ihm jetzt mitteilen wollte. Die Schlacht war gewonnen und es zog sie zu Legolas. Noch immer konnte Geritor sich nicht ganz an den Gedanken gewöhnen, dass er jetzt nicht mehr der Mann in ihrem Leben war, auch wenn er mit der Wahl seiner Tochter mehr als zufrieden war.

„Du willst zu ihm", über die Feststellung ihres Vaters musste Eleya schmunzeln und fiel nur leicht seufzend an seine Brust. Sie fühlte seine Anspannung und konnte nicht verstehen, warum er nicht aussprach, was ihn so belastete. Die Elbe kannte ihren Vater viel zu gut und wusste, dass es sinnlos war ihn danach zu fragen. Geritor kam stets von alleine auf jemanden zu, wenn er ihm etwas mitzuteilen hatte, ansonsten konnte man sich den Atem für immer wiederkehrende Bitten sparen.

Lange hielt er seine Tochter einfach nur in seinen Armen, bis er sie ein Stück von sich weg zog und direkt mit unendlichem Ernst anblickte. „Die Gefahr für das Waldlandreich ist vielleicht gebannt, doch für dich wird sie um so größer sein", ein Schaudern lief über ihren Rücken, als Eleya die wispernden Worte hörte und in den Augen ihres Vaters stand eine nur zu deutliche Warnung. Er hatte den Hass in den Augen des Tyrannen gesehen, der sich nun alleinig gegen seine Tochter richtete und Kardel würde nicht ruhen, bis er seine Vergeltung für den erneut gescheiterten Versuch nach der Krone zu greifen vollzogen hatte. Der Elb wagte es nicht auch nur eines der bösen Versprechen über seine Lippen zu lassen.

Das Abkommen, welches er vor unzähligen Jahren mit seiner Frau getroffen hatte, zwang ihn nun noch länger hier in Mittelerde zu bleiben, anstatt Maleyna endlich in den Westen zu folgen.

Eleya schluckte schwer und versuchte zusammen zu setzten, was genau Geritor meinte, doch einige Bruchstücke fehlten ihr noch. Jedoch war sie jetzt nicht dazu bereit sich ausgiebiger mit dieser Materie zu befassen. Sie wollte zu Legolas, zwar hatte Meradeth ihr versichert, dass es ihm gut ginge, aber selbst ein Elbenauge konnte aus dieser Entfernung nur bedingt sehen. Die Elbe wollte fühlen, dass ihr Verlobter keinen ernsten Schaden genommen hatte und seinen Herzschlag hören, wenn sie an der Brust des Prinzen lag.

„Wollen wir", Meradeth wurde von Geritor nicht mit der kleinsten Mimik gefragt, ob er sich erneut bereitstellen würde Eleya zu begleiten. Es drängte ihn in seinem Inneren gerade zu selbst, zu erfahren, was aus seiner Familie und seinen Freunden geworden war. Der dunkelhaarige Elb konnte nur hoffen, dass alle mit dem Leben davon gekommen waren. Dazu kam noch, dass Geritor sich um Odine kümmern musste, da das Mädchen niemanden außer Eleya an sich heran ließ. Einen Tribut, den die grausamen seelischen und körperlichen Qualen des Tyrannen forderten.

Eleya nickte ihm nur dankbar zu und auch bei ihrem Vater, meinte sie eine gewisse Beruhigung spüren zu können. Die Angst in seinem Herzen schnürte Geritor die Kehle für jegliche weitere Worte zu, so gab er ihr nur seinen Bogen und Köcher in die Hand, damit seine Tochter wenigstens ordentlich bewaffnet war.

Nach einem letzten kurzen Blick auf Myra und ihren neugeborenen Sohn verließ die Elbe zusammen mit Meradeth die Höhle und machte sich auf den Weg, welcher über den rutschigen Abhang führte, an dem Odine sie vor dem Urukai gerettet hatte, indem sie sich ihm vor die Füße geworfen und so aus den Gleichgewicht gebracht hatte. Es war ein waghalsiges Unterfangen gewesen, welches auch genauso gut hätte scheitern können.

Schon von weitem konnten die Beiden das erschreckende Ausmaß der Schlacht sehen, denn noch waren erst wenige der gefallenen Elben davon getragen worden, wogegen den toten Orks erstmal keinerlei Beachtung weiter geschenkt wurde. Vorsichtig sprangen sie über die leblosen Körper, so gewaltig war ihre Anzahl.

Eleya musste sich nahezu zwingen weiterzugehen, da sie genau auf der Seite des Schlachtfeldes herausgekommen waren, wo sich die Krieger des Schattenvolkes unter Aryalon verteidigt hatten. Wenige der blassen Gesichter waren gute Bekannte von der Elbe, aber jedem einzelnen konnte sie die Abstammung oder zumindest den Namen zuordnen. Meradeth ging schweigsam und ehrfürchtig neben Eleya her, zwar kannte er niemanden, doch hatte jeder einzelne bereitwillig sein Leben gelassen um den Düsterwald aus der Gewalt Kardels zu befreien.

Teilweise verzogen die Beiden angewidert die Lippen, da es deutlich zu sehen war, wie gnadenlos ihr Volk gegen die Orks vorgegangen war. Auch wenn die Elben in der Regel genau gezielte Schläge und Stöße ausgeführt zu haben schienen, so waren die Wunden ihrer Feinde klaffend und abscheulich.

Schlagartig bleib Eleya wie angewurzelt stehen und starrte auf einen Urukai, der bäuchlings und auf den ersten Blick unversehrt dazuliegen schien. Doch unter seinem Hals sickerte eine Lache mit schwarz-rotem Blut hervor. Meradeth verstand im ersten Moment noch nicht so recht, was seine Begleiterin so erschütterte, so folgte er ihr und biss betroffen die Zähne zusammen, als Eleya eine Strähne mit hellbraunem Haar durch ihre Finger gleiten ließ. „Hilf mir", anstatt ihm eine Antwort zu geben, versuchten sie hektisch mit sämtlichen Kräften den schweren Körper zur Seite zu rollen. Gemeinsam schafften sie es und eine schlanke weibliche Gestalt kam zum Vorschein.

Es war eine Elbe, die leichte Ähnlichkeit mit Eleya vorwies und offensichtlich eng mit ihr verwandt war. Sie war in der gleichen grauen Tracht gekleidet wie Eleya, doch die Farbe ihres Haares war bei weitem zu hell, für das der Hochlandelben. Es schien unter den ersten kräftigen Sonnenstrahlen sogar etwas rot zu schimmern, was Meradeth bisher noch niemals gesehen hatte.

Sie schien noch während des Fallens einen Dolch durch die Kehle des Urukai gestoßen zu haben, wurde jedoch von seiner Masse beinahe erdrückt.