Weder Anfang noch Ende

Eleya riss verzweifelt mit allen Kräften an ihren Fesseln. Es war grauenvoll für die Elbe, hier angebunden zu sein und hilflos mit ansehen zu müssen, wie ihr Vater sein Leben für Odine einsetzte und dabei war, es zu verlieren.

Sie konnte nicht alles erkennen, da der Tyrann ihr einen genauen Blick auf Geritor versperrte. Aber sie konnte Kardels zerschlissene Hände sehen, welche den edel verzierten Griff des Dolches umfassten und sich gemeinsam mit diesem Millimeterweise in Richtung Boden senkten. Das Gesicht ihres Vaters spiegelte ein einziges Bild von unvorstellbaren Schmerzen wider, das sich mit jeder Bewegung Kardels verstärkte.

Eine eckige Klinge schwang kurz neben ihrem Kopf vorbei, so dass Eleya diesem noch mit Mühe ausweichen konnte, weil es ihr knapp gelang, ihren Kopf so weit es nur möglich war in die entgegengesetzte Richtung zu drehen. Es war der Uruk-Hai, welcher noch immer versuchte, Odine zur Stecke zu bringen, doch Thranduil schlug mit einer fast schon panischen Mischung aus Seelenwund und Hass auf ihn ein.

„Lauf!" brüllte der Elb währenddessen nahezu auf das Mädchen ein und sogleich begab sie sich geduckt aus der direkten Gefahr.

Auch ohne einen Blick zu Geritor zu benötigen, wusste der ehemalige König, dass sein alter Freund dem Tode geweiht war und alles, was er selbst lediglich tun konnte, war, seinen letzten Willen zu erfüllen und seine beiden Töchter in Sicherheit zu bringen.

Nicht umsonst sollte sein Opfer sein und Kardel würde weit über das Zehnfache für diese Tat bezahlen müssen.

Erbarmungslos brachte er den Gehilfen Kardels zu Fall und rammte ihm mit einer Kälte, die Eleya niemals zuvor bei Thranduil gesehen hatte, sein Schwert direkt in das Herz.

Die Königin spürte, wie gleichzeitig einer der Stricke, welche sie an den Baum fesselten, zitternd durchgeschnitten wurde, aber nicht so, dass Eleya sich ohne Mühe von dem Stamm befreien konnte.

Legolas und seine Mutter hatten nur wenig Aufmerksamkeit für die Geschehnisse übrig, da sich auch noch die Letzten vom Gefolge des Tyrannen eingefunden hatten und sie in kraftraubende Kämpfe verwickelten.

Odine rannte mit Tränen in den Augen auf Geritor zu, sogar vergessend, Eleya auf gänzlichste von ihren Fesseln zu befreien. Das Mädchen sah nur noch ihren Vater und wie er von Kardel gequält wurde. Als sie hinter dem Tyrannen zum Stillstand kam, wurde sie nicht von diesem beachtet. Er schien viel zu sehr von seiner Rache gefangen genommen und genoss es sichtlich, Geritor Schmerzen zu bereiten.

Odine ging wie in Trance an die Feuerstelle und griff sich ohne nachzudenken Eleyas Messer, welche Kardel nachlässig dort einfach hatte liegen lassen. Schritt für Schritt trat sie auf den Tyrannen zu, der ihr Leben und ihre Zukunft zerstört hatte.

Alle Bilder der grauenvollen Tage kehrten wieder, die unendlichen Demütigungen, welcher Kardel das Mädchen hatte durchleben lassen. An sein widerliches Lächeln, wenn sie ihn bat aufzuhören und seine darauf folgenden Spielchen, es vielleicht sogar zu tun. Einmal gab der Tyrann den Weg frei und öffnete Odine sogar galant die Tür. Aber es gab niemals auch nur die Chance auf eine Flucht, da seine Uruk-Hais stets außerhalb des Raumes standen, welcher ihr Gefängnis darstellte, nur darauf wartend, dass sie es wagte, über die Schwelle zu treten. Das waren nur Bruchstücke seiner Grausamkeiten und vergebens hatte sie versucht, es zu verdrängen.

Der Elb, welcher sie wie ein Vater aufgezogen hatte, lag keinen Widerstand ausübend nur still da. In seinen Augen stand nur Schmerz, der aber trotz allem noch von Sorge überschattet wurde. Selbst jetzt noch versuchte er, seine Töchter zu schützen, indem er sich schlicht dem blutgierigen Spiel Kardels hingab und so von dem eigentlichen Geschehen um sie beide herum ablenkte.

Hass kroch durch Odines Adern, als Kardel sie nicht mal bemerkte und wenn doch, das Mädchen durch eiserne Missachtung strafte. Sie hörte wie aus weiter Ferne noch Eleya nach ihr schreien, doch ihre Finger schlossen sich nur noch fester um den Griff des Messers und sie fixierte alleinig den Tyrannen.

„Das wagst du nicht!"erklang plötzlich die schon amüsierte Stimmte Kardels, doch er stellte zu spät fest, dass er sich dieses Mal geirrt hatte. Nicht einen Moment hatte der daran geglaubt, dass dieses Mädchen eine ernsthafte Gefahr für ihn darstellte, aber die Waffe, welche in seinem Rücken steckte und genau die Hauptschlagader gefunden hatte, belehrte ihn eines besseren.

Seine Hände verließ die Kraft den Dolch auch nur zu halten und langsam drehte sich der Tyrann mit einem nahezu irren Lachen zu Odine um und wollte etwas sagen, aber es kam keinerlei Ton aus seiner Kehle. Stattdessen fiel sein Körper einfach nur schlaff zu Boden und er rührte sich nicht mehr.

Geritor bekam alles nur noch wie durch einen Nebel mit, da er bei jedem Atemzug hätte aufschreien können. Doch seine Lungen, welche sich quälend langsam mit Blut füllten, untersagten ihm diesen Gefühlsausbruch. Kardels narbenversehene Fratze verschwand plötzlich und eine seltsame Stille erfüllte die Luft.

Das von Tränen überströmte Gesicht seiner dunkelhaarigen Ziehtochter blickte ihn unschlüssig an, doch der Elb hatte sich bereits eingestanden, dass sein Leben dem Ende zuging.

Zu tief steckte der Dolch in seiner Brust, um sein Schicksal noch abwenden zu können, aber Kardel war in keinster Weise willens gewesen, ihm einen schnellen Tot zu gönnen.

Sich ein Lächeln abringend, hob Geritor schwerfällig seinen Kopf ein wenig und strich mit der Hand zärtlich über Odines Wange.

Zwei Arme schoben sich stützend unter seinen Nacken und ohne es zu sehen, wusste Geritor, dass es sein Freund war, welcher mit äußerstem Widerwillen seiner Bitte gefolgt war. Thranduil würde auf ewig sein Vertrauen und seinen Dank besitzen.

Noch drei weitere Personen näherten sich ihnen und blieben ein paar Schritte entfernt, ehrfürchtig stehen. Keine Bewegung ging für einen Moment mehr von ihnen aus und jeder hing schweigend, aber vor allem betroffen seinen eigenen Gedanken nach.

Melyanna legte schließlich ihre Hände sanft um die Schultern Odines und zog sie an sich. Zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr aus den Fängen des Tyrannen, konnte diese ihren Gefühlen freien Lauf lassen, was Geritor ebenfalls bemerkte und zufrieden nickte. Jetzt würde das Mädchen eine wirkliche Chance haben, wieder in ihr Leben zu finden.

Eleyas grüne Augen senkten sich über ihn und musterten ihn trauernd. Die Elbe hatte schon längst erkannt, dass sie lediglich nur noch Abschied nehmen konnte und ihr blieb kaum noch Zeit.

Ohne Vorwarnung schrie Geritor auf. Er verkrampfte sich und beinahe sämtliche Kraft strömte aus seinem Körper. Kreidebleich wäre er in sich zusammengesackt, wenn Thranduil ihn nicht achtsam gehalten hätte und ihn jetzt vollständig an sich lehnte. Ein metallischer Beigeschmack mischte sich zusehends in seiner Kehle dazu und jeder Atemzug war mehr, als nur eine Überwindung.

Eleya kniete über ihm und ein bittersüßes Lächeln bildete sich in seinen Zügen, denn sie vergoss eine Träne. Nur ein einziges Mal hatte er sie bis zu diesem Augenblick so erlebt und das war bei ihrem Abschied von ihrer Mutter, vor siebenhundert Jahren, gewesen.

Es kostete ihn geraume Anstrengung, seine Hand zu ihrer Wange zu führen und mit den Fingern die Perle aufzufangen, die sich grade einen Weg durch ihre Wimpern suchte. Seine Kräfte reichten nicht lange und seine Hand fiel schwach auf seinen Oberkörper, wurde aber gleich wieder von Eleyas Fingern sanft umschlossen.

Der Schmerz, welcher sich von seiner Brust aus durch den gesamten Körper zog, ließ Geritor nicht sagen, ob das, was er sah, Wirklichkeit war, oder nur noch eine Halluzination.

Das Gesicht seiner Tochter begann, sich zu zerstreuen und ein leichter Schatten bildete sich im Hintergrund. Es war noch nicht deutbar, wer sich hinter diesen Schleiern verbarg, doch in seinem Herzen breitet sich eine angenehme Wärme aus, wie er sie schon unzählige Jahre nicht mehr hatte spüren dürfen.

Der Schatten vor seinen Augen verdichtete sich, und auch, wenn Geritor noch immer nicht genau erkennen konnte, wer sich ihm näherte, fühlte er es.

Maleyna erwartet ihn und jetzt, da all seine Schuldigkeiten abgegolten waren, war er auch bereit, zu gehen und Mittelerde, sowie seine Heimat, als auch das Osthochland seinen Nachkommen zu hinterlassen.

„Es wird ein neuer Morgen kommen!"In den geflüsterten Worten spiegelte sich eine Zuversicht wider, wie sie Eleya nur selten von ihrem Vater gehört hatte und auf seinen Zügen legte sich ein schon seliges Lächeln. „Auch für mich."

Das Gesicht seiner Frau nahm immer mehr den Platz von Eleya ein. Sein Geist wandte sich Maleyna zu und im gleichen Augenblick wichen sämtliche grauenvolle Schmerzen von ihm, welche den Elben seit dem Angriff Kardels plagten.

Die blonden Haare seiner Tochter waren dem dunklen Braun seiner Maleyna fast gänzlich gewichen und waren kaum noch mehr als ein Schatten. Geritors Seele war bereit, in Mandos Hallen einzutreten und er übergab sich aufs gänzlichste dem über allem geliebten Lächeln seiner Frau.

„Lebe Wohl!"war das Letzte was Eleya ihm noch zuhauchen konnte, bevor sich die grauen Augen schlossen und in einen ewigen Schlaf fielen.

Die sanften Bewegungen des Flusses schwebten über die Füße der jungen Königin und sein Wasser kroch langsam über ihre Knöchel hinauf. Es zog den schlichten Stoff, aus dunkel gehaltenen, grünen Farbtönen, in die Schwere, doch Eleya schenkte dem allen keinerlei Beachtung.

Trauernd lehnte die Elbe an den Arm ihres Gatten, nicht mehr wissend, wie viele Stunden bereits vergangen waren. Die vollkommene Dunkelheit der Nacht war im Begriff, dem sich ankündigenden Morgen zu weichen, ungewiss was er mit sich bringen würde. Geritor war in ihrem Herzen schon zu einem Teil der unendlichen Sterne verschmolzen und ein Blick in Richtung Himmel hatte ihn auf eine noch zusätzliche Art unsterblich werden lassen.

Ihr Vater hatte sie beinahe alles gelehrt, was sie wusste, auch viele Dinge, welche nicht gerade üblich für Frauen waren. Nie hatte sie sich erklären können, warum er immer so sehr darauf bedacht war, dass sie auch beherrschte, was eher den Männern zugeschrieben wurde.

Taktik, Planung, aber auch die Kampfeskunst waren immer ein Teil ihres Unterrichts gewesen, doch genauso auch, Ruhe zu bewahren und unter Druck ebenso besonnen zu reagieren.

Es war eine der Besonderheiten Geritors, sein vorausschauendes Denken, welches so viel weiter, als nur einige Jahre reichte.

Eleya hatte sich schon mehr als einmal in all der Zeit gefragt, wie Geritor meist schon vorher erahnen konnte, was geschehen würde?! Lag es an seinen wachsamen Augen, welche auch zwischen den Zeilen zu lesen vermochten, oder noch an mehr?

Schweigend hatte Legolas an ihrer Seite gestanden und streichelte abwesend immer wieder kaum spürbar über die offenen blonden Locken. Das Licht, welches Eleya bei der Abenddämmerung für ihren Vater angezündet hatte, war schon längst verloschen und Melyanna war die Einzige, welche noch zusammen mit Thranduil bei ihnen stand, ebenfalls nicht bereit, ihren alten Freund ziehen zu lassen. In ihrem Herzen würde er weiterleben und viele seiner kleinen Eigenarten, die durch Eleya auch noch weiterhin im Düsterwald existieren konnten, würden ihn damit unvergessen machen.

Bis fast zuletzt hatte Odine mit an den Ufern des Flusses gestanden und Abschied genommen. Und dieser sollte größer sein, als nur von ihrem Ziehvater, denn sie würde fortgehen und in Zukunft fernab jeglichen Elbenvolkes leben. Sie war dankbar, dort aufgewachsen zu sein, doch jetzt galt es für sie, sich abzuwenden und einen eigenen Weg zu gehen.

Auf Melyannas eindringliche Bitte, konnte Meradeth das Mädchen schließlich dazu bringen, zumindest zu versuchen, sich für den kommenden Tag auszuruhen, denn sie hatte keinerlei Ruhe gefunden, seit Kardels Hinterhalt auf Eleya und sie.

Odine war von diesem Erlebnis sehr mitgenommen worden und doch hatte es den dunkeln Schleier, welcher um ihre Seele lag, zu lösen vermocht. Hoffnung war wieder in das Herz des Mädchens zurückgekehrt und Zuversicht auf ein neues Leben.

Eleya hingegen war sich sicher, ihren Platz gefunden zu haben, auch wenn es ein schwerer Anfang gewesen war. In ihren Gedanken spiegelten sich immer wieder die letzten Worte ihres Vaters wider. Nie würde sie den Ausdruck auf seinem Gesicht vergessen, als er offensichtlich freiwillig und sogar mit Freude seinem Leben in Mittelerde entsagte, ohne noch länger darum kämpfen zu wollen. Unzählige Jahre waren vergangen, seitdem die Elbe Geritor hatte so erleben dürfen und es hatte den Anschein gemacht, als sei er wieder mit Maleyna vereint worden.

Die Königin fand keine Erklärung, warum ihre Mutter, sollte es wirklich so gewesen sein, in Mandos Hallen wandelte. Aber auf diese Fragen sollte sie hier in Mittelerde keine Lösung finden, oder auch nur einen Ansatz, des Verstehens. Vielleicht würde sie eines Tages Antwort bekommen, aber das lag in fernster Zukunft.

Thranduil beobachtete schon einige Stunden seinen Sohn und hatte sich eingestanden, dass nun endgültig der Zeitpunkt gekommen war, den Düsterwald zu verlassen. Es war ein bittersüßer Gedanke, denn sein Herz war so eng mit diesem Reich verbunden. Doch Geritors Tod verdeutlichte nur, dass sein Leben im Wandel war. Legolas brauchte seine Nähe und Beistand nicht mehr, aber Melyanna dafür umso mehr.

„Komm, meine Liebe!"Sanft lenkte Thranduil seine Gattin vom Ufer weg, ohne auch nur den kleinsten Widerspruch zu vernehmen. Gemeinsam gingen sie zurück zum Palast, damit sie alles für ihre Abreise vorbereiten konnten.

Eleya drehte sich zu Legolas, als das Morgenrot sich ankündigte, und sah tief in die blauen Augen. Der König beugte sich leicht zu ihr herunter und hauchte der Elbe einen sanften Kuss auf die Lippen.

Der Horizont färbte sich immer heller, bis die ersten Sonnenstrahlen hervortraten und die Nacht immer weiter zur Vergangenheit werden ließen.

„Ein neuer Tag beginnt, so wie Vater sagte."Ohne ihren Blick vom Osten abzuwenden, lächelte die Königin auf, bereit, in ein neues Zeitalter zu treten. Doch sie wusste, dass Geritor sie auf eine bestimmte Art niemals verlassen hatte, oder es jemals würde.

Legolas nickte ihr zustimmend zu.

Mit gemischten Gefühlen blickte er dem noch entstehenden Tag entgegen, denn das Schicksal hatte ihn, ohne, dass er es bemerkt hatte, eingeholt. Von Kindheit an wurde der Elb auf diesen Moment vorbereitet, um diese Bürde eines Tages zu übernehmen und viele Jahre hatten bis jetzt vergehen sollen.

„Was wird uns jetzt erwarten?"Ernst blickte ihn Eleya mit melancholischen Augen an. Die Gefühle, die sich im Geist der Königin gegenseitig verdrängten, vermochten keinerlei Empfindungen auszulassen.

Die Sonne verkündete immer deutlicher den Morgen und ließ jetzt auch den letzten Stern verblassen. Mit ihrem Licht wuchs auch wieder die Zuversicht und der König dachte lange über die Worte Eleyas nach.

„Das vermag niemand zu sagen, doch es ist unsere Wahl, wie wir der Zukunft entgegentreten."Eleyas Antwort auf diese Worte von Legolas war nur ein zustimmendes Lächeln und eine zarte Hand, welche sich, um den Zusammenhalt noch zu verstärken, fest in die seine bettete.

Sie gaben einander ein stilles Versprechen, dass es sich lohnen würde, für jeden noch so kurzen Moment des Glückes und der Zufriedenheit zu kämpfen, gleich welche dunklen Pfade sie gehen müssten.

Doch es sollte nicht nur für das Paar alleine gelten, sondern auch für den gesamten Düsterwald. Es war nicht ganz klar zu sagen, ob sie an einem Anfang oder Ende standen, doch war es nicht wirklich von Bedeutung, da die Welt in der sie lebten in einem ewigen Kreislauf gefangen war.

Ende

So das ist das Ende meiner Geschichte, aber wie es sich gehört, kommt noch ein Epilog. Da werden noch so einige kleine Fragen geklärt.......

Ganz liebe Grüße an Lulu, Narwain und Yavanna, die mir immer so liebe Reviews geschrieben haben knuddel und ab jetzt kommen keine bösen Cliffhanger, oder ähnliches mehr Hand heb und verspricht

Alles weitere kommt mit den Epilog!!!