Curriculum 05: Kummer

"Du wirst diese Welt retten....Rei."
Zero schrak aus seinem Schlaf auf und fuhr sich über die erhitzte Stirn. Ein Traum! Noch immer schnürte ihm ein eigenartiges Gefühl die Kehle zusammen, wenn er an seine Begegnung mit Teela dachte. Währendessen war ihm klar geworden, dass sie keine gewöhnliche Frau war - woher sollte sie auch seinen richtigen Namen kennen? Sie war etwas Besonderes, Geheimnisvolles. Aber warum hatte sie gerade mit ihm sprechen wollen? "Wir sind gleich." hatte sie erklärt. In welchem Punkt waren sie gleich? Was meinte sie damit? Schon einmal hatte jemand diese Worte an ihn gerichtet, doch das lag lange zurück - Hiead war es damals gewesen, als er sich wieder einmal mit ihm in der Wolle hatte, kurz nachdem er aus dem Cockpit der Eeva Leena herausgekommen war. Wie hatte er überhaupt in die Göttin einsteigen können? Ohne vorheriges Training war das eigentlich unmöglich. Die Ingrid hätte ihn abstoßen müssen. Er ließ sich auf sein Kissen zurückfallen und starrte gedankenverloren auf die kahle Decke über sich. Neben ihm schliefen Clay und Hiead tief und fest. Hatten die gar keine Sorgen zu wälzen? Vielleicht sollte er Kizuna fragen, was er tun sollte....
Sein Herz erwärmte sich, als er sich ihre Erscheinung vorstellte. Obwohl er die Wahrheit bereits eine geraume Weile vor sich her schob, konnte er es nun nicht mehr verleugnen. Hatte er sich zunächst noch eingeredet, dass es nichts weiter als eine lockere Schwärmerei sei, war ihm nach dem Ball schlagartig bewusst geworden, dass er sich ernsthaft in seine Partnerin mit den niedlichen Katzenohren verliebt hatte. Und als hätte er damit nicht schon genug zu tun, begann morgen das Training mit den neuen Anwärtern! Hoffentlich war der Neuling, der ihm zugeteilt werden würde, ein netter und nicht allzu arroganter Kerl, denn sonst sah es für die zweitägige Zusammenarbeit schlecht aus. Sein Partner damals war Erts gewesen, der Jüngste unter den Top-Schülern. Zero hatte miterlebt, wie der freundliche und zurückhaltende Junge zum vollwertigen Piloten ernannt worden war. Sein Bruder Ernest war gestorben und er war zu dessen Nachfolger auserkoren worden. Wann würde wohl seine Stunde schlagen? Wann würde er endlich eine Göttin fliegen dürfen? Teelas Worte hallten erneut in seinem Kopf wider: "Es ist dir vorherbestimmt...."

Ausbilder Hijikata Azuma räusperte sich, doch es war zu leise, als dass er die Prügelei, die sich gerade vor seiner Nase abspielte, hätte unterbrechen können. Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn.
"He! Seid ihr taub?! Ich sagte: Ruhe und Disziplin sind auf GOA notwendig, um...."
Die Rauferei ging fröhlich und lautstark weiter.
"....VERDAMMT NOCHMAL!!!! HÖRT MIR ENDLICH ZU!!!!"
Diesmal zeigte das kräftige Organ des Kapitäns seine erhoffte Wirkung. Das wilde Knäuel entwirrte sich und fünf Jungen nahmen vor ihm Aufstellung. Die neuen Anwärter, Nr. 140-144.
"So!! Und jetzt noch einmal von vorn: Es spielt überhaupt keine Rolle, wer von euch welchem Top-Schüler zugeteilt wird, also lasst den Blödsinn und hört auf, euch darüber zu streiten! Die Senior Kadetten werden in wenigen Minuten hier sein. Denkt daran, ein Kampf mit einem PRO-ING ist kein harmloses Vergnügen für ein paar Kleinkinder, sondern im Training wird immer der Ernstfall geprobt!! IST DAS KLAR?!"
"Jawohl, Sir!!!" erklang es schallend aus fünf Kehlen.
"Geht doch. Warum nicht gleich?"
Die Tür hinter ihm schwang zur Seite und eine Gruppe groß gewachsener Jungen kam herein, anhand der Symbole auf ihren Schuluniformen als Senior Kadetten erkennbar. Die neuen Rekruten machten sich ganz klein. Offensichtlich war ihr Selbstbewusstsein nach Azumas Ausbruch um einen Gutteil geschrumpft. Du liebe Zeit, die Typen wirkten schon so erwachsen!
"Nr. 140!"
Ein schmächtiger Bursche mit krausem Blondhaar und grauen Augen trat vor.
"Das hier ist Anwärter Nr. 88, Zero Enna. Er wird dein Partner sein."
Zero streckte dem verschüchterten Kerl die Hand hin und lächelte, bis er merkte, dass die Anspannung aus dem Gesicht des anderen gewichen war.
"Freut mich. Meinen Namen hast du ja schon gehört. Und wer bist du?"
"Ich heiße Jason."
Er ergriff die dargebotene Rechte und strahlte. Wie gut, dass sein Sempai nicht so streng war! Im Gegenteil, er schien echt nett zu sein - umso besser!
"Nr. 141!"
Ein muskelbepackter Hüne, bei dem die Uniform hier und da bereits gefährlich spannte, mit einem Haufen Sommersprossen im Gesicht, hellrotem Haar und grünen Augen, baute sich vor seinem Partner auf, den Azuma ihm zuteilte.
"Das ist Anwärter Nr. 87, Hiead Gner."
"Okay, Alter, spitz die Ohren! Mein Name ist Thunder und ich lass' mir von keinem was bieten! Also sieh zu, dass du während unseres Trainings keinen Mist baust!"
Der Neuling hatte überraschend schnell zu seinem Selbstvertrauen zurückgefunden, aber auch nur, weil er meinte, Hiead als zerbrechlichen Schönling einstufen zu können. Hijikata unterdrückte eine bissige Bemerkung, als dieses Gelaber an seine Ohren drang und dankte Gott, dass der unverschämte Bengel an den Richtigen geraten war. Hiead würde ihm schon Manieren beibringen! Der junge Mann mit den granatfarbenen Augen musterte seinen Gegenüber in eisigem Schweigen. Ein abfälliges Lächeln huschte über seine Züge.
"Spitz du lieber die Ohren, Kleiner!" erwiderte er kalt, wobei er das "Kleiner" absichtlich stark betonte, "Du bist nicht in der Situation, eine große Lippe zu riskieren! ICH bin der Top-Schüler von uns beiden! Sei froh, dass ich dich für deine Frechheit nicht übers Knie lege!"
"...."
"Nr. 142!"
Ein Junge mit kohlrabenschwarzem Haar, dunklen Brombeeraugen und einer braungebrannten Haut schob sich in den Vordergrund des Geschehens.
"Das ist dein Partner, Anwärter Nr. 89, Clay Cliff Fortran."
Er verneigte sich respektvoll und stellte sich vor: "Ich heiße Kazim. Freut mich, dich kennen zu lernen, Fortran-sempai."
"Es freut mich ebenso."
"Nr. 143!"
Der Angesprochene war ein zierlicher, feminin wirkender Typ mit schulterlangen blaugrünen Haaren und großen, ausdrucksvollen braunen Augen.
"Das hier ist Anwärter Nr. 86, Yamagi Kushida."
"Guten Morgen, Sir. Ich bin sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen." Der Senior Kadett seufzte unweigerlich. Hoffentlich war der Kerl nicht das Porzellanpüppchen, nach dem er aussah, anderenfalls würde er es hier auf der Akademie nicht einfach haben. Trotzdem durfte er ihn nicht gleich entmutigen!
"Wie ist dein Name?"
"Ich heiße Jacques, Sir."
"Aha. Na, dann nenne ich dich einfach so. Und ich bin Yamagi. Den ,Sir' kannst du weglassen. Da komme ich mir nur unnötig alt vor!"
"Wie Sie wünschen."
"Wie wär's mit Du?"
"Pardon?"
"Wir sind schließlich beide Rekruten. Du kannst mich ruhig duzen."
"Wenn Sie es vorziehen."
"Auweia...."
"Nr. 144!"
Der Letzte im Bunde war ein drahtiger, überschlanker Bursche mit einer rosa Igelfrisur und blauen Augen, die neugierig und auch ein wenig hochmütig in die Welt schauten.
"Das ist Anwärter Nr. 85, Roose Sawamura." Die beiden gaben sich die Hand.
"Schön, dich kennen zu lernen."
"Kann ich von mir nicht gerade behaupten."
Roose schnappte nach Luft. Was war denn in den gefahren?! Na, sollte der reden, was er wollte, ein derartig hochtrabendes Gebaren beeindruckte ihn nicht im Geringsten.
"Wenn du gekommen bist, um das trotzige Kind heraushängen zu lassen, von mir aus, aber dann kannst du gleich wieder abhauen. Mit solchen Leuten vergeude ich nicht meine Zeit!"
Für diese Antwort erntete Roose vier bewundernde Blicke von seinen Kommilitonen. Sogar Hiead empfand seine Äußerung als durchaus schlagfertig genug, um den Neuling in seine Schranken zu verweisen. Azuma nickte zustimmend.
"Äh...."
"Jetzt hat man dir wohl den Mund zugeklebt, was? Okay, Kleiner, ich will mal darüber hinweg sehen, ist schließlich unser erster Tag. Dein Name?"
"Henry."
"Henry. Gewöhn dir einen angemesseneren Ton an, ja? Respekt vor jemandem zu zeigen ist nicht das Schlechteste."
"Damit wären die Teams aufgestellt. Fangen wir an!"

Tune stand auf der Aussichtsplattform und blickte traurig in das nachtschwarze All. Dort draußen, in dieser düsteren Weite, hatte ihr Partner, Ernest Cuore, sein Leben verloren, indem er ein anderes geschützt hatte. Hätte er das nicht getan, wäre er jetzt noch hier! Sie schluchzte auf und heiße Tränen perlten aus ihren Augen. Er war bereit gewesen, für Gareas zu sterben! Und er opferte sich. Warum bloß?! Sie presste den Mund zusammen und verbiss sich einen Aufschrei. Weil sie die besten Freunde waren und vielleicht sogar mehr als das....Wenn Gareas nicht wäre, würde Ernest noch leben! Dieser verfluchte Heißsporn, der nicht nachdachte, wenn er sich in den Kampf stürzte! ER hätte sterben müssen, nicht der Mann, den sie liebte! Sie sank auf die Knie und trommelte mit ihrer Faust gegen den sterilen kühlen Boden.

"Ich....hasse....ihn....! Ich hasse ihn! Ich hasse ihn!" dachte sie verzweifelt und verbittert.
"Tune?"
Sie schrak hoch und erhob sich eilig, als sie Erts' Stimme hörte. Er sah besorgt aus und musterte sie mit einer Mischung aus Unruhe und Befürchtung, als ahnte er, wie ihr Herz sich quälte.
"Du....wolltest doch noch einmal nach Klein sehen. Hast du jetzt Zeit?"
"Ja. Natürlich."
Sie wischte sich nachlässig die Tränen aus dem Gesicht und näherte sich ihm.
"Danke, dass du dich so gut um die Göttin kümmerst." erklärte er mit einem sanften Lächeln und wischte einen der salzigen Tropfen fort, die noch in ihren Wimpern hingen. Plötzlich fühlte er ein machtvolles, dunkles Bild auf sich einströmen, das ihn erschreckte. Er zog seine Hand zurück, während seine Lotsin an ihm vorbeiging und verschwand. Sein Herz klopfte wie rasend. Unmöglich! Das konnte nicht sein! Aber seine Gabe hatte ihn noch nie getäuscht....! Seine Finger, an denen die alptraumhafte Vorstellung wie Schmutz zu haften schien, zitterten heftig. Nur eine einzige Emotion konnte im Inneren eines Menschen solch einen schwarzen Abgrund erzeugen, angefüllt mit Wut, Trauer und Schmerz. Sein Atem beschleunigte sich.
HASS....!
Erts wusste nicht, was er tun sollte. Es war der Kummer über Ernests Tod, den sie immer noch nicht überwunden hatte. Er fraß sie langsam auf....

Tune wanderte mit ausgreifenden, energischen Schritten, die so gar nicht zu ihrem eigentlichen Naturell passen wollten, durch die Korridore, bis sie den Aufzug erreicht hatte, der zu den Ingrids führte. Sie begab sich zur Luhma Klein und wiederholte einige Checks von gestern, mit denen sie nicht fertig geworden war. Fröhliches Lachen ließ sie sich verwirrt umschauen. Es waren Rioroute und Phil Phleira, die vor Keameia standen und alberne Zärtlichkeiten austauschten. Ihr wurde übel. Aus Neid. Warum durften alle um sie herum glücklich werden, nur sie nicht?!
Die junge Frau mit der großen gelben Schleife im Haar spürte den stechenden Blick, den ihre Freundin auf sie richtete. Was war los mit ihr? Sie tippte ihren Partner an und er wandte sich in Richtung Tune, zuckte aber ebenfalls vor dem feindseligen Ausdruck in ihrem Gesicht zurück.
"Äh....hallo Tune! Wie geht's?"
"Warum?"
"Warum? Warum was?" erkundigte sich der Pilot erstaunt, der die Situation allmählich als unangenehm zu empfinden begann. Der zornige Ton in ihrer Stimme behagte ihm gar nicht!
"Warum?!" wiederholte sie erbost. "Alle Welt verliebt sich um mich herum, jeder ist glücklich und zufrieden, trotz des Krieges, der um uns tobt!! Der Krieg, der Ernest das Leben gekostet hat!! Wie könnt ihr lachen und euch freuen, obwohl so viel Leid geschieht?! Und warum darfst DU den Mann behalten, den du liebst?! Als wenn deine Gefühle aufrichtig wären!! Hast du dich jemals so um ihn gekümmert, wie ich mich um Ernest?! Nein!! Eure ganze Beziehung ist doch bloß ein Spiel, nichts dahinter!! Ich will euer Theater nicht mehr sehen!!"
Es war ganz still geworden.
Irgendwo ging eine Tür.
Schritte.
Vielleicht.
Oder Einbildung.
Phil Phleira fixierte Tune mit ihren tiefgrünen Augen. Langsam, fast bedächtig, bewegte sie sich auf die andere zu. Noch nie zuvor hatte Rio sie so viel Entschlossenheit ausstrahlen sehen. Schließlich stand sie vor der Lotsin von Maschine 05 und maß sie genau ab, als hätte sie eine Fremde vor sich.
Im nächsten Moment knallte eine Ohrfeige.
"Jetzt habe ich aber genug!! Ich kann verstehen, dass der Tod eines geliebten Menschen nur schwer zu akzeptieren ist, aber das Leben geht weiter!! Du kannst dich doch nicht für immer in deine Trauer zurückziehen und alle anderen dafür verdammen, wenn sie glücklicher sind als du!! Glück verdankt man nicht nur anderen!! Es ist an dir, etwas aus deinem Leben zu machen!! Wenn du den Kummer in deinem Herzen nicht durch eigene Kraft besiegst, wird er dich besiegen und dich zerstören!! Was erwartest du denn?! Lebensgenuss rund um die Uhr, Sorgenfreiheit, Glück und Liebe wo immer du hinkommst?! Denkst du etwa, das Leben wäre eine Art Schlaraffenland, in dem dir die Erfüllung all deiner Träume in den Hals gestopft wird wie die gebratenen Tauben?! Du musst kämpfen - und wenn es sein muss, auch gegen dich selbst, denn allein man selbst ist seines eigenen Glückes Schmied!! Ernest wird niemals für immer sterben, denn er lebt in deinem Herzen weiter!! Was würde er sagen, wenn er wüsste, wie sich seine ehemalige Partnerin von ihrem Schmerz Stück für Stück auffressen lässt?!"
"Phil Phleira...." hub Rioroute an.
Sie schwieg atemlos, ihre Tränen krampfhaft unterrückend. Tune stand da, als wäre sie zu Stein erstarrt. Der Pilot legte die Arme um die Frau, die er liebte, und sagte:
"Ich verstehe deine Qual, glaub mir. Wenn Phil Phleira etwas zustoßen würde.... würde ich vermutlich genauso reagieren wie du. Ich könnte es auch nicht ertragen und würde mich von meiner Umgebung abkapseln. Ich würde ewig schönen Erinnerungen nachhängen, von dem träumen, was gewesen ist, weinen und schreien, mich aufgeben, die Hoffnung verlieren. Aber das wäre nicht richtig. Vielleicht würde mich auch erst eine Ohrfeige zur Vernunft bringen. Doch ich denke, ich wäre dankbar für diese Ohrfeige, von wem auch immer ich sie bekommen würde. Was ist mit Galew? Er hat sich sein stürmisches, energisches und doch irgendwo liebenswertes Wesen bewahrt, obwohl er mit dem Bewusstsein lebt, dass er hätte sterben sollen, nicht Ernest. Glaubst du, er ist glücklicher als du? Tief in seinem Herzen? Nein. Aber er kämpft. Er ist nicht bereit, sich von seinem Kummer vernichten zu lassen. Das Leben geht weiter. Er ist nicht in den gefährlichen, endlosen Abgrund der Trauer gestürzt, weil er bereit war, sich auffangen zu lassen. Er hat die hilfreichen Hände ergriffen, die sich ihm entgegenstreckten. Du hast jedoch von Anfang an jeden Trost von dir gewiesen. Nach außen gabst du dich gefasst und stark, aber du bist gefallen, immer tiefer, in ein kaltes Loch in deiner Seele. Der Hass auf Galew wird dir nicht helfen. Ihn für das verantwortlich zu machen, was geschah, ist keine Lösung. Er trägt die Überzeugung seiner Schuld schon mit sich. Diese Last ist schwer genug. Meinst du nicht auch?"
Tune antwortete nicht.
"Er hat recht."
Die drei Menschen in der Halle drehten sich überrumpelt um und bemerkten eine Gestalt im Türrahmen, die sie nicht erwartet hatten. Die Schritte waren wohl doch keine Einbildung gewesen.
Gareas.
"Hör zu. Ich weiß, dass Ernest für mich gestorben ist. Er opferte sein Leben, um mich zu schützen. Mit diesem Wissen weiterzuleben, ist nicht leicht. Es kostet viel Kraft, mehr vielleicht, als ich tatsächlich besitze. Ich trauere noch ab und zu. Aber ich weiß auch, dass Ernest nicht gewollt hätte, dass ich zu lange um ihn weine. Was soll ich tun, damit du mir glaubst? Dich um Verzeihung bitten? Das wird ihn nicht zurückbringen. Wenn du dich in deinem Schmerz verlierst, wird die Wunde in deinem Herzen nur größer und du wirst niemals mehr glücklich sein. Willst du das? Du hast viele, denen du etwas bedeutest - Phil Phleira, Kazuhi, Leena, weil du ihnen stets eine treue und gute Freundin warst. Und Rio, Yu, mich, Erts, weil du für uns da warst, wenn wir Probleme hatten. Du magst still und in dich gekehrt sein, aber wir alle wussten, wenn uns etwas plagt, konnten wir mit dir darüber reden. Selbst Teela hat sich um dich gesorgt, ein kleines bisschen wenigstens, und das ist bei ihr eine Menge. Gib nicht auf, Tune! Nicht hier und jetzt!"
Er betrachtete sie flehend.
"Lasst mich in Ruhe." erwiderte sie monoton und verließ die kleine Gruppe. Galew seufzte. So hatte er sich das gewiss nicht vorgestellt. Es war, als würde er gegen eine Wand anrennen, die immer dicker wurde, je öfter er dagegen schlug. Wie sollte er die grausamen Fesseln des Kummers und der Trauer zerreißen, wenn sie selbst dafür sorgte, dass sie von neuem damit umsponnen wurde? Oder war es bereits zu spät? Hatte er zu lange gezögert, um ihr eine rettende Hand zu reichen? War das wieder seine Schuld? Er kratzte sich am Kopf, und spürte, wie eine eigenartige Schwere von ihm Besitz ergriff. Er musste ihr helfen. Aber wie?

Phil Phleira und ihr Partner hatten sich diskret zurückgezogen, als Galew seine Rede beendet hatte. Tunes Reaktion war wie ein Schlag in die Magengegend gewesen. Plötzlich brach das Mädchen die lastende Stille.
"Ist unsere Beziehung wirklich nur ein Spiel?"
"Was meinst du damit?"
"Das waren ihre Worte. Ist es dir ernst oder bin ich nur eine unter vielen für dich?"
"Was soll das? Das müsstest du doch wissen."
"Ach? Und warum kannst du es mir nicht einfach sagen?"
Er schwieg.
".....Ha! Es ist also doch wahr! Für dich ist alles nur ein Spiel, ja? ,Ich liebe dich' ist nur hübsches Beiwerk, der Kuss war bloß Theater?"
"Fühlt sich ein Theater so....echt an?"
"Vermutlich bist du nur ein exzellenter Schauspieler!"

Rioroute trat auf sie zu, packte sie an den Armen und bog ihr Kinn mit gebieterischer Sanftheit nach oben.
"Phil Phleira. Das ist das erste Mal, das ich dir dies sage. Für mich gibt es keine andere Frau als dich, und wird es auch nie geben. Du lässt mein Herz singen, wenn du lächelst, deine Stimme ist wie der schönste Gesang für mich, deine strahlenden Augen lassen mich alle Sorgen und Nöte vergessen. Deine Berührungen befreien mich von meinen Schwierigkeiten, von meiner Angst, meinen Zweifeln. Selbst wenn ich versuchen würde, eine andere zu finden, es würde nicht funktionieren. Du bedeutest mir mehr als mein eigenes Leben, ich würde....ich würde für dich sterben, Phil Phleira. Es gibt kein Licht, keine Wärme, kein Lachen, kein Glück, wenn du nicht bei mir bist. Ich will niemanden außer dir. Wenn ich nicht dein Partner wäre, so wäre ich gerne dein Diener, nur um in deiner Nähe zu sein. Früher hätte ich jeden, der so was Kitschiges von sich gegeben hätte, in Grund und Boden gestampft, aber seit ich dich kenne, weiß ich, dass es das gibt, die große Liebe. Du bist die Luft in meinen Lungen, der Grund, warum ich kämpfe, der einzige Mensch, bei dem ich wirkliche Geborgenheit und Frieden finde. Ich liebe dich. Nichts und niemand wird je etwas daran ändern."
Um seine Worte zu unterstreichen, küsste er sie ein zweites Mal, innig und leidenschaftlich. Sie hatte den Eindruck, von einer mächtigen Woge mitgerissen zu werden. Ihr Glücksgefühl nahm eine Heftigkeit an, die sie erschreckte. In jeder Faser ihres Körpers ließ er sie spüren, wie sehr er sie liebte, begehrte. Ihr Herz war am Überlaufen. Sie presste sich an ihn, umschlang ihn fest, als wolle sie ihn nie mehr loslassen und erwiderte schließlich seinen Kuss. Ihre schwelenden Zweifel wurden fortgespült in einer einzigen, rauschhaften Sinneswahrnehmung. Wie hatte sie glauben können, dass er es nicht ernst meine....? Nachdem er sich von ihr gelöst hatte, betrachtete er sie lange und intensiv.
"Verzeih mir", flüsterte sie. "Ich hätte nicht...."
"Du sorgst dich um Tune, nicht wahr? Deshalb warst du auch so wütend. Du willst, dass sie einsieht, wie falsch der Weg ist, den sie eingeschlagen hat."
"Ja....Was soll ich tun, Rio? Ich möchte ihr helfen, aber ich weiß nicht, wie."
"Wir werden uns zusammen etwas überlegen, was meinst du? Wir dürfen nicht zulassen, dass sie sich selbst aufgibt. Ich bin bei dir. Wenn wir fest daran glauben, dass wir es schaffen, dann werden wir es auch schaffen."
"Du bist sehr optimistisch."
"An etwas zu glauben, ist nicht sinnlos oder unnütz. Es vermittelt dir Kraft und verleiht dir den nötigen Mut, den du brauchst, um im Leben zu bestehen. Weil du an mich glaubst, kann ich im Kampf stark sein, weil ich dein Vertrauen habe, kann mich niemand aufhalten. Tune hat ihre Hoffnung und ihren Glauben verloren. Wir müssen ihr bei der Suche danach helfen."
"....Rio.....ach Rio!"
Tränen traten ihr in die Augen und sie warf sich ihm an die Brust. Er ließ sein Kinn in ihrem weichen Haar ruhen und strich ihr zärtlich über den Rücken.
"Was auch immer kommen mag, wir bleiben zusammen. Der Krieg erzeugt viel Leid und Schmerz. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es unsere Zukunft ist, um die wir kämpfen. Weine nicht, mein Liebling. Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels, auch für Tune. Sie muss nur bereit sein, darauf zu zugehen."

Teela wanderte durch die dunklen Korridore der Raumstation. Ihre Schritte hallten von den kalten Wänden wider. Zion leuchtete ihr aus der Schwärze des Weltraums entgegen. Der Planet war wie ein Licht am Ende eines Tunnels. Tune hatte sich davon abgewendet. Aber noch war es nicht zu spät. Für niemanden.
"Ja. Du wirst diese Welt retten....Rei."

Wer träumt, dem wachsen Flügel.
Die nächste Folge heißt: "Curriculum 06: Freundschaft"