Curriculum
09: Bestimmung
Galew spürte einen kräftigen Schlag
und sah sich wütend um. Der Victim hatte ihn getroffen!
"Leena!
Das große Kaliber! Dem brat ich eins über, dass es ihn in
Stücke reißt!"
Seine Lotsin gehorchte, gab die
nötigen Daten ein und die Eeva Leena erhielt ihre Waffe. Der
grünhaarige Pilot feuerte eine riesige Salve ab, doch sein
Gegner baute ein Schutzschild auf und kam unbeschadet davon.
"Verdammt!"
Erts wurde von dem anderen Victim in
die Enge getrieben, doch plötzlich tauchte die Ernn Laties vor
der Grünen Göttin auf und schwang ihr Schwert. Die Kreatur
wich jedoch gekonnt aus. Teela fluchte leise. Noch nie hatte sie
einen so geschickten und aufmerksamen Feind gehabt! Die Agui Keameia
verwendete einige ihrer Granaten (kann man die Teile so bezeichnen?),
doch die zwei Wesen zeigten sich davon kaum berührt. Eines von
ihnen öffnete das Maul und eine gigantische Energiekugel raste
auf eine Gruppe von PRO-INGs zu. Im letzten Moment fuhr Einheit #88
dazwischen und errichtete eine Barriere um sich und seine
Mitstreiter.
"Gute Arbeit, Nr. 88!" rief Azuma und
hielt einen Daumen hoch.
Hiead legte sein Gewehr an, zielte und
schoss, doch der Victim schleuderte die Schüsse zurück als
wäre es nichts. Erschrocken ging er in Deckung, doch der Mecha
wurde an der Schulter getroffen. "Argh!"
Ikhny
unterdrückte einen Aufschrei. Oh nein, er war verletzt! Doch
halt! Sie durfte sich jetzt nicht in ihrer Angst verlieren, so würde
sie ihm gewiss keine Hilfe sein! Auch wenn sie ihn liebte, wenn sie
jetzt den Kopf verlor, konnte das sein Ende bedeuten, und das wusste
sie. Saki berührte flüchtig ihre Jackentasche, in der sie
Clays Brille barg und drückte sie sanft an ihr Herz. Noch war
alles in Ordnung, es bestand keine Gefahr für ihn, solange er
nicht angriff. Plötzlich bemerkte sie, wie beide Victims
gleichzeitig auf eine größere Ansammlung von PRO-INGs
zusteuerten. Wie im Traum sah sie #89 aus den Reihen hervorbrechen,
dicht gefolgt von #85 und #86. Wrecka und Tsukasa stießen einen
furchterfüllten Ruf aus. Die drei Einheiten umkreisten die
Kreaturen, die wild um sich schlugen, ohne darauf zu achten, wohin
sie trafen. Roose entkam durch einen Salto einem neuen Geschoss,
während Yamagi nach unten abtauchte, um dem stachelbewehrten
Schwanz des Wesens zu entgehen. Clay zog sein Schwert und hieb nach
einem der grässlichen Fangarme. In der nächsten Sekunde
fand er sich davon umsponnen und wurde zum Maul seines Gegners
gezerrt. Sakis Gesicht wurde aschfahl.
"Lass ihn in Ruhe, du
Missgeburt!"
Teela hackte die fleischigen Fesseln
auseinander und der Top-Schüler bedankte sich und kehrte zu
seinen erleichterten Freunden zurück. Nachdem sie den Jungen
gerettet hatte, fixierte sie ihre abstoßenden Kontrahenten. Sie
konzentrierte sich und ihr Haar leuchtete türkis auf. Ruhig
schloss sie die Augen und erinnerte sich an ihre Begegnung mit IHM.
Als sie eben die Arme über Kreuz legen wollte, um ihre
EX-Attacke loszulassen, spürte sie, wie einer der Victims seine
falkenartigen Klauen um den Rumpf der Weißen Göttin
schlang und sie mit dieser eisernen Klammer erbarmungslos festhielt.
Die zweite Bestie bereitete ein vernichtendes Geschoss vor. Zero sah
das. Entsetzt machte er mitten in der Bewegung kehrt und raste mit
atemberaubender Geschwindigkeit zur Ernn Laties, um ihr zu helfen.
Die Eeva Leena schoss eine neue Salve ab, doch die Kreaturen blockten
den Angriff ab. Rioroute platzierte erneut einige Granaten, doch auch
sie zeigten keine Wirkung. Die Reneighd Klein versuchte, von oben
durch das Schutzschild der Victims durchzustoßen, aber es
gelang ihr nicht. Zero jagte einen wahren Kugelhagel in die seltsame,
wie eine Blase geformte Barriere. Auch er blieb erfolglos.
"Teela!
Hörst du mich?! Antworte!" schrie Galew verzweifelt.
Das
Geschoss krachte frontal auf die Ingrid und schleuderte diese mehrere
Kilometer weit in das nachtschwarze All.
"TEELA!!!!"
Die
drei anderen Göttinnen und Zero folgten dem Mecha. Erts
überholte die Ernn Laties und fing sie auf. In seinem Kopf
formte sich ein entsetzliches Bild. Blut....!
"Eeva Leena und
Agui Keameia zurück zum Kampf! Bergung wird übernommen von
Reneighd Klein und Einheit #88!" entschied Zero energisch.
"Was
denkst du dir eigentlich, Anwärter?!" schnauzte Gareas ihn
an.
"Ich denke mir, dass es ein paar Kadetten nicht ohne
euch schaffen werden, die Victims zu besiegen! Also, kehrt um und
unterstützt sie!"
Der Befehlston in seiner Stimme ließ
keinen Widerspruch zu und die beiden Piloten begaben sich wieder zu
den gefährlichen Wesen. Erts stützte die Weiße Göttin
noch immer, seine Augen waren vor Unglauben und Fassungslosigkeit
geweitet. Das konnte nicht sein....! Sie konnte doch nicht....!
"Teela!" brüllte der braunhaarige Junge gegen das
Kampfgetöse an. "Sag etwas, irgendwas! Kannst du mich
verstehen?! Verdammt, Teela!!"
Diese Frau war seine
Verbindung zu all den Rätseln, die ihn, seine Person, betrafen,
sie war diejenige, die ihm das Leben gerettet hatte, damals, als
einer der Invasoren seine Kolonie angegriffen und die Schutzhülle
gegen das Weltall zerstört hatte. Dort draußen im
luftleeren Raum wäre er ohne sie erstickt. Und nun sollte
sie....?! Tränen traten ihm in die Augen.
"Hörst
du mich?! TEELA!!!"
Auf einmal breitete sich in seinem
Cockpit ein gleißendes Licht aus und er musste sich mit den
Händen vor der strahlenden Helligkeit schützen. Als er
wieder sehen konnte, stand die Top-Pilotin vor ihm. Ob das auch eine
Projektion ihres Geistes war, wie letztens?
"Mein Schicksal
hat sich heute erfüllt, Rei. Ich werde meinen vorherbestimmten
Platz einnehmen, so wie du den deinen."
"Deine
vorherbestimmten Platz? Ich weiß nicht, was du meinst...."
"Siehst du?"
Sie deutete mit ihrer Hand auf die
Weiße Ingrid und beschwor ein Bild der Pilotenkanzel herauf.
Zero erstarrte. Teelas Kopf war nach hinten gekippt, das lange Haar
fiel ihr wirr in die Stirn. Sie wirkte friedlich, fast so, als würde
sie schlafen. Doch das Blut, das ihre Schläfe entlanglief,
strafte diesen Eindruck Lügen. Sie war tot.
"NEIN!"
"Aber es ist so. Es war nicht geplant, dass ich meinen
Körper überhaupt über eine so große Zeitspanne
hinweg behalten würde. Ich wurde geboren, um die Seele einer
Göttin zu sein, um ihr ihre unverwechselbare Kraft zu verleihen
und um ihren wahren Piloten zu schützen, sollte er endlich seine
Aufgabe übertragen bekommen. Pilot zu werden ist kein
Lebensziel, aber ein Pilot zu SEIN, ist etwas ganz anderes. Du wirst
diese Welt retten. Es ist deine Bestimmung."
"Meine
Bestimmung? Was heißt das? Es war nicht geplant, dass du deinen
Körper behältst? Was soll das bedeuten? Die Seele einer
Göttin? Ich verstehe kein Wort! Ich habe doch noch so viele
Fragen! Warum sind wie ,gleich', wie du gesagt hast? Was wird hier
eigentlich gespielt? Und woher kennst du meinen richtigen Namen?"
"Finde den ,Guardian'. Er wird dir deine Fragen
beantworten."
"Den....'Guardian'? Wer oder was ist
das?"
"Er ist der Hüter des Retters von Zion. Durch
seine Adern fließt dasselbe Blut wie durch deine. Finde
ihn....und alles wird klar werden!"
Ihre Erscheinung begann
zu verblassen und war schließlich ganz verschwunden. Zero blieb
der Mund offen stehen. Was ging hier bloß vor?! Wild schüttelte
er den Kopf. Was hatten diese Geheimnisse mit ihm zu tun?! Er konnte
doch unmöglich allein den Letzten Planeten vor der Vernichtung
bewahren! Wie sollte er das schaffen?! Wütend biss er sich auf
die Lippen. Jetzt war er noch verwirrter als vorher! Das
Durcheinander seiner Gedanken wurde von Erts' monotoner Stimme
durchbrochen.
"Mr. Revord - hier spricht Erts Virny Cocteau,
Pilot 05. Rapport vom Schlachtfeld. Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu
müssen, dass Teela Zain Elmes, Pilot 01, tödlich verwundet
wurde. Wir können nichts mehr tun."
Ein langes
Schweigen antwortete ihm am anderen Ende der Leitung.
"........Bergen Sie den Leichnam und bringen Sie die Ingrid
zur Station zurück. Ich werde die Bestattungszeremonie in die
Wege leiten."
Gerade, als Maschine 05 die andere Göttin
unter den Armen packte, um sie nach GIS zu fliegen, ertönte ein
Schmerzensschrei. Dank seiner telepathischen Fähigkeiten hatte
der blonde Junge rasch die Quelle dessen ausgemacht. Einer der zwei
Victims hatte sich vom Brennpunkt des Gefechts entfernt und Zero
attackiert. Dieser, immer noch wie gelähmt von dem, was er
soeben erlebt hatte, konnte nicht mehr ausweichen. Ein PRO-ING hatte
sich dazwischen geworfen. Auf dem mattgrauen Panzer schimmerte die
Zahl 87.
"HIEAD?!"
"....Es ist.....schon zum
Kotzen mit dir.....Da schwingst du große Reden über die
Gefühlswelt anderer.....und kannst nicht mal.....auf dich selbst
aufpassen.....Du bist also doch ein Idiot...."
Ein blutiges
Rinnsal tröpfelte aus seinem Mundwinkel.
"Warum hast du
das getan?!"
"..............................Hmpf! Warum
wohl......?" grinste Hiead unverschämt und abschätzend.
"Stell dich nicht dümmer.....als du eh schon bist.....Du
hast es.....doch selbst gesagt.....Wir sind.....Freunde....."
Zeros musste schlucken, als er das hörte. Seine Augen flirrten
über das Kampfgetümmel. Teela war gestorben. Seine Freunde
und Kameraden waren verletzt, sogar sein einstiger Rivale hatte sein
Leben riskiert, um ihn zu schützen. Zion war in Gefahr. Die
Victims würden diese Schlacht gewinnen, wenn nicht bald etwas
geschah! Ein unbändiger Zorn stieg in ihm hoch. All dieser
Schmerz....das Leid....die Tränen....die Opfer....alles nur
wegen diesen verfluchten....!!!
"DAS WERDEN SIE BÜßEN!!!!"
Sein Haar erglühte türkis und blaue Blitze umgaben den
Jungen. Hiead hielt unwillkürlich den Atem an. PRO-ING #88 legte
die Arme über Kreuz und entsandte eine gigantische Energiewelle,
die den ersten Victim zermalmte. Azuma fiel die Zigarette aus dem
Mund, als er diese gewaltige EX-Reaktion sah. Bevor er richtig
begriffen hatte, was gerade los war, verschwand die Einheit einfach,
als hätte sie sich unsichtbar gemacht. Im Bruchteil der nächsten
Sekunde tauchte sie vor dem anderen Angreifer auf und mit einem Mal
schien es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Zero zog sein
Schwert und schlug seinen Feind in der Mitte entzwei. Sein Haar
leuchtete noch immer. Langsam beruhigte er sich. Er schloss die
Augen, konzentrierte sich und die Zeit kehrte in ihre normalen Bahnen
zurück. Der Kampf war entschieden. Kizuna konnte es nicht
fassen. War das....ihr Rei gewesen?
Teelas Körper lag,
umgeben von unzähligen Blumen, in einem Sarg, ihr Gesicht immer
noch wie schlafend. Die Belegschaft von GIS hatte davor Aufstellung
genommen. Erts legte Tune die Hand auf die Schulter und sie wandte
sich zu ihm um, um ihm dankbar zuzulächeln. In ihren Wimpern
hingen Tränen. Kazuhi stützte ihren genesenden Bruder ein
wenig. Beide wirkten gesetzt, aber dennoch betroffen. Rio hielt
während der Zeremonie die Hand seiner Lotsin und er merkte, wie
sie zitterte. Gareas trat nach vorne, wechselte einen Blick mit
Leena, die krampfhaft ihre Schluchzer zu verbeißen versuchte,
und vollführte das Ehrenzeichen.
"Die letzte Ehre!"
Der Sarg wurde geschlossen und ins All hinausgeschossen, wo er in
Richtung Zion schwebte. Heute schien der Planet in ein beinahe
unwirkliches Licht getaucht zu sein. Nach dieser traurigen, aber
festlichen und auch schönen Bestattung, die dem Charakter Teelas
und ihrem Mut und ihren Verdiensten Genüge getan hatte, kehrte
Phil Phleira in ihr Quartier zurück, sank auf ihr Bett und brach
in Tränen aus. Es war einfach schrecklich, wenn jemand starb!
Warum konnte nicht endlich Frieden herrschen?! Es klopfte. Sie
schluckte mühsam und bat den Besucher herein. Es war Rioroute.
"Hi! Ich....hab mir gedacht, diese Sache nimmt dich ganz
schön mit und na ja, da wollte ich noch mal nach dir sehen. Es
ist dir doch recht?"
"Ja, natürlich. Komm rein."
Verzagt betrachtete sie ihn, wie er vor dem Fenster ihres Raumes
stand. Seine Haut war von einem gesunden Schein übergossen und
seine Augen leuchteten warm und tapfer. Er war wunderschön in
der Stärke und Kraft seiner Jugend. Nachdem er eine Weile nach
draußen geblickt hatte, seinen eigenen Gedanken flüchtig
nachhängend, wandte er sich zu Phil Phleira um und lächelte
ihr zärtlich zu. Ein elektrisierender Schock durchfuhr sie. Sie
liebte ihn in diesem Augenblick mit einer solchen Heftigkeit, dass
sie dem Drang nicht zu widerstehen können glaubte, sich an ihn
zu pressen, ihn mit Küssen zu bedecken und ganz leise
leidenschaftlich zu rufen: "Rio! Oh Rio, mein Liebster!" Er
stutzte über den verwirrten Ausdruck in ihrem Gesicht. Er
bedeutete ihr, sich neben ihn auf das Bett zu setzen. Rio vermutete,
dass Teelas Tod sie so aufgewühlt hatte. Auch ihn hatte es
getroffen, doch jetzt war das nicht mehr wichtig, denn er meinte,
dass Phil Phleira seinen Beistand nun wesentlich nötiger hatte.
Sie kam zögernd näher und nahm neben ihm Platz, vermied es
jedoch, ihn direkt anzusehen. Dies verwunderte ihn nur noch mehr und
er legte ihr fürsorglich den Arm um die Schultern, um sie zu
trösten.
"Tu das nicht", flüsterte sie leise.
Er begriff nicht. Hing es etwa mit ihm zusammen?
"Habe
ich....dir irgendwie wehgetan? Habe ich dich durch irgendwelche
unbedachten Worte verletzt? Wenn ja, dann sag es mir!"
Sie
schüttelte den Kopf.
"Das ist es nicht....bitte, lass
mich los. Ich....ich....fürchte mich....."
"Vor den
Victims? Seit wann denn das? Oder vor dem Krieg an sich? Aber du
warst doch immer so mutig....Fürchtest du dich
etwa....vor....mir? Phil Phleira, was ist denn?! Ich kann es nicht
verstehen, wenn du es mir nicht erklärst!"
Er ergriff
ihre Schultern und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Die ihren
schwammen in Tränen, was ihn schmerzte.
"Was ist denn
nur? Sag es mir!"
Seine Stimme flehte, verzweifelt vor
Angst, sie möglicherweise verloren zu haben. Ihre Lippen
zitterten. Das erdfarbene Feuer, das ihr entgegenblickte, verbrannte
sie förmlich und jagte ihr ein irritierendes und zugleich
angenehmes Prickeln über die Haut.
"Du....verstehst....nicht...." brachte sie mühsam
hervor. "Ich.....fürchte mich vor dem, was du....was du in
mir auslöst.....Teela ist tot und mir ist, als würde alles
über mir zusammenfallen.....und dann kommst du und fängst
mich auf....Ich glaube, noch nie zuvor war mir deutlicher bewusst als
heute, dass ich eine Frau bin....und du ein Mann....Der Tod ist es,
den ich fürchte, Rio. Ich habe mir immer jemanden gewünscht,
der mich festhält, der für mich da ist, wann immer ich ihn
brauche, der....der mich wärmt, wenn die Kälte der Welt
einen Menschen aus dem Leben reißt, den ich gekannt habe und
die daraufhin in mich eindringt wie eine Krankheit....Dir würde
ich alles geben, ich hoffe, du weißt das....Manchmal träume
ich davon, meinen Körper an den deinen zu schmiegen und all das
Leid, den Krieg und die Gefahr, meine Angst und die Bedrohung der
Menschheit in deiner zärtlichen Umarmung zu vergessen und
einfach nur in den nächsten Tag hinein zu träumen, geborgen
in deiner Wärme...."
Rioroute starrte über ihren
Kopf hinweg in die Schwärze des Alls außerhalb des
Fensters. Ihr Geständnis bewegte ihn zutiefst. Nie hätte er
erwartet, dass je ein Mensch so in Liebe zu ihm vergehen würde.
"Deshalb will ich nicht, dass du....mich
berührst.....denn.....ich glaube, dass.....ich dir nicht mehr
widerstehen kann......all das bringt mich furchtbar durcheinander!
Ach, ich weiß, dass das, was ich sage, keinen Sinn ergibt!"
Urplötzlich, sich selbst dessen kaum bewusst, umarmte sie
ihn und erstickte ihre Schluchzer im Stoff seiner Uniform. Gleich
einem Blitz drang das Verlangen in die Lenden des jungen Mannes. Er
fühlte sich schwach werden, konnte ihre Brust spüren, die
sie gegen die seine drückte, empfand ihre Wärme, die eine
ungekannte Hitze in ihm erzeugte.
"Phil....Phleira...."
flüsterte er, teils fassungslos, teils überwältigt,
teils verwirrt, teils liebevoll. Angestrengt richtete er sie wieder
auf, versuchte er, ihr mit seinen Händen etwas Haltung zu geben,
doch sie wollte sich nicht aufrichten lassen, ihn nicht loslassen. Er
wusste nicht, was er tun sollte. Zaghaft hob er ihr Gesicht mit den
wunderschönen, smaragdgrün leuchtenden Augen zu sich empor.
Ihre Wimpern waren immer noch feucht, ebenso ihre Wangen, aber sie
weinte nicht mehr. Sie wagte ein schmales Lächeln.
Rio
durchlief ein heißes Zucken. Ihm war, als schmelze er dahin,
gefangen von dem Sog dieser, ihrer Augen. Ihre Haut war unglaublich
zart, ihr glänzendes Haar strich sanft über seine Finger.
Ihre Lippen hatten die Farbe von Rosenblüten oder jungen
Himbeeren angenommen. Eine Woge des Begehrens wallte in ihm auf, ließ
sein Blut schneller kreisen und beschleunigte seinen Atem. Phil
Phleira merkte deutlich, dass die Leidenschaft in ihm aufzukeimen
begann. Mit einem Seufzer gab sie es auf, sich zu wehren. Vorsichtig
streifte ihr Mund seine rechte Wange. Er kapitulierte, noch ehe ihr
dies wirklich klar wurde. Seine Stimme schien von weit her zu kommen.
"Ich....liebe....dich....Ich liebe dich...."
Mehr
Worte brauchten sie nicht. Hingegeben und eingelullt in die Wonne des
Augenblicks, überließen sie sich der anonymen Dunkelheit
des Abends und ihrer Liebe.....
Azuma verließ das Büro
seines Vorgesetzten.
"Mr. Revord hat sich gemeldet. Er hat
einen neuen Piloten angefordert. Die Auswahl überlasse ich
Ihnen."
Mit ernstem Gesichtsausdruck und ausgreifenden
Schritten durchmaß der Ausbilder die Korridore von GOA. Wie
erwartet kehrten die Top-Schüler gerade von der Gedenkzeremonie
zurück, die man zur Ehrung von Teela Zain Elmes auf der Akademie
abgehalten hatte. Saki hatte Clay seine Brille zurückgegeben und
klammerte sich nun an seine Hand. Es war schrecklich, dass die
Top-Pilotin gestorben war! Die fünf Jugendlichen und ihre
Partnerinnen reagierten verwirrt auf Azumas Aufforderung, ihm schnell
zum PRO-ING-Übungsgelände zu folgen. Sollte er angesichts
der Tragödie, die sich soeben ereignet hatte, das letzte
Training nicht lieber ausfallen lassen? Schließlich waren sie
alle an dem Ort versammelt, an dem der Kapitän seine Rekruten
haben wollte.
"Nummer 88!"
"Ja!" Zero
trat vor und legte die Hand aufs Herz. Sein Lehrer räusperte
sich kurz, als suche er nach den richtigen Worten.
"Es ist
jetzt 18 Uhr 25. Ich habe die Aufgabe erhalten, dich zum vollwertigen
Piloten zu ernennen! Pack deine Sachen!"
"......Was
sagen Sie da?!"
"Du hast mich verstanden. Abmarsch!"
Kurz darauf stand der Junge vor seinem Schrank und räumte
seine persönliche Habe in einen Koffer. Seine Uniform für
offizielle Anlässe trug er ja bereits. Kizuna half ihm beim
Packen.
"Ich kann es immer noch nicht glauben - du bist
wirklich ernannt worden. Du hast es geschafft! Dein großer
Traum geht in Erfüllung!"
"Ja. Ja, ich weiß.
Aber dass Teela dafür sterben musste, betrübt mich sehr.
Sie meinte zwar zu mir, das sei ihre Bestimmung gewesen, so, wie es
die meine gewesen sei, Pilot zu werden, aber dennoch....ich habe
plötzlich das Gefühl, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu
sein....Wie könnte ich diese Welt retten....? Und dann diese
Sache mit dem ,Guardian'...."
"Wer?"
"Ach
nichts, vergiss es."
Als Zero (eigentlich Rei) und seine
Partnerin die große Halle betraten, herrschte völlige
Stille. Mit einer spürbaren Beklommenheit ging er den roten
Teppich entlang, der zum Aufzug führte, von wo aus er in ein
Shuttle steigen und zum Trägerschiff GIS gebracht werden würde.
Fast am Ende sah er seine Freunde in der Reihe stehen.
"Clay
Cliff Fortran!" wandte er sich an den mittlerweile wieder
bebrillten Kadetten. Dieser trat vor und erwiderte das Ehren- und
Grußzeichen.
"Ich wollte mich verabschieden."
Sie gaben einander die Hand und lächelten sich an.
"Viel
Glück, Zero."
"Yamagi Kushida, Roose Sawamura!"
rief er, als die beiden sich mehr oder weniger gleichzeitig aus der
Aufstellung schoben, wodurch keiner von beiden vorwärts kam.
Zero wartete geduldig, bis die zwei ihre Glieder entwirrt hatten und
reichte einmal Anwärter Nr. 85 und dann Anwärter Nr. 86 die
Hand.
"Du wirst mir fehlen", erklärte Roose und
zupfte verlegen an seinen Hemdsärmeln herum. Yamagi schlitterte
verärgert auf dem Glatteis der Rührung umher, schlug seinem
Kameraden schließlich im gut gemeinten Sinn auf die Schulter
und sagte: "Versprich mir, dass du denen dort auf GIS mindestens
genauso auf die Nerven gehst wie uns!"
"Klar doch!"
Jetzt war Kadett Nr. 87 dran.
"Zu dir sage ich nur ,Auf
Wiedersehen', Hiead, denn ich bin überzeugt, dass auch du bald
Pilot werden wirst. Wünsch mir Glück und drück mir die
Daumen - ich werde es jedenfalls für dich tun."
"Hau
endlich ab."
"Sag, was du willst, mein Freund - wir
werden uns wieder sehen. Und ich erwarte den Tag unserer erneuten
Begegnung mit Ungeduld. Ich weiß nicht, warum....aber irgendwie
habe ich den Eindruck, dass das Band zwischen uns gedeihen könnte.
Du brauchst Freunde, Hiead - du weißt, wo du mich finden
kannst."
Nun sah er sich Azuma gegenüber.
"Streng
dich an, Bursche. Ich glaube wirklich, dass du es verdient hast, dein
Ziel zu erreichen. Halt die Ohren steif."
Zero bedankte sich
und Kizuna strahlte vor Stolz.
"Zum Gruß!" Bald
erfüllte der Klang der Schulhymne den Saal und der
Frischernannte und seine Lotsin wechselten über in das
bereitgestellte Shuttle. Die Musik spielte noch, als GIS vor ihnen
auftauchte. Ein Echo hallte im Kopf des Jungen wider.
"Es
ist deine Bestimmung...."
Wer träumt, dem
wachsen Flügel.
Die nächste Folge heißt:
"Curriculum 10: Verzeihen"
