Curriculum 10: Verzeihen

Teela öffnete die Augen und betrachtete die Gefechtsbrücke außerhalb der Weißen Ingrid. Wie oft hatte sie hier gestanden und sich für den Kampf vorbereitet. Doch nun hatte sich ihr Schicksal erfüllt - sie war zur Seele der Göttin geworden, wie es schon immer geplant gewesen war. Sie wurde geboren, um Seele, um Beschützer zu sein. Wie spät war es wohl? Seit sie gestorben war, hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Sie lächelte. Rei würde bald eintreffen. Sie freute sich schon darauf.

Tatsächlich war Zero seit gestern bereits auf dem Trägerschiff. Man hatte ihm und Kizuna Piloten- und Lotsendress ausgehändigt und ihnen ihre Quartiere zugewiesen. Beide hatten in ihrer ersten Nacht dieses neuen Lebensabschnitts aus Nervosität unruhig geschlafen und dementsprechend unausgeruht begannen sie am nächsten Tag mit ihrer Aufgabe. Das Mädchen hatte vor dem Kontrollpult Aufstellung genommen, während ihr Partner, zum ersten Mal in das Gewand eines Piloten gekleidet, ehrfürchtig die Ernn Laties betrachtete, von der er oft geträumt hatte. Irgendwie erschien ihm die Situation seltsam unwirklich.
"Registrierung des neuen Piloten. Starte den Vorgang."
Registrierung läuft. entgegnete die etwas verzerrte Stimme des Computers. Name des Piloten?
Der Junge holte einmal tief Luft.
"Name des Piloten: Zero Enna."
Name des Lotsen?
"Name des Lotsen: Kizuna Towryk."
Neuer Codename?
"Rei?" Sie wandte sich an ihn und erkannte, dass er mit sich selbst im Clinch lag. Sie trat auf ihn zu und umarmte ihn.
"Was ist los?"
"......Könntest du den.....Vorgang noch einmal starten?"
"Das könnte ich. Aber warum?"
"Ich habe meinen wahren Namen zu lange verleugnet. Das muss aufhören. Ich heiße Rei. So will ich registriert werden, so will ich von den anderen angesprochen werden. Ich wollte einmal stolz sein auf diesen, meinen Namen. Aber dazu muss ich ihn tragen. Schluss mit Zero. Ich habe ,Rei' viel zu lange vergessen. Hilf mir, ihn zurückzuholen."
Sie nickte, drückte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen und ihre Hände flogen ein weiteres Mal über das Schaltpult.
"Registrierungsvorgang wiederholen. Neu starten."
Registrierung läuft. Name des Piloten?
Er hob den Blick, seine Schultern und seine Haltung strafften sich. Seine dunkelblauen Augen strahlten Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit aus.
"Name des Piloten: REI Enna."
Name des Lotsen?
"Name des Lotsen: Kizuna Towryk."
Neuer Codename?
"Da muss ich nicht überlegen. Der Codename soll nicht geändert werden, sondern so bleiben, wie er ist. Ich werde Teelas Andenken in Ehren halten."
Codename nicht geändert. Göttin ,Ernn Laties' ist bereit.
"Damit ist es also getan. Jetzt bin ich wirklich ein vollwertiger Pilot. Aber ich bin auch der Anführer der Pilotenstaffel, da ich die Weiße Ingrid - Maschine 01 - fliege. Glaubst du, ich werde erfolgreich sein? Glaubst du, sie werden diese, meine....neue, mir fremde Position akzeptieren?"
Kizuna betrachtete ihn schweigend und intensiv. Unter dem Blick ihrer schönen Augen fühlte er sich dahin schmelzen wie Schnee in der Sonne.
"Du wirst es schaffen. Du bist ein guter Kämpfer und besitzt Führungsqualitäten. Sie werden dich akzeptieren."
"Führungsqualitäten? Ich?"
"Ja, du. Ich glaube an dich und vertraue dir. Aber das wichtigste ist, dass du dir selbst auch vertraust. Du weißt doch, dass ich dich liebe. Ich werde immer für dich da sein und auf dich aufpassen. Du wirst ein fabelhafter Pilot sein!"
"Kizuna....du bist wundervoll."
Er wollte sie gerade küssen, als ein ohrenbetäubender Alarm ganz GIS erschütterte. Ein Beben durchlief die Einrichtung. Zero bzw. Rei spürte eine dunkle Aura und fuhr herum. Ein Victim! Die Präsenz eines Victims!
"Piloten bereitmachen!"
Wie auf Kommando betraten die anderen die Gefechtsstation. Erts kam als erster. Er erblickte seinen Freund und eilte auf ihn zu.
"Ich freue mich, dich wieder zu sehen, Zero. Herzlich willkommen in unseren Reihen!"
"Danke, Kumpel. Aber halten wir uns nicht unnötig auf. Höflichkeiten können wir später noch austauschen. Der Kampf hat Priorität!" Erts lächelte.
"Du hast recht. Auf gute Zusammenarbeit....First!"
Rei erstarrte für einen Moment. Die Bezeichnung des Ersten Piloten! Er hatte ihn tatsächlich....!
Yu folgte seiner Schwester zu seiner Einheit. Er war jetzt soweit wieder hergestellt, dass er kämpfen konnte. Galew postierte sich vor seinem Mecha und Leena checkte noch einmal alles durch. Phil Phleira und Rioroute küssten sich, bevor die junge Frau sich zu der Gelben Göttin wandte. Tune winkte ihren Partner heran und das Cockpit der Reneighd Klein öffnete sich. Kizuna zwinkerte Rei aufmunternd zu und er setzte ein zuversichtliches Grinsen auf.
"Eeva Leena bereit!"
"Telia Kallisto bereit!"
"Agui Keameia bereit!"
"Reneighd Klein bereit!"
Plötzlich wurde es still. Alle drehten sich zu dem neuen Mitstreiter in ihrer Mitte, der zudem noch ihr Anführer sein würde. Er hatte nichts von Teelas Eleganz oder ihrer geheimnisvollen Ausstrahlung - aber er wirkte entschieden und verantwortungsbewusst. Gareas erinnerte sich an das gestrige Gefecht. Das war der Anwärter, der die Bergung übernommen hatte. Der Junge verfügte über viel Mut, zweifellos!
"Ernn Laties bereit!"
".......Gut. Wir sind soweit.......Piloten auf ihre Plätze!" befahl Rei etwas zögernd. Er war zwar weder schüchtern noch zurückhaltend, aber der Status, den er nun inne hatte, war noch so unbekannt und zugleich auch überwältigend für ihn - er musste sich erst daran gewöhnen. Als letzter verschwand er im Inneren der Ingrid. Es war ein seltsames Gefühl und kaum zu beschreiben, es war ihm, als versinke er tatsächlich im Körper eines anderen. Ein Lichtkreis formte sie um ihn, als er die Hände ausstreckte und die Einheit aktivierte. Seine Wangen wurden heiß und es erschienen die Zeichnungen darauf, die auch auf dem Gesicht der Göttin zu sehen waren. Die schweren Torflügel zu beiden Seiten seines Stellplatzes ächzten zur Seite und der Mecha bewegte sich nach vorne, Richtung Abschussröhre (Ihr wisst ja, was ich meine). Rei hatte den Eindruck, eingehängt zu werden wie eine lose Tür, doch dann ging ein Ruck durch die Ingrid und die Geschwindigkeit nahm zu, während er sich der eigentlichen Startbahn näherte.
"Start!" dröhnte es dumpf von irgendwoher an seine Ohren. Das All umfing ihn. Er breitete seine Arme aus und flog. Es war großartig!

Roose kletterte aus seinem PRO-ING. Das Training war vorbei. Es war eigenartig, Zero nicht mehr dabei zu haben, aber andererseits hatte er es verdient, dass sein Traum sich erfüllte.
"Essen wir zusammen?" fragte Wrecka, als er aus der Simulation herauskam.
"Nein. Ich ziehe es vor, allein zu essen." erwiderte er in einem kalten Ton. Sie biss sich auf die Lippen. Jetzt, wo sie endlich begriffen hatte, war es zu spät. Roose sprach nur noch über das Nötigste mit ihr und die Zuneigung und Wärme, die sie früher so gut gekannt hatte, waren aus seinen Augen verschwunden. Sie hatte ihm sehr wehgetan und ihn behandelt wie....Sie wagte nicht, weiter darüber nachzudenken. Sie nahm ihm seine Haltung nicht übel. Er war gleichgültig, so wie sie es gewesen war. Ja, sie konnte es verstehen.....und dennoch....warum machte es ihr dann bloß so viel aus?! Ihr Herz fühlte sich wund und roh an. Als Rick sie abgekanzelt hatte, war sie bestürzt gewesen, aber nicht traurig.
"Was erwartet dieser Sturschädel denn von mir?!" grübelte sie wütend vor sich hin. Sie stolperte in ihr Quartier - Tsukasa war nicht da, weiß der Teufel, wo die steckte - und warf sich auf ihr Bett. Zahllose Erinnerungen strömten durch ihren Geist....

RÜCKBLENDE

Wrecka war wieder sechzehn Jahre alt. Sie hockte im Gang und weinte. Sie hatte gedacht, dieser Mistkerl würde sie lieben! Und dann schmuste er heimlich mit einer der Krankenschwestern! Was für ein verlogener, scheinheiliger Bastard!
"Wrecka! Was hast du?"
Durch einen Schleier von Tränen blickte sie hoch und erkannte Roose. Sie wollte nicht, dass er sie so aufgelöst und verletzt sah, weshalb sie sich abwandte und zischte: "Das geht dich nichts an! Lass mich in Frieden!"
Er blieb.
Behutsam setzte er sich neben sie, schlang einen Arm um ihre bebenden Schultern, zog ihren Kopf an seine Brust und sprach mit sanfter und freundlicher Stimme auf sie ein.
"Weine doch nicht. Wenn du mich fragst, ist Dave keine einzelne deiner Tränen würdig. Er ist ein Trottel und keinen Schuss Pulver wert. Er hat dir sehr wehgetan, nicht wahr? Ich verstehe dich. Es tut weh, mit ansehen zu müssen, wie sich jemand, den man liebt, einer anderen Person verschreibt, selbst, wenn derjenige, dem die Gefühle gelten, sie nicht immer verdient hat. Aber ein anderer wird kommen, ein Junge, der dich wirklich von ganzem Herzen liebt und der alles für dich tun würde. Dem es egal ist, ob du manchmal zickig, oberflächlich, leichtherzig, ein bisschen verrückt und voreilig bist. Denn er wird selbst deine schlechten Eigenschaften lieben, weil sie dich ausmachen, den Menschen, der du bist. Gedulde dich ein bisschen. Wer weiß, vielleicht ist er dir näher, als du glaubst."

ENDE DER RÜCKBLENDE

"Verdammt!"
Ihre Faust krachte gegen die Trennwand zwischen den beiden Betten. Nun war sie in Tränen ausgebrochen. Noch niemals zuvor hatte ihr Herz dabei so grauenhaft geschmerzt! Diese Worte....wie hatte sie das vergessen können?! Er hatte ihr praktisch sein Herz ausgeschüttet und sie hatte es nicht kapiert!!
"Wer weiß, vielleicht ist er dir näher, als du glaubst."
Warum hatte sie es nicht begriffen?! Warum nur?! So blöd konnte einer alleine doch gar nicht sein!! Sie hatte ihn schon einmal verletzt, durch ihre Beziehung mit Dave - aber da war es noch anders gewesen, denn in diesem Fall war sie stets zu Roose gekommen, wenn sie sich über ihren Freund geärgert hatte. Sie hatte ihn - im Gegensatz zu der Sache mit Rick - nicht wie Luft behandelt und.....Ihr wurde ganz heiß, als ihr ihre wegwerfende Handbewegung auf dem Ball einfiel. Bei Gott! Was hatte sie getan?! Seine Erscheinung quälte sie mittlerweile. Das fein geschnittene Gesicht, die dunkelgrünen Augen, das smaragdfarbene Haar, der geschmeidige Körper und sein süßes Lächeln....die Wärme seiner Hände, wenn er sie trösten wollte, der Klang seiner angenehmen Stimme, so liebevoll und fast zärtlich, die Weichheit seiner Haut....Um alles in der Welt, wie hatte sie so maßlos blind sein können?! Nein! Sie musste dem ein Ende bereiten! Sie musste ihm sagen, dass es ihr leid tat und dass sie nie wieder eine solche Dummheit begehen würde! Wrecka raffte sich auf, wischte sich die salzigen Perlen aus den Augen und suchte ihren Partner.

Der Victim spie eine Feuerkugel aus, die auf Rio zu raste. Er wich gekonnt aus und baute ein Schutzschild für die übrigen Göttinnen auf. In diesem Moment wechselte die Kreatur ihren Kurs und schoss auf Zion zu.
"Formation 4D! Wir müssen verhindern, dass er den Planeten erreicht!!"
Sofort reihen sich die Ingrids gemäß Reis Befehl in die angegebene Formation ein und nahmen die Verfolgung auf.
"Rio! Du sicherst die Umgebung! Erts! Du hältst Ausschau nach weiteren möglichen Angreifern! Galew, Yu! Wir schnappen uns das Biest!"
"Alles klar, First!" ließ sich der Pilot der Eeva Leena vernehmen. Der Bursche gefiel ihm. Er war weitaus humorvoller und nicht immer so gefühlsarm, wie Teela es gewesen war. Natürlich hatte er sie respektiert und ihr Tod bestürzte ihn, doch gemocht hatte er sie nie in dem Sinn. Geschätzt, ja - aber es war keine Freundschaft entstanden, so wie zwischen ihm und Rioroute und Yu. Klar, der schweigsame Bursche hatte manchmal Anwandlungen, die ihn nervten, aber Yu konnte auch äußerst ungemütlich werden (vor allem, wenn es um seine Schwester ging!) und im Grunde war er ein lieber Kerl, auch wenn er es nicht gerne zeigte. Na und Rio - die offene und fröhliche Art, wenn auch ab und an etwas frech und ungestüm, musste man einfach gern haben! Außerdem, was Ungestüm betraf, davon konnte er selbst auch ein Lied singen! Der Victim kam in Schussweite. Gareas wartete, bis Leena ihm den Container schickte, packte schließlich die Waffe und feuerte. Das Wesen wurde davon schwer getroffen und trudelte nach hinten. Blut brach aus einer Wunde hervor.
"Kallisto! Das Schwert!"
Die Rote Göttin preschte vor und in einem gleichmäßigen, präzisen Schlag wurden die Tentakeln abgetrennt.
"Bericht zur Lage!" Erts meldete sich.
"Keine Victims mehr in Sicht. Er ist allein. Beenden wir den Kampf."
"Gib ihm den Gandenstoß, First!" rief Rio lauthals.
"Also dann...."
Rei konzentrierte sich auf sein EX. Sein Haar schimmerte türkis auf und er überkreuzte die Arme. Nachdem er sie wieder ausgebreitet hatte, erleuchtete eine große, weit hin sichtbare Explosion den Weltraum. Der Feind war vernichtet.
"Für deinen ersten Einsatz gar nicht mal schlecht, Kleiner!" grinste Galew. "Natürlich fehlt dir noch die nötige Erfahrung und bis du mal meine Weltklasse hast, na ja, das wird noch dauern, aber gibt nicht auf! Du könntest es schaffen - vielleicht!"
"Vielen Dank. Ich fühle mich höchst geehrt. Wie schlecht muss man denn sein, um deine Klasse zu erreichen?" kam die schlagfertige Antwort prompt zurück.
"..........................Im Ernst - du gefällst mir, Kleiner!"
Nachdem die Einheiten nach GIS zurückgekehrt waren, fiel Kizuna ihrem Piloten um den Hals.
"Du warst super! Einsame Spitze!"
"Meinst du wirklich?"
"Klar doch! Hey, schließlich hab ich alles gesehen, ich werde das am besten beurteilen können! Und jetzt komm mit!"
"Was? Wohin?"
"Wir müssen deine Daten noch in die Pilotenkartei eintragen, damit du vom Bordcomputer registriert wirst. Beeil dich!"
"Ist das denn so wichtig? He!! Zerr nicht so!!"
Das Mädchen betätigte einen Knopf und ein Bildschirm flimmerte an. Sie klickte das Feld "PILOT DATA" an und gleich darauf erschienen die Konterfeis der Piloten, nebst den wichtigsten Fakten.

Name: Gareas Elidd
Alter: 19
Blutgruppe: E0
Partnerin: Leena Fujimura
Einheit: Maschine 02 - Blaue Göttin, Eeva Leena

Name: Yu Hikura
Alter: 18
Blutgruppe: E0
Partnerin: Kazuhi Hikura
Einheit: Maschine 03 - Rote Göttin, Telia Kallisto

Name: Rioroute Vilgyna
Alter: 18
Blutgruppe: E0
Partnerin: Phil Phleira Deed
Einheit: Maschine 04 - Gelbe Göttin, Agui Keameia

Name: Erts Virny Cocteau
Alter: 16
Blutgruppe: E0
Partnerin: Tune Youg
Einheit: Maschine 05 - Grüne Göttin, Reneighd Klein

"Siehst du? Sobald deine Daten eingegeben sind, wirst du natürlich ganz oben stehen, in der zahlenmäßigen Reihenfolge der Ingrids. Soll ich wirklich deinen richtigen Namen eintippen, oder....?" Er nickte.
"Ich habe mich entschieden. Ich will unter diesem Namen kämpfen!"
"Nun gut." Ihre Finger huschten über die Tasten.

Name: Rei Enna
Alter: 17
Blutgruppe: E0
Partnerin: Kizuna Towryk
Einheit: Maschine 01 - Weiße Göttin, Ernn Laties

Er berührte nachdenklich sein rechtes Handgelenk. Gestern noch hatte darauf jene Zahl geprangt, die ihm so vertraut geworden war - die 88. Auf dem Shuttle war die Markierung bereits entfernt worden. Es war wirklich ein neuer Lebensabschnitt, der jetzt für ihn begonnen hatte. Und er hoffte, dass er jenen "Guardian" finden würde, von dem Teela gesprochen hatte. Dieser würde ihm alle Fragen beantworten. Rei seufzte. Er hatte viele Fragen....
"Was ist? Bedrückt dich irgendetwas?"
"Nein. Ich....habe nur nachgedacht. Das ist alles noch so neu für mich....aber es ist ein super Gefühl, in einer echten Ingrid zu sitzen und sie zu steuern! Ganz anders als in einem PRO-ING! Ein Gefühl, als wärest du eins mit einer wunderbaren, starken Kraft! Es war....unglaublich!"
Er umfasste ihre Hüften, hob sie hoch und wirbelte sie herum, bis ihr schwindelig wurde und sie ihn lachend bitten musste, sie wieder auf die Füße zu setzen.
"Wie leicht du bist! Als hättest du Flügel!"
Sein strahlendes Lächeln ließ sie erröten.
".....Ah, red nicht so einen Mist! Es reicht, dass ich Katzenohren habe! Ich bin schon hässlich genug!!"
Er nahm ihr Gesicht unweigerlich in beide Hände und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.
"Das will ich nicht noch einmal hören! Du bist ganz und gar nicht hässlich. Ich finde deine Ohren sogar sehr hübsch, sie sind niedlich. Du bist wunderschön, Kizuna. So schön, dass selbst die Schwingen eines Engels mit ihrem glänzenden Schein nicht traumhafter sein könnten als das Leuchten deiner Augen."
Ihr Herz tat einen gewaltigen Sprung. Seine Stimme war zu einem samtenen Flüstern herabgesunken und klang mit einem Mal tief und erstaunlich männlich. Noch bevor sie etwas sagen konnte, zog er sie in eine feste Umarmung und küsste sie innig. Kizuna vergaß alles andere um sich herum. Wie herrlich war es doch, geliebt zu werden....

Wrecka fand ihren Partner. Er war im Erholungsraum und saß unter einem Baum. Roose öffnete die Augen, als ein Schatten auf sein Gesicht fiel.
"Du." stellte er teilnahmslos fest. Ihr schnürte sich die Kehle zu.
"Ich....ich wollte dich um Entschuldigung bitten. Ich weiß, dass ich mich falsch verhalten habe und dass ich dich sehr verletzt habe. Es tut mir wirklich furchtbar leid. Du verzeihst mir doch, nicht wahr? Ist jetzt alles wieder wie früher?"
"Nein."
Ihr heiterer Gesichtsausdruck veränderte sich abrupt, wie unter einer gewaltigen Sturmflut. Sie war nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte.
"Sagtest du ,nein'?"
"Genau das. Wrecka....es geht nicht nur um Solares. Die Tatsache, dass du nicht einmal auf die Idee gekommen bist, ich könnte etwas für dich empfinden, trifft mich weitaus schlimmer. So, wie ich mich um dich bemühte, hat es jeder sofort kapiert, nur du nicht - weil alles, was ich für dich tat, zu selbstverständlich war. Nicht jeder Anwärter kümmert sich so bereitwillig und gern um seine Lotsin, wie ich es bisher immer getan habe - das beste Beispiel ist Hiead. Ich war nett zu dir, habe dir stets geholfen, wo ich nur konnte, habe deine Tränen getrocknet....Sicher, dank deiner speziellen Diät - unser kleines Geheimnis, neh? - ist aus mir ein schlanker Bursche geworden, aber ich zweifele mittlerweile daran, ob das allein ausreicht, um aufzuwiegen, was ich für dich getan habe. Deine Oberflächlichkeit ist enttäuschend. Ich hatte angenommen, mit der Zeit würdest du erkennen, warum ich mich um dich gesorgt habe, doch dem war nicht so. Jemand anderes musste es dir auf die Nase binden! Das ist schade. Schade und bedauerlich. Ich bin keine Maschine, die auf Knopfdruck bei dir auftaucht und Kummerkasten spielt. Warst du denn nicht glücklich, wenn ich da war, um dir zuzuhören? Hat dir mein Trost gar nichts bedeutet?"

"Doch! Es war schön, wenn du mir beigestanden hast....aber...."
"....aber du hättest niemals vermutet, dass mehr dahinter stecken könnte als Freundschaft, was? Und da behauptest du vor anderen, du wärst so sensibel! Ha! Ein Stein ist sensibler als du!"
Tränen bildeten sich in seinen Augenwinkeln und er wandte sich schnell ab.
"Warum....hast du es nicht begriffen?.....Warum hast du es einfach nicht begriffen?!"
"Es....es tut mir leid, Roose, ehrlich. Ich habe Verständnis dafür, dass du dich mir gegenüber kälter gibst als vorher, ich habe es verdient. Trotzdem....es ist genug. Verzeih mir, bitte."
"Weißt du....wenn ein Mensch durch eigene Schuld etwas verloren hat, packt ihn ziemlich rasch die Reue. Aber aus irgendeinem Grund geht dieser Mensch auch davon aus, mit einer Entschuldigung wäre alles wieder in Ordnung. Manchmal funktioniert das. Aber es gibt Fälle, in denen die Wut und der Schmerz nicht durch ein paar Worte rückgängig gemacht werden können. Nein, Wrecka. Alles war für dich zu selbstverständlich. Verzeihen ist aber nicht selbstverständlich. Erst, wenn du wirklich verstanden hast, werde ich dir verzeihen."
"Erst, wenn ich wirklich....? Was redest du da?! Ich weiß doch, dass du in mich verliebt bist! Was denn noch?!"
"Siehst du? Noch hast du meine Lektion nicht in vollem Umfang erschlossen. Ich kann es in deinem Herzen erkennen, ganz tief drin. Aber bevor ich es nicht auch aus deinem Mund höre und deine Augen in diesem Gefühl leuchten sehe, kann ich nicht daran glauben. Und jetzt lass mich bitte allein."
Sie nickte und verließ ihn. Ihre Schritte waren mechanisch, ihre Knie drohten, ihrem Gewicht nachzugeben. Noch niemals zuvor war sie sprachlos und ohne Gegenwehr aus einem Gespräch hervorgegangen. Plötzlich rannte sie, als werde sie von einem Victim gejagt. Blindlings lief sie durch GOA, stieß sich den Ellbogen an oder rammte jemanden....es war ihr egal. Sie sah tatsächlich nichts. Ihr Blick war verschwommen und undurchsichtig wegen der Tränen, die unaufhaltsam über ihre Wangen perlten.
Ja.
Sie verstand Roose, wusste, warum er sie kälter behandelte.
Sie. Hatte. Es. Verdient.
Sie musste dies als Lektion annehmen.
Er hatte recht. Es sollte sie nicht weiter stören.
Sie. Hatte. Es. Verdient.
Dennoch....
....WARUM MACHTE ES IHR SO VIEL AUS?!?!

Wer träumt, dem wachsen Flügel.
Die nächste Folge heißt: "Curriculum 11: Wärme"