Curriculum 11: Wärme

Er öffnete die Augen. Der Lichtblitz war vorbei. Er schaute sich um und sein Blick verwandelte sich in reines Entsetzen und eine unbeschreibliche Fassungslosigkeit. Um ihn herum lagen tote Menschen. An manchen Leichen klebte noch Blut. Zögernd näherte er sich einem Mann, der mit dem Gesicht im Schmutz lag. Ein Bündel Geldscheine ragte aus seiner geöffneten Tasche. Die Hand des Jungen streckte sich zitternd danach aus. Langsam zog er das Geld heraus und verstaute es sorgsam. Dann drehte er sich um lief davon. Er lief. Und lief. Und lief. Ohne zu wissen, wohin. Die Toten blieben hinter ihm zurück.
"Ich habe diese Kraft, um zu überleben. Und ich werde sie auch weiterhin dafür nutzen!"
"Denkst du, dass das richtig ist?"
Der Junge hielt verwirrt an. Wer sprach da zu ihm? Seine Ohren nahmen das Klicken eines Pistolenhahns wahr. Wie in Zeitlupe wandte er sich zu der fremden Stimme, die ihm zugleich merkwürdig vertraut war. Jemand stand vor ihm, mit der Waffe im Anschlag. Der Lauf schimmerte kalt und tödlich. Die Gestalt trug eine Kapuze, sodass der Junge sie nicht erkennen konnte.
"Du hast diese Kraft, um zu kämpfen. Für den Frieden. Und um ,ihn' zu schützen."
"Das....weiß ich. Ich....kann sie nicht kontrollieren."
"Dann lerne, sie zu kontrollieren. Du hast gesehen, was deine Macht anrichten kann, wenn du sie nicht beherrschst."
Silberne Tränen sprangen aus den Augen des Jungen.
"Ich wollte das nicht!! Ich wollte nicht, dass sie sterben!! Aber....einer von den Männern....er wollte mich zu meiner Familie zurückbringen! Da habe ich Angst gekriegt!"
"Angst? Wenn du zu deiner Familie zurückkehren könntest?"
"Diese Leute sind nicht meine richtige Familie! Sie haben mich adoptiert. Aber ich hasse sie! Sie brauchten keinen Sohn, sondern eine billige Arbeitskraft für ihre stinkende Gerberei! Er war ein Trinker und sie...."
"....sie starb, nicht wahr?"
Ein heiseres Schluchzen antwortete der Gestalt.
"Sie....sie hat mich immer verprügelt....vor allem, wenn ich nicht schnell genug gearbeitet habe. Einmal hat sie....mich so fest geschlagen, dass....dass ich zu bluten anfing....alles tat mir weh.... Sie sagte, ich sei ein Ungeheuer, kein richtiger Mensch, weil ich diese Kraft habe....'Du elendes Monster!' nannte sie mich, wenn sie wütend war....Eines Tages verlor ich die Beherrschung.... Meine Kraft....ICH.....brachte sie um....Er warf mich hinaus und sagte, ich solle nie mehr wiederkommen....'Hoffentlich zerreißen dich die Straßenköter! Dann kriegen sie wenigstens einmal in ihrem Leben einen vollen Magen! Dann bist auch du einmal zu was gut! Sollen deine Knochen auf der Mülldeponie verfaulen!' Das waren seine letzten Worte an mich....ich sah ihn nie wieder....wollte ihn nie wieder sehen....und als die kamen und mich zurückschleifen wollten, war ich ganz verzweifelt....Aber jetzt sind auch die tot, denen ich nicht wehtun wollte! Vielleicht stimmt es ja....dass ich ein Monster bin...."
Er weinte herzzerbrechend und seine wilden Schluchzer hallten in der Umgebung wider. Ein Schuss erklang. Erschrocken hielt das Kind den Atem an. Die Kugel war knapp neben seinem Kopf eingedrungen. Nun senkte die Gestalt die Waffe.
"Du bist kein Monster. Du bist anders als die anderen, und alles, was anders ist, erzeugt Misstrauen. Einmal warst du glücklich, aber das ist schon lange her. Du wurdest mit dem Bewusstsein deiner Mission geboren. Du darfst sie niemals vergessen. Du musst ,ihn' schützen. Ihr seid gleich und doch nicht gleich. Du wurdest geschaffen, um ,ihn' zu verteidigen, mit deinem Leben, wenn es sein muss. Man hat dir wehgetan und dein Herz und deine Seele verletzt und ein schwarzes Loch in deinem Inneren zurückgelassen. Die Einsamkeit greift mit ihren giftigen Schlingen nach dir, um dich endgültig zu zermürben. Du musst stärker sein als sie. Stärker, um deine Aufgabe erfüllen zu können. Vergiss es nicht, hörst du? Vergiss nie, warum du diese Kraft wirklich erhalten hast. Vergiss es nicht......Hiead....."

"AH!!"
Anwärter Nr. 87 schreckte aus dem Schlaf auf, schweißgebadet. Seit Zero Pilot geworden war, wiederholte sich der selbe Traum immer wieder, Nacht für Nacht. Er wusste auch, warum. Seiner Aufgabe wegen. Von Zero getrennt zu sein, bedeutete, dass er ihn nicht würde beschützen können. Diese Träume hatte er zuletzt gehabt, als er noch auf seiner Kolonie gelebt hatte. Mit den Jahren wurden sie immer seltener, bis....bis er vergass. Das vergass, was er nie hätte vergessen dürfen. Nachdem er auf GOA eingeschult worden war, begannen die Träume von neuem, anfangs nur bruchstückhaft, wie etwa damals im Quarval, als er sich selbst mit der Pistole sah. Sein anderes Ich, das ihn zu erreichen versuchte, das Ich, das er hätte werden können, wäre alles gut gegangen. Aber es lief schief. Nach und nach wuchsen die Träume zu ihrem früheren Ausmaß an - und jetzt waren sie häufiger und intensiver als je zuvor. Seine Aufgabe war so wichtig! Wie hatte er es vergessen können?! Es existierte nur ein Grund für ihn, warum er Pilot werden musste - Zero. Nein. Rei. Er musste ihn beschützen!
Na, bereite ich dir mal wieder eine unheimliche Begegnung der eigenen Art?
Diese seltsam transparente, beinahe singende Stimme gehörte zu seinem anderen Traum-Ich, das des älteren Hiead mit der Pistole in der Hand. Die geisterhafte Erscheinung sass auf der Bettkante und grinste den jungen Mann herausfordernd an. Durch dieses Grinsen entwickelte er eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Rei.
"Verschwinde!"
Ich weiß, dass ich dir auf die Nerven falle, aber hey, das war schließlich alles nicht geplant. Dass dein Unterbewusstsein, also das, was du hättest sein sollen und bloß nicht geworden bist, dich an deine Mission erinnern muss, das hatte keiner vor! Streng dich gefälligst an und werde Pilot, sonst gibt Rei doch noch den Löffel ab und dann ist der Krieg sowieso entschieden - natürlich nicht zu unseren Gunsten, klar! Kannst du nicht endlich ein bisschen netter sein?
"Ich habe ihm schon zweimal das Leben gerettet."
Da ist was dran. Aber der Unterschied ist: Beim ersten Mal hast du's nicht zugegeben. Erst beim zweiten Mal. Aber immerhin, für dich ist das 'ne enorme Leistung. Davon rede ich im Moment allerdings gar nicht.
"Wovon dann?"
Mann, wie kann man so begriffsstutzig sein? Von Ikhny natürlich!
Hiead schwieg.
Du magst sie doch, oder? Warum sagst du's ihr nicht?
"Ich....kann das nicht. Ich glaube....ich glaube, vor einem Kampf, der meinen Tod zur Folge haben könnte, hätte ich weniger Angst, als vor einem Geständnis meiner...."
Er hielt inne und biss sich auf die Lippen, bestürzt darüber, wie viel von seinen wahren Gefühlen er hatte durchblicken lassen.
....deiner Liebe?
Stille.
Ach Hiead. Menschen fällt es oft schwer, sich selbst zu verstehen. Der Kampf ist das Element, in dem du aufgewachsen bist. Niemand hat dir beigebracht, wie man mit Gefühlen umgehen soll und selbst denen, die normal großgeworden sind, bereitet das Schwierigkeiten. Hör auf dein Herz und auf die Entscheidungen, die es dir diktiert, denn mit dem Verstand wirst du nicht weit kommen.
"Was soll ich denn tun?!" fuhr er auf. Clay regte sich im Schlaf.
Sei leiser. Du willst ihn doch nicht aufwecken.
".....Ich.....kann ihr das nicht sagen. Ich habe viel zu viel falsch gemacht, ihr wehgetan, sie behandelt wie....ich will gar nicht daran denken. Dabei ist sie so schwach, so verletzlich, so scheu und verzagt...."
Aber ihr Herz ist stark Genau wie das von Rei. Sie ist stärker als du, innerlich. Aber wenn du ihr dein Herz öffnest, wird sie dich auffangen und dich von deiner Einsamkeit befreien. Einsamkeit ist Kälte, eisige, brutale, tödliche Kälte. Liebe dagegen ist Wärme, wohltuende, sanfte, lebensspendende Wärme. Mit ihren klaren braunen Augen kann sie bis tief in dich hineinsehen. Sie wirkt wie ein zarter Schmetterling oder wie eine zerbrechliche Blume und doch geht eine unbeschreibliche Kraft von ihr aus....diesselbe unbändige Kraft, die Blumen beweisen, wenn sie sich nach einem Unwetter wieder aufrichteten, um erneut der Sonne ihre Blüten entgegenzustrecken. Lass ihre wunderbare Wärme auf dich einströmen, lass sie dich erfüllen und die starre Barriere um dein Herz auftauen. Noch ist es nicht zu spät, Hiead.
"Aber....sie....verstehst du denn nicht?! Sie...."
Du hast Angst, nicht wiedergeliebt zu werden?
"Nach allem, was ich ihr angetan habe...."
Sie hat dich längst durchschaut. Sie liebt selbstverständlich nicht deine Fassade, das Unnahbare, Gemeine, Herzlose, Kühle, Aggressive. Sie liebt dein inneres Selbst, den verzweifelten, unglücklichen, einsamen, traurigen jungen Mann, der sich nach Liebe, nach Wärme, nach Frieden und Freude sehnt, der wieder vertrauen möchte, der sich Freunde und ein normales Leben wünscht, eine Familie, in deren Mitte er glücklich werden kann. Ikhny ist nicht schwach. Sie könnte dein Licht, deine Stärke, deine Hoffnung werden - wenn du ihr sagst, was du fühlst.

"Du klingst schon wie Rei."
Komm schon. Wenn man bedenkt, wer du bist bzw. wer du hättest werden sollen - nämlich so wie ich - dann ist das nicht weiter verwunderlich. Du bist ihm gleich und doch sein Gegensatz. Ihr ergänzt einander. Du musst Pilot werden, um ihn schützen zu können.
"Ich kann nicht glauben, dass sie mich liebt. Wie könnte sie?"
Frag sie.
Damit verschwand die Erscheinung. Hiead sank in sein Kissen zurück und seufzte. Sein Unterbewusstsein stellte sich das so einfach vor - logisch, das war der Junge, der er hätte werden sollen, ein Junge aufgewachsen in einem Kreis von liebenden Menschen, zusammen mit ,ihm', vorbereitet auf seine Aufgabe, um sie schließlich auch auszuführen. Aber alles war einen anderen Weg gegangen....Er musste Pilot werden, ja. Und er musste Mr. Revord treffen. Immerhin verdankte er diesem Mann seine Existenz....
"Ach Rei. Du hast von nichts eine Ahnung. Begreifst du überhaupt, wie groß die Bedeutung ist, die deiner Rolle in diesem Spiel zukommt? Durch unsere Adern fließt dasselbe Blut...."
Er zog die Decke wieder über sich und versuchte, ins Land der Träume zurückzureisen. Doch erst gegen Morgen fiel er in einen bleischweren Schlaf.

Clay rüttelte seinen Kommilitonen heftig.
"Aufwachen, Hiead! Sag mal, wie lange bist du gestern noch auf geblieben? Nun komm schon, los!! Azuma wird nicht ewig warten!"
Mühsam kletterte der silberhaarige Rekrut aus den Federn und trollte sich in die Dusche. Clay schob seine Brille zurecht und murmelte: "Das ist wirklich sehr interessant."
Endlich war auch Anwärter 87 fertig. Saki und Ikhny warteten bereits vor dem Quartier auf ihre Partner. Das Schild draußen wies nur noch die Ziffern 87 und 89 auf - der Raum selbst war zu einem Doppelzimmer geworden, seit Zero fort war und auf GIS lebte. Das rothaarige Mädchen begrüßte Clay mit einem zärtlichen Kuss und sie gaben einander die Hände, während sie sich zu den PRO-INGs begaben. Hiead verfolgte diese beiden Gesten mit einer leichten Spur von Neid. Wie gern hätte auch er....Er spürte Ikhnys Blick auf sich gerichtet und wandte den Kopf in ihre Richtung. Verlegen sah sie woanders hin. Bildete er sich das nur ein, oder war sie rot geworden? Sie erreichten den Übungsplatz, wo gerade Yamagi dabei war, Roose durch die Mangel zu drehen.
"Yama-kun!!! Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?! Musstest du so fest zuhauen?!"
"Nenn mich nicht Yama-kun!!!!"
Der nächste Faustschlag donnerte Einheit #85 gegen einen Felsen und riss den linken Arm des Mecha der Längsseite nach auf. Der Kampf war vorüber.
"Tut mir leid, Kumpel. Ich bin schlechtgelaunt."
"Das bist du schon eine ganze Weile! Ärgerst du dich immer noch darüber, dass Miranda mit dir Schluss gemacht hat?!"
Tsukasa hörte davon zum ersten Mal. Die Beziehung war....in die Brüche gegangen? Weshalb? Alles schien so harmonisch gewesen zu sein....Gespannt wartete sie darauf, was Yamagi wohl erwidern würde.
"Sie hat nicht mit mir Schluss gemacht, um das gleich klarzustellen. Ich habe mit ihr Schluss gemacht."
"Ach? Und wieso? Ich dachte, es lief so gut zwischen euch beiden?"
"Hör mal, können wir das unter vier Augen besprechen? Die kriegen das alles mit!"
"Eh? Okay, in Ordnung."
Nachdem er PRO-ING #86 verlassen hatte, machte er den Platz auf dem Gelände frei für Clay und ging. Tsukasa folgte ihm rasch.
"DU hast mit ihr Schluss gemacht? Aber...."
".....Warum interessiert dich das?" fragte er schroff.
"Weil....."
,....ich dich liebe' wollte sie sagen, aber plötzlich fehlte ihr der Mut dazu. Es war schon schwer genug gewesen, diese Erkenntnis zu akzeptieren. Vermutlich hatte er lediglich mit Miranda gestritten. Nach ein paar Tagen würde das wieder gekittet sein und sie würden wieder zusammen sein....und Tsukasa würde erneut in ihr Kissen schluchzen, bis es tropfnass war. Wrecka konnte ihr nicht helfen, die schlug sich zur Zeit mit ihren eigenen Schwierigkeiten herum. Dabei war es doch offensichtlich, warum ihre Freundin unter dem kühleren Verhalten ihres Partners litt....!
"Weil?"
"Vergiss es." wehrte das Mädchen ab. Jetzt nur den hübschen Burschen nicht ansehen! Yamagi betrachtete sie eingehend und seine Augen wurden auf einmal ungewöhnlich weich.
"Miranda passt nicht zu mir. Außerdem....bin ich nicht aus ernsten Gründen mit ihr zusammengekommen. Ich....bin in jemand anderen verliebt. Richtig verliebt."
"Was?!"
Sie vernahm seine Worte, doch sie wollte es nicht glauben. Ihr Herzschlag setzte für eine Sekunde aus. Er war bereits verliebt? Das konnte doch nicht....! Das konnte doch nicht wahr sein!

Hiead und Clay visierten sich gegenseitig an.
"Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich mich bei dir für meinen Krankenstationsaufenthalt bedanke, mein Bester. Aber da ich nicht brutal bin, werde ich kurzen Prozess machen!"
Seine braunen Augen glühten entschlossen. Saki konnte unter diesem Strahlen förmlich vergehen. Wer hätte gedacht, dass er einmal so viel Kampfeswille an den Tag legen würde? Wodurch auch immer das geschehen sein mochte....
"Dich putze ich weg wie nichts, Feigling! Mach dich bereit!"
In diesem Moment verfärbte sich Clays Haar in ein etwas grell anmutendes Gelb, und bevor Hiead wusste, wie ihm geschah, hatte PRO-ING #89 ihm die Beine weggetreten. Als er sich erheben wollte, klappte es nicht. Was war da los?! Ikhny scannte das rechte Bein der Maschine.
"Das Gelenk ist beschädigt. Ein minimaler Fehler und leicht übersehbar - kann aber gefährlich werden. Es....es tut mir leid."
"Wie kann man nur so nachlässig sein?! Willst du mir erzählen, dass du das erst jetzt merkst?!"
"Sie kann nichts dafür, Hiead. Mein EX hat den Fehler für mich gefunden. Meine Aufnahme-fähigkeit ist bis ins Unendliche steigerungsfähig. Ich kann jede Beschädigung, falsche Programmierung, egal was, und sei es noch so winzig, registrieren und dementsprechend handeln. Diese Gabe ist zwar für einen turbulenten Kampf weniger nützlich, aber taktisch richtig verwendet...."
"Hmpf! Das richtige EX für dich, was?"
"Du hast es erfasst."
"Dann geht die Runde wohl an dich, wenn ich mich nicht rühren kann?"
"Auch das ist korrekt."
Der Silberhaarige antwortete nicht, er murmelte nur etwas Unverständliches vor sich hin. Das heutige Morgengefecht war schlecht ausgefallen. Seine Laune sank unter Halbmast. Azuma beglückwünschte Clay und schickte Hiead nach draußen. Er marschierte den Gang entlang, mürrisch und gereizt. Ikhny folgte ihm.
"Mach dir nichts draus. Man kann nicht immer gewinnen."
"Lass mich in Ruhe!"
Er schrie es fast, bereute es aber praktisch sofort.
"Aber....ich....ich wollte doch nur...."
Sie schluckte und Tränen traten ihr in die Augen. Hiead verfluchte sein hitziges Temperament. Nein! Er wollte nicht, dass sie weinte!
"Musst du schon wieder flennen? Du hast doch gesagt, du hasst mich. Warum solltest du dich also noch um mich kümmern?"
"Ich.....ich habe.....gelogen. Ich....ich hasse dich nicht. Du magst dich unfreundlich, eisig und unmenschlich mir gegenüber gezeigt haben, aber....aber je länger ich dich kannte, umso deutlicher wurde mir bewusst, dass du dein wahres Ich hinter einer steinernen Maske versteckst, um nicht verletzt zu werden. Die Angst hat dich so verschlossen werden lassen, nicht wahr? Ich meine nicht die Angst vor dem Tod. Ich meine die Angst vor der Einsamkeit. Du hast dich davor gefürchtet, allein zu sein, allein mit deinen Qualen, mit deiner Trauer, mit deinen Wunden, die eine vernarbte Seele zurückgelassen haben. Jeder neue Tag stellte dich vor die Frage, ob du ihn überleben würdest. Du wolltest nie an Morgen denken, denn vor dem Morgen hattest du Angst. Du fürchtest dich vor den Dingen, die du nicht erfassen kannst - wie Gefühle....Man sollte keine Angst haben vor dem, was kommt. Wenn es Menschen gibt, die dich auffangen, wenn du fällst - dann wirst du dich auch ohne Flügel über die Angst erheben. Was kann ich tun, damit du mir glaubst? Alles, was ich von dir verlange, ist eine Chance! Du hast genug gelitten. Du musst erfahren, was Glück und Liebe bedeuten. Es gibt kein Wesen ohne Gefühle. Daran glaube ich. Zu lange hat die Grausamkeit der Welt dich in ihren unbarmherzigen Klauen festgehalten. Es wird Zeit, diese Ketten zu sprengen. Was du brauchst, ist Wärme. Wärme, um die Kälte in dir zu besiegen. Hiead...."
Die Art und Weise, wie sie seinen Namen aussprach, überhaupt alles, was sie gesagt hatte, in einem zärtlichen, sanften Ton, ließ ihn schaudern. Sie näherte sich ihm langsam. Er wich bis an die Wand vor ihr zurück. Behutsam und ohne Hast umschlossen ihre schlanken und doch kräftigen Arme seinen Körper. Sie drückte sich an ihn, legte ihren Kopf an seine Brust und lauschte dem raschen Schlag seines Herzens, der sich nach und nach beruhigte. Tatsächlich durchströmte die Wärme ihrer Berührung ihn von den Haarspitzen bis hinunter in die Zehen. Er hatte noch nie zuvor ein so zartes und schönes Geschöpf wie sie in den Armen gehalten, geschweige denn, so nah an sich gespürt, dass er ihren wundervollen Duft nach Rosenblüten einatmen konnte. Sie flüsterte etwas.

"Du warst immer so einsam, Hiead. Du verdienst so viel Liebe...."

Wer träumt, dem wachsen Flügel.
Die nächste Folge heißt: "Curriculum 12: Angst"