Das Gemälde
Die Farbtöne auf diesem Gemälde waren einfach, hm, hinreißend. In den Gängen stand ich schon, glaube ich, eine geschlagene halbe Stunde. Ging von Bild zu Bild und genoss es einfach mich von ihnen verzaubern zu lassen. Aber dieses hier war anders. Vielleicht von einem anderen Maler.
Ein kleiner Engel war in der Mitte des Bildes. Eine Träne kullerte über sein zartes Gesicht. Sah man in seine Augen, erkannte man sofort die Trauer und Einsamkeit, die versucht worden war, zum Ausdruck gebracht zu werden. Mein Herz zog sich ein wenig zusammen. Ich sollte mich auf etwas anderes konzentrieren.
Warum ich hier schon so lange auf dem Gang stand? Weil ich keine Ahnung hatte, was ich als nächstes tun sollte.
Sollte ich einfach zum Prinzen gehen und,... und,... und... Und was? Ich wusste es nicht. Ich konnte mit ihm nicht einfach hinaus in den Garten und mit ihm Verstecken spielen, wie mit einem Kleinkind.
Doch sein Verhalten war absolut, die eines Kindes. Erst spielte er den reizenden Elb, der mit einem Gentleman nicht zu verwechseln war und auf einmal war er wie ausgewechselt. Arrogant, unhöflich, respektlos. Was wollte er damit bloß erreichen? Und warum sah ich es als Aufgabe an, das herauszufinden? War mir wirklich so langweilig? War ich wirklich so verzweifelt, eine Arbeit zu finden, dass ich sogar bereit war, die nächsten Jahre damit zu verbringen, einen ungezogenen "Bengel", zu einem wahren Prinzen zu machen? Das kann es doch nicht sein.
Aber der König hatte mich nun endgültig eingestellt. Er setzte auf mich.
Vielleicht hätte ich einfach zu Hause bleiben sollen und Delyn, der mir ja das alles hier eingebrockt hatte, hätte das einfach irgendwie ausgebadet. Wenn er es ausgebadet hätte. Auf ihm war nie Verlass, wenn es mal darauf ankam.
"Was starrst du so auf dieses Bild?"
Ich schreckte hoch und erkannte meinen Bruder, der gerade auf mich zuschritt. Warum hatte ich ihn nicht kommen hören? War ich denn wirklich so vertieft in meine Gedanken gewesen?
Ich zuckte mit den Schultern und drehte mich zu ihm. Mein Blick wurde ausdruckslos.
"Was machst du hier? Solltest du nicht Wache stehen oder so?"
Einen Moment lang schien er zu überlegen, bevor er mir antwortete.
"Nun. Ja. Aber ich wollte mir eine kleine Pause gönnen und sehen wie es meiner kleinen Schwester geht. Wie ich höre, hast du die Stelle angenommen."
Für einen kurzen Moment konnte ich sein schelmisches Grinsen sehen. Seine Augen strahlten triumphierend. Ich fand das gar nicht so zum Feiern.
"Wenn du es so nennen willst. Ich sag dir aber, es ist trotzdem deine Schuld."
Wir sahen uns beide eine lange Zeit nur an, ohne ein Wort zu wechseln. Und ich grübelte derweil noch immer, was ich als nächstes tun sollte.
"Deliwiel?"
"Hm?"
Delyn wurde auf einmal ganz ernst. Seine Augen verhärteten sich und sein Grinsen war schon längst verschwunden.
"Hast du niemals darüber nachgedacht, warum ich dir diese Stelle besorgt habe?"
Etwas schnippisches wollte meinem Mund entfliehen, aber Delyn's Blick machte es unmöglich. Ich war wohl ebenfalls gezwungen, ernst zu werden.
"Ein Unfall?" Ich verstand nicht warum er mich das fragte.
Er stellte sich neben mich und drehte sich zum kleinen Engel. Lange betrachtete er das Bild. Genauso wie mich, zog es auch ihn in den Bann. Doch mir schien, dass er das Bild nicht zum ersten Mal gesehen hatte.
'Natürlich nicht, du Idiot. Er verbringt ja auch seine ganze Zeit im Palast.'
"Vom wem glaubst du, stammt dieses Bild, Deliwiel?" Perplex sah ich das Bild und dann wieder ihn an. Ich schüttelte den Kopf.
"Woher soll ich das wissen."
"Prinz Legolas hat es gemalt. War gar nicht so lange her, weißt du?"
Meine Augen weiteten sich.
"Ja, aber...Er?" Unglaublich. Noch einmal sah ich das Bild an.
Ich wusste nicht warum, aber ich glaubte zu Wissen, warum Delyn mir das erzählte.
"Das Bild spiegelt seine Seele wieder." Es war eine Feststellung. Eine traurige Feststellung.
Delyn lächelte zufrieden.
"Ein Grund warum ich wollte, dass du seine Anstandsdame werden solltest."
"Das war Absicht??????" schrie ich entsetzt und aufgebracht.
"Pscht. Sei doch still oder willst du, dass ich entdeckt werde."
Langsam stieg wieder meine Wut hoch. Leider ein Charakterzug, denn ich nicht so leicht kontrollieren konnte.
"Du..."Aber Delyn hielt einen Finger auf meinen Mund.
"Lass mich erst einmal erzählen. Bitte." Flehte mein lieber Bruder.
Ich nickte etwas genervt. Ich hoffte er hätte eine gute Erklärung für sein Verhalten. Heute hatte ich nämlich wirklich schon genug.
"Du bist jemand, der das Leben in vollen Zügen genießt, egal wie schrecklich der Tag auch sein mag, du bist der Sonnenschein unserer Familie. Vom Nervenbündel und Quälgeist kaum zu schweigen. Aber darum geht es nicht. Legolas wird sein Verhalten so nie ändern, so wie es jetzt weitergeht. Er ist stur und zu jedem unfreundlich der ihm über den Weg läuft. Sein Vater wollte mit einer Anstandsdame, Kindermädchen, ach ich weiß nicht was genau er wollte, aber er wollte jemanden haben, der das Verhalten seines Sohnes endlich ändern würde. Da habe ich sofort an dich gedacht."
"Äh..." Na das hatte er wirklich geschafft.
"Delyn ich bin doch schon als seine Anstandsdame eingestellt worden. Du hast erreicht was du wolltest." Irgendwie nahm mein Ton einen bitteren Geschmack an. Ich drehte mich um und machte mich auf den Weg zu Legolas' Zimmer. Delyn war sofort bei mir und stoppte mich, indem er sich vor mich stellte.
"Was? Ich geh jetzt zu ihm und ändere schlagartig sein Verhalten. Ich kann das ja." Kam es sarkastisch von mir zurück.
Delyn sah enttäuscht aus. Er hatte sicher gehofft ich würde schneller begreifen, was er mir versuchte mitzuteilen.
"Deli. Das Bild spiegelt seine Seele wieder, so wie du gesagt hast. Er ist einsam und allein. Sein Vater kann ihm nicht die Gesellschaft geben, die er braucht."
Ich verstand ja, dass der Prinz allein war. Eine Tatsache, die mein Inneres aufbrodeln ließ. Besonders, wenn ich an das Bild dachte.
"Ja deswegen bin ich ja da."
"Aber du siehst die Sache falsch. Legolas braucht keine Anstandsdame, Deliwiel. Er braucht einen Freund."
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und verschwand schon den nächsten Gang hinunter.
'Er braucht einen Freund.'
Natürlich. Warum hatte ich das nicht sofort erkannt.
