6.

Als Harry aufwachte war es bereits hell. Herzhaft gähnend streckte er seine Glieder unter der wohlig warmen Decke aus. 'Ob Draco auch schon wach war? Sollte er ihn auf die Geschehnisse der Nacht ansprechen?' Vorsichtig setzte sich Harry auf und sah zu Dracos Bett hinüber. Leer. Sein Muss-Freund war bereits aufgestanden. Hatte sich wohl wieder in seine Kerker verzogen. Doch irgendwie misslang Harrys hämisches Grinsen. 'Was war das?' Er würde doch jetzt wohl kein Mitleid oder gar Verständnis für Draco Malfoy empfinden. Soweit kam es noch. Da flog die Tür auf und ein kleiner zierlicher Wirbelwind kam herein.

"Guten Morgen, Harry," ertönte Ginny Weasleys Stimme.

"Morgen Ginny. Was führt dich hier her?" wunderte sich Harry. Die Wangen der jungen Frau färbten sich rot.

"Ich hab gehört du wärst krank, da wollte ich mal nach dir sehen. Hier," Ginny streckte Harry einen großen Korb entgegen. Der Korb enthielt einen Kuchen, wollene Strümpfe, einen wollenen Pullover, Handschuhe und eine Mütze. Alles in grün. Erstaunt sah Harry Ginny an.

"Ich dachte, du könntest es brauchen, weil es doch so kalt ist....", hauchte Ginny. Harry schluckte. Er wusste das Ginny in ihn verliebt war seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Und er mochte sie wirklich. 'Aber war das genug?' Sie war hübsch, ihre Talente als Hausfrau hatte sie soeben unter Beweis gestellt, sie war die Schwester seines besten Freundes und die Weasleys betrachtete er schon längst als seine Familie, neben Sirius natürlich. Nun ja, nur nichts überstürzen. Er war ja noch jung.

"Danke Ginny. Das ist wirklich lieb von dir," meinte er schließlich.

Ginny schenkte ihm daraufhin ihr strahlendstes Lächeln, setzte sich auf seine Bettkante und begann zu plaudern. Anfangs hörte Harry ihr noch zu, doch bald wanderten seine Gedanken zu Draco und die letzte Nacht. Was ging in Draco vor, was hatte er erlebt, das solche Alpträume auslöste? Was immer es auch war, es schien der Grund für Dracos Forscherdrang zu sein. Ob das mit den Geschehnissen von vor neun Jahren zusammenhing? Sollte er Draco nun darauf ansprechen oder nicht?

"Du hörst mir ja gar nicht zu!" schalt da Ginny.

"Oh tut mir leid," Harry setzte sein entwaffnendes Lächeln auf. "Dafür lade ich dich demnächst mal zum Essen ein. Aber jetzt muss ich mit Draco sprechen." Ginny seufzte, zwinkerte ihm aber zu.

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"Mr. Potter?" wurde Harry auf dem Gang von einem rotblonden Jungen angesprochen. Woher kam der ihm nur bekannt vor?

"Ja?" fragte Harry.

"Ich bin Rylan Collins, der Captain der Gryffindor-Mannschaft," stellte sich der junge Mann vor.

"Ja?" fragte Harry noch einmal.

"Sie haben gestern gemeint, dass Sie unser neuer Coach sein wollen." Hatte er das? Oh Harry, wozu hat Draco dich nur jetzt wieder getrieben?

"Ja, Rylan, ich erinnere mich. Und natürlich halte ich mein Wort. Sag den anderen Bescheid, dass wir uns heute Nachmittag auf dem Feld treffen."

Rylan strahlte ihn an und eilte dann davon. Endlich wieder Quidditch. Ha, die Gryffindors würden die Slytherins alle machen, darauf konnte Draco Gift nehmen. Harry, das war keine gelungene Ausdrucksweise schalt er sich selbst und setzte seinen Weg in den Kerker fort.

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"Und da ihr mir heute wiedereinmal eindrucksvoll eure Unfähigkeit bewiesen habt, erledigt ihr bis zum nächsten Mal alle Aufgaben auf dem Blatt. Und jetzt verschwindet." Mit diesen Worten entließ Draco seine Klasse. Diese drollte sich verschüchtert nach draußen. Es war doch immer das gleiche mit diesen dummen Bälgern.

"Guten Morgen, Draco;" ertönte da Harrys Stimme. Genau das, was Draco an diesem Morgen noch zu seinem Glück gefehlt hatte.

"Was willst du denn?"

"Mit dir reden."

"Machs kurz, die nächste Klasse kommt gleich."

"Dein Traum heute Nacht...."

"Geht dich gar nichts an!" Auch das noch. Harry wollte doch wohl nicht ernsthaft mit ihm darüber reden.

"Draco, ich...."

"Harry, halte deine Nase einfach aus meinen Angelegenheiten raus und versuch hier jetzt nicht deine soziale Ader auszuleben." Tatsächlich, Harry wollte mit ihm Plaudern - über seinen Traum. Ausgerechnet Harry Potter.

"Na fein. Dann nur noch soviel: Deine Slytherins werden gegen die Gryffindors verlieren! Und zwar mit meiner Hilfe!" Und weg war Potter. Was für ein bescheidener Tag heute doch mal wieder war.

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Draco beobachtete Harry der laute Befehle über den Quidditchplatz rief. Da war der gute Potter wohl wieder ganz in seinem Element. Die schwarzen Haare noch zerzauster als sonst, die Backen gerötet durch den kalten Wind und die Konzentration. Eigentlich sah Harry doch ganz nett aus. Ja, ein wirklich netter Zauberer, bei dem man froh sein konnte, wenn man ihn als Freund hatte. Freund. Das Wort versetzte Draco einen Stich in die Magengegend. Warum konnten sie nicht einfach Freunde sein? Was hinderte sie daran? Was?

Harry beendete gerade das Training und schickte die Mannschaft zum Duschen. Er selbst blieb auf dem Feld stehen und Draco sah, wie er die Augen schloss und tief die kalte Abendluft einsog.

Wieso ging er jetzt nicht einfach rüber und redete mit Harry über seinen Traum? Er hatte es ihm schließlich angeboten. Warum Harry nicht alles anvertrauen? Alles erzählen? Die ganze Last mit ihm teilen - mit einem Freund. Er sehnte sich so danach dieses unendlich schwere Gewicht von seinen Schultern zu nehmen, mit vertrauten Freunden wieder zu lachen und Spaß zu haben, sich zu entspannen und wohl zu fühlen, geborgen. Doch er tat es nicht. Er blieb stehen und schaute zu, wie die letzten Strahlen der untergehenden Sonne Harry in ein orangefarbenes Feuer aus Licht hüllten - lauschte dem leisen Tapsen des herannahenden Wahnsinns.

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Harry reckte sein Gesicht in den kalten Wind. Er hatte ein ungutes Gefühl im Bauch und er wusste das es etwas mit Voldemort zu tun hatte. Sein siebter Sinn was das anging, war in den letzten Jahren immer besser geworden. Irgendetwas scheußliches plante Voldemort und es würde bald geschehen. Doch das war nicht das einzige, das ein seltsames Gefühl in Harrys Bauch verursachte. Und diese zweite Sache machte Harry mehr zu schaffen, als es Voldemort je gekonnt hätte. Eine äußerst angenehme Wärme machte sich daran, das ungute Gefühl zu vertreiben. Heftig schüttelte Harry den Kopf. Das konnte doch nicht sein. Das durfte nicht sein. Das war Wahnsinn. Das lag bestimmt an der Aspirustablette von gestern und an ... Oh nein, nicht das - nicht Draco! Harry wand sein Gesicht der untergehenden Sonne zu, welche die feuchten Spuren auf seinen Wangen wie Diamanten blitzen ließ.

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Ginny schlenderte tagträumend über die Hügel nahe dem Fuchsbau, indem sie mittlerweile alleine wohnte, seit ihre Eltern vor neun Jahren umgekommen waren und ihre Brüder alle ausgezogen waren. Ja, Weiß, sie würde Weiß tragen an ihrer Hochzeit. Ein glückliches Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Harry. Oh wie sehr sie ihn liebte. Das Avada Kedavra durchdrang kaum den rosafarbenen Nebel und erreichte Ginnys Bewusstsein nicht mehr. Mit einem glückseligen Lächeln auf dem zarten Gesicht sackte sie tot auf dem Hügel zusammen und eine goldene Decke aus Licht breitete sich über sie aus.

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Voldemort befand sich in einem elegant eingerichteten Zimmer. Sein neues Quartier war wirklich nach seinem Geschmack. Endlich das was ihm zustand. Zufrieden sah er sich um. Sein Blick strich über den marmorne Kamin, die eleganten antiken Möbel mit den zierlichen Schnörkeln und Füßchen, die verspielten Details, die Perserteppiche, die Brokattapete und die schweren Samtvorhänge. Wer glaubte schon, dass der dunkle Lord, der in dieser missgestalteten Hülle steckte, solch einen Sinn für Schönheit und Eleganz hatte? Voldemort lachte bitter auf. Wohl niemand. Aber war es nicht immer so, dass sich hässliche Leute mit Schönheit umgaben? Schließlich blieb sein Blick an der steinernen Statue hängen, die geltungssüchtig inmitten der Pracht stand und die durch die Strahlen der untergehenden Sonne golden leuchtete. Wäre das nicht ein nettes Präsent an Dumbledore? Zusammen mit einer Kriegserklärung? Ein boshaftes Lächeln verzerrte die Züge von Voldemorts Gesicht. Doch soweit war es noch nicht. Heute bekamen seine Gegner erst noch ein anderes Geschenk serviert. Das würde sie derart aus der Fassung bringen, dass sie völlig ohne Verstand weiteragieren würden, während er seine Leute formierte. Der Lord wandte sich dem Fenster zu und schaute zufrieden hinunter auf die Truppe Todesser die draußen auf den Kampf vorbereitet wurde.

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Wurmschwanz keuchte erschrocken auf. Hatte der Mann, der reglos vor ihm lag gerade mit den Lidern gezuckt? Konnte das möglich sein? Nach all den Jahren? War sein Hoffen und Pflegen am Ende doch nicht umsonst gewesen? Würde er erwachen und wenigstens noch einen Teil seines Verstandes vorhanden sein? Würde er selbst dann endlich wieder aus dieser Bruchbude kommen, in der er nun schon seit neun Jahren hauste? Hoffnung keimte in ihm auf. Im Licht der untergehenden Sonne griff Wurmschwanz nach dem Kamm neben ihm und fuhr damit vorsichtig durch das lange blonde Haar des Mannes.

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Die Sonne! Völlig erschöpft und am Ende seiner Kräfte lehnte eine hagere Gestalt, in schwarzen Lumpen, am Eingang einer Höhle. Tränen traten in die schwarzen Augen des blassen Mannes und fanden schließlich ihren Weg die eingesunkenen und zerschundenen Wangen hinunter. Tief atmete der Mann die frische Luft ein. Dann rutschte er die Felswand entlang auf den Boden, wo er sofort einschlief. Dunkelheit breitete sich aus und hüllte ihn schützend ein.

Ende Teil I

Soweit so gut. Wollt ihr mir dazu irgendetwas sagen? ^^