### Wie versprochen bekommt ihr auch mit dieser Story ein regelmäßiges Update. Hier kommt nun das nächste Kapitel. Es ist Legolas und Assat gewidmet.

### Viel Spaß beim Lesen und seid auf alles gefasst!

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Schuld und Sühne

von:
Salara und ManuKu

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~TEIL 2~

Die Sonne, die sich langsam dem Horizont entgegenzuneigen begann, überzog den Himmel und seine Wolken mit einem rosafarbenen Schimmer, während die Weiten des Düsterwaldes langsam wieder in jenem dämmerigen Schattenlicht versanken, das dem darin lebenden dunklen Getier so willkommen war.

Fünf Reiter hatten sich vor etlichen Tagen angeschickt, das schier endlose Waldelbenreich in angespanntem Galopp von der Stadt Ardaneh aus nach Westen zu durchqueren. Nach zwei Tagen, in denen sie kaum gerastet und nur wenige, unruhige Stunden geschlafen hatten, war endlich jener breite Weg vor ihnen aufgetaucht, den man allgemein unter dem Namen Alte Waldstraße kannte. Sie verband die östlichen Ödlande mit dem westlichen Nebelgebirge und allen dahinter gelegenen Siedlungen, von denen eine – Bree – ihr Ziel war. Assat hatte seinen Leuten bei ihrem Aufbruch versichert, dass die Alte Waldstrasse ihnen von nun an ungehindert offen stünde, wenn sie nach Bree wollten, doch seine Züge hatten jenen angespannten Ausdruck nie ganz verloren, der erkennen ließ, dass er sich seiner Sache längst nicht so sicher war.

Dennoch hatten sie ihre Pferde mit einiger Erleichterung auf die Alte Waldstraße gelenkt. Es rastete sich immer ruhiger an einem Wegesrand als mitten im Wald, glaubten sie. Schon bald war die Nervosität jedoch wieder da gewesen.

Für eine Straße, die so gut geschützt wurde wie diese, machte dieser Verbindungsweg einen viel zu verfallenen Eindruck. Man musste kein Waldläufer sein um zu sehen, dass diese Strecke seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden war. Und genau diese Erkenntnis war es, die die Männern immer wieder sorgenvoll nach ihren Waffen tasten ließ. Wenn man etwas über Elben wusste, dann dass sie ihren Besitz sorgfältig pflegten. Wenn sie etwas so wichtiges wie diese Straße derart verfallen ließen, musste es einen ernsthaften Grund dafür geben. Die verschwitzten Leiber ihrer zu höchstem Tempo angespornten Reittiere ließen erkennen, dass die Männer diesen Grund möglichst nicht erfahren wollten.

Assat, der seinen Leuten vorausritt, konnte ihre Furcht spüren. Auch an ihm nagte ein Gefühl der Besorgnis und er hatte Mühe, sich dies vor seinen Männern nicht anmerken zu lassen.

Bis jetzt war Assat davon überzeugt gewesen, mit diesem Fremden, der sich ihm unter dem Namen Estel vorgestellt hatte, ein gutes Geschäft gemacht zu haben, als dieser ihm als Preis für ein seltenes Gegengift die Benutzung der Alten Waldstraße gestattet hatte. Assat hatte sich einen geschäftlichen Vorteil davon versprochen, sie nutzen zu können. In barer Münze hätte dieser Vorteil sich auszahlen sollen. Nun jedoch – mitten in einem Wald, in dem hinter jedem Baum eine unsichtbare Gefahr zu lauern schien, dämmerte ihm langsam, dass es ihn vielleicht mehr kosten würde, als ihm diese Abkürzung einbrachte.

Sein Blick ging zum Himmel. Es würde nicht mehr lange dauern, bis auch das letzte Licht verschwunden war und sie kaum noch die Hand vor Augen sahen. Spätestens dann würden sie rasten müssen, bis die erste Dämmerung ihnen den Weg wieder eröffnete. Aus irgendeinem Grund wagte Assat es nicht, bei Fackellicht weiterzureiten. Er konnte es sich nicht erklären, doch jeder Lichtschein in der Dunkelheit schien die sie umgebende Gefahr nur noch zu verstärken. Mit zum Zerreißen gespannten Nerven hieb er seinem Pferd die Hacken in die Flanken. Das erschöpfte Tier erhöhte sein Tempo allerdings nur unwesentlich. Er sah kurz über die Schulter zurück.

„Treibt die Pferde an, Männer. Wir können noch ein Stück schaffen, wenn wir uns beeilen."

Das Geräusch fünffachen Hufschlages hallte durch die Wälder und verlor sich in Tiefen, in denen lautlose Schatten den Reitern zu folgen begonnen hatten.

***

Lustlos blätterte Legolas die Seiten einer Chronik um, in der von der letzten gegen Sauron formierten Allianz zwischen Elben und Menschen erzählt wurde. Noch immer war er auf der Suche nach einem Hinweis auf jenes seltsame Zeichen, das er auf dem Tuch in der Hütte des Einsiedlers Rivar gesehen hatte, doch seine Nachforschungen hatten zu keinem Ergebnis geführt. Mehr und mehr kam er zu der Überzeugung, dass es dieses Zeichen nirgendwo in Mittelerde dokumentiert worden war.

Eigentlich wusste er nicht einmal, warum er sich überhaupt diese Chronik überhaupt noch vorgenommen hatte. In ihr würde er nichts finden, das er nicht schon auf die eine oder andere Art wusste. Man hatte Legolas die damaligen Vorgänge schon so oft von unterschiedlicher Seite geschildert, dass er sie kannte, als wäre er selbst dabei gewesen. Wenn er am Ende dieses Buches angekommen war, blieben nicht mehr viele Schriften in der Bibliothek seines Vaters, die er noch nicht durchgesehen hatte. Hatten auch sie keinen Hinweis parat, würde Legolas sich schließlich schweren Herzens eingestehen müssen, dass er in einer Sackgasse steckte. Dennoch: der Elbe wollte zumindest gründlich sein, ehe er die Hoffnung, seinen Retter wiederzufinden, endgültig aufgab.

'Ich werde nie wieder behaupten, unser Hofschreiber hätte ein leichtes Leben.' Müde ließ er den schweren Band auf seine Oberschenkel sinken, dann streckte er sich ausgiebig, ehe er erneut zu blättern begann. 'Selbst eine mehrtägige Jagd ist nicht so anstrengend wie dieses endlose Lesen!'

Er war nur halbherzig bei der Sache und sein Blick flog immer beiläufiger über jede neu aufgeschlagene Seite. Endlose Zeilen langatmiger Schilderungen füllten das Papier und nur selten unterbrach eine Zeichnung die Eintönigkeit des Anblicks, die den Elbenprinzen immer stärker einzuschläfern drohte. Während er Seite um Seite aufschlug, konnte er ein Gähnen nicht unterdrücken, doch es blieb ihm beinahe im Halse stecken, als er unvermutet fündig wurde.

Vor sich sah er die Zeichnung eines Baumes, der halbkreisförmig von sieben Sternen umgeben war.

Einige Momente lang starrte Legolas das Bild an, dann nahm er das Pergament zur Hand, auf dem er damals in Bruchtal aus seiner Erinnerung heraus jenes Zeichen aus Rivars Hütte festgehalten hatte.

Sorgfältig verglich er die beiden Skizzen miteinander.

Zwar unterschieden sie sich in etlichen Details voneinander – im Buch stand das Abbild eines Baumes zwischen den sieben Sternen, auf Rivars Stickerei war es ein Weg gewesen, der in die sieben Sterne hinaufgeführt hatte – doch die Anordnung der einzelnen Bilderteile und die auf beiden Zeichnungen gleiche Anzahl und Anordnung der Sterne ließen in Legolas die Gewissheit aufkeimen, dass es sich um mehr als puren Zufall handelte. Plötzlich war die Müdigkeit wie fortgewischt.

Mit neu erwachtem Elan blätterte er soweit zurück, bis er den Anfang des zum Bild gehörigen Kapitels fand: der Geschichte von Nimloth, des weißen Baums von Númenor...

***

Die spärlichen Sonnenstrahlen des Tages versiegten langsam, doch Legolas beendete seine Lektüre erst, als sein Magen knurrte.

Er sah auf. Die dichte Wolkendecke, die durch die Fensteröffnungen hindurch zu erkennen war, machte eine Tageszeitschätzung unmöglich. Die Flammen des zögernd verlöschenden Kaminfeuers vermochten das bleigraue Licht nur unwesentlich aus den Ecken des Saales zu vertreiben.

'Ich weiß jetzt, was ich wissen wollte. Aber wie kommt ein Zeichen, das an das Wappen von Gondor erinnert, in die Hütte eines Einsiedlers, der in den Wäldern nahe Bruchtal lebt? Es muss ja nichts bedeuten ... aber ausgerechnet Bruchtal! Aragorn lebt in Bruchtal, und er ist der letzte Erbe des Throns von Gondor. Das alles kann unmöglich ein Zufall sein! Oder?'

Vorsichtig schloss der Elbenprinz die Chronik und legte sie auf das seitlich neben seinem Sessel stehende Tischchen, dann starrte er gedankenverloren den Funken nach, die gelegentlich seitlich aus dem Kamin flogen.

'Es muss einen guten Grund dafür geben, dass kaum jemand die wahre Abstammung Estels kennt. Lord Elrond hat all die Jahre so viel Mühe darauf verwandt, sie geheim zu halten, und ganz plötzlich taucht in seiner Nähe jemand auf, der in irgendeinem Zusammenhang mit Gondor zu stehen scheint. Das sieht nach weit mehr als einem simplen Zufall aus.'

Etwas an diesem Gedanken beunruhigte Legolas. Er konnte es sich nicht erklären, aber irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass es wichtig war, dass der Herr von Bruchtal von Rivar erfuhr.

Einen Moment lang spielte Legolas mit dem Gedanken, seinen Vater in alles einzuweihen und ihn zu bitten, ihn nach Bruchtal reisen zu lassen, doch gleich darauf verwarf er diese Idee.

Seit den Ereignissen um Damodin und Calean war Thranduil übermäßig um das Wohlergehen seines Sohnes besorgt. Erst vor zwei Wochen hatte er ihm wieder gestattet, in den schlossnahen Wäldern auf die Jagd zu gehen, und das auch nur, weil Legolas eingewilligt hatte, sich von einer größeren Gruppe der besten Bogenschützen begleiten zu lassen. So unauffällig wie möglich hatten die Wachen ihn umgeben, doch immer dicht genug, dass sie ihn nie aus den Augen verloren. So war aus der geplanten Jagd schnell ein Ärgernis für den Elbenprinzen geworden. Er war bereits am nächsten Tag ins Schloss zurückgekehrt und hatte es seither nicht mehr verlassen.

'Wenn ich Vater alles erzähle, sieht er bereits den nächsten Attentäter auf mich warten. Statt mich gehen zu lassen würde er mich in ein fensterloses Zimmer sperren, aus dem ich in den nächsten zehn Jahren nur noch unter Bewachung herauskäme.' Allein die Vorstellung entsetzte Legolas. 'Nein, ich muss heimlich nach Bruchtal aufbrechen....'

Sein Blick ging erneut zum Fenster hinaus, das ihn auf einen abenddunklen, dichtbewölkten Himmel schauen ließ.

'In diesem Jahr ist der Herbst kurz. Noch ein paar Wochen, dann kann man bereits den Winter nahen fühlen. Wenn ich nach Bruchtal will, sollte ich es bald tun.'

Der Elbe stand auf. Ein Tag musste genügen, um alles für seine heimliche Abreise vorzubereiten. Beginnen würde er mit dem Wichtigsten: verhindern, dass sein Vater Argwohn schöpfte. Und womit gelang so etwas besser als mit dem pünktlichen Erscheinen beim Abendessen?

***

Legolas hatte ungeduldig darauf gewartet, dass sich Stille über den Palast senkte. Erst, als er sicher zu sein glaubte, dass alle schliefen, verließ er leise seine Gemächer und machte sich auf den Weg in den Stall. Während des gesamten Tages hatte er nach und nach alles dort versteckt, was er auf seiner Reise benötigen würde. Seine Waffen trug er jetzt bei sich. Es würde nicht lange dauern, sein Pferd mit dem wenigen Gepäck zu beladen. Das Heikelste war geschafft, wenn er erst einmal unbemerkt die Tore des Schlossbereiches passiert und den Wald erreicht hatte.

Wie erwartet war es auch in den königlichen Ställen still. Niemand war zu sehen oder zu hören. Der Prinz wusste, dass die Stallknechte in einem abseits gelegenen Gebäude schliefen und nur dann über Nacht hier blieben, wenn eines der Tiere krank war oder eine Stute kurz vor dem Fohlen stand. In Moment traf zu Legolas' Erleichterung nichts von beidem zu. Die Chancen, sein Pferd unbeobachtet aus der Box zu holen, standen denkbar gut.

Wie ein Schatten stahl sich der Elbe in die Stallungen, holte das tags zuvor versteckte Gepäck heraus und begann sein Pferd damit zu beladen.

„Ihr wollt das Schloss bei Nacht verlassen, mein Prinz?"

Legolas, der die Anwesenheit eines Zweiten nicht erwartet hatte, fuhr zusammen. Einen Herzschlag später erkannte er die jugendliche Stimme. Es war Mirodas, der Mensch, den Aragorn aus Ardaneh mitgebracht hatte. Überrascht wandte er sich in die Richtung um, aus der Miros Stimme gekommen war.

„Ich wusste nicht, dass sich noch jemand hier aufhält. Wo bist du? Komm heraus."

Es raschelte kurz in einem der aufgeschütteten Strohhaufen, dann schälte sich Miros Gestalt aus der Dunkelheit.

„Was suchst du um diese Zeit im Stall? Ich dachte, mein Vater hätte dir ein Quartier zuweisen lassen?"

 „Das hat er auch."

„Und warum bist dann nicht dort? Ist eines der Tiere krank?"

„Nein. Die Pferde sind gesund." Miros Stimme klang verlegen.

„Was tust du dann hier?" Legolas konnte nicht verhindern, dass leises Misstrauen in seiner Stimme mitklang.

„Ich wollte niemanden beunruhigen, verzeiht mir, Hoheit. Es ist nur... Ich habe so lange unter freiem Himmel geschlafen, dass mich der Anblick einer über mir hängenden Zimmerdecke gelegentlich bedrückt. In solchen Nächten gehe ich dann in den Stall zum Schlafen. Dort fühle ich mich anders... nicht so eingeengt. Ihr findet das bestimmt lächerlich, aber mir hilft es. Im Übrigen weiß niemand davon und ich flehe Euch an, es auch niemandem zu erzählen."

Legolas schwieg. Nur allzu gut erinnerte er sich daran, wie es sich angefühlt hatte, während seines bewegungslosen Zustands nach der Giftattacke durch Damodin dem Anblick seiner Zimmerdecke nur durch die Flucht in den Schlaf entgehen zu können.

„Nein, ich verstehe dich gut," sagte er leise, während ein wehmütiges Lächeln über seine Züge huschte. „Ich wünschte nur, du hättest nicht ausgerechnet heute Nacht hier Zuflucht gesucht..."

Miros Blick streifte erneut das beladene Pferd, dann die Waffen des Prinzen. „Ich werde Euch nicht verraten, Hoheit, das schwöre ich. Nur..." Er verstummte.

Legolas konnte sehen, wie ernst die Züge des Menschen geworden waren.

„Nur?" hakte er nach.

Miro zögerte noch immer. Legolas konnte sehen, wie er innerlich mit sich rang, ehe der Mensch schließlich den Kopf hängen ließ. „Nichts. Es ist nichts."

„Gut, wie du meinst."

Legolas war sich der beobachtenden Augen Miros wohl bewusst, als er sein Pferd zu Ende belud und sich dann in den Sattel schwang. Der Rappe, der die Ungeduld seines Reiters spürte, begann unruhig auf der Stelle zu tänzeln.

„Du hast mir Schweigen geschworen. Du wirst gut daran tun, es auch zu wahren." Der Elbenprinz sah zu Miro hinab. „Mein Vater wird meinen Entschluss nicht verstehen. Wenn man morgen früh entdeckt, dass ich fort bin, wird er jeden in diesem Schloss eingehend befragen lassen. Vor allem euch Stallknechte. Sollte er je erfahren, dass du von meiner Abreise wusstest und sie nicht gemeldet hast, wird er dich jenen Zorn spüren lassen, der eigentlich mir zugedacht ist."

„Um in Ardaneh überleben zu können, musste ich oft weitaus mehr tun als Unwissenheit vortäuschen." Miro lächelte traurig in die Dunkelheit hinein, die Legolas' Augen mühelos zu durchdringen vermochten. „Habt keine Sorge, mein Prinz, niemand wird ein Wort von mir erfahren. Ihr seid sicher..."

 „Es tut mir leid, dich in solche Schwierigkeiten bringen zu müssen, aber mir bleibt keine Wahl. Und nun leb wohl!"

Der Elbe war Momente später in die Nacht hinausgeritten. Gleich darauf verklangen auch die leisen Geräusche der Pferdehufe auf dem Boden. Miro war wieder allein im Stall. Minutenlang blieb er reglos stehen und sah in die nächtliche Finsternis hinaus, in der Legolas verschwunden war.

'Ich hatte Euch versprochen, auf den Prinzen acht zu geben, Estel. Aber wie soll ich das, wenn er den Hof bei Nacht und Nebel verlässt? Ich muss mir etwas einfallen lassen...'

Das leise Schnauben und Scharren der Pferde in den Boxen riss ihn schließlich aus seinen Gedanken.

'Zumindest mit einem hatte Prinz Legolas recht: es ist wirklich das Beste, wenn man mich morgen früh in meinem Zimmer antrifft statt im Stall.'

Seufzend verließ Miro das Stallgebäude und kehrte in seine Unterkunft zurück, doch an Schlaf, so ahnte der junge Mann, würde in dieser Nacht nicht mehr zu denken sein.

***

Alles kam so, wie Legolas es vorhergesehen hatte.

Seine heimliche Abreise stürzte den Hof – und vor allem König Thranduil – in die größte Verwirrung. Alle Suchaktionen in der näheren Umgebung und auch die Befragungen blieben erfolglos. Lediglich der Brief, den Legolas seinem Vater hinterlassen hatte, war der Beweis dafür, dass der Elbenprinz nicht das Opfer einer Entführung geworden, sondern Düsterwald bewusst heimlich verlassen hatte.

Mirodas unterdessen hatte in jener Nacht tatsächlich keinen Schlaf mehr gefunden. Während die Nachtstunden langsam dahingeschlichen waren und schließlich der ersten Morgendämmerung Platz gemacht hatten, reifte ein Entschluss in ihm heran.

Er wartete, bis die größte Aufregung sich etwas gelegt hatte, dann bat er König Thranduil über seinen Kammerherrn um eine Audienz. Die Mittagsstunde war bereits herangerückt, als Miro endlich zu Thranduil vorgelassen wurde.

Die Züge des Elben waren ernst und deutlich von Sorge gezeichnet, doch er sah dem Menschen ruhig entgegen, der schließlich mit einer tiefen Verbeugung vor ihm stehenblieb.

„Man sagte mir, du wünschst mich in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen. Hat es etwas mit meinem Sohn zu tun?"

Miro, der sich seine Worte genau zurechtgelegt hatte, umging die Frage geschickt. „Majestät, es handelt sich um eine persönliche Sache. Ich möchte Euch ersuchen, mich aus Euren Diensten zu entlassen."

Mit allem hatte Thranduil gerechnet, nur nicht damit. Ihm entging so völlig, wie geschickt Miro seiner Frage ausgewichen war. „Das ... kommt sehr überraschend, junger Freund. Ich dachte, es gefällt dir bei uns. Was bewegt dich zu dieser Bitte?"

„Ehe Estel damals Euren Hof verließ, gab ich ihm ein Versprechen. Die Zeit ist gekommen, es einzulösen. Doch dazu muss ich von hier fort."

Thranduil sah einen Moment nachdenklich an Miro vorbei, dann musterte er den jungen Mann intensiv. „Ein Versprechen ist eine ernste Angelegenheit und es ehrt dich, dass du es halten willst. Wenn es also dein Wunsch ist..." Thranduil nickte. Er hatte den Menschen beobachtet und sein freundliches, offenes Wesen sowie dessen Fähigkeiten zu schätzen gelernt und nicht damit gerechnet, dass Miro das Schloss so schnell wieder verlassen würde. „Doch ich bedauere deinen Entschluss. Gibt es noch etwas, das wir für dich tun können?"

„Ja." Miro nickte. „Aus Ardaneh habe ich etwas Geld mitgebracht. Die Summe sollte reichen, um eines der alten Pferde zu kaufen, die hier bereits ihr Gnadenbrot erhalten."

„Behalte dein Geld." Es war echtes Bedauern, das der erstaunte Miro in den Zügen des Königs erkennen konnte. „Ich werde anweisen, dass man dir ein junges, kräftiges Tier gibt. Es sei mein Geschenk an dich. Leb wohl, Mirodas aus Ardaneh. Mögen die Valar deine Wege beschützen."

„Ich hoffe, sie tun es." Miro verbeugte sich erneut vor Thranduil. „Habt Dank für alles, Majestät. Lebt wohl."

Er wandte sich um und verließ den Raum, ohne zu zögern. 

Thranduil sah ihm grübelnd nach, doch bald schon waren seine Gedanken wieder zu Legolas zurückgekehrt...

***

Zwei Stunden später ritt Miro auf einer Fuchsstute zwischen den Schlosstoren von Düsterwald hindurch, die sich gleich darauf geräuschlos wieder hinter ihm schlossen. Man hatte ihn mit allem ausgestattet, was er für einen längeren Ritt benötigen würde. Proviant, Decken und Estels Dolch befanden sich neben seinen eigenen Habseligkeiten ebenso in seinem Gepäck wie eine grobe Skizze der Wege, die ihn von hier aus fortbringen konnten.

Miro zügelte das Pferd und sah ein letztes Mal bedauernd zurück. Er hatte gerade begonnen, sich im Schloss wohl zu fühlen.

'Ich werde Legolas helfen, so gut ich es vermag, und die Valar bitten, dass meine Kraft ausreichen möge!'

Entschlossen gab er seinem Pferd die Zügel. „Ich habe zwar keine Ahnung, wo der Prinz hinwollte, aber wenn ich schon raten muss, dann beginne ich dort, wo ich ihn am ehesten vermute: bei seinem Freund in Bruchtal!"

***

Assat hatte Düsterwald bisher stets in weitem nördlichen Bogen umritten und daher keine Vorstellung von den Ausmaßen Düsterwalds gehabt. Seit nunmehr acht Tagen waren seine Männer und er auf der Alten Waldstraße unterwegs, und noch immer schien der sie umgebende Wald kein Ende nehmen zu wollen.

Die Gleichförmigkeit des Anblicks wurde nur noch vom Gefühl der Gefahr übertroffen. Jedes Knacken in windbewegten Ästen brachte die zum Zerreißen gespannten Nerven der Männer zum Erzittern und die Hände der Männer lagen öfter an den Griffen ihrer Waffen als an den Zügeln der Pferde. Obwohl kein lebendes Wesen außer ihnen zu erblicken war, fühlten sich die Männer unablässig beobachtet. So wurde jede Pause, die sie sich und den Tieren gönnten, zu einem eher unruhigen und angespannten Warten auf etwas, das man nicht sah, dessen Anwesenheit man jedoch ständig spürte. Sie hielten ihre Gespräche auf einem absolut notwendigen, fast geflüsterten Niveau und selbst die Lagerfeuer bei ihren nächtlichen Rasten abseits des Wegesrandes waren so klein, dass sie kaum etwas Wärme aus den Flammen ziehen konnten. So war die schon empfindliche Herbstkühle eine zusätzliche Belastung für die fünf Menschen geworden, die nichts mehr ersehnten, als endlich die Ufer des Anduin vor sich auftauchen zu sehen. Hatten sie den großen Strom erst einmal erreicht, lag die schlimmste Wegstrecke hinter ihnen, davon waren sie überzeugt.

Assat, der Mann, den man in fast jeder Stadt Mittelerdes kannte und fürchtete, fühlte sich so erschöpft, wie er es nie für möglich gehalten hatte. Freiwillig hatte er für seine Männer die meisten nächtlichen Wachen übernommen, damit diese sich ausruhen konnten. Während er enge Runden um seine unruhig schlummernden Leute drehte und alle Sinne auf den sie umgebenden nächtlichen Düsterwald gerichtet waren, beschäftigten sich seine Gedanken unablässig um die Frage, wie viel dieser Estel von den möglichen Gefahren dieses Weges gewusst hatte.

'Ich bin mir sicher, Estel hätte mir sagen können, was hier vorgeht. Immerhin war er allein aus der Elbenstadt nach Ardaneh geritten. Er wusste um die Dinge, die der Wald versteckte.'

Ein kühler Wind fegte durch die Baumkronen und brachte deren Geäst zum Schwingen.

Assat sah auf. Der Himmel war nicht mehr so dunkel und der Morgen nicht mehr weit, doch schon jetzt zeigte ihm sein Anblick, dass sich eine dichte, tiefhängende Wolkendecke gebildet hatte. Bald würde es Regen geben.

'Na großartig.' Missmutig zog er den Umhang enger um seine Schultern. 'Noch eine Sache mehr, die die Nerven meiner Leute aufreibt. Es wird höchste Zeit, dass wir aus diesem verfluchten Wald herauskommen!'

Er setzte seine Runde eine Weile gedankenverloren fort, dann blieb er unvermittelt stehen, als ein Geräusch um die Baumstämme wehte. Es klang wie ein extrem leises, aber unmerklich lauter werdendes Schwirren.

Irritiert runzelte der Mann die Stirn.

'Was ist das? Ich habe so etwas schon mal gehört. Nur wo...?'

Während er noch über den Ursprung des seltsamen Geräusches nachsann, kam kurz Bewegung in die Baumkronen. Er sah auf, konnte aber auch dort nichts entdecken.

'Es ist, als wäre man von Geistern umgeben,' dachte er verärgert und warf einen Blick zu seinen Männern, deren Gestalten sich schwach unter den Decken abzeichneten, in die sie sich zum Schutz vor der Nachtkälte gewickelt hatten. 'Ich sollte sie besser wecken. Was auch immer dieses Geräusch verursacht – es kommt näher, und ich will nicht, dass meine Leute davon im Schlaf überrascht werden.'

Assat fluchte lautlos, als er seine Leute wachzurütteln begann.

***

Anundor, der Patrouillenführer des elbischen Wachtrupps, saß gut verborgen in einer Baumkrone nahe des improvisierten kleinen Lagerplatzes der Menschen.

Seitdem die fünf Fremden Düsterwald betreten hatten, folgten ihnen Wachtrupps. Lediglich die Anordnung König Thranduils, den Mann mit der Schlangentätowierung und seine Begleiter unbehelligt zu lassen, hielt die Wächter davon ab, die Menschen zu stellen. So beschränkten sie sich darauf, den Eindringlingen ungesehen zu folgen und jeden ihrer Schritte zu beobachten. In Moment schliefen vier der Menschen, doch mit den ersten Strahlen der Sonne würden sich die Männer so wie an jedem der zurückliegenden Tage wieder auf den Weg machen. Noch zwei Tagesritte, dann lagen die Grenzen Düsterwalds hinter ihnen.

Anundors Augen folgten dem Anführer der kleinen Gruppe, der offensichtlich Wache über seine Begleiter hielt, als ein unheilvolles Geräusch an sein Ohr drang.

Alarmiert ließ er seinen Blick durch die Baumkronen hindurch in jene Richtung schnellen, aus der es vom Wind herangetragen wurde. Gleich darauf erblickte er in der Ferne am Himmel winzige schwarze Punkte, die langsam näher kamen.

'Bei Eru, es sind Melkors dunkle Geschöpfe!'

Die schwarzen Fledermäuse, die sich in diesen Teilen Düsterwalds eingenistet hatten, waren neben den Spinnen die zweite große Plage, derer Thranduils Waldelben sich zu erwehren hatten. Ähnlich wie die Spinnen zogen auch die Fledermäuse in Schwärmen zu Beutezügen aus, doch im Gegensatz zu den achtbeinigen Monstern taten sie dies vergleichsweise selten. Doch wenn sie es taten, griffen sie alles an, was sich in ihrem Einzugsbereich bewegte. Menschen ebenso wie Elben. Wer eine Begegnung mit schwarzen Fledermäusen hatte, überlebte in den seltensten Fällen. Zwar schleppten diese ihre Opfer nicht fort, wie es die Spinnen taten, doch diese Kreaturen besaßen gefährliche, schwertklingenscharfe Krallen, mit denen sie ihre unglückliche Beute so lange bearbeiteten, bis genug Blut floss, an dem sie sich dann labten. Die meisten, die in einen Schwarm schwarzer Fledermäuse gerieten, verbluteten und die wenigen, die es lebend aus einem solchen Inferno schafften, waren für immer von hässlichen Narben gezeichnet.

Es wurde höchste Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, wenn sie nicht das Opfer der fliegenden Jäger werden wollten. Der Befehl Thranduils hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Menschen passieren durften, sie sich den Schrecken des Waldes jedoch ohne jede Hilfe stellen mussten, und Anundor gedachte die Anordnung buchstabengetreu zu befolgen. Die Menschen hatten diesen Weg selbst gewählt. Nun sollten sie ihn auch allein zu Ende gehen.

Ein schneller mitleidiger Blick streifte den Mann, der – im Gegensatz zu den immer unruhiger werdenden Reittieren – noch nichts von der Gefahr ahnte, die sich ihm und seiner Truppe näherte.

'Wenn ihr Glück habt, lassen die dunklen Geschöpfe  euch nicht lange leiden!'

Gleich darauf gab er seinen Kriegern ein Zeichen, sich rasch zurückzuziehen. Momente später waren die Menschen, die bislang nichts von der geheimen Begleitung der Elben geahnt hatten, wirklich allein.

***
wird fortgesetzt

Asahi:
Ja, wir werden uns bemühen, den „gewohnten" Update-Rhythmus (also Freitags oder spätestens Samstags) beizubehalten. Was den Verlauf der Story angeht, so hoffen wir natürlich inständig, dass sich unsere Musen an das zwischen ihnen und uns abgesprochene Handlungskonzept halten, denn dann kommt noch so einiges auf euch zu. Klein Aragorn wurde in manchen Details übrigens von ManuKus Tochter und Salaras kleiner Nichte inspiriert.

Atlantis:
 Mord und Totschlag??? Wir?? NEIN!!! NIE!!! Na ja... zumindest kein Mord... hmm, kein gewöhnlicher jedenfalls... und Totschlag??? [Autorinnen denken nach, schütteln den Kopf] NÖÖÖÖ!!! *g* Leg dich nicht zu sehr auf Aragorn als Opfer fest. Wie hieß das in der Werbung nochmal? „Sind wir nicht alle ein bisschen ... Opfer???" Und ob Legolas nun auch mal wieder Held sein darf...? Schön dranbleiben und du wirst  vielleicht nicht enttäuscht werden. *g*

Shelley:
Ganz langes, grübelndes „Hmmmmmm?". Du hüpfst und freust dich, weil schon zu Anfang so viel Gewalt in der Story war? Sollte uns das jetzt angesichts unserer Handlungsplanung zu denken geben? [Die Autorinnen werfen einen Blick in die schon fertigen Kapitel] Nein, wir glauben mal eher nicht!
Dank Arlessiar ist dir die Frage nach Arathorns Tod ja schon beantwortet worden. Wie gesagt, in den Anhängen wird das genauer ausgeführt. Das große Tolkien-Lexikon von F. Schneidewind ist da auch sehr informativ.

Queen-of-Gondor:
Schön, dass du unsere Story so erwartet hast. Freu dich also auf Samstag und sei wieder unser „Gast"! *g*

Arlessiar:
Deine Ahnung ist schon ganz gut: wenn die Musen mitspielen, dürft ihr als Leser euch tatsächlich auf einiges gefasst machen. Dabei ist dann immer mal wieder der eine oder andere Rückblick nicht zu vermeiden. Rivars Rolle wird sich dabei erst nach und nach  enthüllen, doch sie zu entwickeln war für uns sehr faszinierend, weil sich letztendlich mehr drin ergab, als wir ursprünglich mal geplant hatten...
Ja, wir mussten auch gleich an deinen „kleinen Aragorn" denken, als wir die entsprechenden Szenen schrieben. Ihn alles so hautnah miterleben zu lassen, war schon drastisch. Doch er hat doch drei ganz bestimmte Elben, die ihn wirklich hinreißend be-vatern, be-brudern und auch sonst trösten. *g*
Und das mit dem Update wird wieder wie gehabt laufen.

YvannePalpatine:
Danke für die lobenden Worte. Es macht schon ein wenig stolz, zu lesen, dass bei euch auch an der 3. Story offensichtlich so großes Interesse vorhanden war, dass ihr schon auf sie gewartet habt.

Mystic Girl:
Super... Klasse... Toll... Diese Floskeln sind doch langweilig. PHANTASTISCH. Das ist ein Wort. Das klingt doch nach was... *g*

Waldfee:
Hoffentlich hast du dir beim „Vom-Stuhl-Fallen" nicht allzu weh getan? Du sollst uns ja auch weiterhin heil und gesund als gespannter Leser erhalten bleiben! *g*

Nili:
Mit neuem PC und … [Autorinnen seufzen gaaaanz tief und ebenso neidisch] ... DSL-Flatrate bist du nun also sozusagen eine Power-Turbo-Reviewerin/-Autorin? Hu, das läßt ja einiges erahnen.
Eines allerdings halten wir für ein Gerücht. Angesichts dessen, was unseren Helden so bei uns bevorsteht, drängen sie höchstens zu unserer Tür hinaus, kaum jedoch hinein. Da könnte es draußen Balrogs regnen, glaub uns!
Die Geheimniskrämerei um Aragorns Identität...
Hmm, ja, diese alte mittelerdische Zeitungs-Ente um den S-Typen und die Kette...äh, den Ring: glaubt nicht alles, was an Gerüchten aus dunklen ... M-Gegenden ... kommt. Die Wahrheit ist irgendwo dort draußen ... Nicht DAAA [Autorinnen drehen Nilis Kopf in die andere Richtung, vom Himmel weg] ... DAAA!! Siehst du sie??? Gutes Mädchen! Außerdem stellt sich einem die Frage, warum nicht auch Arathorn als Nachfahre Isildurs seinen Namen ablegte und sich in den Wäldern einen elbischen Adoptivvater suchte... *g*
Übrigens: was lässt dich glauben, dass Ranger auf Kekse als Belohnung stehen? Und wer bäckt die Dinger - Galadriel? Die Frage würde uns brennend interessieren!!

Dragon-of-the-north:
Oh man/frau, so viel Lob macht uns ehrlich verlegen. Dankeschön. *Autorinnen machen artig einen mittelalterlichen Knicks *
Das Kompliment für die Kampfszene geht an ManuKu. Sie ist meine [Salaras] Kampfszenen-Spezialistin und unübertroffen in fernöstlichen und sonstigen geschriebenen Kampfchoreographien.
Die Sache mit den Sternen... Beide Motive sind eher zufällig gewählt worden, sowohl das auf Rivars Tuch als auch das auf dem Schild. Dass in beiden Sternen zu sehen sind, ist tatsächlich purer Zufall gewesen, ließ sich aber im Nachhinein wie bestellt in unsere Handlung einbauen.
Dass es uns gelungen ist, die Charaktere gut zu treffen, freut uns natürlich, vor allem, da man einen Charakter als Autor ja definitiv subjektiv, also nach dem eigenen Gefühl, entwickelt. Elladans Beschützer-Verhalten wird ihm übrigens noch schwer zu schaffen machen...

Aber genug gespoilt für heute!

Ab an die Review-Tasten mit euch und verschönert unseren Tag ein wenig, ja?! Lieb von euch! Bis zum nächsten Kapitel!