### FF.net hat mal wieder seine wochenendlichen Probleme. Mal sehen, wann wir das Kapitel endlich an euch weitergeben können... Grrrrr, erst Sonntag früh hat der seit Donnerstag dauernde Versuch, in FF.net hineinzukommen, Erfolg gehabt! *seufz* Ändern können wir eh nichts dran und da es die einzige große Plattform (unseres Wissens nach) für FanFiction ist... Was solls?
### Noch ehe das neue Kapitel von „Schuld und Sühne" beginnt, wollen wir Euch darauf hinzuweisen, dass beim Posten von Kapitel 9 ein wichtiges Teilstück über Aragorn und seine Fußverletzung verloren ging. Wir haben das betreffende Kapitel zwar sofort neu und diesmal komplett eingestellt, doch bis es endlich online war, vergingen viele Stunden. Wer also das 9. Kapitel vor Samstag, 15.00 Uhr las, der sollte sich das aktualisierte Kapitel vielleicht der Vollständigkeit halber noch einmal herunterladen...
### Und noch eine Anmerkung: Einige von euch wundern sich, warum wir so lange brauchen, bis Legolas endlich in Bruchtal ankommt. Wir hätten den süßen Elben auch lieber früher als später zu Aragorn gebracht, doch wir versuchen, auch der Geografie Mittelerdes treu zu bleiben. Leider beträgt die Entfernung zwischen Düsterwald und Bruchtal zu Pferd mindestens eine Woche... Assat und Miro brauchten wir und so musste die Zeit der Reise auch beschrieben werden. Aber keine Sorge, die drei sind bald in Bruchtal...
### Jetzt aber viel Spaß mit dem aktuellen – extra langen - Kapitel!
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Schuld und Sühne
von: Salara und ManuKu
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~TEIL 10~
Legolas, Assat und Mirodas hatten den Lagerplatz bei Tagesanbruch verlassen, zur Mittagsstunde erreichten sie bereits die ersten Ausläufer des Nebelgebirges und als die Sonne sich anschickte, hinter den zackigen Graten der Berge zu versinken, hatte ein steiler Pfad sie schon ein gutes Stück in empfindlich kalte Höhen hinaufgetragen.
Assat und Miro hatten während des Tages größtenteils geschwiegen. Nur gelegentlich verriet ein Wort oder eine Geste, wie quälend der anstrengende, schnelle Ritt und der schneidend kalte Wind für ihre Verletzungen war. Und selbst diese Zeichen ihrer Schwäche versuchten sie offensichtlich noch vor den scharfen Augen des Elben zu verbergen, denn wann immer sie dem Blick des Prinzen zufällig begegneten, bemühten sie sich, ein entschlossenes Aussehen an den Tag zu legen.
Legolas verstand dieses Verhalten nicht.
Warum glaubten Menschen, sich stets den Anschein von Unerschütterlichkeit geben zu müssen, während tief in ihnen die Zweifel nie erloschen? Wem versuchten sie etwas zu beweisen? Ihm etwa? Oder doch nur sich selbst? Waren Menschen so unsicher, dass sie glaubten, sich auch dann bewähren zu müssen, wenn sie keine Schuld traf?
Schon bei Aragorn war ihm jener seltsame, unverständliche Stolz aufgefallen, und so wenig, wie er ihn zuletzt bei seinem menschlichen Freund hatte nachvollziehen können, so wenig verstand er ihn jetzt bei seinen Begleitern. In diesem Moment begriff Legolas, dass sich nicht nur Aragorn allein so verhielt. Assats und Miros Verhalten zeigte ihm, dass alle Menschen es als Schande zu empfinden schienen, wenn sie andere um Hilfe bitten mussten! Doch der gequälte Ausdruck in den Mienen seiner zwei Begleiter verriet dem Elben, dass Hilfe genau das war, was die Seelen der beiden jetzt am dringendsten benötigten.
Erneut sah Thranduils Sohn die zwei verstohlen an.
Miros Gesicht war blass und wirkte müde. Die braunen Augen des Jungen, die während des Tages immer wieder nachdenklich auf Assat und Legolas geruht hatten, hafteten schon seit einiger Zeit nur noch auf dem steinigen Pfad, dem das Reittier folgte. Sein Oberkörper war inzwischen halb über den Hals der Stute gesunken und die Zügel lagen nur noch locker zwischen den kraftlosen Fingern. Es war nicht schwer zu erkennen, dass Mirodas all seine Kraft dafür aufwandte, sich weiterhin im Sattel zu halten.
Bei Assat standen die Dinge nicht viel anders. Lange hatte er versucht, wenigstens eine Handbreit Abstand zwischen sich und Legolas zu halten, der hinter ihm auf dem Pferd saß, doch mit der Zeit musste er sich immer öfter Halt suchend zu Legolas zurücklehnen. Irgendwann hatte Assat nicht mehr die Kraft besessen, sich wieder gerade aufzurichten, und so hielt der Elbenprinz Assat mit einem Arm fest, damit er nicht seitlich aus dem Sattel rutschte.
Er schüttelte den Kopf. Beide würden eher umfallen, als ihn um eine Rast oder eine Unterhaltung zu bitten.
Legolas sah auf und studierte kurz den Himmel. In einer Stunde würde das letzte Tageslicht verlöschen. Es wurde ohnehin Zeit, nach einem geeigneten Rastplatz für die Nacht Ausschau zu halten.
Er erspähte schließlich eine kleine Einbuchtung im Fels, die für ein Lager geeignet war, denn von zwei Seiten schützten die Flanken des Berges den Platz einigermaßen vor den eisigen Herbstwinden, während an der dritten ein kleiner Fluss vorbeiplätscherte, der ein paar spärlichen Pflanzen Halt und Raum bot. Es war karg, musste ihnen und den Tieren für diese Nacht jedoch genügen.
Der Elbe gab ein leises Kommando, woraufhin sein Pferd augenblicklich stehenblieb. Miros Fuchsstute folgte dem Beispiel, ohne auf ein entsprechendes Zügelsignal ihres Reiters zu warten. Der plötzliche Stillstand ließ Miro aufsehen.
„Was ist los?" Schmerzverschleierte braune Augen streiften kurz durch die Umgebung und kehrten dann zu Legolas zurück. „Warum halten wir?"
„Bald wird nur noch das Licht der Sterne unseren Weg erhellen." Legolas sah Miro an und deutete dann auf den windgeschützten Platz. „Es ist Zeit, Rast zu machen. Steig ab und ruh dich aus. Ich werde mich später um dein Tier kümmern."
Einen Moment lang sah es so aus, als wollte Miro etwas sagen, dann stieg er jedoch wortlos ab. Während der Junge in einigen Schritten Entfernung seine Decke für die Nacht auszubreiten begann, rüttelte Legolas Assat, der inzwischen schlafend an ihm lehnte, vorsichtig an der Schulter. „Wacht auf!"
Schlaftrunken öffnete Assat seine Lider einen Spalt breit. Es dauerte einige Sekunden, bis sein desorientierter Verstand begriff, wo er sich befand. „Verzeiht, dass ich eingeschlafen bin..."
Verlegen über seine Schwäche versuchte Assat sich aufzurichten, doch die Hast seiner Bewegungen ließ ihn schmerzerfüllt aufstöhnen. Gegen seinen Willen sackte er wieder gegen Legolas, der ihn mühelos festhielt.
„Es tut mir leid..." murmelte Assat kaum hörbar und vermied es, den Elben anzusehen. Er war sich bewusst, dass der Elbe jede seiner Bewegungen aufmerksam verfolgte und fluchte stumm in sich hinein, als Legolas ihn schließlich beim Absteigen half. Nie zuvor hatte er sich so hilflos und allumfassend schuldig gefühlt – und beides verabscheute Assat aus tiefster Seele. Er schnaufte verärgert. „Ich hätte das auch allein geschafft." Angesichts der unbeabsichtigten Schärfe seiner Worte zuckte Assat zusammen. „Habt dennoch Dank!"
Legolas nickte nur und verfolgte stumm, wie Assat sich mit langsamen Bewegungen auf einen nahegelegenen Felsblock setzte, um dann schwer atmend mit den Schmerzen zu kämpfen. Die wenigen Bewegungen hatten sichtbar an ihm gezehrt.
Legolas stieg nun gleichfalls ab, kramte einiges aus den Satteltaschen heraus und gesellte sich Minuten später, mit diversen Dingen bepackt, an die Seite der beiden Menschen.
Miro hatte sich inzwischen auf die Seite gelegt und die Arme um den Oberkörper geschlungen, um auf diese Art zumindest etwas Körperwärme festzuhalten. Legolas wusste, dass die dünne Kleidung des Jungen ihm kaum genug Schutz bieten würde, um die Kälte abzuhalten. Vorsichtig legte er daher zur Seite, was er trug, dann ging er zu Miro hinüber und nahm seinen Umhang ab. Als er ihn über dem jungen Mann ausbreitete, riss Mirodas erschrocken seine Augen auf, die ihm gerade hatten zufallen wollen.
„Das ist alles, was ich habe," sagte Legolas bedauernd und begann die Ränder des Umhangs um Miros Gestalt herum festzustecken.
„Das könnt Ihr nicht für mich tun. Ich habe Eure Fürsorge nicht verdient. Nicht nach dem, was ich Euch fast angetan hätte..." protestierte dieser schwach und wollte den Umhang fortschieben, doch Legolas hinderte ihn daran.
„Ich habe dir schon einmal gesagt, dass nicht du den Dolch führtest, sondern das Gift in dir." Er zog den Umhang wieder hoch bis an Miros Kinn, während sich ein amüsiertes Glitzern in seine blauen Augen stahl. „Und als der Prinz, dem du Gehorsam schuldest, werde ich dir befehlen, ihn anzunehmen, wenn du mich dazu zwingst."
„Das könnt Ihr nicht mehr..." murmelte Miro, dessen Worte von einem Gähnen unterbrochen wurden. „...Euer Vater entließ mich aus seinen Diensten..."
Es war für Legolas unschwer zu erkennen, dass Miro seine Augen nur noch mühsam offen hielt.
„Davon weiß ich nichts, und bis mich ein Hofbeamter offiziell davon unterrichtet, bist du für mich ein Bediensteter, der meinen Anordnungen zu folgen hat. Also nimm den Umhang und schlaf jetzt." Er schmunzelte gutmütig.
Erneut sah Mirodas aus glanzlosen Augen zu ihm auf, doch der letzte Rest von Gegenwehr erlosch schnell, als er die wohltuende Wärme spürte, die von dem elbischen Umhang ausgingen. Momente später senkten sich die Lider des Jungen und der gleich darauf regelmäßig werdende Atem verriet dem Elben, dass er eingeschlafen war.
Legolas erhob sich leise und kehrte zu Assat zurück, der das Geschehen aus ein paar Schritten Entfernung schweigend mitangesehen hatte. Der bedrückt wirkende Gesichtsausdruck des Mannes sagte dem Elben, dass ihm noch eine klärende Unterhaltung bevorstand.
Warum tun sich Menschen nur schwer, Geschehenes einfach anzunehmen? Er unterdrückte im letzten Augenblick ein ratloses Kopfschütteln, als er sich neben Assat auf den Steinblock setzte.
„Zeigt mir Eure Hand," forderte er und griff, ohne auf eine Antwort zu warten, bereits nach den provisorischen Verbandsmaterialien, die er seitlich neben dem Felsblock abgelegt hatte. Als Assat nicht sofort reagierte, sah Legolas irritiert auf – und begegnete dem abweisenden Blick des Menschen.
Großer Eru, ich fürchte, das wird ein schweres Gespräch... Fragend hob er die Augenbrauen. „Was ist?"
„Sagt mir, warum Ihr das tut!"
Etwas überrascht von der unerwarteten Frage ließ Legolas die Hand mit dem Verbandszeug in den Schoß sinken. „Was meint Ihr?"
„Miro. Ich. Warum sorgt Ihr Euch so um uns, nehmt uns mit, helft uns? Ihr kennt uns doch gar nicht." Er holte tief Luft. „Ihr seid ein Elbe, noch dazu einer mit königlichem Blut, wir zwei dagegen sind Menschen, die nicht einmal in ihrem eigenen Volk geachtet werden. Ihr wisst doch gar nicht, wer wir sind. Wer ich bin! Ich..." Er sah zur Seite, um Legolas' Augen auszuweichen."...ich könnte der schlimmste Verbrecher Mittelerdes sein, fähig, Euch die Kehle durchzuschneiden, wenn Ihr auch nur einen Moment lang den Blick von mir lasst. Also, warum tut Ihr das alles?"
„Nun..." Legolas bemühte sich, sein Mienenspiel möglichst neutral zu halten. „Was Miro angeht, so habe ich ihn schon recht gut kennengelernt, seit er bei meinem Volk lebt. Er ist noch sehr jung, aber ich weiß, dass er im Grunde seines Herzens zutiefst ehrlich ist und ohne zu zögern sein Leben für andere einsetzt, wenn es nötig wird. Und was Euch angeht... Auch Euch kenne ich, sogar besser, als Ihr ahnt. Ich weiß, WER Ihr seid, WAS Ihr seid. Ich weiß genau, wozu Ihr fähig wärt. Estel hat es mir erzählt, nachdem er aus Ardaneh zurückgekehrt war. Ihr wisst, von wem ich rede, nicht wahr?"
Noch während die letzte Silbe verklang, sah Legolas, dass seine Worte ihr Ziel erreichten.
„Estel?" Bei der Nennung von Aragorns elbischem Namen sah Assat ruckartig auf. „Ihr kennt Estel?"
Sein Blick wanderte von Legolas zu der Stelle, an der Miro friedlich schlief – und plötzlich begriff Assat die Zusammenhänge.
„IHR seid der Elbe, für den er das Gegengift besorgte!"
Es war eine Feststellung, keine Frage, und so schwieg Legolas. Er duldete es, dass Assats forschender Blick auf ihm ruhte.
„Jetzt verstehe ich, warum Ihr das alles tut. Für Mirodas und für mich. Ihr denkt, Ihr seid mir ... uns Dank schuldig, habe ich Recht?" Er schnaubte abfällig. „Soll ich Euch etwas verraten? Ihr irrt Euch. Von mir bekam der Attentäter auch das Gift, das Euch verabreicht wurde, und Mirodas war es, der Euren Freund Estel an mich verriet, weil er um seine eigene Haut fürchtete. Nun?" fragte Assat herausfordernd. „Fühlt Ihr Euch jetzt immer noch verpflichtet?"
„Seid Ihr jetzt fertig?" Legolas' Stimme ließ nicht erkennen, ob er von den Worten Assats amüsiert, verärgert oder gelangweilt war.
„Reicht Euch nicht, was Ihr gerade hörtet?"
„Ich hörte nichts, was ich nicht schon wusste."
Er sah, dass Assat etwas entgegnen wollte und hob die Hand.
„Nein, jetzt rede ich und IHR hört MIR zu. Ich wusste, das Miro zu Euch gegangen war, um Estel zu verraten. Der Junge hat es mir erzählt. Und dass von Euch auch das Gift stammte, ahnte ich schon, als ich mich noch von den Auswirkungen des Anschlags erholte. Die Schlussfolgerung war übrigens gar nicht so schwer zu ziehen, nachdem mir Estel alles über Euch berichtet hatte. Ihr seht, nichts, was Ihr erzähltet, war mir wirklich neu und ändert meine Meinung über euch beide. Zugegeben, ich hätte Grund, euch zwei zu verurteilen und ohne Pferde oder Proviant hier zurückzulassen – wenn ich nach den Maßstäben urteilen würde, die ihr Menschen an euch selbst anlegt. Aber wisst Ihr was, Assat? Ich urteile anders. Ich sehe nur, dass Miro sein Leben riskiert hat – sowohl für Estel als auch für mich. Das macht seinen Fehler mehr als wett. Und Ihr..."
Legolas zögerte kurz, weil er wusste, dass seine nächsten Worte alles verändern konnten.
„...in Euch sehe ich einen Menschen, den die Umstände zu dem machten, was er jetzt ist. Die Trauer um Eure verlorenen Gefährten lässt Euch vergessen, dass Ihr nach wie vor selbst für Eure Taten verantwortlich seid. Ihr hofft, von mir eine Rechtfertigung für Vergangenes zu bekommen, doch ich muss Euch enttäuschen. Es ist nicht an mir, über Euer Tun zu richten. Dafür sorgt schon Euer Gewissen. Was war und geschah, ist nicht mehr zu ändern, doch was kommt, schon. Jeder kann auf seine Zukunft selbst Einfluss nehmen."
„Nein, ich habe keine Zukunft mehr," murmelte Assat und es klang wie ein ersticktes Schluchzen. „Sie blieb zurück in Eurem verfluchten Wald, zusammen mit dem, was mein Leben war. Ihr sagt, Ihr verurteilt mich nicht? Das werdet Ihr aber."
„Glaubt Ihr das wirklich?" Legolas ließ den Menschen nicht für einen Moment aus den Augen.
„Ich ließ sie im Stich, Andrim und die anderen." Er senkte den Kopf noch tiefer auf die Brust, doch die langsam tiefer werdenden Abendschatten verbargen den Schmerz nicht, der auf Assats Miene lag.
„Als die Fledermäuse kamen..." Assat hatte seine unverletzte Hand zur Faust geballt, während er die andere, dick bandagierte, anstarrte wie einen Fremdkörper. „...Ich sah, wie sie über meine Gefährten herfielen, wie sie sie vor meinen Augen förmlich zerrissen. Ich sah das Blut meiner Männer, sah, wie sie sich vor Schmerzen wanden, bis sie endlich starben. Ich hörte, wie Andrim mich anflehte, ihm zu helfen, und stand doch nur erstarrt daneben wie ein kleiner Junge. Ich stand da und sah zu, wie diese Biester ihn regelrecht zerfleischten. Und dann drehte ich mich um und floh. Einfach so. Dabei hätte ich da bleiben sollen."
Plötzlich hob er seine Augen und starrte Legolas an, als müsste vom Elben die Strafe für sein Verhalten kommen.
„Versteht Ihr mich? Plötzlich war ich nicht mehr der Schrecken von Mittelerde, mit dem man ungehorsame Kinder erschreckt, weil sein Ruf anderen den Tod bringt. Ich war ein Feigling und ließ meinen Freund sterbend zurück, weil ich Angst hatte!!! Ich wünschte, Ihr hättet mich liegen lassen. Dann hätte die Strafe für mein Verhalten mich bereits ereilt. So jedoch muss ich weiter mit dem Wissen um mein Versagen leben. Was ist JETZT mit Euren hohen Maßstäben, Elbenprinz? Gelten sie für mich noch immer?"
„Wie ich schon sagte..." Der Elbe hatte dem Ausbruch des Menschen mit tiefbewegter Miene zugehört und drehte sich nun so weit zur Seite, dass er Assat beinahe direkt gegenübersaß. „Ich benötige keine Rechtfertigung von Euch, aber ich werde versuchen, Euch einen Weg zu Eurer eigenen zu öffnen." Er sann kurz über seine nächsten Worte nach, dann sah er Assat an. „Beantwortet mir nur eine einzige Frage, aber überlegt Euch Eure Antwort zuvor genau. Sagt mir, Assat, welche Eurer Handlungen Ihr jetzt noch verändern würdet, wenn Euch die Valar die Möglichkeit dazu gäben."
Er sah, dass Assat sofort etwas erwidern wollte, und schüttelte den Kopf. „Nein, denkt genau über Eure Antwort nach, bevor Ihr sie mir gebt. Ich kümmere mich bis dahin erst einmal um die Pferde."
Ohne Assat noch einen Blick zu schenken, legte Legolas das Verbandsmaterial zur Seite und stand auf.
Ich habe alles gesagt, alles getan, was in meiner Macht stand. Nun liegt es ganz allein bei ihm.
Der Elbe griff nach den Zügeln der beiden Pferde und führte die Tiere zum Bergbach hinüber, wo sie sofort von dem klaren, kalten Wasser zu trinken begannen. Legolas blieb neben ihnen stehen, strich ihnen über das Fell und raunte ihnen leise Worte des Dankes für ihre Geduld zu. Und während er den Frieden der abendlich leuchtenden Bergwelt auf sich wirken ließ, wartete der Elbenprinz geduldig darauf, dass Assat sein endgültiges Urteil über sich fällte.
***
Assat hatte Legolas aufhalten und ihm sagen wollen, dass seine Frage lächerlich war, doch mehr noch als die Ermahnung von Legolas ließ ihn die innere Verbitterung schweigen.
Welche Handlung ich verändern würde? Jede. Jede einzelne in meinem Leben! Solch eine Frage kann auch nur ein Elbe stellen! Er schnaubte verächtlich und sah kurz zu Legolas hinüber, dessen Silhouette sich als schwarzer Umriss vor dem Licht abzeichnete.
Wenn ich wirklich diese Wahl hätte, würde ich zu meinen Männern zurückkehren, um mit ihnen zu kämpfen, statt feige zu fliehen...
Ja, und dabei auch so elend umkommen wie sie, höhnte eine innere Stimme, die sich trotz aller Bemühungen Assats nicht zum Schweigen bringen ließ.
Stimmt, fügte sich der Mensch widerwillig in das Zwiegespräch mit seinem Gewissen. Nein, ich würde mit meinen Leuten wie gewohnt außen um das Elbengebiet herumreiten, statt mitten hindurch. Dann wären Andrim und die anderen noch am Leben und ich müsste nicht bis ans Ende meines Lebens mit dem Wissen um meine Feigheit leben...
Mach dir nichts vor. In diesem Fall würdest du dich bis ans Ende deines Lebens dafür schelten, eine gute Gelegenheit verpasst zu haben...
Na, und wenn schon. Das hätte meinen Leuten aber das Leben gerettet.
Das wüsstest du dann aber nicht. Nein, du würdest immer wieder so handeln, wie du es tatest, weil du es müsstest, weil die Umstände dich zu allem zwangen. Und das weißt du auch.
Das Karussell seiner Gedankenstimmen drehte sich schneller und schneller, und keine der beiden Stimmen in seinem Kopf wollte verstummen.
Nein, ich will nicht mehr darüber nachdenken...
Er hob die Hände und presste sie gegen die Schläfen, doch die Gedanken wollten nicht verstummen. Plötzlich waren sie da – alle wichtigen Entscheidungen, die er je in seinem Leben getroffen hatte. Mit aller Macht drängten sie sich in den Vordergrund und verlangten danach, noch einmal durchdacht zu werden.
Die Kindheit, die nur aus Schlägen, Angst und grenzenlosem Hass bestanden hatte, bis er der Gewalt in einer Nacht mit einem Knüppel für immer ein Ende bereitet hatte, ehe er in die unbekannte Fremde geflohen war.
Ich hatte keine Wahl... Er hätte Mutter und mich sonst totgeprügelt...
Die Gaunereien, die immer überlegter, raffinierter wurden, bis er irgendwann seine eigene, ihm treu ergebene Truppe um sich geschart hatte.
Ich konnte nicht mitansehen, dass manche so viel hatten, dass ein Leben nicht ausreicht, es zu verbrauchen, während andere offen verhungerten. Wir alle kannten den Hunger. Aber auch wir hatten ein Recht zu leben... zu Essen. Das ging nur auf diese Art...
Der tödliche Ruf, der ihm schließlich vorausgeeilt war und die Gegner auf Abstand gehalten hatte.
Ich habe nie aus purer Lust getötet, sondern nur, wenn man mir keine andere Wahl ließ. Und ich habe es gehasst! Ja, verdammt noch mal! Gehasst, obwohl es mir genützt hat! Ich kann mich an jeden Einzelnen erinnern, der durch meine Hand starb. Aber genau das begründete auch meinen Ruf, der mir Macht und ein Gefühl von Sicherheit gab - zum ersten Mal in meinem Leben! Was ist schlecht daran, sich so wie alle anderen wohl fühlen zu wollen?
Die Entscheidung, die kurze Strecke durch den Elbenwald nach Bree zu nehmen.
Ich konnte nicht wissen, was geschehen würde. Hätte ich es gewusst, wäre ich wie üblich über die Nordroute geritten...
...die Gefahren anderer Art in sich barg: Steinschläge, Wölfe, Orks, immer wieder mehr oder weniger sorgsam geplante Hinterhalte von Konkurrenten, die um seine übliche Wegwahl wussten. Wie viele seiner Männer hatte er auf dieser Route schon verloren?
Der Elbenwald schien die perfekte Lösung zu sein. Ich konnte doch nicht ahnen, dass die Elben sich solcher Feinde zu erwehren haben! Gegen Kreaturen wie diese Fledermäuse hatten wir nie eine Chance!
Er sah auf seine verletzte Hand hinunter, in der ebenso wie in seinem Arm und seinem Rücken ein unerträglicher Schmerz pulsierte. Der Anblick des Verbandes brachte die in ihm tobenden Gedanken unvermittelt zur Ruhe.
Das ich noch lebe, ist nicht Feigheit, sondern purer Zufall – und der Hartnäckigkeit dieses Elben zu verdanken, ob es mir nun passt oder nicht!
Jemand anderes hatte sich selbstlos um ihn gekümmert. Das war ein für Assat neuer, irgendwie beunruhigender Gedanke, denn uneigennützigem Handeln war er bisher erst einmal begegnet. Und so wie damals hing auch diesmal alles mit Legolas zusammen. Diese Überlegung brachte Assat zu dessen Frage zurück.
Was würde ich ändern, wenn ich die Macht dazu hätte?
Gedankenverloren sah Assat auf, doch aus der Dämmerung war inzwischen fast Nacht geworden. Er konnte nur raten, wo der Elbe sich gerade befand, denn die Dunkelheit hatte die hochgewachsene Gestalt bereits vor seinem Blick verborgen.
Selbst, wenn ich etwas ändern könnte – ich würde es nicht tun. Und wenn man mir hundert Möglichkeiten für eine Wiederholung gäbe: nichts würde sich ändern, weil alles andere sich nicht mitändert. Alles geschah, weil die Dinge nun mal so und nicht anders waren, begriff der Mensch in diesem Augenblick. Ich kann nur beeinflussen, was noch nicht getan ist.
Er schüttelte fassungslos den Kopf. Nicht zu fassen: dieser Elbe wusste genau, wohin mich seine Frage bringen würde...
„Legolas, seid Ihr in der Nähe?" rief er in die Dunkelheit, ohne seine Stimme allzu sehr zu erheben. Auch wenn Assat diesen Teil des Nebelgebirges nicht kannte, so wusste er doch, dass es nie ratsam war, mögliche Feinde auf sich aufmerksam zu machen.
„Habt Ihr Eure Antwort gefunden?"
Assat zuckte zusammen. Weder hatte er den Elben näherkommen hören, noch vermochte er genau auszumachen, wo dieser sich gerade befand. Zwar hätte Assat geschworen, dass Legolas sich irgendwo hinter ihm befand, doch sicher war er sich nicht. Die Wände des Felskessels schienen selbst leise gesagte Worte auf seltsame Art von verschiedenen Seiten zurückzuwerfen.
Verärgert presste Assat die Lippen zusammen. Nur die feinen Linien, die der Schmerz in sein Gesicht zeichnete, verrieten, dass er wirklich am Ende seiner Kräfte angelangt war. Ich bin müde, hungrig, habe Schmerzen, mir ist kalt und ich habe keine Lust auf dieses Versteckspiel.
„Ja... Mir sind ein paar Dinge klar geworden." Mit zusammengekniffenen Augen spähte er in die Dunkelheit hinein, doch mehr als die Umrisse der sich gegen den Nachthimmel abzeichnenden Berge konnte er nicht ausmachen. „Wo seid Ihr? Ich finde es schwierig, mit jemandem zu reden, den ich nicht sehe."
Legolas hatte sich schon vor einiger Zeit unbemerkt auf einem etwas höher gelegenen Felsblock niedergelassen und gewartet, dass der Mann mit der Schlangentätowierung zu einem Ergebnis kam. Der Mensch musste seine Schuldgefühle hier und jetzt in den Griff bekommen, ehe sie sich am nächsten Morgen dem hochgebirgigen Teil des Nebelgebirges zuwandten. Dort oben mussten sie sich aufeinander verlassen können. Legolas ahnte, dass die Pässe bereits vereist und gefährlich waren – der unablässig wehende Wind trug den Geruch von Schnee mit sich.
Er sprang hinter Assat lautlos auf den Boden. „Also? Zu welchem Schluss seid Ihr gekommen?"
Assat, überrascht über das unvermittelte Auftauchen des Elben, zuckte unwillkürlich zusammen – und bedauerte diese Bewegung sogleich, als der Schmerz in seinem Rücken aufflammte. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis Assat sich wieder gefangen hatte.
„Ihr wisst doch bereits, was ich sagen will, habe ich Recht?" brummte Assat ärgerlich.
„Nein," antwortete Legolas, der sehr wohl wusste, was der Mann meinte, ihn jedoch dazu bringen wollte, es vor sich selbst auch auszusprechen. „Die Gabe der Vorausschau ist nur Wenigen meines Volkes gegeben. Ich gehöre nicht zu ihnen."
Assat rollte entnervt mit den Augen – dankbar, dass die Nacht seine Irritation verbarg. Waren alle Elben so umständlich?
„Nun gut, dann eben in deutlichen Worten. Ich würde nichts ändern, weil nichts meine Vergangenheit wirklich verändern könnte. Zu viele Dinge haben mich zu dem gemacht, was ich bin, und die meisten davon würde ich auch jetzt nicht anders haben wollen. Auf die wirklich entscheidenden Momente hatte ich jedoch zu keinem Zeitpunkt Einfluss. Ich konnte nur auf sie reagieren, sie aber nicht verhindern." Und leiser setzte er hinzu: „So wie ich den Verlust meiner Männer nicht hätte verhindern können. Wolltet Ihr mir das klarmachen?"
„Zum Teil, ja. Eure Trauer wird dadurch nicht gemindert, vielleicht aber die Schuldgefühle, die Euch quälen." Außerdem macht das die kommenden Tage für uns alle etwas einfacher, fügte er in Gedanken hinzu.
„Danke," sagte Assat dann leise und schloss müde die Augen. „Und das meine ich wirklich so."
Legolas war nicht entgangen, dass der Mensch inzwischen – für seine scharfen Augen deutlich sichtbar – vor Kälte zu zittern begonnen hatte. Da er nicht so unter den niedrigen Temperaturen litt wie Miro oder Assat, griff er nach seiner Decke.
„Es gibt hier oben kein Holz für ein Feuer." Behutsam legte er sie Assat um die Schultern. „Die Decke muss reichen. Wickelt Euch in sie ein und versucht etwas zu schlafen. Ich sehe morgen früh nach Euren Wunden."
„Und was ist mit Euch?" Assat zögerte. „Ihr müsst viel erschöpfter sein als der Junge oder ich."
„Elben brauchen weniger Schlaf als Menschen," beruhigte Legolas ihn und half ihm, sich vorsichtig auf dem harten Untergrund auszustrecken. „Ich werde in der Nähe sein und heute Nacht Wache halten. Ruft, wenn Ihr etwas braucht."
Während Assat versuchte, eine möglichst schmerzarme Schlafposition zu finden, kletterte Legolas mühelos auf seinen höher gelegenen Beobachtungsplatz zurück. Von dort aus hatte er einen freien Blick in beide Richtungen und war dank der Elbensicht auch ohne ein Lagerfeuer in der Lage, nahende Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Dennoch konnte er ein müdes Seufzen nicht unterdrücken, als er sich an den Fels zurücklehnte. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass seine Probleme erst begonnen hatten.
***
Assat erwachte, weil ihn jemand vorsichtig an der Schulter rüttelte.
„Wacht auf. Der Tag beginnt bald. Wenn die Sonne sich hinter den Bergen zeigt, müssen wir diesen Platz schon weit hinter uns gelassen haben."
„Hmm," brummte Assat nur und schob mühevoll die Lider auseinander. Zwielicht umgab ihn, dennoch sah er, dass Legolas gerade zu Mirodas hinüberging.
Assats Versuch, sich zu erheben, gestaltete sich schwieriger als erwartet. Sein verletzter Rücken hatte ihm die Kälte und Härte des felsigen Untergrundes ziemlich übel genommen und schien nun gleichermaßen in Flammen zu stehen, wie er taub war. So vermochte er ein leises Stöhnen nicht zu unterdrücken, als er sich zunächst auf die Ellenbogen stützte, bis er endlich imstande war, sich ganz aufzusetzen. Erst dann ließ er seinen Blick schweifen.
In der Nacht hatte der windzugewandte Teil der Felsen Reif angesetzt und die Luft war noch eisiger und kälter als am Tag zuvor. Selbst die Atemzüge kondensierten zu kleinen, sichtbaren Wolken. Besorgt wanderten seine Augen zum Himmel, an dem dunkelgraue Wolkenbänke vom Norden Schnee herantrugen.
„Wir müssen uns beeilen, sonst ist uns bald der Aufstieg zum Pass versperrt." Legolas hatte seinen Blick beobachtet und kam nun zu Assat zurück. „Spätestens zur Mittagsstunde wird der Schnee alles bedeckt haben. Bis dahin sollten wir so weit wie möglich gekommen sein."
„Dann lasst uns sofort aufbrechen." Assats Wunden brannten wie Feuer, als er sich überaus schwerfällig zu erheben versuchte.
„Wartet."
Als würde es sich nur um das Gewicht eines Kindes handeln, zog Legolas ihn mühelos so weit in die Höhe, dass Assat sich seitlich auf einen Felsblock sinken lassen konnte. Gleich darauf spürte er, wie der Elbenprinz seine Verbände zu öffnen begann.
„Dafür ist später Zeit." Mit dem Unwillen des sonst Führenden versuchte er, sich Legolas zu entziehen und aufzustehen, doch ein unerwartet fester Griff hielt ihn an Ort und Stelle.
„Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass der Brand in Eure Wunden kommt, wenn wir sie nicht ständig säubern. Also bleibt sitzen," schalt ihn Legolas' Stimme.
Assat gab ihm insgeheim recht, konnte jedoch trotzdem nicht verhindern, dass er erneut jenes verhasste Gefühl der Unterlegenheit zu verspüren begann. Während er eher widerstrebend stillhielt und die Zähne zusammenbiss, als Legolas die Wunden an Arm und Rücken mit eisigem Wasser wusch und mit ein paar inzwischen getrockneten Kräutern neu verband, beobachtete er unter halbgeschlossenen Lidern hindurch, wie Miro langsam erwachte, Legolas warmen Umhang zur Seite schob und sich zu ihnen gesellte.
Trotzdem er den Kopf gesenkt hielt, konnte er die abweisenden Blicke des ehemaligen Diebes spüren. In Miros dunkelbraunen Augen lag ein so ablehnender Ausdruck, dass es Assat die Sprache verschlug. Die Angst, die Mirodas bisher vor ihm empfunden hatte, war über Nacht verschwunden und hatte einem Hass Platz gemacht, der Verständigung nicht mehr zuzulassen schien.
Assat ahnte, dass alles, was er sagen konnte, Miros Ablehnung nur noch steigern würde. Wie jeder andere Mensch hatte auch Miro eine feste Größe gesucht, an der er sein Leben ausrichten konnte. Er hatte sie im steten Gefühl der Angst vor Assats tödlichem Ruf gefunden, doch nun, da das Leben dem Jungen die Wahrheit gezeigt hatte, war ihm ebendieser Halt verloren gegangen. Aus Miros Monster war unversehens ein Mensch geworden, während sich ein furchtsames, jedem unterlegenes Kind zu ein selbstbewussten Erwachsenen gewandelt hatte. Doch dieser Erwachsene hasste sich dafür, die Welt nicht eher begriffen zu haben. Assat sah es dem Jungen deutlich an – er selbst hatte diesen Abschnitt seines Lebens ähnlich drastisch und unangenehm erlebt.
Mirodas war dabei, sich einen neuen Weg durchs Leben zu suchen und nichts, was Assat sagen oder tun konnte, würde ihm dies erleichtern. So schwieg er, doch die Stille, die nun zwischen ihnen in der Luft hing, war schwer und bedrückend. Bald ertrug Assat sie nicht mehr.
„Miro, ich..." setzte er schließlich doch noch zum Reden an, verstummte aber, als die Ablehnung und Distanz im Gesicht des Jungen sich vertiefte.
Ohne ihn einer Antwort zu würdigen legte Miro den Umhang neben Legolas auf den Felsen, dann wandte er sich ab und ging zu den Pferden hinüber, um sie zu satteln.
Bedrückt folgten Assats Augen ihm.
„Gebt ihm Zeit," rissen ihn Legolas' ruhige Worte aus seinen Grübeleien. Assat sah auf und begegnete dem wissenden Blick des Elben, der die Vorgänge stumm verfolgt hatte und gerade dabei war, den Verband von Assats verletzter Hand zu entfernen.
„Das werde ich." Assat zuckte mit den Schultern. „Er lässt mir ohnedies keine andere Wahl."
Er hatte keine Ahnung, wieso es ihm so wichtig war, mit Mirodas Frieden zu schließen. Der Mann mit der Schlangentätowierung wusste noch nicht, dass sein bisheriges Leben in den schwarzen Tiefen des Düsterwaldes zurückgeblieben war.
„Lasst mich sehen..." Legolas betastete unterdessen bereits vorsichtig die Hand, um das ganze Ausmaß der Verletzungen abzuschätzen, dann sah er auf. Aufrichtiges Bedauern lag in den sanften blauen Augen des Elben. „Ich bin kein ausgebildeter Heiler, doch zumindest reicht mein Wissen aus, um sagen zu können, dass in Eure Hand nie wieder Kraft zurückkehren wird. Es tut mir leid, Assat, aber die Krallen von Melkors Geschöpfen haben zu viele Muskeln zerstört."
„Dann werde ich lernen, meine Waffen mit der anderen Hand zu führen." Der ruhige Tonfall ließ nicht erkennen, welchen Aufruhr Legolas' Worte in Assat verursacht hatten, als er den Elben mit unbewegtem Gesicht ansah. „Später. Wenn ich Bree erst mal erreicht habe."
Legolas zögerte kurz, dann nickte er. Geschickt bandagierte er die Hand des Menschen neu, dann stand er auf, griff nach seinem Umhang und warf einen grübelnden Blick zu Miro hinüber, der bereits auf seiner Fuchsstute saß und wartete.
Ich hoffe, die zwei schließen bald miteinander Frieden, sonst bekommen wir in den Bergen Probleme, dachte der Elbe in einem Moment düsterer Vorahnung. Er half Assat aufzustehen, sammelte das wenige verbliebene Verbandszeug und die Decke ein und ging zu seinem Reittier hinüber. Nachdem alles verstaut war, stieg er auf und zog den Menschen ohne sichtbare Anstrengung erneut vor sich auf den Rappen. Dann gab er seinem Pferd ein leises Kommando in Sindarin. Als wüsste das Tier, welchen Weg es einzuschlagen galt, begann es einem schmalen Felspfad zu folgen. Miros Fuchsstute schloss sich wie selbstverständlich an. Innerhalb weniger Augenblicke lag der kleine Felskessel wieder verlassen da.
***
Legolas' Voraussage erwies sich als zutreffend. Die drei waren kaum ein paar Stunden geritten, als der eisige Wind urplötzlich an Stärke einbüßte und stattdessen die ersten Schneeflocken lautlos vom Himmel zu schweben begannen. Schließlich legte sich ein schwacher weißer Teppich über alles, doch mit jeder Stunde, die verstrich, gewann die Schneedecke an Dichte. Erst gegen Abend hörte der Schneefall auf.
Assat, von Schmerzen und Erschöpfung gepeinigt, war durch den schneidenden Wind bald bis auf die Knochen durchgefroren. Ebenso lustlos wie Miro hatte er unterwegs den Proviant verzehrt, den Legolas ihnen beiden gab. Doch es war den Männern schwergefallen, die kantigen Lembas-Brotstücke festzuhalten, denn durch die Kälte waren ihre Hände so gut wie gefühllos geworden.
Der Elbe, dem Schnee und niedrige Temperaturen nichts anhaben konnten, hatte beobachtet, wie sehr seine beiden Begleiter unter dem Wetter litten. Irgendwann hatte er die zwei davon überzeugt, sich die dünnen Schlafdecken um die Schultern zu legen. Das dünne Gewebe musste genügen, um zumindest ein wenig Körperwärme festzuhalten. Er selbst schlang seinen Umhang um sich und vertraute den Instinkten der Pferde, die mit fast traumwandlerischer Sicherheit den Weg durch das Nebelgebirge zu finden schienen.
Vier Tage vergingen auf diese Art, und jeder neu anbrechende Morgen schien sie nur noch höher in das lebensfeindliche Terrain der Berge hinaufzuführen. Der anfängliche Schneefall hatte sich nicht wiederholt, und am dritten Tag ihrer Reise begannen die Temperaturen sogar kurzfristig wieder zu steigen. Die Schneedecke, die noch immer über allem lag, begann an der Oberfläche zu tauen, doch das Gestein war nach wie vor eisig kalt. Bald bildeten sich erste Eisflächen auf ihrem Weg, die sie unter äußerster Vorsicht überquerten.
Während dieser Zeit rasteten sie tagsüber meist nur kurz und suchten sich einem geeigneten Nachtlagerplatz stets erst dann, wenn nur noch Legolas' überaus scharfes elbisches Sehvermögen etwas in der Dunkelheit zu erkennen vermochte. Um der beiden verletzten Menschen willen hielt er unterwegs nach jedem Stück Holz Ausschau, das sich des Abends für ein kleines Lagerfeuer gebrauchen ließ, so dass Mirodas und Assat sich zumindest einmal am Tag aufwärmen konnten. Meist benutzte Legolas diese Zeitspanne dazu, die Wunden der beiden neu zu verbinden oder sie dazu zu bringen, etwas zu essen.
Am vierten Abend sichtete der Elbe seinen auf ursprünglich nur einen genügsamen Esser ausgelegten Proviant. Sie reichten selbst bei bester Einteilung nur noch einen Tag lang, um drei hungrige Mägen zu füllen. Wohl oder übel würden sie die vorhandenen Vorräte weiter strecken müssen.
An diesem Abend hatten sie Unterschlupf in einer winzigen Höhle gefunden, in deren Eingangsbereich nun ein kleines, unruhiges Feuer flackerte. Miro und Assat saßen sich zwar direkt gegenüber, doch seit ihrem Aufbruch hatten die zwei kaum mehr als ein Dutzend Worte miteinander gewechselt. Die Anspannung, die zwischen den drei Reisenden hing, schien kaum noch gesteigert werden zu können.
Legolas nahm ein paar Lembas, dann schloss er die Seitenklappen der im hinteren Teil der Höhle abgelegten Satteltaschen wieder. Sein Blick traf seine beiden Begleiter. Nur wer den Elben gut kannte, vermochte in den Tiefen seiner blauen Augen die beginnende Erschöpfung zu entdecken. Trotz seiner widerstandsfähigeren Natur begann auch ihn der fortgesetzte Schlafmangel bereits über das übliche Maß hinaus zu belasten. Den beiden Menschen jedoch ging es ungleich schlechter, obgleich er sie die wenigen Stunden der Nacht ruhen ließ und allein über ihren jeweiligen Rastplatz wachte.
Die niedrigen Temperaturen in den Bergen und das fortgesetzte Reiten zehrten zudem an den ohnehin beinahe aufgebrauchten Kräften der zwei. Die Gesichter waren blass und übermüdet, die Wangen wirkten durch Nahrungsmangel und Anstrengung eingefallen und die Bewegungen der zwei Männer waren von Tag zu Tag deutlicher von Erschöpfung gezeichnet.
„Hier nehmt. Esst."
Legolas setzte sich zu den beiden Männern und reichte ihnen das Lembas-Brot. Zögernd nahmen sie es. Miro machte jedoch zunächst keine Anstalten, es zu verzehren.
„Und was ist mit Euch?" Fragend sah er den Elbenprinzen an.
„Ich habe keinen Hunger," log dieser und lehnte sich an einen Felsbrocken zurück. „Iss nur!"
„Verzeiht meine Unwissenheit," mischte sich nun auch Assat ein, während er an einer Ecke des Gebäcks knabberte. „Aber benötigen Elben denn nicht in gleichem Maße wie Menschen Nahrung?"
„Nein!" – „Doch, natürlich!"
Die Antworten von Legolas und Miro kamen beinahe zur selben Zeit. Ihre Gegensätzlichkeit ließ Assat irritiert innehalten, während die beiden Sprecher einander vorwurfsvoll anstarrten.
„Mein Volk ist in der Lage, eine lange Zeit ohne regelmäßige Mahlzeiten auszukommen," sagte Legolas schließlich ergänzend und warf Miro einen Blick zu, der diesen zum Schweigen veranlassen sollte.
Miro tat ihm diesen Gefallen jedoch nicht.
Er zögerte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Bei allem Respekt, mein Prinz, aber in meiner Zeit am Hof Eures Vaters hatte ich ausreichend Gelegenheit, Gebräuche und Gewohnheiten Eures Volkes zu studieren. Wenn es etwas gibt, in dem die Elben uns Menschen ähneln, dann ist es die Notwendigkeit, regelmäßig Nahrung zu sich nehmen zu müssen."
Legolas wollte den Jungen scharf zurechtweisen, weil dieser seine Notlüge so ohne weiteres enthüllt hatte – und verwarf diesen Gedanken gleich darauf. Im Grunde hatte Miro Recht – und er wusste es auch! Warum also sollte er den beiden weiterhin etwas vormachen? Sie mussten die Strapazen des Weges gemeinsam durchstehen, also hatten sie auch das Recht auf vollkommene Ehrlichkeit.
Er lächelte traurig.
„Es ist wahr. Unsere Verpflegung geht ihrem Ende entgegen. Wir werden sehr sparsam mit dem Vorhandenen umgehen müssen. Erst, wenn wir den Bruchtaler Wald erreicht haben, kann ich auf die Jagd gehen. Hier oben findet sich kein jagdbares Getier für meinen Bogen."
„Ich habe auch noch einige Vorräte." Miro, der den Ausführungen des Elben aufmerksam gelauscht hatte, warf Assat einen nachdenklichen Seitenblick zu, dann deutete er kurz auf seine Satteltaschen, die gleich neben denen von Legolas lagen. „Wenn wir sie gut einteilen..."
„Auch sie werden uns das westliche Waldland kaum einfacher erreichen lassen, fürchte ich." Legolas erwähnte nicht, dass er sich insgeheim bereits einen Überblick über Miros Proviant verschafft und festgestellt hatte, dass die Verpflegung des Jungen ihnen einen, bestenfalls zwei zusätzliche Tage gab. „Und das letzte Stück des Weges ist das Schwierigste."
„Das verstehe ich nicht." Assat runzelte die Stirn. „Vorhin erzähltet Ihr mir noch, dass wir von nun an wieder bergab reiten würden. Wie kann es dann das schwierigste Wegstück sein?"
„Die in den Felsen steckende Kälte hat den gefallenen Schnee inzwischen zu Eis gefrieren lassen. Selbst in diesen Höhen sind Teile des Weges bereits damit bedeckt. Je tiefer wir von hier aus kommen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Eisdecke den gesamten Pfad überzieht und ihn gefährlich glatt macht," erklärte Legolas so geduldig wie möglich. „In diesem Fall wird es schwierig, unsere Tiere heil den Berg hinabzubringen. Wir werden sie an kurzen Zügeln führen müssen. Das bedeutet wenigstens drei Tage äußerst kräftezehrenden Fußmarsches auf schmalen, abschüssigen Pfaden. Das ist ohne ausreichende Verpflegung nur schwer zu schaffen."
Assat sah Legolas kurz an, ehe er seinen Blick gedankenverloren zum Höhleneingang richtete. Inzwischen hatte sich die Nacht über das Gebirge gesenkt und hüllte alles, was mehr als einen Schritt vom Feuer entfernt war, in undurchdringliche Finsternis.
„Es tut mir leid," flüsterte er schließlich leise, doch das elbische Gehör hatte keine Mühe, die Worte trotzdem zu verstehen.
Schon wieder Schuldgefühle! Legolas musste sich zusammennehmen, um nicht entnervt aufzustöhnen. Ich dachte, nur Estel hätte diese Angewohnheit. Warum glauben Menschen bloß, sie seien für alles verantwortlich? Ich muss dem ein Ende machen...
So ruhig wie möglich sah er den Mann an. „Es ist nicht Eure Schuld, dass wir in dieser Lage sind. Ich dachte, das hätten wir bereits geklärt, Assat."
Noch immer mied der Mensch seinen Blick, während Miro den Wortwechsel aufmerksam verfolgte. „Ihr müsstet jetzt nicht hungern, wenn ich nicht..." begann Assat.
„Nein! Kein Wort mehr!"
Plötzlich lag soviel Autorität in Legolas' Stimme, dass der das Befehlen selbst gewohnte Assat unwillkürlich zurückzuckte und sich, ohne es zu bemerken, kerzengerade aufrichtete. Der Blick, den er auf den Elben heftete, war eine Mischung aus Erstaunen und Respekt. Wenn er je an dessen königlicher Abstammung gezweifelt hatte, so belehrte ihn die Ausstrahlung des silberhaarigen Prinzen nun schlagartig eines Besseren. Aus dem stillen, sanften, überaus jung erscheinenden Elbenkrieger war unvermittelt einer jener würdevollen, alterslosen Erstgeborenen geworden, deren Wort niemand in Frage zu stellen wagte.
„Es hätte durchaus in meiner Macht gelegen, Euch an den Hof meines Vaters zurückzubringen."
Legolas' Worte hätten nicht bestimmter klingen können, wenn er sie im Thronsaal des väterlichen Schlosses an seine untergebenen Hofbediensteten gerichtet hätte. Auch der Blick, mit dem er Assat maß, machte deutlich, dass er keinen weiteren Einwurf zulassen würde.
„Das ich es nicht tat, war einzig und allein meine Entscheidung, nicht die Eure. Es stünde Euch gut an, dies endlich zu akzeptieren, Assat aus Ardaneh. Belastet Euch nicht länger mit irgendwelchen Vorwürfen, sondern versucht zu begreifen, dass alles, was geschieht, der Wille der Valar ist. Weder Euch, noch mir, noch irgendeinem lebenden Wesen in Mittelerde steht es zu, dies durch fortgesetzte Selbstanklage in Frage zu stellen. Was ich tue, tue ich aus eigenem Entschluss. Und nun esst zu Ende und geht zur Ruhe." Er ließ seinen Blick zu Miro wandern, nachdem er gesehen hatte, dass Assat keine Absicht mehr zu haben schien, diese Diskussion fortzuführen. „Beide!"
Assat fügte sich daher wortlos der Anordnung des Elbenprinzen. Ebenso schweigend wie Miro verzehrte er seine karge Mahlzeit, dann wickelte er sich enger in die Decke, die er nicht mehr abgelegt hatte, seit sie den höhergelegenen Teil des Nebelgebirges durchquerten.
Beide Männer legten sich so dicht, wie der gelegentliche Funkenflug es zuließ, mit dem Rücken zu dem kleine Feuer. Die spärliche Wärme, die die Flammen absonderten, genügte jedoch, dass ihnen die Augen innerhalb von wenigen Minuten zufielen. Kaum zehn Minuten später verrieten regelmäßige Atemzüge dem Elben, dass seine Reisegefährten eingeschlafen waren.
Eigentlich hatte er ursprünglich nicht beabsichtigt, die Autorität seines Standes einzusetzen, doch der Kampf gegen Hunger und Ermüdung hatte seine angespannten Nerven ebenso strapaziert wie die Tatsache, dass sich seine beiden Reisegefährten seit vier Tagen bewusst anschwiegen.
Das Ergebnis schien seine Aktion zu rechtfertigen: die zwei hatten sich zum ersten Mal zusammengetan, um sich verbal gegen ihn zu verbünden. Mit etwas Glück würde sich ihr Verhalten schon bald normalisiert haben. Zufrieden mit dieser Aussicht begann Legolas zu lächeln.
Vielleicht sollte ich das auch mal bei Aragorn versuchen, wenn er mal wieder eine seiner Es-ist-alles-meine-Schuld-Diskussionen mit mir führen will...
Der Gedanke an den Freund beruhigte ihn. Der Elbe nahm nach kurzer Überlegung seinen Köcher zur Hand und begann die von rauen Bergwinden zerzausten Federschäfte der Pfeilenden zu glätten, während er seine Gedanken einfach in der nun herrschenden Stille treiben ließ.
***
Der Wirt der Dorfschenke rieb gelangweilt ein paar seiner Bierkrüge trocken, ohne sich viel Mühe dabei zu geben. Es kümmerte ihn auch nicht, dass er dabei großzügig einige Ränder in den Krügen übersah. Wer in seine Schenke kam, wollte im Allgemeinen nur einen kühlen Trunk, um einen langen Tag zu beenden. Ein paar alte Schaumränder störten dabei die Wenigsten.
Seit einigen Wochen jedoch war der Betrieb in seiner Schenke kontinuierlich zurückgegangen, bis vor ein paar Tagen schließlich gar keiner mehr gekommen war. Zunächst hatte er es auf das anhaltend nasse Herbstwetter geschoben und sich eingeredet, dass es die Leute dazu bewog, in ihren Hütten zu bleiben, doch heute nun hatte endlich wieder die Sonne geschienen. Trotzdem waren die Gäste ausgeblieben.
Missmutig gestattete er sich gerade ein herzhaftes Gähnen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ein paar Männer die Schankstube betraten. Ihr Anblick ließ ihn vor Schreck den Krug fallen, den er gerade in der Hand hielt, denn plötzlich schienen die Gerüchte wahr geworden zu sein, die in letzter Zeit die Runde durch die Dörfer machten.
„Bei allen Göttern," flüsterte der Wirt und wich unbewusst einen Schritt zurück.
Er hatte sie natürlich alle gehört, jene Geschichten, die von einer Gruppe Fremder, Südländer, wie man sagte, berichteten, aber keine davon wirklich geglaubt. Dass sie jedes Dorf und jede kleinere Stadt unsicher gemacht und sich genommen haben sollten, was ihnen gefiel – Geld, Kleidung, Essen, Wein, Pferde, sogar Frauen, wenn ihnen eine hübsch genug erschien – konnten doch nur Ammenmärchen furchtsamer Bauern sein. Auch, dass jeder niedergemetzelt worden sei, der es gewagt hatte, sich ihnen in den Weg zu stellen, wollte der Wirt nicht glauben. Gerade er wusste, wie schnell solche Erzählungen abenteuerliche Formen annehmen konnten. Aus zwei abgerissenen Wegelagerern wurden nach einem Krug Bier bereits ein Dutzend blutdürstiger Unholde, und nach drei Krügen hatten furchtsame Naturen ihnen gar mehrere Köpfe angedichtet.
Der Wirt hatte über den Unfug, wie er es nannte, nur gelacht, doch die Worte waren in seinem Gedächtnis geblieben.
Die Männer, die nun vor ihm in der einfachen Schankstube standen, schienen genau jenem „Unfug" entsprungen zu sein. Hätten sie nur gegrölt und laut gelacht, wären sie dem Wirt längst nicht so bedrohlich erschienen. Doch die Fremden, die er nun furchtsam anstarrte, wirkten allein schon durch ihre offensichtliche Andersartigkeit überaus gefährlich. Selbstsicher und ruhig verteilten sie sich in der Gaststube und nahmen an den rohen, grob gezimmerten Tischen Platz. Während sie sich setzten, schoben sich Griffe von Waffen unter ihren Umhängen hervor.
Der Wirt schluckte. Er sah viele Waffen. Zu viele für seinen Geschmack. So viele Waffen bedeuteten nie etwas Gutes – schon gar nicht, wenn sie sich in seiner Gaststube befanden.
Mit raschem Blick überflog der Wirt die restliche Aufmachung der Männer. Sie trugen fremdländische, dunkle Kleidung ohne jedes Reichswappen, nachtdunkle Augen musterten die Schankstube abfällig, während die Kapuzen der Umhänge Schatten auf eine für diese Gegend viel zu dunkle Haut warfen. Am hervorstechendsten waren jedoch ihre Kettenhemden, denn sie sprachen von einer Machart, die anders als alles war, was der Wirt bisher gesehen hatte.
„Wir wollen was trinken. Bring uns sofort Wein und Bier," forderte einer der Männer lautstark und sah ihn an. Die Furcht, die er in den Zügen des Wirtes erkennen konnte, schien ihn noch anzustacheln, denn gleich darauf stand er auf und griff grinsend nach einem Stuhl, den er dann wie zur Unterstreichung der Ernsthaftigkeit seiner Forderung am Türrahmen zerschmetterte. „Worauf wartest du? Beeil dich oder deine Knochen splittern bald ebenso leicht wie dieser Stuhl."
Als hätte ihn das Krachen des zersplitternden Holzes aus seiner Erstarrung gerissen, setzte sich der beleibte Wirt in Bewegung und stellte, so schnell ihn seine kurzen Beine tragen konnten, Krüge mit Bier und Wein auf die Tische, an denen sich das Dutzend Südländer verteilt hatte.
Der Wirt versuchte den Wünschen seiner ungebetenen Gäste so rasch wie irgend möglich nachzukommen und ja nicht durch eine unbedachte Äußerung oder einen falschen Schritt den Ärger der Männer auf sich zu ziehen. Er begriff instinktiv, dass sie wie gespannte Bögen waren: jederzeit bereit, auf ihr Ziel loszugehen.
Nachdem alle ausreichend Alkohol auf den Tischen zu stehen hatten, wollte sich der Wirt unauffällig ein Stück zurückziehen, doch die Hand, die seinen Arm umklammerte, hinderte ihn daran.
„Warte!"
Der Wirt sah den Mann an, der ihn gepackt hatte.
„Was wünscht Ihr, Herr?" Furcht schlich sich in das Herz des Wirtes.
„Ich will etwas nachsehen."
Ohne seine rätselhaften Worte zu erklären, stand der Südländer auf, griff nach dem schmutzigen Hemd des Wirtes und riss es über der Schulter auf. Nach – für den zitternden Wirt unendlich scheinenden – Sekunden des Wartens ließ der Fremde ihn unerwartet los.
„Nichts. Dein Glück. Und nun verschwinde."
Er gab dem Wirt einen Schubs, der daraufhin zum Fenster stolperte, an dem er stehenblieb. Er hatte keine Ahnung, was da eben vor sich gegangen war, doch irgendetwas sagte ihm, dass er sich glücklich preisen konnte, dass sie bei ihm nicht gefunden hatten, was sie zu sehen gehofft hatten.
Sein Blick ging aus dem Fenster, doch sein Herz sank, als er ein weiteres halbes Dutzend Südländer erblickte, die sich gerade anschickten, sich in den anderen Häusern umzusehen. Vielleicht wollten sie sich nur Vorräte besorgen, die sie keine Münze kosten würden, vielleicht jedoch auch mehr. Er wusste es nicht und wollte es plötzlich auch gar nicht mehr wissen. Alles, was er wusste, war, dass diese Männer die Angst der Dorfbewohner ausnutzen und sich nehmen würden, was sie brauchten.
Ärger machte sich im Wirt breit, doch er gab den Gedanken an Gegenwehr schnell wieder auf. Das Schlimmste, gegen das dieses Dorf sich bis jetzt zu wehren hatte, waren Raubtiere, die hinter dem Vieh in den Ställen her waren und sie des Nachts als leichte Beute schlugen. Diese Südländer jedoch waren schlimmer als alle wilden Tiere, denn sie waren weitaus unberechenbarer.
Der alte Mann richtete seinen Blick in die Ferne.
Das Dorf befand sich auf einer Anhöhe und so konnte er am Horizont die Wälder erkennen. Es hieß, dass sich dort in einem Tal das nächstgelegene Heim der Elben befand. Der Wirt kannte sogar den Namen, den dieses Tal trug. Bruchtal. Ob sie Hilfe bekommen würden, wenn sie jemanden nach Bruchtal schickten, um dort um Schutz für das Dorf zu bitten?
„Wirt, bring uns etwas zu essen! Und das schnell, wenn du nicht mit meiner Klinge tanzen willst."
Der Südländer hatte seine Hand wie zufällig auf den Griff seines Schwertes gelegt, doch die gebogene Klinge, die jetzt teilweise unter dem Umhang sichtbar wurde, war eine gezielte Drohung.
Dem Wirt blieb keine Zeit für weitere Überlegungen. Er seufzte leise und beugte sich dem Unvermeidlichen. Mit ganzer Hoffnung klammerte er sich an den Gedanken, dass sie bald wieder gehen würden. Sie hatten nie die Dörfer vernichtet, in die sie eingefallen waren, besagten die Erzählungen. Also würden sie weiterziehen, wenn sie hatten, wonach es ihnen verlangte.
Ein letztes Mal sah der Wirt durch das kleine, schmutzige Fenster zu jenen Wäldern hinüber, in denen er Bruchtal wusste, dann wandte er sich wieder der Schankstube zu.
Der Mond hatte seinen Lauf über den Himmel bereits angetreten, als die Südländer schließlich wieder in die Wälder zurückritten, aus denen sie gekommen waren. Anders als bei ihrer Ankunft waren ihre Pferde jetzt mit Vorräten beladen, die bis vor wenigen Stunden noch in den Stuben der einfachen Menschen dieses Dorfes gestanden hatten. Es war den Fremden egal, dass ihnen viele furchterfüllte Augenpaare aus lichtlosen Fenstern nachstarrten – und dass ein Augenpaar dies nie mehr würde tun können.
Als die Dorfbewohner sich davon überzeugt hatten, dass die Fremden verschwunden waren, kamen sie furchtsam aus ihren Häusern hervor. Flüsternd erzählten sie sich, was die Fremden mitgenommen hatten und dass sie hofften, sie nie wieder zu sehen.
Besorgt wegen der Abwesenheit des Wirtes, betraten sie zögernd die Schankstube. Sie erwarteten eine wilde Verwüstung zu sehen, doch alles, was ihnen am Eingang vor die Füße kam, war ein zerschmetterter Stuhl. Dicht aneinander gedrängt gingen sie weiter in den Raum hinein und dann sahen sie ihn.
Der Wirt lag hinter dem Schanktisch in einer Lache Blut. Die Fremden hatten ihm die Kehle durchgeschnitten. Mit blicklosen Augen starrte er aus dem Fenster und in Richtung Bruchtal.
***
wird fortgesetzt
Zunächst einmal allen unseren herzlichen Dank für die zahlreichen Reviews. Ihr alle seid der Ansporn, den sich jeder Autor insgeheim wünscht!!!
Shelley: Spätestens, wenn das Schlimmste vorbei ist, erfährt Glorfindel, welche Verletzung Aragorn hatte. Tja, der Dunkle Istari... Schon „Hauch des Lebens" gab ja dem Leser durch den sterbenden Legolas einen – wenn auch sehr, sehr indirekten – Hinweis auf ihn. Die Tagebucheintragungen in Kapitel 9 führten etwas mehr zu diesem Thema aus und im nächsten Kapitel, dem 11., wird dann ganz genau auf ihn eingegangen. Dass dir die Geschichte bereits in diesem Stadium gefällt, freut uns natürlich sehr. Wir hoffen, die Entwicklungen, die sich ab ca. dem 12. Kapitel ziemlich überstürzen werden, enttäuschen dich dann nicht.
Evala: Unseren verlegensten Dank für deinen schmeichelhaften Vergleich. Dass du unsere Geschichte bisher für so gut gelungen hältst, ehrt uns wirklich. Dein Verdacht, dass sich das Ende sehr kompliziert gestalten wird, ist nicht so ganz von der Hand zu weisen. Zwar nicht für euch, die Leser, doch für uns zwei auf alle Fälle, denn wir müssen immerhin aufpassen, keinen der noch offenen Storyfäden zu vergessen. Viel komplizierter für die Leser ist es, der Handlung aufmerksam bis zu jenem Punkt zu folgen, an dem sich die Ereignisse dann überschlagen werden. Das wird Kapitel 12 oder 13 sein. Danach geht alles relativ schnell. Retriever-Kuwatsch-Welpen? Niedliche Kombination. Die Kleinen sind bestimmt zum Knuddeln, oder?
Black Pearl: Äußere deine jeweiligen Verdachte ruhig. Wir greifen gern auf Wünsche der Leser zurück, wie man an der Glorfindel-Elladan-Szene gesehen hat. *g* Das sie dir gefallen hat, freut uns. Was nun Aragorns Schüttelfrost/Fieber angeht, so ist in der letzten Woche beim Posten des Kapitels ein wichtiges Teilstück verlorengegangen. Wir haben es zwar sofort ersetzt, als wir den Schaden bemerkten, doch vermutlich hast du das Kapitel vorher gelesen. Auch sonst ist die Sache mit dem Fuß nicht vergessen. Eher im Gegenteil... *Autorinnen grinsen überaus wissend – und überaus böse* In Moment ist es bei Aragorn eher so, dass ihm die Ereignisse kaum noch Zeit lassen werden, über seine Verletzung zu reden – zu viel geschieht in zu kurzer Zeit. Außerdem denkt ein Teil von ihm ja immer noch, dass es sich um einen „Kratzer" handelt. Was Elrond, Rivar und Aragorn sich zu sagen haben, lest ihr im nächsten Kapitel. Legolas und seine beiden Menschen sind ja diesmal wieder ausführlich behandelt worden. Na, und das mit dem dunklen Istari wird auch im nächsten Kapitel erklärt. Ein wenig ... Tolkiensche Freiheit ... haben wir uns mit einem 6. Istari zwar genommen, aber das Ergebnis wird euch uns hoffentlich verzeihen lassen. Und was die Anregung unserer Musen angeht, so haben deine Worte das mehr als wunderbar geschafft.
Luinaldawen: Ja, zugegeben. Diesmal war überaus viel Vorarbeit notwendig, damit sich die Dinge nachher richtig schön überschlagen können. Tausend Kleinigkeiten geben letztlich auch eine große Katastrophe, doch einzeln betrachtet sind sie zunächst mal nicht so spannend wie der eigentliche Höhepunkt selbst. Dafür gibt's diesmal keinen – wie bei uns sonst üblich – langen „Nachspann". Aragorns Verletzung war bei weitem nicht vergessen. Das Stück Text, das sich darauf bezog, ging leider beim letzten Mal beim Posten verloren. Wir haben den Schaden zwar schnell bemerkt und behoben, doch du hast das 9. Kapitel wahrscheinlich vorher gelesen. Legolas' Ankunft in Bruchtal ist nicht mehr fern – und er wird diesen Moment nie wieder in seinem langen, unsterblichen Leben vergessen. Aber mehr wird nicht verraten.
Dragon-of-the-north: Oh, oh, du hast unsere Absichten aber wirklich gut durchschaut. Klar sind Aragorns Fußprobleme nicht vergessen, und klar hat es einen Grund, dass wir immer wieder für Ablenkung sorgen. Nein, ein Holzbein wird er nie brauchen – immerhin sehen wir ihn trotz der Freiheiten, die wir uns in unseren Geschichten nehmen, immer noch als starken und gesunden künftigen König. Doch manchmal ist der Weg zum Thron verflucht lang und wir sorgen dafür, dass er zu diesem Teil seines Lebens sehr „dornenreich" wird. Was Elronds Reaktion auf Rivars „Entdeckung" angeht, so ist von allem etwas dabei: Verlustängste (immerhin sieht er Aragorn unserem Verständnis nach als 3. Sohn) wohl genauso wie die Furcht, dass 20 Jahre des Schweigens schließlich doch noch umsonst sein könnten. Und wie Recht er damit behält, zeigen die nächsten Kapitel... Diese Ruhe im letzten Kapitel wird übrigens demnächst vorbei sein.
Celebcristien Beshi: Du ahnst schon ganz richtig: es wird nicht das letzte Treffen zwischen Aragorn und Rivar sein. Doch das einzige friedliche... *Autorinnen reiben sich angesichts der bevorstehenden Entwicklungen zufrieden die Hände*. Und bitte: halt mit deinen Vermutungen bloß nicht hinter dem Berg. Es kann ja sein, dass wir dadurch noch was „Netteres" für unsere Helden finden! *BG*
Ne-chan: Es tut uns zwar leid, dass du auf glühenden Kohlen sitzt, doch glaub uns: wir tun es auch. Immerhin wissen wir schon, was auf unsere Lieblinge wartet – und können es euch noch nicht mitteilen, weil die Kapitel noch so weit zurück sind. Aragorns Verletzung ist übrigens eine der Kohlen unter unserem Allerwertesten. Zu Legolas und seinen beiden Herren hast du ja diesmal mehr erfahren. Beim nächsten Leggi-Kapitel wird es dann auch für den süßen Prinzen ernst. Und Miro... Tja, ursprünglich war er nur als Informationslieferant für „Hauch des Lebens" geplant. Inzwischen ist uns der Junge so richtig ans Herz gewachsen. Mal sehen, was ihm die Zukunft so bringen mag. Hey, vielen Dank für deine Lobeshymnen auf unsere Schreiberei. Es freut uns ehrlich, wenn wir merken, dass wir mit unseren Worten die Leser erreichen und in ihnen Spannung erzeugen können. Mehr will ein Autor ja auch nicht. Außer vielleicht noch die eine oder andere kleine Review, aber sonst... Eure Begeisterung ist unser Glück!
Grandma: Vielen Dank für dein wirklich tolles Lob. Wenn du uns in einer Nische des grandiosen Tolkien-Universums siehst, so ist das eine wirklich verlegen machende Anerkennung für uns. Wollen wir hoffen, dass dir unsere Worte auch weiterhin eine kleine Alltagsflucht sein können.
Mystic Girl: Du wärst erstaunt, wie weit sich das menschliche Gedächtnis zurückerinnern kann. Ich [Salara] bin darauf gestoßen, dass meine früheste Erinnerung aus dem Lebensalter von ca. 1 ½ Jahren stammt. Und von da an gibt es jede Menge Erinnerungen an diese Zeit. Was nun die mehr oder weniger subtilen Qualen des Herrn von Bruchtal angeht, so sei verraten, dass auch auf ihn noch Schlimmes wartet. Die entsprechenden Kapitel sind schon fertig bzw. gerade in Arbeit.
Amlugwen: Zu Rivars Zukunft geben wir jetzt mal keinen informativen Kommentar ab – der würde nämlich jede Spannung nehmen. Sagen wir mal, der gute Rivar ist einer der Eckpfeiler, ohne den wir die Handlung nicht so hinbekommen hätten, wie es jetzt der Fall sein wird. Und Aragorns Pfeilwunde ist auch so eine Sache, zu der wir jetzt nichts Genaueres sagen wollen außer, dass sie nicht vergessen ist (auch, wenn das 9. Kapitel einen Teil genau dieser Handlung verschlucken wollte ... grummel...). Was nun den dunklen Istari und den fremden Drogenabhängigen angeht, so wird auf diesen Teil der Geschichte das ... hmm, wohl übernächste ... Kapitel ganz genau eingehen. Schöne Grüße übrigens an deinen Ork. Die Vorstellung, ihn mit Schreibgriffel und Schiefertafel über einem typischen Orkdiktat („...metzelten sie nieder...") schwitzen zu sehen, ist höchst amüsant. Und die Sache mit dem Tippfehler... Tastaturen sind Dinge mit Eigenleben: mal verschlucken sie Buchstaben, mal hauen sie welche an Stellen, die völlig ungeeignet sind. Hey, wir sind jedoch begeistert, dass du die Story dermaßen aufmerksam liest. Unter uns: Autoren sind auch nur Menschen! *bg* Bei manchen Schreibbloopern würdet ihr euch vor Lachen lang machen...
Isadora: Ja, das mit den wiederholten Hinweisen auf das „Kommende Verderben" ist natürlich insofern gemein, als dass das angesprochene Verderben für euch Leser noch ein paar (wenige) Kapitelchen aussteht. Wir als Autorinnen sind da in der (un)glücklichen Situation, zu wissen, was kommt, denn schließlich schreiben wir gerade daran. Ehrlich gesagt freuen wir uns schon auf den Moment, da wir euch endlich den Höhepunkt präsentieren können. Auch, wenn wir uns in diesem Moment einen einbruchssicheren Geheim-Bunker mieten müssen... Was die von dir zur Verfügung gestellten Informationen zum Thema Athelas angeht, so bedanken wir uns herzlich für die Mühe, die du dir unseretwegen gemacht hast. Es ist anzunehmen, dass Tolkien ein begeisterter Rechercheur aller Kleinigkeiten war, so auf das Königskraut in seinen Varianten und Verwendungsmöglichkeiten stieß und es kurzerhand mit in die Handlung seines Werkes einbaute. Ich [Salara] bin auch nur darauf gestoßen, weil meine Mutter wissen wollte, ob es sich lohnt, das Kraut weiterhin anzubauen, wenn es doch auch welches im Supermarkt zu kaufen gibt. Nun, meine Begeisterung angesichts des Begriffs Königskraut hat sie verständlicherweise nicht wirklich nachvollziehen können, es aber im Garten in Ruhe stehen gelassen.
