*Autorinnen sehen nervös zur Tür*
ManuKu: Meinst du, sie brechen gleich die Tür auf?
Salara: Kann schon sein - Nili und Isadora2 hätten das drauf!
ManuKu: Stimmt, die waren in ihren Reviews ganz schön grimmig.
Salara: Los, nun geh schon online und lade das neue Kapitel hoch! Ab an die Tastatur!
*An der Tür poltert es und beide zucken zusammen*
ManuKu (etwas weinerlich): Aber ich war doch 3 Wochen krank und... und...
Salara: Genau, und... Das zählt hier nicht. Neugier ist unerbitterlich! Nun mach schon und hör auf zu zittern!

*bg* Ein dickes Danke, dass ihr noch bei uns seid!

Hier also gleich ein etwas längeres Kapitel, in dem Legolas endlich in Bruchtal ankommt und die Action losgehen kann...


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Schuld und Sühne

von: Salara und ManuKu

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Teil 17

Legolas war erschöpfter, als er es jemals zuvor in seinem langen Leben gewesen war. Nur vor sich selbst gab er zu, dass die Reise ihm mehr abverlangt hatte als erwartet und er schon vor einiger Zeit an die Grenzen seiner Kraft gestoßen war. Die Müdigkeit war inzwischen bereits so überwältigend, dass er die Ankunft in Bruchtal kaum noch erwarten konnte.

Wie erwartet waren die Nächte auch in den Wäldern spätherbstlich feucht und ungemütlich gewesen, und was ihn sonst nicht gestört hätte, machte nun selbst sein bevorzugtes Quartier – den starken Ast eines Baumes – zu einem besseren Notbehelf. Zum ersten Mal seit langer Zeit würde er das Nachtlager unter dem Blätterdach gern gegen ein trockenes Quartier innerhalb eines Gebäudes eintauschen, noch dazu, wenn dieses Haus das von Lord Elrond war. Nur noch eine kurze Zeit, dann konnte er sich auf einer bequemen – und vor allem nicht vom ständigen Nieselregen durchweichten – Bettstatt ausstrecken. Doch bevor er sich dem Luxus eines Bettes hingeben würde, wollte er Aragorn überraschen, ihm einen Besuch abstatten und sich so gleichzeitig davon überzeugen, dass sein ungutes Vorgefühl unbegründet war.

Die kleine Gruppe hatte gerade den letzten Grenzposten vor dem Tal passiert. Immer wieder warf der Elbenprinz einen kurzen Blick neben sich, um zu sehen, ob Assat sich noch auf dem Pferd halten konnte oder schon aus dem Sattel gerutscht war. Doch der Mensch hielt sich erstaunlich gut, wenn ihm auch von Zeit zu Zeit die Augen zufielen.

Mirodas dagegen war in einer wesentlich schlechteren Verfassung. Trotz der zum Schutz vor der Feuchtigkeit um ihn geschlungenen Decke war die Erkältung, die er sich in den Bergen eingefangen hatte, inzwischen schlimmer geworden. Jeder Atemzug wurde von einem hörbaren Rasseln begleitet und sein Fieber war erneut in jene Bereiche gestiegen, die ihn von Zeit zu Zeit wirr reden ließen. Dazwischen hing der Junge bewusstlos in den Armen des Elben. Sein geschientes Bein schlug zudem ab und zu leicht gegen den Bauch des Pferdes, und trotz des Dämmerzustandes stöhnte Miro dann jedes Mal leise auf. Auch die von den Fledermäusen verursachten Wunden hatten sich durch die Feuchtigkeit erneut geöffnet. Die spärlichen, bestenfalls improvisierten Verbände reichten längst nicht mehr aus, um das unablässig aus den Risswunden sickernde Blut zu stoppen. Das alles ließ die Erschöpfung des jungen Mannes so tief werden, dass er die meiste Zeit reglos in Legolas' Armen hing.

Über ihrem angestrengten Ritt war es inzwischen tiefe Nacht geworden. Die Drei näherten sich dem engen Zugang zum Tal, der durch weitere Wachen geschützt wurde. Es dauerte jedoch nur Augenblicke, bis diese den Prinzen erkannten und ihn nach kurzer Begrüßung durchließen. Der blonde Elbenprinz war zwar noch nicht allzu oft hier gewesen, doch seine Freundschaft zu Aragorn war mittlerweile jedem Bruchtaler Elben bekannt.

Während er seinem Rappen erneut die Zügel locker ließ, ertappte Legolas sich dabei, dass ihm für einen Wimpernschlag lang die Augen zufielen.

Bin ich wirklich schon so erschöpft, dass meine Wachsamkeit nachlässt? fragte er sich stirnrunzelnd und rieb sich die müden Augen, gestand sich jedoch gleich darauf ein, dass dem tatsächlich so war. Im Gegensatz zu den beiden ihn begleitenden Menschen hatte Legolas in den letzten Wochen kaum geschlafen und schließlich beinahe jede Wache übernommen, nachdem auch Assat dazu nicht mehr in der Lage gewesen war.

Es war für die viel anfälligeren Körper der Menschen bald problematisch geworden, weiterhin Kraft aufzubringen, nachdem sie den Angriff der Fledermäuse und den entbehrungsreichen Marsch über die Nebelberge hinter sich gebracht hatten. Sowohl Assat wie auch der um einiges ungeübtere Miro waren bei jeder sich bietenden Gelegenheit in einen tiefen, traumlosen, von Erschöpfung geprägten Schlaf gefallen. Legolas' elbischer Körper konnte einige Zeit ohne Schlaf auskommen, doch spätestens seit dem Verlassen der Berge wußte der Elbenprinz, dass auch er bald gezwungen sein würde, eine Ruhepause einzulegen.

Als Legolas und seine Gefährten endlich zu mitternächtlicher Stunde durch das hintere Tor in den weiten Hof Bruchtals einritten, atmete der Prinz die von herbstlichem Verfall weitgehend unberührte Luft des Tales fast wie ein Ertrinkender ein.

Ohne es zu bemerken zügelte er das Pferd und sah sich um.

Es glich jedes Mal dem Eintritt in eine Oase, wenn man Bruchtal erreichte. Die Einheit von Natur und Gebäuden war in kaum einer anderen elbischen Zuflucht so präsent wie hier. Die herabstürzenden Wasserfälle, die selbst in dieser Dunkelheit für seine scharfen Augen klar zu erkennen waren, wirkten auf den Geist erquickend wie ein kühler Trunk nach einer langen Wanderung auf staubiger Straße. Kein Gefühl kam dem der Freiheit dieser Wasserkaskaden gleich, und Legolas nahm es tief in sich auf.

Die einzelnen Gebäude, die durch Gänge miteinander verbunden waren, luden durch ihr sanftes Licht jeden Besucher ein, in ihnen zu verweilen und sich zu erholen. Der Prinz aus Düsterwald war noch nicht sehr oft in diesen Mauern gewesen, doch jener ätherische Hauch, der die fragilen Bauwerke Bruchtals umgab, war etwas, das er in seinem Zuhause vermisste. Düsterwald hatte durch die dunklen Elemente, die im Wald um das Schloss herum hausten, schon lange seinen einstigen Glanz verloren.

„Prinz Legolas? Seid Ihr es wirklich?" Die Worte rissen Legolas aus seinen Gedanken. Er sah auf und erblickte einen Krieger, den er bereits während seines ersten Aufenthaltes hier kennengelernt hatte. Nach einigen Momenten lieferte ihm sein müder Geist auch einen Namen zu dem Gesicht: Gorenduil. Mit überraschtem Gesichtsausdruck kam dieser auf ihn zu.

„Es ist schön, Euch wiederzusehen, mein Prinz, doch ich bin auch verwundert. Die Stunde, die Euch in Lord Elronds Haus führt, ist ungewöhnlich. Ich weiß, es steht mir nicht zu, doch gestattet mir diese Frage trotzdem: was führt Euch in Zeiten wie diesen, da Gefahr sich um Bruchtal zusammenzuziehen scheint, hierher?"

„Bruchtal ist in Gefahr?" Schlagartig trat die Erschöpfung von Legolas in den Hintergrund. Die Wachpatrouillen auf dem Weg hatten ihm gegenüber kein Sterbenswort über eine drohende Gefahr verlauten lassen. Er sah Gorenduil fragend an. „Erkläre mir, wovon du sprichst!"

„Einiges ist heute Nacht geschehen, doch nicht alles davon vermag ich Euch zu deuten, mein Prinz. Ich war mit den Kriegern meiner Patrouille auf dem Rückweg nach Bruchtal, als wir unerwartet auf ein kleines Mädchen stießen, das mit einer Nachricht für Lord Elrond unterwegs war."

„Ein Mädchen, sagst du? Ein menschliches Kind?" Nun war es an Legolas, überrascht zu sein.

„Ja, die Kleine hatte die Richtung verloren und wäre weit an Bruchtal vorbeigeritten. Wir haben uns ihrer schließlich angenommen und sie hergebracht." Gorenduil schmunzelte gedankenverloren. „Sie war zwar verängstigt, doch uns Elben gegenüber scheint sie sehr aufgeschlossen zu sein. Beinahe vernarrt ist sie in uns. Nennen die Menschen das nicht so?"

Legolas lächelte. „Ich glaube schon." Dann wurde der Prinz wieder ernst. Da war mehr dahinter, das konnte er spüren. „Du sagst, sie hatte eine Nachricht für deinen Herrn?"

Gorenduil nickte. „Ja, mein Prinz!"

„Kennst du die Nachricht, die das Mädchen Lord Elrond überbringen sollte?"

„Nein. Das Kind beharrte darauf, ihre Nachricht nur ihm persönlich sagen zu dürfen. Es müssen bedeutende Informationen gewesen sein, denn kurz nachdem ich das Mädchen zu ihm gebracht hatte, wurden sämtliche Wachen verdoppelt. Wie ich schon sagte: Alles deutet auf eine Gefahr für Bruchtal hin. Ich rechne damit, dass man die Krieger bald näher darüber unterrichten wird, was zu erwarten ist."

Gorenduil verstummte, während Legolas seinen Gedanken nachhing.

Das Irrlicht scheint tatsächlich eine Warnung vor kommendem Unheil gewesen zu sein.

Plötzlich begann sich das ungute Gefühl, das sich mit dem Auftauchen des Irrlichts in ihm ausgebreitet hatte, weiter zu verstärken. Alles in dem Elbenprinzen verlangte danach, dass er handelte.

„Gorenduil, bring diese beiden Menschen bitte zu den Heilern. Ich muss unbedingt mit Estel und deinem Herrn sprechen." Kurzentschlossen hielt er dem Krieger die Zügel seines Rappen hin.

Der Elbe nahm sie ihm ab und hielt dessen Pferd, doch ein rascher Seitenblick streifte sowohl die reglose Gestalt Miros wie auch die des anderen ihm unbekannten Menschen. „Eure Begleiter sehen so aus, als kämen sie keinen Schritt mehr weiter. Vor allem jener vor Euch nicht..."

Er ließ die Zügel fahren, streckte stattdessen die Arme aus und half dem Prinzen, den jungen Menschen vom Pferd zu heben, der keine Anstalten machte, die Augen zu öffnen, dann warf er Legolas einen fragenden Blick zu. „Was soll ich den Heilern sagen?"

Legolas, der nun gleichfalls abgestiegen war, sah ihn an. „Miro, dieser bewusstlose junge Mann hier, hat sich im Nebelgebirge eine ziemlich ernste Erkältung zugezogen. Darüber hinaus ist sein Bein gebrochen. Außerdem hat er schwere Verletzungen am Rücken, die von Melkors Fledermäusen stammen. Es geht ihm schlecht."

„Ich werde mich darum kümmern, dass er schnellstens Hilfe erhält," erwiderte Gorenduil und trotz seiner eigenen Müdigkeit, hervorgerufen durch die wochenlange Patrouille an der Grenze, schob er den Gedanken an sein Quartier noch eine Weile beiseite. Er warf einen fragenden Blick zu dem anderen Menschen in der Begleitung des Prinzen. Auch dieser sah kaum besser aus als jener, den er nun auf den Armen trug. „Und was ist mit ihm?"

Der Blick des Prinzen folgte dem Gorenduils. Der Mann mit dem Schlangenmal saß zwar noch immer auf der Fuchsstute, doch er machte nicht den Eindruck, als hätte er auch nur ein Wort der zurückliegenden Unterhaltung gehört.

„Assat?"

Legolas' Stimme schien diesen wie aus einem Traum aufzuschrecken. Zum ersten Mal hatte Assat eine elbische Behausung betreten, doch der Anblick des nächtlichen Tals beeindruckte ihn über alle Maßen. Noch nie meinte er etwas Schöneres gesehen zu haben als diesen Platz. Flüchtig dachte Assat an all die Orte, in denen er bisher gelebt oder sich für kurze Zeit aufgehalten hatte, doch keiner von ihnen kam auch nur im Entferntesten diesem hier gleich. Er verspürte ein fast schmerzliches Ziehen in seiner Brust, sich inmitten solcher Schönheit zu wissen.

Die Ehrfurcht stand deutlich in seinem Blick, als er endlich wortlos zu Legolas hinübersah. Als dieser ihn verständnisvoll anlächelte, begann Assat zu ahnen, dass Bruchtal wohl auf jeden Besucher diesen überwältigenden Eindruck machte.

„Assat, wir müssen auch dich zu einem Heiler bringen. Dein Rücken trägt gleichfalls schwere Wunden und vielleicht können die Heiler Bruchtals deine Hand noch retten. Folge Gorenduil! Er wird dich zu ihnen bringen!"

Assat wollte etwas erwidern, doch noch immer war seine Kehle wie zugeschnürt. So nickte er schließlich nur.

Gorenduil betrachtete unterdessen aufmerksam den Menschen mit den langen dunklen Haaren und den blauen Augen, der in diesem Augenblick abstieg und neben Legolas stehen blieb.

Kein Kontrast war stärker als der zwischen diesem Fremden und dem Elbenprinzen.

Dieser Mensch, Assat, wie Gorenduil sich ermahnte, war von einer fast greifbaren dunklen Aura umgeben, während Prinz Legolas von innen heraus strahlte, wie es nur bei Elben der Fall war.

Gorenduil wußte nicht, was Assat diesen finsteren Ausdruck verlieh, doch mit Sicherheit trug der grimmige Zug um den Mund dazu bei, der wie eingemeißelt auf dessen Gesichtszügen lag.

„Assat, hast du mich verstanden?" Forschend sah Legolas Assat ins Gesicht. Noch immer nicht in der Lage, etwas zu erwidern, nickte der Mensch nur leicht und folgte dann den beiden Elben, die sich schließlich in Bewegung setzten. Ohne sie gänzlich aus den Augen zu verlieren, warf er immer wieder einen Blick auf die Umgebung, als wollte er sich jedes Detail einprägen.

Der Weg zur Halle der Heiler war lang. Unterwegs begegneten sie immer wieder hin und her laufenden Elben, deren Geschäftigkeit vergessen ließ, dass die Mitternachtsstunde noch nicht allzu lange zurücklag. Legolas drehte sich mit einem fragenden Blick zu Gorenduil um, doch der nickte ihm beruhigend zu.

„Ich werde mich um Eure Begleiter kümmern, mein Prinz, und auch dafür sorgen, dass Eure Tiere versorgt werden."

Das hatte Legolas hören wollen. In der nächsten Sekunde hatte er sich auch schon abgewandt und lief in jene Richtung, in der er Aragorns Quartier wusste.

***

Auch im Inneren des Schlosses herrschte eine für diese späte Stunde ungewohnte Betriebsamkeit.

Als Legolas endlich vor Aragorns Tür stand, verharrte er einen Augenblick. Verbissen versuchte er sich einzureden, dass seine Sorgen unnötig waren, doch eine innere Stimme beharrte darauf, dass irgendetwas nicht stimmte und sein menschlicher Freund in Schwierigkeiten steckte.

Er klopfte leise an und als er keine Antwort erhielt, klopfte er noch einmal stärker. Aufmerksam lauschte in den Raum hinein, doch wiederum erfolgte keine Reaktion. Aragorn befand sich entweder nicht in seinem Zimmer oder war in einen ungewöhnlich tiefen Schlaf gefallen. Nach allem, was er von Aragorn inzwischen zu wissen meinte, hielt der Elbenprinz die letzte Möglichkeit jedoch für ausgeschlossen. Seine nicht mehr zu ignorierende Müdigkeit und die Frage nach dem Aufenthaltsort seines Freundes ließen ihn den herantretenden Diener erst im letzten Moment bemerken.

„Kann ich Euch helfen?" fragte der ältere Elbe den Prinzen, erstarrte jedoch überrascht, als er den Thronerben Düsterwalds erkannte. „Oh, verzeiht, Euer Hoheit, ich wußte nicht, dass Ihr..."

„Schon gut." Legolas winkte ab. Für Förmlichkeiten fehlte ihm längst der Sinn. „Ich möchte mit Estel sprechen. Er scheint jedoch nicht in seinem Raum zu sein. Wo finde ich ihn?"

Ein Ausdruck von Sorge huschte über das Gesicht des Dieners, etwas, das Legolas nur noch unruhiger werden ließ. „Estel ist in den Gemächern Lord Elronds. Er ist krank."

Es war, als hätte Legolas' gesamtes Wesen bereits mit einer solchen Antwort gerechnet, denn statt der erwarteten Überraschung stellte sich so etwas wie Resignation ein. Der Prinz hielt sich nicht länger mit weiteren Fragen auf, sondern lief einige Türen weiter, bis er vor den Gemächern Lord Elronds stehenblieb. Flüchtig überlegte er, ob er warten sollte, bis jemand herauskam, doch dann obsiegte die Sorge um den Freund. Ohne jede Förmlichkeit klopfte er leise an.

Eine Stimme forderte ihn gleich darauf ebenso leise auf, einzutreten.

***

Elrohir hatte die Unordnung im Zimmer seines Vaters inzwischen beseitigt. Nach der Versicherung Elronds, dass Aragorns Zustand stabil war, hatte er einen der Sessel an Estels Seite gezogen und sich dort niedergelassen.

Der Elbenherrscher hatte neben dem Kamin Platz genommen und starrte gedankenverloren in die dort tanzenden Flammen, während sein jüngerer Sohn neben seinem kleinen Bruder Wache hielt.

Aragorn war nach wie vor bewusstlos, sein Gesicht von besorgniserregender Blässe und von deutlichen Anzeichen langen, heftigen Schmerzes gezeichnet.

Es war ebendieser Anblick, der Elrohir im Stillen zum wiederholten Male seine Unaufmerksamkeit verfluchen ließ.

Sollte er als Elbe nicht in der Lage sein, die Anzeichen von Schmerzen im Gesicht und der Körperhaltung seines menschlichen Bruders abzulesen? Oder war Estel schon so vertraut mit den Elben und ihrem scharfen Blick, dass es ihm mit Leichtigkeit gelang, nicht nur seine Brüder, sondern sogar Elrond selbst zu täuschen? Es ärgerte Elrohir mehr, als er zuzugeben bereit war, dass er ganz selbstverständlich davon ausgegangen war, dass Estels leicht humpelnder Gang in den letzten Tagen von den anstrengenden Unterweisungen Glorfindels herrührten.

Ein leises Klopfen holte beide aus ihren Grübeleien.

Ebenso wie Elrohir sah auch Elrond überrascht zur Tür. Inzwischen krampfte sich bei jedem erneuten Klopfen etwas in ihm in der Erwartung weiteren Unheils zusammen.

„Herein!"

Sowohl der Vater als auch der Sohn standen zutiefst überrascht auf, als gleich darauf Legolas eintrat.

Noch während der Elbenprinz die Tür leise wieder schloss, glitt sein sorgenvoller Blick als erstes zu der Gestalt Aragorns hinüber, der reglos im Bett lag. Vergessen war nun jeder Gedanke an die Gefahr, die Gorenduils Worten nach dem Tal drohte. Für Legolas gab es in diesem Moment keine größere Gefahr als die, in der sein Freund zu schweben schien. Erst nach Sekunden sah er Elrond und dessen Sohn schließlich an, die ihn mit deutlichem Erstaunen musterten. Erst in diesem Augenblick wurde Legolas klar, wie ungewöhnlich sein unvermutetes Auftauchen auf die beiden wirken musste. Immerhin hatten die zwei mit Gewißheit nicht damit gerechnet, ausgerechnet ihn hier zu sehen.

„Verzeiht mein ungebührliches Eindringen, mein Lord, doch meine Sorge um Estel überwog jede Förmlichkeit." Er verbeugte sich vor Elrond, der ihn lange Momente anstarrte wie einen Geist, ehe er sich schließlich fing und einen Schritt auf Legolas zutrat.

„Seid willkommen in Bruchtal, Prinz Legolas. Es hätte mir eigentlich klar sein müssen, auch Euch hier zu sehen." Ohne seine seltsame Bemerkung genauer zu erklären, deutete Elrond mit einer Hand auf den Sessel, in dem er bis eben noch gesessen hatte. „Eure Reise war lang und, wie ich sehe, sehr anstrengend. Nehmt Platz, ich bitte Euch..."

Legolas war nun, da er seine Befürchtungen bewahrheitet fand, Estel jedoch bereits in guten Händen wußte, nicht mehr viel länger in der Lage, die Müdigkeit von seinen Gedanken fern zu halten. Die vergangenen durchwachten Wochen begannen nun unbarmherzig ihren Tribut einzufordern. Er spürte, ihm die Glieder beängstigend schnell schwer wurden und nahm Elronds Angebot nach kurzem Zögern schließlich an.

„Habt Dank!"

Noch während er sich in den weichen Sessel niederließ, fiel sein Blick auf Elrohir, der zwar gleichfalls aufgestanden war, sich jedoch nicht vom Fleck gerührt hatte. Müde lächelte er dem jüngeren Zwilling zu.

„Elrohir! Es tut gut, dich wiederzusehen, obgleich ich wünschte, dass der Anlaß dazu ein Erfreulicherer wäre."

„Sei willkommen, mein Freund," erwiderte der jüngere Zwilling leise, warf einen prüfenden Blick auf das Antlitz des Elbenprinzen, ehe er sich schließlich zu seinem Vater an Legolas' Seite gesellte.

„Ein seltsamer Zufall führt Euch genau zu diesem Zeitpunkt nach Bruchtal, mein Prinz." Elrond sah forschend in Legolas' Antlitz. „Es ist doch ein Zufall, oder?"

„Ja... und nein." Legolas war so erschöpft, dass er seine Augen nur noch mit Gewalt offen halten konnte. „Zu Beginn meiner Reise hatte ich eigentlich nur vor, Euch von einem eigentümlichen, stark an das Wappen Gondors erinnernden Symbol zu unterrichten, das ich damals auf einem Buch in der Hütte dieses Einsiedlers fand..." Er sah, wie Vater und Sohn einen raschen Blick tauschten, und stockte. „Was? Warum seht Ihr mich so seltsam an?"

„Dieser Einsiedler..." Elrond sah kurz in das Nachtdunkel vor seinen Fenstern hinaus. „Sein Name ist Rivar. Er war es, der Euch damals fand. Vor einigen Tagen nun kam er in unser Tal, um Aragorn..." Er sah zu seinem menschlichen Pflegesohn hinüber. „...dieses Buch, das Ihr erwähntet, zu bringen. Die damit zusammenhängende Geschichte ist jedoch lang und kompliziert, und Ihr seid nicht mehr in der Lage, ihr jetzt noch folgen zu können. Ich erzähle sie Euch morgen..."

Er sah ein weiteres Mal zum Fenster hinaus. Das Dunkel dort würde in einigen Stunden dem ersten schwachen Schein des neuen Tages am Horizont weichen.

„...oder vielmehr, nachdem Ihr Euch ausgeruht habt."

Elrond sah seinen Sohn an. „Elrohir, bitte sorge dafür, dass die Diener eines der Zimmer für den Prinzen herrichten!"

Elrohir schickte sich bereits an, der Aufforderung nachzukommen, doch Legolas' Hand, die blitzschnell seinen Arm gepackt hatte, hielt ihn fest.

„Warte, Elrohir, noch nicht." Legolas' höfliche Stimme ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er ihn nicht loslassen würde, ehe er nicht wußte, was mit Aragorn war. Er sah zu seinem Freund hinüber. Die Blässe des Menschen ließ ihn eigentümlich zerbrechlich wirken.

Und krank. Todkrank.

„Was ist mit Estel?" Die Augen des Elben wanderten zu Elrond zurück, der dem Blick des silberhaarigen Prinzen nicht auswich. „Wurde er verletzt?"

„Estel..." Elrond wandte sich zu Aragorn um, sah ihn traurig an, um sich dann wieder Legolas zuzuwenden. „...trat während einer Jagd in eine alte Pfeilspitze. Die Wunde entzündete sich, weil..." Ein Schatten huschte über die kummervollen Züge des Elbenherrn. „...er sie lange vor uns verheimlichte. Zu lange, wie ich befürchte, denn es steht nicht sehr gut um ihn."

„Dann war es also mehr als eine Warnung," murmelte Legolas zusammenhanglos. Die Worte Elronds hatten ihn trotz ihrer oberflächlich mitklingenden Ruhe zutiefst erschüttert. Plötzlich verlor alles, was ihn bis eben noch bewegt hatte, seine Bedeutung. Er sah das Irrlicht in seiner Erinnerung unvermittelt wieder vor sich schweben. „Es brachte mir womöglich die Ankündigung seines Todes..."

Das Gesicht des Elbenprinzen war nun so bleich wie das seines menschlichen Freundes. Wenn nicht schon die rätselhaften Worte Legolas' gereicht hätten, so wäre spätestens der Anblick des entsetzten Prinzen Grund genug für eine weitere Sorge Elronds gewesen. Beunruhigt beugte er sich zu Legolas hinab und sah ihn prüfend an.

„Mein Prinz, ich verstehe nicht. Worüber redet Ihr?"

Legolas wirkte, als hätte er ihn gar nicht vernommen, also wiederholte er seine Frage. Diesmal sah der Elbenprinz zu Elrond auf, doch seine sonst so klaren, blauen Augen waren mittlerweile trübe vor Erschöpfung.

„Ich habe doch versprochen, ihn zu beschützen," sagte er leise statt einer Antwort und sah Elrond an, als wüsste der, wovon er sprach. „Er verlässt sich darauf, dass ich mein Wort halte..."

Die Worte ergaben für Elrohir keinen Sinn und so sah er seinen Vater kopfschüttelnd an. „Weißt du, wovon Legolas redet?"

Für den Elbenfürsten war übergangslos die Erinnerung an seine Vision wieder aufgetaucht. Er sah das Bild des Prinzen, in dessen Pupillen sich Arathorns Bild gespiegelt hatte, erneut vor sich.

...Ich werde diese Wege gemeinsam mit Eurem Sohn gehen, das verspreche ich Euch...

Erst nach Momenten, in denen er die Bilder gewaltsam zurückdrängte, entsann Elrond sich der Frage Elrohirs. Er richtete sich auf und mit einem Mal fühlte er sich alt und ausgebrannt, als er langsam nickte. „Ja, ich denke, ich habe da so eine Ahnung! Geh, mein Sohn, laß rasch ein Zimmer herrichten. Prinz Legolas braucht Ruhe."

Behutsam löste Elrohir Legolas' Hand von seinem Arm, dann verschwand er ohne ein weiteres Wort.

Legolas hatte all das schon nicht mehr registriert. Sein Blick haftete wieder auf Aragorn. Sekunden vergingen, in denen die Zeit wie eingefroren schien. Niemand bewegte sich, kaum ein Laut zerriß die Stille im Zimmer und wären nicht die flackernden Kaminflammen gewesen, hätte der Anblick genauso gut ein Gemälde sein können.

„Du kannst jetzt nicht zu deinen Vorvätern gehen, Estel," sagte Legolas unvermittelt in die Stille hinein und seine Stimme klang, als würde er einem widerspenstigen Kind etwas erklären. Er schien die Anwesenheit Elronds inzwischen ganz verdrängt zu haben, denn er erhob sich, ohne dem Elbenherrn einen Blick zu schenken, und ging langsam und schleppend zu Aragorn hinüber. Dort setzte er sich neben ihn in den von Elrohir verlassenen Sessel. „Ich will dir doch noch so viel zeigen..."

Er beugte sich vor, als würde er in Aragorns Zügen nach einer Reaktion auf seine Worte suchen, und als sie nicht kam, erstarrte er erneut in einem Ausdruck der Hilflosigkeit.

Dieser Anblick berührte Elronds Herz schmerzlich. Der Thronerbe Düsterwalds war offenbar nicht nur körperlich sondern auch geistig am Ende seiner Kraft angelangt. Ein völliger Zusammenbruch schien dem Elbenherrn nur noch eine Frage der Zeit zu sein, doch so weit wollte er es nicht kommen lassen.

Wortlos ging er zu jenem Tischchen hinüber, auf dessen polierter Platte er die Heiltränke abgestellt hatte, die er für die Versorgung Aragorns zu benötigen glaubte, nahm nach kurzer Überlegung eine der Phiolen und schüttete ihren Inhalt in einen an der Seite stehenden Kelch. Er fügte noch ein wenig Wasser hinzu, dann trat er mit dem Gemisch an Legolas' Seite.

„Trinkt das, mein Prinz," sagte er und drückte dem silberhaarigen Elben den Kelch in die Hand. „Es wird Euch helfen."

Legolas griff zwar zu, doch er sah nicht einmal hin, was er da eigentlich hielt.

„Helfen?" wiederholte er stattdessen stirnrunzelnd, legte dann den Kopf in einer Geste der Nachdenklichkeit schief, ehe er Elrond schließlich fragend ansah. Plötzlich blitzte ein Gedanke in den blauen Augen auf. „Ja, richtig. Helfen. Das hatte ich ganz vergessen. Ihr müsst ihnen helfen, mein Lord. Ich habe sie in die Halle der Heiler bringen lassen, doch ich fürchte, es erfordert Eure Künste, ihnen zu helfen."

Wiederum war Elrond vom abrupten Gedankenwandel des Prinzen irritiert.

„Ihnen? Von wem redet Ihr?" fragte er verwirrt und begriff, dass Legolas ihm keine Antwort mehr geben würde, denn dieser hatte dem Kelch in seiner Hand zwischenzeitlich einen flüchtigen Blick zugeworfen und war gerade dabei, ihn auszutrinken. Momente später trat schon die Wirkung ein. Das Gefäß rutschte aus Legolas' Hand und schlug mit leisem metallischen Scheppern auf den Boden auf. Dem Elbenprinzen fielen die Augen zu, er sackte gegen die Rückenlehne des Sessels zurück und fiel in einen tiefen Schlaf.

Ich denke, die Antwort auf dieses Rätsel werde ich selbst finden müssen, resümierte Elrond in Gedanken, hob den Kelch vom Boden auf und sah dann zur Tür, durch die Elrohir gerade ins Zimmer kam. Der warf einen erstaunten Blick auf das sich ihm bietende Bild – und verstand.

„Ich werde ihn in sein Zimmer tragen," erbot er sich, trat dann neben den Sessel und hob den Elbenprinzen mit etwas Mühe daraus hoch. Sperrig bohrten sich die Scheiden der auf Legolas' Rücken befindlichen Zwillingsdolche in seine Arme und seinen Brustkorb, doch Elrohir lockerte seinen Griff nicht.

„Wenn du den Prinzen gut untergebracht hast, komm bitte hierher zurück. Ich glaube, er war nicht der letzte überraschende Besucher in dieser Nacht."

Elrohir, der bereits an der Tür stand, blieb erstaunt stehen. „Noch mehr Besucher? Wer ist denn noch gekommen?"

„Ich weiß es nicht," erwiderte Elrond und spürte, wie sich ein seltsames Kribbeln durch seinen Magen arbeitete. So kündigten sich bei ihm normalerweise nur unangenehme Entwicklungen an. „Aber ich fürchte, ich werde es herausfinden!"

***

Vor dem Schloss herrschte inzwischen nicht mehr dieselbe Betriebsamkeit, wie es bei Legolas' Ankunft noch der Fall gewesen war. Der nachtdunkle, wolkige Himmel hing über den letzten Kriegern, die sich sammelten, um zu ihren auf Wache befindlichen Gefährten zu stoßen und darauf warteten, dass Stallknechte ihnen ihre Pferde brachten.

Ein fester Punkt in all dem Treiben war die Gestalt von Glorfindel, der dem anfänglichen Chaos mühelos Ordnung verliehen hatte. Er stand in einem der hinteren Innenhöfe und sah einer kleinen Abteilung Kriegern nach, die in diesem Augenblick fortritt. Dabei fiel sein Blick zufällig auf Elrond, der in einiger Entfernung zur Halle der Heiler ging.

Einen Moment lang dachte er daran, ihn zu rufen, zu fragen, ob weiterer Grund zur Besorgnis bestünde, doch dann verwarf er den Gedanken wieder. Wenn es etwas gab, das er wissen musste, würde der Herr des Tales ihn beizeiten davon unterrichten.

Er wollte sich abwenden – und zögerte dann. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass ihm etwas Wichtiges entging, und diese Ahnung ließ sich einfach nicht unterdrücken.

Der Elbenfürst hatte inzwischen die Heilerhalle betreten, und so wandte sich nun auch Glorfindel zum Gehen. Die Unruhe, die ihn gepackt hatte, sollte ihn in den nächsten Tagen jedoch ständig begleiten ...

***

Elrond betrat die Halle der Heiler, die von einer Vielzahl Laternen erhellt wurde, durch einen Seiteneingang. Das Gefühl, dass ihm etwas Unangenehmes bevorstand, war mit jedem Schritt, den er sich der Halle genähert hatte, stärker geworden. Lautlos trat er schließlich neben einen der Heiler. „Man sagte mir, dass Verletzte zu uns gebracht worden sind?"

Ein jüngerer Elbe war gerade damit beschäftigt, Assats Rücken von alten Kräuterresten zu befreien. Die Worte ließen ihn zusammenzucken und erstaunt in seiner Tätigkeit innehalten. Dass der Herr des Tales sich um diese Nachtstunde zweier unbekannter Menschen zuliebe zu ihnen bemühte, verwirrte ihn offenkundig.

„Ja, Herr!" Er verbeugte sich als Zeichen seiner Ehrerbietung kurz vor Elrond. „Gorenduil brachte Prinz Legolas' Begleiter zu uns."

„Der Prinz bat mich, nach ihnen zu sehen." Elrond nickte flüchtig, als sein Blick an der reglosen Gestalt des Mannes hängen blieb, der auf einem der benachbarten Betten lag.

Einer der Heiler begann ihm leise das Ausmaß der Verletzungen zu erläutern, doch der Elbenfürst war nicht wirklich in der Lage, dem Redefluss des Elben konzentriert zu folgen. Für Worte war angesichts der aufkommenden Betroffenheit in Moment kein Raum in seinem Denken.

Diesen Jungen kenne ich. Wie hat Estel ihn seinerzeit genannt? Es dauerte einige Momente, bis dem Elben der Name des vor ihm liegenden Menschen wieder einfiel. Mirodas!

Ohne auf die Heiler zu achten, die untereinander irritierte Blicke tauschten, trat er dicht an die Liegestatt von Miro heran und betrachtete ihn.

Worauf er im Palast König Thranduils nicht geachtet hatte, fiel ihm nun um so stärker auf. Die Züge des Jungen waren noch jugendlich, er selbst kaum dem Kindesalter entwachsen. Bestenfalls 16 oder 17 Jahre konnte er alt sein!

Und doch... Aragorn hatte ihm erzählt, dass Mirodas ihm damals geholfen hatte, Ardaneh trotz seiner Blindheit und den ihn verfolgenden Verbrechern sicher zu verlassen! Der Junge hatte dafür sogar sein Leben aufs Spiel gesetzt.

Schuldbewusst gestand Elrond sich im Stillen ein, dass er ihm nie für seine Hilfe gedankt hatte.

Aber die Valar geben mir offenbar eine Gelegenheit, das Versäumte nachzuholen, dachte er und betrachtete nachdenklich das schmale, vom Fieber gezeichnete Gesicht des jungen Menschen. Die Heiler hatten bei seiner Ankunft gerade das gebrochene Bein des Jungen gerichtet. In der Annahme, er würde sich nun selbst um Miro kümmern wollen, drängten sie zur Seite, um ihrem Herrn respektvoll Platz zu machen, doch Elrond winkte sie an das Bett zurück. Viel war in dieser Nacht geschehen – zuviel selbst für die Kräfte des Elbenherrn.

„Tut für ihn, was ihr könnt, denn ich stehe in seiner Schuld," sagte er ruhig. „Estel verdankt ihm sein Leben."

Die beiden Heiler nickten bestätigend und widmeten sich wieder ihrem Patienten, während Elrond sich nach einigen Augenblicken der Sammlung dem zweiten Menschen zuwandte.

Dieser lag bäuchlings auf dem Bett. Sein Gesicht war zwar zur Seite und Elrond zugewandt, doch dunkles, schulterlanges Haar verbarg seine Züge wirkungsvoll vor jedem Blick. Auf den Gedanken, genauer in sein Antlitz zu schauen, kam der Elbenherrscher angesichts des grausam entstellten Rückens des Mannes zunächst nicht.

Auch hier klärte ihn ein Heiler rasch über den Zustand des Fremden auf. Aufmerksam wurde Elrond erst, als man ihm erklärte, dass die zerfetzte linke Hand des Fremden vermutlich nicht zu retten sein würde.

War es das, was der Prinz meinte, was ihm so wichtig war, dass er es mir ans Herz legen wollte?

„Ich will sie mir ansehen," unterbrach er den jüngeren Elben, ehe er sich neben dem Fremden auf das Bett niederließ.

„Mein Name ist Elrond. Lasst mich Eure Hand sehen," forderte er ihn, nun in Westron, auf. Als der Fremde seiner Aufforderung jedoch nicht gleich nachkam, nahm der Elbe an, dass der Mann inzwischen der Müdigkeit nachgegeben hätte. Behutsam, um den vermeintlich Schlafenden nicht zu wecken, hob er also dessen Linke an, um einen genaueren Blick auf die Wunden werfen zu können.

Wie vom Heiler angedeutet, war die Hand des Mannes in einem verheerenden Zustand. Zwar sah er, dass Legolas offenbar versucht hatte, den schlimmsten Schaden zu verhindern, doch die kargen Mittel der Wildnis hatten einfach nicht genügt. Sehnen und Muskeln waren in einem Ausmaß verletzt, das eine vollständige Heilung unmöglich machte. Das Beste, das der Fremde erhoffen durfte, war tatsächlich, seine Hand behalten zu können.

„Verliere ich meine Hand wirklich?"

Der Mann, den er gerade noch für schlafend gehalten hatte, hob leicht den Kopf. Seine heisere Stimme ließ erkennen, welche Strapazen er erlebt haben mußte.

Elrond indessen war überrascht, dass die in Sindarin geäußerten Bemerkungen des Heilers von dem Fremden offenbar genau verstanden worden waren.

„Ihr sprecht unsere Sprache?"

Durch die dunklen Haarsträhnen sah er nun ein blaues Augenpaar auf sich gerichtet, das ihn abschätzend ansah.

„Man lernt vieles bei meiner Art des Broterwerbs," sagte der Fremde ausweichend, doch die Art seiner Antwort ließ erkennen, dass er nicht gewillt war, weiter über dieses Thema zu reden. Elrond beschloß, dies zu respektieren und auf die eigentliche Frage zurückzukommen. Er nickte langsam.

„Es tut mir leid, Euch keine bessere Auskunft geben zu können. Eurer Hand wird, sollten meine Heiler sie retten können, dennoch die Kraft fehlen, die Ihr bisher gewohnt wart. Einige Nerven scheinen noch intakt zu sein, doch selbst leichte Gegenstände werdet ihr trotzdem kaum noch halten können, ohne Eure andere Hand zur Hilfe zu nehmen."

Der Fremde richtete sich auf und setzte sich neben den Elben auf den Rand der Liegestatt. Die Proteste der Heiler, die die Wunden an seinem Rücken behandelten, kümmerten ihn nicht sonderlich. Er starrte den Elben an, der neben ihm saß und noch immer seine Hand betrachtete, als könnte er vielleicht doch noch einen Weg finden, der Hand ihre alte Stärke zurückzugeben.

„Ein hoher Preis für die Abkürzung durch den Düsterwald," murmelte Assat und ballte seine gesunde Hand zu einer Faust. Dies war also der Elbe Elrond, von dem Legolas erzählt hatte, dass er als einziger genug Kenntnisse besaß, um seine Hand noch zu retten. Assat wandte enttäuscht den Kopf zur Seite. Das Letzte, was er jetzt wollte, war, dem Elben vor sich zu zeigen, wie sehr ihn bis eben noch Hoffnung erfüllt hatte.

Elrond sah auf – und erstarrte.

Fassungslos sah er das Schlangenmal hinter dem Ohr des Fremden und wie schon so oft in den letzten Tagen kam seine Vision wieder hoch. Erneut erfüllten ihn jene Bilder mit dem zermürbenden Wissen um die Unabänderlichkeit der Ereignisse. Gegen seinen Willen erinnerte er sich an dessen Worte in seiner Vision.

„...kämpfe für mich, deinen Herrn. Zeig ihnen, warum die Schlange Mittelerdes so gefürchtet ist..."

„Ihr seid die Schlange von Mittelerde?" flüsterte Elrond und hatte Mühe, seine Fassung zu wahren. Alles um ihn herum schien auf ein Unheil zuzusteuern, das seiner Familie nicht entgehen zu können schien. Und niemand – am allerwenigsten er – konnte etwas dagegen tun.

Assat sah den hochgewachsenen Elben vor sich unterdessen erstaunt und ein wenig misstrauisch an.

„Woher wisst Ihr das?"

Elrond stand auf und musterte den Fremden. Er wies eine starke Ähnlichkeit mit Aragorn auf, doch seine Aura war ungleich dunkler, gewalttätiger – und hoffnungsloser. Das Gesicht des Mannes war gezeichnet von Schmerz und offenbarte eine Härte, die das Leben ihm anscheinend schon früh beigebracht hatte.

„Das Schlangenmal hinter Eurem Ohr..."

„Ach das." Mit seiner gesunden Hand tastete Assat nach dem Mal hinter seinem Ohr, als hätte er für einen Augenblick vergessen, dass es da war. Offenkundig wollte er nicht weiter darüber reden. „Ich wußte nicht, dass auch die Elben meinen Ruf kennen."

„Euer Ruf ist kaum einem Elben bekannt, doch Ihr habt meinem Sohn Estel vor ein paar Monaten in Ardaneh geholfen, das Leben seines Freundes Legolas zu retten," erklärte der Elbenfürst dem erstaunten Assat.

„Estel ist Euer Sohn?"

Elrond sah das unsichere Flackern, das dessen Augen erfüllte. Die Begegnung mit Aragorn war offenbar ein wunder Punkt, auf den der Mann nicht gerne angesprochen wurde, weil er anscheinend selbst nicht mehr wusste, wie er sein damaliges Verhalten einordnen sollte.

„Das erklärt vieles. Seine Kleidung, sein Verhalten... Jemandem wie ihm bin ich zuvor noch niemals begegnet." Es wirkte beinahe resigniert, als Assat die Hand schließlich wieder sinken ließ. „Wenn ich heute daran zurückdenke, scheint mir fast, als ob ich damals jemand anderer war. Seitdem ist so viel geschehen. Die Verluste haben mir die Augen über mich geöffnet, mich verändert..." Es wirkte beinahe hilflos, als er versuchte, sich vor dem Elben zu rechtfertigen. Er brach ab, als er sich dessen gewahr wurde. „Es tut mir leid. Meine Vergangenheit ist für Euch nicht von Interesse..."

Elrond hob die Hand. „Es besteht kein Grund, Euch zu entschuldigen. Auch wenn Ihr der alleinige Herr über Euer Handeln seid, so weiß ich doch, wie schwer es ist, aus alten Verhaltensweisen auszubrechen. Wer dazu fähig ist, für den besteht noch Hoffnung." Der Elbe lächelte, als er dem überraschten Blick Assats begegnete. „Ich danke Euch jedenfalls für die unerwartete Hilfe meinem Sohn gegenüber."

Und vielleicht werde ich Euch bald nochmals danken. Meine Vision zeigt Euch als einen helfenden Freund. Ich hoffe inständig, dass Ihr mir bei dem, was in Zukunft auf mich und meine Familie zukommt, helfend zur Seite steht...

„Wenn Ihr dafür sorgt, dass meine Hand zumindest wieder eine Form bekommt, ist mir das Dank genug," knurrte Assat und betrachtete das, was früher mal ein Handrücken gewesen war, jetzt jedoch nur noch aus Muskelfetzen, Knochen und Haut bestand. Es war ihm unangenehm, dass Elrond ihm dankte. Wahrscheinlich wusste der Elbe durch seinen Sohn ganz genau, welchen Anteil er an Legolas' Vergiftung gehabt hatte.

„Meine Heiler werden sich um Euch kümmern." Elrond winkte einen der Heiler wieder heran, den Assat vor ein paar Minuten abgewiesen hatte. „Doch Ihr müsst ihren Anweisungen folgen, sonst können wir nichts für Euch tun."

Assat war viel zu müde, um mit dem Herrn des Tals lange zu diskutieren. Er nickte wortlos und legte sich wieder auf das Lager zurück, doch diesmal wandte er sein Gesicht ab. Die aufmerksamen Augen des Elben hatten mühelos bis auf den Grund seiner Seele sehen können, doch der Mann mochte dieses Gefühl nicht und wollte sich ihm in dieser Nacht kein weiteres Mal aussetzen.

Nachdem die Heiler die Ratschläge Elronds entgegengenommen hatten, machten sie sich an die Arbeit. Währenddessen verließ der Elbe die Halle. Es drängte ihn, nach Aragorn zu sehen. Während er den Weg zum Schloss zurückschritt und beiläufig registrierte, dass inzwischen auch die letzten Wachmannschaften fortgeritten waren, hoffte er inständig, dass sich der Zustand Estels zwischenzeitlich gebessert hatte.

***

Bis zu jenem Morgen hatte sich noch nie jemand gegen die Wirkung eines von Elronds Mitteln zur Wehr setzen können, doch die tiefe Sorge um seinen menschlichen Freund, mit der Legolas in den traumlosen Schlaf hinübergeglitten war, ließ sich nicht einmal so zum Verstummen bringen. Sie sorgte dafür, dass er irgendwann nach dem Heraufdämmern des neuen Tages für kurze Zeit aus jenem Reich des Vergessens auftauchte und mit verschleiertem Blick verständnislos in einen Raum starrte, der ihm unbekannt erschien.

...wo bin...

Der Gedanke verschwand, noch ehe Legolas wußte, was er eigentlich hatte denken wollen. Dafür tauchte ein Gesicht vor seinem inneren Auge auf.

...Estel...

Die Erinnerung an den Menschen ließ ihn gegen die bleierne Schwere seines Denkens ankämpfen.

...muss wissen, wie es ihm geht...

Wiederum verflüchtigten sich die Gedanken, doch der Wunsch, zu seinem Freund zu gelangen, blieb. Mehr oder weniger im Halbschlaf gefangen, stemmte Legolas sich hoch, schob die Beine über den Rand des Bettes und stand schließlich unsicher auf. Mit bloßen Füßen taumelte er durch den Raum zur Tür, öffnet sie und tappte wie ein Schlafwandler unsicher den Gang entlang.

Die Zeit hatte für ihn in diesem Zustand ganz eigene Dimensionen und es glich einer Ewigkeit, bis er die Umrisse einer Person erspähte und auf sie zuhielt.

„Estel?" Zu diesem Zeitpunkt trieb Legolas nur noch die Sorge um seinen Freund. Für etwas anderes gab es keinen Raum in seinem Denken.

Der Diener, der den Elbenprinzen mit erstaunten Blicken ansah, deutete den Korridor entlang. „Estel wurde vorhin in sein Zimmer getragen, mein Prinz."

...in sein Zimmer... war alles, was der betäubte Verstand des Elben aufnahm. Dankesworten nicht mächtig, wandte Legolas sich einfach ab und tappte weiter den Gang entlang. Mit instinktiver Sicherheit, fand er die Tür zu Aragorns Gemächern, öffnete sie und trat ein. Sein Blick ging automatisch zum Bett des Menschen hinüber. Ein Sessel stand neben dem Kopfende von Aragorns Bett.

Ohne sich weiter umzuschauen, steuerte Legolas auf den Sessel zu und setzte sich. Seine Augen waren unverwandt auf Aragorn gerichtet, als er – endlich zur Ruhe gekommen – unbemerkt gegen die Rückenlehne des Sessels zurücksackte. Es dauerte kaum fünf Sekunden, dann verlor Legolas den Kampf gegen das Schlafmittel ein zweites Mal.

***

Elrohir hielt noch immer Wache am Krankenlager seines menschlichen Bruders, dessen Zustand sich zwar nicht verbessert, aber zumindest auch nicht weiter verschlechtert hatte. Er stand am Fenster von Aragorns Zimmer und sah nach draußen, als sich die Zimmertür leise öffnete. In der Annahme, sein Vater würde nach Aragorn sehen wollen, wandte er sich um.

Vor seinen verblüfften Augen trat jedoch Legolas ins Zimmer. Er sah kurz zu Aragorn hinüber und steuerte dann zielsicher und ohne Elrohir auch nur den kleinsten Blick zu schenken auf den Sessel zu, den dieser erst vor kurzer Zeit verlassen hatte. Der Elbenprinz hatte sich kaum gesetzt, als ihn die Müdigkeit erneut überwältigte. Momente später war er in einen tiefen Schlaf zurückgesunken.

Ich würde es nicht glauben, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte! Er schüttelte den Kopf. Wie übergroß muss seine Freundschaft zu Estel sein, dass er vor Sorge seinetwegen sogar die Wirkung von Vaters Schlaftrunk überwinden kann?

Beeindruckt beschloß Elrohir, Legolas zu belassen, wo er war. Er nahm eine Decke und breitete sie über dem schlafenden Elbenprinzen aus, dann ging er zum Fenster zurück, vor dem ein grauer Tag heraufgedämmert war. Elrohir hoffte, dass er für Aragorn endlich eine Wende zum Besseren brachte.

***

Die Ruhe in Bruchtal hatte sich den gesamten Tag über gehalten und war schließlich auch in eine weitere Nacht hinübergegangen.

Der Elbe, der oberhalb der Klippe in den Bäumen saß, lauschte in die sternenlose Dunkelheit hinaus. Er konnte das Herannahen einer Gefahr beinahe auf der Haut fühlen. Seine Sinne waren gespannt, doch es war schwer durch das Rauschen des Bruinen hinweg zu hören, dessen Wasser nahe der Klippe in die Tiefe fiel. Er glaubte etwas gehört zu haben und stieg vom Baum, um seinen Bogen ziehen und einen Pfeil auf die Sehne legen zu können. Es war eindeutig jemand in der Nähe. Er gab ein leises Zirpen von sich, das jeder andere für eine Grille gehalten hätte, doch der elbische Posten, der sich einige Meter weiter in hohem Gras verbarg, erkannte den Warnlaut und hielt ebenfalls Ausschau.

Plötzlich sahen sie dunkle Schatten, die sich in Richtung der Klippe bewegten. Die beiden Elben spannten ihre Bögen, doch bevor sie ihre Pfeile loslassen konnten, zerschnitt ein schwirrendes Geräusch die Nacht. Im nächsten Augenblick zerrissen die Sehnen der Bögen und die Elben brachen augenblicklich zusammen, als ein Wurfstern ihre Kehlen durchbohrte. Ihnen blieb kein Atem mehr, die Bewohner Bruchtals zu warnen.

Die dunklen Schatten liefen lautlos über sie hinweg, sammelten sich am Rand der Klippe und ließen lange Seile hinab. Und während Bruchtal in tiefem Schlaf zu liegen schien, näherte sich die Gefahr von einer Seite, die weder Glorfindel noch Elrond für eine Schwachstelle hielten. Die Elben hatten die als uneinnehmbar geltende Steilwand in ihrer Arroganz so gut wie unbeschützt gelassen – und würden noch in dieser Nacht für diesen Fehler bezahlen müssen...

***

Legolas erwachte, weil er spürte, wie ihn jemand betrachtete. Mühsam öffnete er die Augen – und begegnete Aragorns verschleiertem Blick. Plötzlich war der Prinz von Düsterwald hellwach.

„Aragorn!"

Ohne auf seine Umgebung zu achten sprang Legolas aus seinem Sessel auf. Während eine Decke von ihm unbeachtet zu Boden rutschte, setzte er sich auf die Bettkante von Aragorns Lager und musterte lächelnd seinen Freund, der alles andere als wach zu sein schien.

„Legolas?" Stirnrunzelnd versuchte Aragorn das Bild vor seinen Augen mit scharfen Umrissen zu versehen. Er wusste nicht, ob er träumte oder dies die Wirklichkeit war, doch vielleicht klärte eine entsprechende Frage ja alles auf.

„Was... was suchst du in Bruchtal?"

„Ich wollte einen Freund besuchen," antwortete Legolas sanft und strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. „Doch dieser Freund hat offenbar nichts Besseres zu tun, als den größten Teil des Tages zu verschlafen!"

„Das ist nicht meine Schuld," verteidigte Aragorn sich lächelnd. Er war froh, sich seinen Freund nicht nur einzubilden. „Außerdem warst du es, der bis eben geschlafen hat."

„Ich glaube, wir haben den selben Meister, der uns die Tränke bereitet."

Sie sahen sich eine Weile schweigend an.

„Wie schaffst du das immer wieder?" fragte Legolas irgendwann mit ernster Stimme.

„Was meinst du?" Aragorns Fieber war immer noch nicht gefallen und er war dementsprechend verwirrt. Es bereitete ihm Schwierigkeiten, den Geschehnissen um ihn herum zu folgen.

„Deinen Zustand meine ich. Du bist ein Mensch. Du solltest besser als jeder von uns Elben auf deinen Körper aufpassen. Warum hast du deine Verletzung verschwiegen?" Legolas sah Aragorn stirnrunzelnd an.

Dieser sah zur Seite und warf einen Blick aus dem Fenster. Dort, wo ihm sonst zahlreiche  Sterne zugefunkelt hatten, war das Firmament in dieser Nacht schwarz wie ein Totentuch.

„Wäre ich als Findelkind bei Menschen aufgewachsen, hätte ich mich nicht auf das Wissen und die Fähigkeiten von Elben verlassen können," sagte Aragorn leise. „Ich wäre elternlos und auf mich allein gestellt gewesen, hätte mir auch allein helfen müssen. So jedoch habe ich mich immer auf die Hilfe Elronds verlassen und dabei vergessen, dass er möglicherweise irgendwann nicht mehr da sein wird, um mich aus Schwierigkeiten herauszuholen. Als mir das klar wurde, wollte ich beginnen, das zu ändern..." Aragorn verstummte und sah wieder zu Legolas.

Der Blick seines Freundes war verständnisvoll und traurig zugleich. „Die Wege der Valar sind verschlungen, Aragorn, doch sie haben dir Lord Elrond sicher nicht umsonst an die Seite gestellt. Nimm die Hilfe deines Vaters an, solange es dir möglich ist. Du kannst nie wissen, wann es einen Elben nach Valinor zieht. Meine Mutter..."

Legolas verstummte jäh. Er hatte so lange mit niemandem mehr über sie gesprochen, dass ihn der mit diesem Punkt verbundene Schmerz unvorbereitet traf. Dennoch glaubte er seinen Satz beenden und auf Aragorns zuvor geäußerte Gedanken reagieren zu müssen.

„Irgendwann gehen jene, die man liebt. Manche sterben, andere können diese Welt nicht mehr ertragen. Gib deinem Vater keinen Grund, sich nach Valinor zu sehnen."

Aragorn war erschüttert über die Gefühle, die er in Legolas' Augen sehen konnte. Trotz des Schleiers, den Fieber und Schmerz um seinen Verstand legten, erkannte er, dass nicht allein die Erinnerung an seine Mutter dem Prinzen so weh tat. Da war tiefergehendes hinter dem Offensichtlichen verborgen. Etwas, das Legolas nicht unterdrücken konnte. Das Begreifen kam einen Moment später wie ein Schock.

„Steht es so schlecht um mich?" fragte er leise, während er sich dafür zu verfluchen begann, dass alle, die er liebte, nun seinetwegen litten.

Legolas wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, doch er wurde einer Antwort enthoben, als Elrond neben ihn trat. Der Elbenherr war von beiden unbemerkt eingetreten und hatte den letzten Teil ihrer Unterhaltung mitangehört.

„Es würde besser um dich stehen, wenn du schlafen und deinem Körper die Möglichkeit geben würdest, zu heilen," tadelte Elrond seinen jüngsten Sohn mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Doch zuvor sag mir eines: Wann habe ich dein Vertrauen verloren?"

Mit dieser Frage hatte Aragorn nicht gerechnet. Er musste sich eingestehen, dass es weh tat, sie zu hören, und so dauerte es einen Moment, bis er zu einer Antwort ansetzte.

„Vater..." Er schluckte. Ein dicker Kloß lag in seiner Kehle. „Du hast mein Vertrauen noch immer. Du hast es niemals verloren. Denk das bitte nicht, nur weil ich dieses Mal versuchen wollte..."

„Weil du was versuchen wolltest? Dich umzubringen?" Die Härte in Elronds Stimme wurde nur noch von der Enttäuschung, die deutlich auf seinem Gesicht lag, übertroffen. „Das wäre dir fast gelungen, und die Gefahr für dein Leben ist noch nicht gebannt."

„Es tut mir leid," flüsterte Aragorn heiser und blinzelte krampfhaft an Elrond vorbei in den abendlich beleuchteten Raum hinein. „Es tut mir leid, dass ich euch enttäuscht habe. Ich war entschlossen, mein Problem diesmal selbst zu bewältigen." Dann fielen ihm Legolas' Worte wieder ein und so setzte er hinzu: „Glaub mir, ich will dich nicht an Valinor verlieren, Vater..."

Er brach ab und sah zur Seite, wo sein Freund noch immer saß und mitfühlend zu ihm hinabblickte.

Legolas, unfreiwilliger Zeuge der Unterhaltung zwischen Vater und Sohn, ahnte, was in seinem menschlichen Freund vorging. Man sah, wie sehr Aragorn die Annahme zu schaffen machte, seine Familie enttäuscht zu haben, denn nach einigen Momenten des vergeblichen Ringens um weitere Worte schloß dieser einfach die Augen.

Seinen Pflegesohn so verzweifelt zu erblicken, zerstreute augenblicklich jeden Missmut in Elrond. Die wenigen Kräfte des jungen Mannes waren offenkundig aufgebraucht.

„Schon gut." Plötzlich hatte die Stimme Elronds jede Härte verloren. „Das wirst du nicht."

Als Aragorn nicht sofort reagierte, strich Elrond seinem jüngsten Sohn mit einer Hand über die Stirn. Die Hitze in Aragorns Körper machte deutlich, wie ernst sein Zustand noch immer war. Dem Elben wurde klar, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, das Fieber zu senken. Wichtiger jedoch war es, Estel die Kraft zum Weiterkämpfen zu geben – und das vermochten nur Worte.

„Sieh mich an, Estel!"

Es dauerte einige Momente, bis Aragorn der Aufforderung nachkam, doch als er es schließlich tat, war sein Blick verschleiert.

„Nichts, was du tust, könnte mir das Vertrauen in dich rauben. Das weißt du."

„Aber ich..." wollte Aragorn erneut ansetzen, doch sein Vater schüttelte den Kopf.

„Hör auf, dir den Kopf über all die Dinge zu zerbrechen, die sein könnten. Nur was JETZT ist, zählt. Ich liebe dich, wie ich meine eigenen Kinder liebe, Estel. Das allein ist jetzt wichtig und keiner deiner Fehler könnte je etwas an meinen Gefühlen ändern. Und an Valinor wirst du mich erst verlieren, wenn meine Zeit gekommen ist."

Er lächelte zu Aragorn herunter, dem angesichts dieses Versprechens sichtlich ein Stein von der Seele fiel. Während Aragorn müde zu Legolas zurücksah und leise Worte mit seinem Freund wechselte, war der Elbenherr insgeheim froh, dass außer Glorfindel und Erestor niemand wußte, dass er eigentlich in wenigen Tagen genau dorthin hatte aufbrechen wollen.

Elrond ging zu einem Schränkchen hinüber, auf dem eine Auswahl an Fläschchen stand. Er nahm einige der Phiolen und mischte ihren Inhalt in einem Glas mit ein wenig Wasser, dann ging er zu seinem Pflegesohn zurück.

„Gut, nachdem das zwischen uns geklärt ist und ich darauf vertraue, dass du so etwas Unüberlegtes nie wieder tust, wird es jetzt höchste Zeit, etwas gegen dein Fieber zu tun. Trink das!"

Mit Legolas' Hilfe gelang es Aragorn, sich in eine halb sitzende Position aufzurichten und die Flüssigkeit zu trinken, doch schon bei den ersten Schlucken verzog er missbilligend das Gesicht. „Ich glaube, das ist die fürchterlichste Medizin, die du mir je verabreicht hast, Vater!"

„Das könnte sogar stimmen," erwiderte Elrond ungerührt und drückte an das Glas an die Lippen seines Sohnes zurück. „Und nun trink aus und bitte die Valar, dass ich dir nicht noch eine Schlimmere zubereiten muss."

Gehorsam trank Aragorn die Mixtur aus, dann ließ ihn Legolas vorsichtig auf das Kissen zurücksinken.

„Das Mittel soll deinem Körper helfen, gegen die Gifte anzugehen, die in ihm kreisen."

Plötzlich erinnerte sich Elrond an etwas. „Estel, sag mir, was du mit der Pfeilspitze gemacht hast."

„Was?" Schon schlaftrunken blinzelte Aragorn seinen elbischen Ziehvater an. „Pfeilspitze? ... Richtig... ich habe sie in die Wasser des Bruinen geworfen ..."

Kopfschüttelnd setzte sich nun auch Elrond zu Aragorn auf das Bett. „Das dachte ich mir schon. Nun, wir werden sehen. Du wirst dich bald ziemlich benommen fühlen. Also schlaf ruhig ein, wenn du müde wirst. Spät genug dafür ist es ohnehin."

Er sah erst zum Fenster, dann zu Legolas, der sich inzwischen in den Sessel zurückgezogen hatte.

„Und auch Ihr solltet erneut ruhen. Die Strapazen Eurer Reise waren groß. Ich kann Euch noch ein..."

„Nein, danke, mein Lord, aber das wird nicht nötig sein!" Mit verdächtiger Hast wehrte Legolas das Angebot seines Gastgebers ab. „Ich beabsichtige hier bei Estel zu bleiben, bis es ihm besser geht. Ruhen kann ich anschließend!"

Erst Elrohir, nun der Prinz! Mein Haus ist voll von sturen Elben... Der Gedanke ließ Elrond innerlich aufseufzen, doch die Fassade seiner Ruhe blieb erhalten. „Wie Ihr wünscht, mein Prinz."

Er sah erst den Elbenprinzen, dann seinen menschlichen Sohn einen Moment lang nachdenklich an. Erst wenige Monate kannten sich die beiden so unterschiedlichen Personen, doch die Verbindung zwischen ihnen war bereits zu diesem Zeitpunkt ungeheuer stark. Einem plötzlichen Impuls gehorchend begann er Legolas in knappen Worten von der Gefahr zu unterrichten, die Aragorn drohte.

Inzwischen hatte bei Aragorn die volle Wirkung des Trankes eingesetzt. Er hatte dem Wortwechsel zwischen seinem Vater und Legolas schon nicht mehr folgen können, denn seine Gedanken waren jäh nach allen Seiten auseinandergedriftet. Die Konturen ihrer Gesichter verschwammen, wurden zu undeutlichen Flecken und die leise geäußerten Worte der beiden hallten, als würden sie von den Kuppeln einer riesigen Grotte gebrochen.

„...nicht so laut..." brummte er, überzeugt davon, dass die Worte plötzlich mit Widerhaken an seiner Zunge hafteten.

So undeutlich sie auch gemurmelt worden waren, die scharfen Ohren der Elben hatten sie dennoch verstanden. Flüchtig tauschten sie einen Blick, dann beugte sich Elrond zu seinem menschlichen Sohn hinab.

„Schlaf," raunte er ihm ins Ohr und bedeckte Aragorns Augen mit seiner Hand. „Schlaf jetzt ein..."

Er spürte, wie Sekunden später die Lider des jungen Mannes zu flattern begannen.

Minutenlang verharrte der Elbenherr, bis er spürte, dass der Mensch endlich eingeschlafen war. Dann richtete er sich auf, um Legolas' besorgtem Blick zu begegnen. Der Elbenprinz musste die Frage, die ihm auf der Seele brannte, nicht einmal stellen.

„Ich kann nicht mehr für ihn tun. Den Rest muss sein Körper selbst schaffen."

Unvermittelt erhob Elrond sich. „Es wird besser sein, wenn ich meinen Söhnen Bescheid gebe. Diese Nacht bringt für Estel die Entscheidung."

Prophetische Worte.

***

Legolas betrachtete Aragorn voll Sorge. Der Atem des jungen Mannes ging nach wie vor sehr flach und das Fieber zehrte ungebrochen an seinen Kräften. Schweißperlen standen auf Aragorns Stirn, der in einen unruhigen Schlaf gefallen war, seit ihm Elrond das Heilmittel zu trinken gegeben hatte.

Außer dem schlechten Zustand seines Freundes beschäftigten den jungen Elben aus dem Düsterwald auch noch die Informationen, die er von Lord Elrond erhalten und die ganz Bruchtal in Alarmbereitschaft versetzt hatten. Die Südländer, die Arathorn Legolas gegenüber vor den Hallen von Mandos erwähnt hatte, waren also bereits ganz in der Nähe. Und sie hatten es auf Arathorns Sohn abgesehen, um ihre Rache zu bekommen. Aragorn schwebte ohne Zweifel in höchster Gefahr.

Doch diese Bedrohung von außen schien bedeutungslos zu sein, denn die größere Gefahr ging in Moment nicht von den Südländern, sondern von Aragorn selbst aus. In ihm kämpften Gifte miteinander darum, die Oberhand über den geschwächten Körper zu erlangen.

Der Herr von Bruchtal war vor einigen Minuten aus dem Zimmer gegangen, um seine Söhne Elladan und Elrohir zu holen. Die Absicht Elronds ließ nur einen Schluss zu: Er befürchtete offenbar, dass er seinen menschlichen Ziehsohn nicht mehr retten konnte.

Dieser Gedanke hatte Legolas mehr Angst gemacht, als er zugegeben hätte. Unablässig betrachtete er das blasse Gesicht Aragorns, als wollte er sich dessen Züge für den Rest seines unsterblichen Lebens einprägen. Schließlich stand er auf und trat dichter an das Bett seines Freundes heran, um dessen Bettdecke zurechtzurücken, die der unruhig schlafende Mann inzwischen zur Seite geschoben hatte.

Plötzlich ließ ihn ein Geräusch innehalten.

Er lauschte. Einen Augenblick lang lag dichte Stille über allem, dann war von draußen das leise Zerbrechen eines trockenen Zweiges zu hören. Legolas strengte sein Gehör noch mehr an, um herauszufinden, ob ein Tier diesen Ton verursacht hatte oder etwas anderes sich dort aufhielt. Dabei schloss er die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Im nächsten Moment riss er sie wieder auf.

Noch während sein Bewusstsein die Ursache der nächtlichen Störung erkannte, griff er bereits in einer fließenden Bewegung nach Aragorns Schwert, das an einem Stuhl nahe dem Bett lehnte.

Noch im Umdrehen begriffen sah er drei dunkle Schatten, die gerade auf den Balkon kletterten und lautlos ins Zimmer sprangen. Ihre Gesichter waren, abgesehen von der Augenpartie, ebenso wie der Rest des Körpers in schwarze Kleidung gehüllt. In Sekundenbruchteilen orientierten sich die drei, dann griff einer an seinen Gürtel und zog etwas hervor, das er blitzschnell nach dem Elben warf.

Legolas reagierte instinktiv und riss die Klinge zur Abwehr hoch. Im nächsten Augenblick prallte ein scharfes Objekt mit klingendem metallischen Ton dagegen. Zeit zum Überlegen blieb dem Elben nicht. Rein aus Reflex duckte er sich gleich darauf unter einem zweiten ähnlichen Wurfgeschoss hinweg, das mit einem hellen Sirren durch den Raum schoss und in der hinter ihm liegenden Wand stecken blieb.

Ihm blieb kaum genug Zeit, sich umzusehen, doch schon ein flüchtiger Blick genügte, damit Legolas wusste, womit er es hier zu tun hatte. Es war zwar schon Hunderte von Jahren her, doch er hatte etwas Ähnliches schon einmal gesehen. Nur die Völker der dunklen, südlichen Lande benutzten diese eigentümliche und extrem gefährliche Waffe...

Das sind Wurfsterne!

Legolas kannte die Heimtücke dieser ebenso winzigen wie tödlichen Metallscheiben und stürmte ohne zu zögern auf die Angreifer los, um ihnen durch die geringe Distanz den Einsatz dieser Wurfwaffe unmöglich zu machen. Dabei behielt er im Auge, dass keiner der Eindringlinge Aragorn zu nahe kam.

Die Schattenkrieger, solchermaßen um ihren Vorteil gebracht, griffen daraufhin auf den Rücken und zogen Krummsäbel hervor, die sie dort eng am Körper trugen, damit sie lautlos und ungehindert klettern konnten. Hätte es bis hierhin noch einen Zweifel für den Elbenprinzen gegeben, so bestätigte spätestens die Form ihrer Klingen seinen Verdacht.

Südländer! Legolas blieb stehen.

Nun hatten sie die traurige Gewissheit, dass der Mensch Rivar der Folter durch die Südländer nicht standgehalten und Aragorns Zuflucht preisgegeben hatte. Es war gut möglich, dass er jetzt, da er nutzlos für die Südländer war, schon nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Der Gedanke, seinem damaligen Retter wahrscheinlich nicht mehr Dank sagen zu können, ergrimmte Legolas. Eiskalte Wut wurde zu Entschlossenheit und breitete sich wie eine Welle in seinem Körper aus.

Aragorns Schwert wirbelte mühelos um die Hand, die es hielt. Die Klinge blitzte im Schein des Lichts auf, während Legolas die Angreifer nicht aus den Augen ließ. Sie sahen sich an und nickten unmerklich, dann strebten sie zu Legolas' beiden Seiten auseinander. Offenkundig waren sie darauf aus, dass zumindest einer von ihnen an ihm vorbei an Aragorns Bett gelangte, während die anderen ihn indessen beschäftigen wollten.

Plötzlich schossen dem Elben die kurz zuvor gehörten Worte seines Gastgebers wieder durch den Sinn.

„Diese Nacht bringt für Estel die Entscheidung," hatte Elrond beim Gehen gesagt und sicher nicht geahnt, als wie wahr sich seine Worte schon bald erweisen würden. Entschlossen hob Legolas die Schwertklinge und richtete sie auf die unbekannten Angreifer.

Vielleicht hat Lord Elrond recht, dachte er und holte tief Luft. Aber sie müssen mich zuerst töten, um Aragorn zu bekommen!

Mit einem alten elbischen Kriegsschrei auf den Lippen stürzte er sich ein weiteres Mal auf die Schatten, die sich noch verbissener als zuvor darum bemühten, an Legolas vorbei zu Aragorns Bett zu gelangen.

***

„Steht es so schlimm um ihn?"

Elladan sah Elrond und Elrohir mit großen Augen an, die in diesem Augenblick vor seiner Tür standen, und fand die Antwort auf seine Frage in ihren Mienen. Der Schmerz in den Augen seines Bruders und die sorgenvoll zusammengezogenen Augenbrauen seines Vaters verrieten ihm mehr, als jedes Wort es vermocht hätte.

„Ich komme!"

Er wollte sich ihnen anschließen – und erstarrte. Ebenso wie sein Vater und sein Zwillingsbruder konnte Elladan plötzlich spüren, wie sich etwas Dunkles über Bruchtal legte. Einen Wimpernschlag später hörten sie den Kampfschrei Legolas' aus Aragorns Zimmer.

Die drei Elben ahnten, wer die Angreifer waren.

Angesichts der fortgeschrittenen Nachtstunde waffenlos und überrascht von einem so dreisten Überfall, blieben ihnen in der Kürze der Zeit nur Elladans Klingen. Die eigenen Waffen zu holen, konnte Aragorns Schicksal bereits besiegeln. So stürmten die drei wortlos in Elladans Raum und griffen sich jeder eines von dessen Schwertern, die dieser in der Ecke neben der Tür hinter einem Wandbehang verborgen hatte. Wieder zurück auf dem Gang, schob Elrond seinen widerstrebenden Ältesten in die Gegenrichtung.

„Elladan, kümmere du dich um Nolana. Sie werden auch nach ihr suchen." Er wies zum Ende des Korridors auf das Zimmer, in dem das Kind untergebracht war.

„Aber, Vater..." begann Elladan zu protestieren, doch Elrond unterbrach ihn.

„Wir haben keine Zeit mehr. Mach, was ich dir gesagt habe. Dein Bruder, Legolas und ich werden Estel beschützen. Kümmere du dich um das Kind. Es wird Angst haben!"

Elladan gab seinen Widerstand auf und hastete zu Nolanas Zimmer, während Elrond und Elrohir sich Aragorns Zimmer zuwandten. Von dort wies das Geräusch aufeinandertreffender Klingen auf einen Kampf Schwert gegen Schwert hin.

Sie kamen nur ein paar Schritte weit. Noch bevor sie das Zimmer erreichen konnten, ließ das Geräusch von Schritten hinter ihnen sie stehen bleiben. Gerade, als sie sich umdrehten, tauchte von der Treppe her eine Handvoll schwarzgekleideter Gestalten auf dem Gang auf.

Zwei verschwanden in die gleiche Richtung, die Elladan kurz zuvor eingeschlagen hatte, die anderen kamen ohne zu zögern auf die beiden Elben zu. Die Tatsache, dass die Eindringlinge es offenbar ohne große Probleme an Glorfindels Wachpatrouillen vorbei ins Tal hineingeschafft hatten, zeugte von ihrer Gerissenheit und machte sie zu gefährlichen, ebenbürtigen Gegnern.

Ein rascher Blick ging zu Aragorns Zimmertür, dann sah Elrond seinen Sohn an. „Legolas wird es allein schaffen müssen, fürchte ich."

Elrohir nickte grimmig, dann stellten sich Vater und Sohn dem Kampf.

***

Elladan hatte inzwischen die Tür von Nolanas Zimmer erreicht. Er öffnete sie lautlos und zog sie ebenso leise gleich darauf hinter sich wieder zu.

Kaum hüllte ihn die Dunkelheit des Raumes ein, hörte er auch schon die Kampfgeräusche, die von seinem Vater und seinem Bruder stammten. Die Südländer hatten den Flur offenbar bereits erreicht. Mit jedem Klirren der Schwerter drängte es Elladan nach draußen, um seiner Familie beizustehen, doch das Wissen um die Hilflosigkeit des Kindes und die Anweisungen seines Vaters ließen ihn bleiben, wo er war. Er hatte versprochen, sich um das Kind zu kümmern.

Von dem Mädchen fehlte allerdings jede Spur. Das Bett war leer und die Bettdecke zur Seite geworfen, so als hätte sie jemand hastig von sich gestoßen. Die nächtliche Finsternis zu durchdringen, fiel seinen Augen nicht schwer, doch zunächst fand er keinen Hinweis auf den Verbleib des Mädchens. Erst sein scharfes elbisches Gehör ließ ihn ein leises Schluchzen vernehmen, das aus dem Schrank zu kommen schien.

„Nolana, bist du da drin?" flüsterte er und lauschte erneut angestrengt. Das Schluchzen verstummte schlagartig und Stille trat ein.

Mehr Antwort benötigte er nicht. Elladan öffnete den Schrank und ging davor in die Hocke.

Dicke Tränen kullerten die Wangen des Kindes hinunter, das nun angststarr zu ihm hoch sah.

„Sie sind da," flüsterte sie und drückte sich soweit in den Schrank zurück, wie sie konnte. „Die bösen Männer sind da. Ich habe sie gesehen, als ich zu dir wollte..."

Keine Sorge, ich bin ja bei dir, wollte Elladan sagen, als er das Geräusch näherkommender Schritte vernahm. Nur noch Augenblicke, dann waren sie da!

„Bleib da drin," flüsterte er hastig. Dann legte er beruhigend eine Hand auf die Schulter des Mädchens, das verzweifelt versuchte, sich noch weiter in die schützende Enge des Schrankes zurückzuziehen. „Du musst ganz still sein, was auch geschieht, hörst du?"

Nolana nickte so heftig, dass eine Träne auf den Handrücken Elladans flog. Der vernahm in diesem Moment ein Geräusch an der Tür. Eilig stand er auf, schloss schnell die Tür zum Schrank und hob sein Schwert.

Im Inneren des Schrankes zog sich Nolana unterdessen eine der Decken über den Kopf. Sie versuchte sich noch kleiner zu machen, als sie ohnehin schon war, während sie sich so einsam wie noch nie zuvor in ihrem Leben fühlte.

„Harweduil, bist du da?" wisperte sie tonlos und hoffte, dass ihr unsichtbarer Freund sie nicht im Stich gelassen hatte.

Augenblicke später begannen Schwerter aufeinander zu prallen. Jedes Klirren ließ die Kleine zusammenzucken. Zitternd rollte sie sich zusammen, bis sie endlich einen weichen Widerstand spürte. Nicht wissend, dass es nur ein Stapel Kissen war, atmete sie erleichtert auf.

„Ich wusste, dass du mich nicht allein lässt. Ich habe dich vermisst, Harweduil."

Beruhigt, da sie sich nun nicht mehr allein wähnte, blieb sie ganz still. Die Kampfgeräusche drangen zwar nur gedämpft an ihr Ohr, doch sie schienen längst nicht mehr so bedrohlich wie noch kurz zuvor. Sich an ihren tröstenden Freund kuschelnd hoffte Nolana, dass dem freundlichen Elben, von dem sie nicht wusste, ob es Elladan oder Elrohir war, nichts passieren würde.

***

Legolas hatte inzwischen einen der drei Angreifer überwältigt. Ein Stich ins Herz hatte dessen Bemühen, den Elben zu töten, ein Ende bereitet. Es war ungewohnt anstrengend für den Prinzen von Düsterwald, handelte es sich bei den Südländern doch um ausgesprochen fähige Gegner. Sich gegen sie zu verteidigen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sie Aragorn, der hilflos im Bett lag, nicht zu nahe kamen, forderte all seine Erfahrung.

Mit grimmigen Schreien stürzten sich die beiden anderen Männer auf ihn. Legolas parierte die Schläge der Krummsäbel mit Aragorns Schwert, das nun ebenso gut in seiner Hand lag wie seine eigenen Schwerter. Diese hätte er zwar bevorzugt, doch sie lagen für ihn unerreichbar in seinem Zimmer.

Der Elbe duckte sich gewandt unter einem gegen seinen Hals gerichteten Streich hinweg, um in der gleichen Bewegung mit nur einer Drehung seines Handgelenkes dem Oberschenkel des Südländers eine tiefe Wunde zuzufügen. Dieser stöhnte auf, taumelte zurück und hielt sich das Bein, doch der Prinz verharrte nicht, sondern drängte unterdessen den anderen Mann zur Tür hinüber. Diese wurde unversehens aufgestoßen und traf den Südländer dabei hart im Rücken. Der Stoß warf ihn nach vorne und er fiel direkt in Legolas' Schwert hinein.

Es war Elrond, der seinerseits mit einem vermummten Eindringling kämpfte und gerade rückwärts ins Zimmer hineindrängte. Ihn hatte die Sorge um seinen Sohn nicht losgelassen. Während er kämpfte, warf er einen flüchtigen Blick auf Aragorn.

Dieser rührte sich nicht. Da der Elbenfürst jedoch keinerlei Wunden entdecken konnte, die auf eine Verletzung hindeuteten, wandte er sich etwas beruhigter wieder seinem eigenen Gegner zu. Flüchtig geriet Legolas in sein Blickfeld. Bis auf ein paar Schnittwunden, die durch die Schlaftunika hindurch bluteten, schien der Prinz nicht ernsthaft verletzt zu sein. Dagegen lagen zwei Eindringlinge tot auf dem Boden, während Legolas mit dem dritten kämpfte.

Da sein eigener Gegner ihm ziemlich zusetzte, konzentrierte Elrond sich wieder auf den Kampf. Und so sah er nicht, wie Aragorns Augenlider flatterten und der junge Mann sich langsam rührte.

***

Der Schlaftrunk seines Vaters hatte ihn in eine verschwommene, stumme Welt versetzt, aus der zu fliehen er nicht die Kraft hatte. Aragorns letzter bewusster Eindruck von seiner Umgebung war von alles umfassender, bleierner Schwere, Vergessen und Dunkelheit ersetzt worden, in die ihn das Flüstern seines Vaters bereitwillig hatte eintauchen lassen.

Er wurde jedoch jäh von harten Klängen dort herausgerissen. Schrilles Kreischen von Metall auf Metall peinigte jeden Nerv seines kranken Körpers. Nur mühsam gelang es Aragorn, in die Realität zurückzukehren. Unter ungeheurer Kraftanstrengung schaffte er es nach einer vermeintlichen Ewigkeit sogar, die Augen zu öffnen. Zunächst sah er nichts weiter als verschwommene Schemen, die sich viel zu schnell um ihn herum bewegten und mit dem Blick nicht fassbar schienen. Trotz aller Anstrengung konnte er zunächst nicht erkennen, wer sich in seinem Zimmer aufhielt.

„Vater?" flüsterte er mit heiserer Stimme, doch eine Antwort erhielt er nicht. Nach einer Weile schaffte er es schließlich, die sich bewegenden Schemen klarer zu erkennen.

Ein Kampf?

Aragorn war verwirrt, Legolas und seinen Vater kämpfen zu sehen, doch noch mehr verwirrte ihn der Anblick der vermummten Gestalten, die ihre Klingen mit beinahe elbischer Schnelligkeit zu führen verstanden.

Ich muss etwas tun!

Es schien Ewigkeiten zu dauern, doch irgendwann hatte er mühsam seine Beine aus dem Bett geschwungen. Die Augen wollten ihm immer wieder zufallen, als er nach seinem Schwert Ausschau hielt, das er für gewöhnlich neben dem Bett an einen Stuhl lehnte. Zu seiner Überraschung war es nicht da. Daher griff er nach seinem Waffengurt und zog einen der kurzen Dolche heraus, dann begann er sich am Bettpfosten in die Höhe zu ziehen.

Legolas nahm die Bewegung des Freundes aus den Augenwinkeln wahr. Entsetzt sah er, wie Aragorn sich – im Dämmerzustand gefangen – vom Bett erhob und in den Kampf eingreifen wollte.

„Estel, nicht!"

Eine Schwäche seines Gegners ausnutzend, schlug der Prinz von Düsterwald mit dem Schwertknauf gegen die Schläfe des Südländers. Dieser stolperte und fiel kurz darauf benommen zu Boden. Ohne ihm noch einen Blick zu gönnen, nutzte Legolas diese Atempause und lief zu Aragorn hinüber. Der war inzwischen neben dem Bett zu Boden gesunken, weil ihn seine Füße nicht tragen wollten.

„Aragorn," flüsterte Legolas und kniete sich neben den Freund. „Was machst du denn? Du kannst uns nicht helf..."

Als der Elbe sah, wie Aragorn mit großen Augen hinter ihn starrte, reagierte er instinktiv. Er schlang einen Arm um den Menschen und rollte sich mit ihm zur Seite. Noch in der Bewegung hörte er, wie der Säbel des Südländers tief in das Holz des Bettpfostens eindrang.

Der wütende Südländerkrieger hatte keine Zeit mehr, die feststeckende Waffe wieder herauszuziehen, denn im nächsten Augenblick traf ihn das Schwert des Elbenprinzen in die Brust. Von der Klinge durchbohrt fiel der Krieger nach vorn, direkt auf Legolas und Aragorn, die keine Zeit mehr hatten, sich ein weiteres Mal zur Seite zu werfen.

Es dauerte einige Momente, bis Legolas den toten Körper des Südländers von ihnen fort zur Seite gestoßen hatte. Er spürte das Blut, das aus der Wunde des Angreifers auf seine Tunika gesickert war und sie durchtränkt hatte, widerwärtig klebrig auf seiner Haut, doch der Elbe verschwendete keinen Gedanken daran. Stattdessen beugte er sich über Aragorn, der – beängstigend blass – in seinem Arm lag. Die Augen des Mannes waren nun wieder geschlossen, sein Kopf über den stützenden Arm des Prinzen hinweg nach hinten gesackt.

„Estel?"

Er ließ das Schwert fallen, das er noch immer festgehalten hatte, und bettete mit der nun freien Hand den Kopf des Freundes in seiner Armbeuge. Die Furcht, dass die Anstrengungen der letzten Momente seinem kranken Freund endgültig den Weg zu Mandos' Hallen geebnet hatten, ließ seine Stimme erstickt klingen. „Estel, sag etwas... sprich mit mir..."

Aragorn antwortete ihm nicht.

„Ihr Valar, nein, bitte nicht!" flüsterte Legolas erschüttert und presste Aragorn in einer Geste der Hilflosigkeit an sich. Er spürte die Hitze des Fiebers in dem anscheinend leblosen Körper des Menschen. Aber war auch noch Leben darin? Die Fingerkuppen des Prinzen tasteten hektisch nach einem Puls...

***

Machtlos hatte Elrond mitansehen müssen, wie sein Pflegesohn sich von seinem Lager erhoben hatte, um im nächsten Augenblick entkräftet zu Boden zu gleiten. Alles in ihm verlangte danach, an Aragorns Seite zu eilen, sich um ihn zu kümmern, doch sein Gegner ließ es nicht zu. Hartnäckig griff ihn der Südländer immer wieder an, setzte Hieb um Hieb und drängte den Elben langsam aber sicher zum Balkon zurück.

Elrond hatte schnell gemerkt, dass er es mit einem außergewöhnlich gewandten Widersacher zu tun hatte. Der Mann schien jede seiner Absichten vorauszuahnen, denn er blockte auch die wendigsten Attacken ab. Einmal war es dem Südländer sogar gelungen, ihm erfolgreich einen Schnitt mit der scharfen Klinge des Krummsäbels beizubringen, doch Elrond verdrängte den brennenden Schmerzes an seinem Oberarm. Alles, was er wollte, war, diesen Kampf endlich zu beenden, damit er für Aragorn da sein konnte.

Angriff. Abwehr. Zurückweichen. Gegenangriff. Ausweichen.

Es glich einem faszinierenden und tödlichen Tanz, wie sich die beiden gleichwertigen Kämpfer umkreisten und zwischen zwei Schlägen unablässig nach einer Schwachstelle beim anderen suchten.

Aus den Augenwinkeln registrierte er, wie Legolas seinen letzten Gegner niederschlug, um gleich darauf an Aragorns Seite zu eilen, doch entsetzt musste er sehen, wie der vermeintlich betäubte Angreifer sich sofort wieder erhob und dem Prinzen lautlos nachsetzte.

Er wollte Legolas warnen, wollte rufen, doch sein eigener Gegner ließ ihm keine Zeit dazu. Dieser hatte die Szene gleichfalls beobachtet und griff nun mit neuer Heftigkeit an, um den Elben anderweitig zu beschäftigen.

„Estel," flüsterte er besorgt und schickte ein stilles Flehen an die Valar, seinen Sohn zu beschützen oder seinem Freund Legolas die Kraft zu geben, dies selbst zu tun.

Elrond bekam keine Gelegenheit mehr, einen zweiten flüchtigen Blick zu seinem menschlichen Sohn hinüber zu riskieren, denn der Kampf zwischen ihm und seinem Kontrahenten forderte seine vollste Konzentration.

Er bemerkte nicht, wie sein Gegner bei der Erwähnung von Aragorns elbischen Namen aus den Augenwinkeln heraus einen kurzen Blick hinüber zum Bett warf, bevor er sich wieder grimmig den Attacken des Elben stellte.

In diesem Augenblick tauchte Elrohir in der Tür zu Aragorns Raum auf. Der jüngere Zwilling sah, in welcher Zwangslage sein Vater sich befand.

So lautlos, wie nur ein Elbe sich zu bewegen vermochte, schlich er an den Gegner seines Vaters heran, in der Absicht, ihm im nächsten passenden Moment die Waffe in den Rücken zu stoßen.

Noch drei Schritte trennten Elrohir von dem Vermummten, dann noch zwei. Er hob das Schwert, dessen makellose Klinge mit Blut befleckt war, bereit, zuzustechen, doch genau in diesem Moment wirbelten die beiden Gegner erneut umeinander.

Elrohir erstarrte mitten in der Bewegung, ebenso wie der Südländer, der augenblicklich begriff, welchem Schicksal er soeben entgangen war. Unvermittelt hielt er in seinen Angriffen inne, schickte hastige, abschätzende Blicke zwischen Vater, Sohn und seinen getöteten Kameraden hin und her – dann wandte er sich um und stürmte mit zwei panthergleichen Sätzen auf den Balkon.

Mit einem letzten Blick auf den scheinbar leblosen Menschen in den Armen des blonden Elben, sprang er auf das Geländer des Balkons.

Ehe die Elben sich auf die Veränderung der Situation einstellen konnten, hatte der Südländer bereits einen Seitenpfosten des Balkongitters ergriffen und sich mit erstaunlicher Geschmeidigkeit daran empor und in die Höhe, auf das Dach des Gebäudes, geschwungen. Einen Atemzug später war seine Silhouette aus dem Blickfeld der Anwesenden verschwunden.

„Er entkommt!"

Elrohir war schon auf dem Sprung, um dem Angreifer nachzusetzen, doch sein Vater hielt ihn zurück. „Lass ihn. Du weißt nicht, wie viele von ihnen dort draußen möglicherweise noch warten. Ich will nicht, dass du in ein offenes Messer läufst. Außerdem werde ich deine Hilfe hier brauchen, falls sie noch einmal zurückkommen."

Nur widerwillig wandte Elrohir sich vom Balkon ab. Er nahm gerade noch wahr, wie sein Vater das Schwert achtlos zur Seite warf und an Aragorns Bett eilte. Erst jetzt, da sein Blick in diese Richtung gelenkt wurde, sah er, dass sein menschlicher Bruder sich nicht mehr auf seinem Lager befand. Furcht begann sich in ihm zu regen.

Inzwischen war Elrond um das Bett herumgelaufen und neben Legolas in die Knie gegangen. Der Prinz kniete am Boden und hielt Aragorns reglosen Körper in seinen Armen.

„Ich kann seinen Puls nicht finden..." Legolas' blaue Augen blickten Hilfe suchend zu Elrond empor, der nun seinerseits nach dem Puls des Menschen fühlte.

Lange Augenblicke vergingen, die aus Sekunden Minuten machten, ehe sich Elronds besorgte Züge ein wenig entspannten.

„Das Herz schlägt. Schwach zwar, aber es schlägt. Estel lebt noch." Er sah, wie Erleichterung über Legolas' Miene huschte. „Helft mir, ihn wieder auf das Bett zu legen."

Gemeinsam hoben sie Aragorns leblose Gestalt auf die Lagerstatt, dann schob der Elbenherr die beiden weg. „Tretet zurück. Ich will nachsehen, ob ihm seine unbedachte Handlung noch mehr Schaden zugefügt hat."

Wortlos traten Legolas und Elrohir zur Seite, die eigenen Verletzungen des zurückliegenden Kampfes dabei völlig vergessend. Sie schwiegen und so breitete sich Stille im Raum aus, in dem es nun intensiv nach vergossenem Blut roch...

***

Am anderen Ende des Ganges ging in Nolanas Zimmer Elladans Kampf inzwischen ebenfalls seinem Ende entgegen.

Einer der beiden Angreifer lag mit durchbohrter Kehle vor dem Bett des Kindes, der andere, der aus mehreren Wunden blutete, wich gerade einen weiteren Schritt vor dem wütend kämpfenden Elben zurück, während er sich fieberhaft umsah. Es war deutlich zu erkennen, dass der Südländer nach einem Fluchtweg Ausschau hielt.

Auch Elladan blieb das nicht verborgen. Mit schnellen Ausfallschritten schob er sich um seinen Gegner herum, ihm so den Weg zum Balkon abschneidend, während die Metallklinge des Elbenschwertes gleichzeitig ein weiteres Mal den waffenführenden Arm des Angreifers traf.

Dumpfes Stöhnen erklang unter der schwarzen Gesichtsmaske und der Krummsäbel des Südländers begann verdächtig zu zittern.

„Du kommst hier nicht lebend weg," knurrte der ältere Zwilling auf Westron. „Also ergib dich besser."

Für einen winzigen Moment zögerte der Vermummte. Er hatte die Aussichtslosigkeit seiner Situation offenbar bereits begriffen. Die gebogene Klinge des fremden Säbels sank ein Stück nach unten, und Elladan begann bereits zu glauben, dass der Angreifer sich tatsächlich zu ergeben beabsichtigte, als die Waffe unvermittelt erneut empor gerissen wurde. Im selben Moment stürmte der Fremde mit erbittertem Geschrei auf den Elben los.

Der reagierte so, wie unzählige Übungsstunden mit Glorfindel es seinen Reflexen eingeschliffen hatten: Elladan trat einen Schritt zur Seite, wirbelte einmal um die eigene Achse, um dann sein Schwert quer über den Oberkörper des Angreifers zu ziehen.

Die scharfe Klinge durchschnitt Kleidung wie Haut gleichermaßen.

Als wäre er gegen eine Mauer gelaufen, blieb der Südländer schlagartig stehen. Einen Augenblick lang wirkte er wie erstarrt, dann rutschte die Klinge seines Schwertes aus der plötzlich kraftlosen Hand und polterte auf den Boden. Blut quoll aus der aufklaffenden Wunde, doch noch ehe die ersten Tropfen neben das Schwert fallen konnten, sackte der Mann bereits zusammen. Mit einem hässlichen, gedämpften Laut prallte sein entseelter Körper gleich darauf auf den Boden, um sich nicht mehr zu rühren.

All das war innerhalb weniger Sekunden geschehen.

Elladan stand wie vom Blitz getroffen im plötzlich unheimlich stillen Raum und starrte das sich ihm bietende Bild an.

Was wollte er mit dieser Aktion ausrichten? Er wusste, dass er keine Chance mehr hatte... Noch einmal spulten sich in seinem Kopf die eben erlebten Szenen ab, und sie ließen nur einen Schluss zu.

Er wusste, wie ich reagieren würde. Fassungslos sah Elladan die Klinge seines Schwertes an, die durch das Blut der Angreifer ihren silbernen Glanz verloren hatte. Er ging absichtlich in den Tod!

Der Elbe holte tief Luft. Die Vorstellung, sich freiwillig in die Klinge eines Gegners zu stürzen, nur um einer möglichen Gefangennahme zu entgehen, war seinem Denken so fremd wie kaum etwas anderes sonst.

Langsam ließ er das Schwert sinken, dann warf er einen Blick durch den verwüsteten Raum. Ein Teil des Mobiliars war beim Kampf umgestoßen oder zerbrochen worden. Das Blut der beiden Leichen lief in großen Lachen um ihre Körper herum den Boden entlang und in der Luft hing jener schwere Metallgeruch, den nur ein gewaltsamer Tod mit sich brachte. Hier durfte Nolana nicht bleiben, doch sehen sollte sie die Toten auch nicht. Wie jedoch konnte er dem Kind diesen schrecklichen Anblick ersparen?

Sich gewaltsam zur Ruhe zwingend ging Elladan langsam zum Schrank hinüber, in dem er das Kind versteckt wusste.

Er lehnte das Schwert gegen eine der Schmalseiten, damit der Blick des Mädchens nicht sofort auf die blutbesudelte Klinge fiel, dann öffnete er die Tür und spähte ins pechschwarze Schrankinnere. Der unförmige Deckenhaufen in der Ecke verriet ihm, wohin er seine Worte zu richten hatte.

„Es ist vorbei, Nolana," sagte er laut genug, damit das Mädchen ihn durch die dämpfenden Textilschichten hindurch verstehen konnte. „Die Gefahr ist vorbei. Du kannst wieder herauskommen."

Behutsam zog er einen Zipfel der obersten Decke zur Seite, bis ein Teil des Haarschopfes und schließlich die riesigen, furchtsamen Augen des Kindes sichtbar wurden. Elladan, der in diesem Moment vergaß, dass die Kleine nicht über die scharfen Augen eines Elben verfügte, zwang ein Lächeln auf sein Gesicht.

„Komm her," sagte er sanft und strich dem Kind eine Locke aus dem Gesicht. „Komm, ich bringe dich hier fort."

Die Kleine starrte ihn so reglos an, als hätte sie sich inzwischen zu Stein verwandelt, doch nach einigen Sekunden warf sie plötzlich die Decke zur Seite und sich selbst in die ausgebreiteten Arme des Elben. Der fing sie sicher auf und schlang beruhigend seine Arme um den schmalen, bebenden Körper. Er konnte spüren, dass das Herz Nolanas wie wild klopfte.

„Schon gut," flüsterte er ihr ins Ohr und streichelte bedächtig über ihren Kopf. „Sei ganz ruhig, ich bin ja bei dir."

Es dauerte eine Weile, bis seine Worte ihren Verstand erreichten, doch als sie es schließlich taten, entrang sich ein einzelner, krampfhafter Schluchzer.

„Komm, lass uns gehen!" Elladan angelte eine der Decken aus dem Schrank, wickelte sie um das Kind, dann hob er das Bündel auf seine Arme und stand auf. Nolana war nun vollständig in die Decke gewickelt und ihr Gesicht, das als einziges noch frei war, ruhte seitlich in der Halsbeuge des Elben. Auf diese Art würde dem Kind der Anblick der Toten erspart bleiben.

Da er nur hoffen konnte, dass seine Familie inzwischen auch mit dem Rest der Angreifer fertig geworden war, griff er nach kurzem Zögern schließlich doch noch nach seinem Schwert, dann wandte er sich zur Tür um. Nolana hing in seinem Arm, als wolle sie sich nie wieder bewegen, doch ihre Augen klebten an seinen Zügen.

„Weißt du was?" Elladan hoffte, dass die Kleine den unsicheren Unterton in seiner Stimme nicht bemerkte. „Jetzt gehen wir zu mir, in mein Zimmer. Da bist du sicher und kannst in Ruhe schlafen. Was hältst du davon?"

Das Nicken des Kindes war kaum wahrnehmbar, doch Elladan genügte es.

„Dann lass uns gehen."

Er sah sich ein letztes Mal nach den Angreifern um, doch die beiden waren eindeutig tot. Von ihnen drohte keine Gefahr mehr. Dennoch blieb die Sorge um seine Familie. Mehr als alles andere auf der Welt hoffte er in diesem Augenblick, dass es ihnen gut ging. Elladan seufzte unhörbar und verließ das Zimmer.

***

wird fortgesetzt