Ja, es stimmt, ein Kapitel haben wir noch in der Hinterhand gehabt. Hier kommt es nun und wird euch hoffentlich nicht unbedingt in die Tischplatte beißen lassen... Natürlich Cliffhanger-ALARM! Was sonst?! Aber wenigstens dieses Mal wollen wir euch davor gewarnt haben. ;) Ihr habt es ja bald geschafft, ihr tapferen, geduldigen und lesehungrigen Seelen da draußen! Noch zwei Kapitel, vielleicht drei...

Ich [ManuKu] konnte es mir nicht verkneifen, mich an eine Bildgestaltung für die bisherigen drei Geschichten zu machen. Ich weiß, dass FFnet etwas eigenwillig auf Internetadressen reagiert, doch ich werde es trotzdem mal versuchen:
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Schuld und Sühne

von: Salara und ManuKu


Teil 31

Die Stimmung im Südländerlager war in dem Augenblick umgeschlagen, als die Männer begriffen, dass ihnen ein ganz besonderes Schauspiel bevorstand.

Ehe man Elrond und Elladan losband, sorgte Gomar dafür, dass die beiden Elben nicht auf den Gedanken kamen, mögliche verwegene Befreiungsaktionen für Aragorn, Assat oder Rivar in die Tat umzusetzen. Er postierte neben den beiden Letztgenannten jeweils einen seiner Leute mit gezogenem Krummsäbel und der unmissverständlichen Anweisung, die Gefangenen zu töten, sollten die beiden Elben während des Kampfes etwas Verdächtiges unternehmen.

Gomar selbst blieb neben Aragorn stehen, der inzwischen in einen halbbewusstlosen Zustand zurückgeglitten war.

„Kämpft auf Leben und Tod miteinander. Das ist der Preis, den ihr zu zahlen habt. Ist er euch zu hoch, wird er vor euren Augen sterben. Langsam..." Er lächelte wieder sein wölfisches Grinsen. „...sehr langsam!"

Elrond und Elladan hatten die Worte gehört und standen sich nun reglos gegenüber.

Elladan war wütend und dachte daran, Gomar mit einem Satz an die Kehle zu springen und ihn zu töten, doch die sie umringenden Männer bildeten einen unüberwindlichen Wall. Er sah Elrond verständnislos an. Warum hatte sein Vater diesem Schauspiel zugestimmt? Warum konnten sie nicht alles auf eine Karte setzen und losstürmen? Dieser Südländer würde sich sowieso nicht an die Abmachung halten; schließlich hatte er zwanzig Jahre auf seine Rache gewartet. Warum also stimmte Elrond diesem Kampf zu?

Ada," flüsterte Elladan auf Sindarin. „Was soll das? Ich kämpfe nicht gegen dich. Schon gar nicht auf Leben und Tod!"

„Wir müssen den Schein wahren, mein Sohn. Wenn wir nicht kämpfen, stirbt Estel hier vor unseren Augen. In den letzten hundert Jahren haben wir oft miteinander den Schwertkampf geübt. Es sollte uns möglich sein, ihn echt aussehen zu lassen."

„Aber was hilft uns das?" erwiderte Elladan. „Letzten Endes will dieser Gomar einen von uns tot am Boden sehen. Du wirst es nicht sein, denn ich könnte dich nicht töten. Nicht einmal mit Estels Leben als Preis."

Mit diesen Worten warf Elladan einen Blick zu Aragorn hinüber. Sein Gesicht spiegelte alle Qual und Zerrissenheit wider, die in ihm tobte.

Elrond brach es fast das Herz, seinen ältesten Sohn derart leiden zu sehen. Ihm ging es nicht anders, doch im Gegensatz zu Elladan hatte er noch eine Wahl, die diesem nicht in den Sinn gekommen zu sein schien...

„Kämpft endlich," unterbrach Gomar ihren Wortwechsel. „Zeigt uns die berühmte Schwertkunst der Elben. Vielleicht können wir noch etwas von euch lernen."

Sein Spott trug dem Südländer ein paar Lacher von seinen Männern ein und erinnerte die Elben daran, dass ihnen wahrhaftig keine Wahl blieb.

Elrond stellte sich in Position. Sein Sohn erkannte an der Stellung seiner Füße und der Haltung des Schwertes, welche Kampfversion sein Vater nachzuspielen gedachte. Solchermaßen um eine eigene Entscheidung gebracht, stellte er sich dem Unvermeidlichen und machte sich kampfbereit.

Nach einem bestätigenden Nicken hob Elrond sein Schwert und eröffnete den Kampf mit einem Schlag von oben. Elladan parierte und für einen Augenblick verharrten die beiden Elben in dieser Position. Die scharfen Elbenklingen rieben sich aneinander und der feine singende Ton klang beinahe bittend, als unterstriche er die Zweifel, die Elladan des Kampfes wegen immer noch hatte.

Doch inzwischen lag ein unerbittlicher, harter Ausdruck in Elronds Augen. Elladan begriff, dass sein Vater entschlossen war, alles Denkbare zu ihrer Rettung zu unternehmen. Aus jahrtausendelanger Erfahrung wusste er, dass dazu auch Entscheidungen gehörten, die er auch in den schlimmsten Situationen niemals gutheißen würde. Plötzlich begann er Angst zu verspüren. Angst, vor dem, was die kommenden Minuten bringen würden.

Elladan öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch in dem Augenblick drückte Elrond ihn von sich, drehte sich gleichzeitig um die eigene Achse und führte einen seitlichen Schlag gegen Elladans Hüfte. Dieser zog ihm fast automatisch sein Schwert entgegen, stolperte aber durch die Wucht des Aufpralls einen Schritt rückwärts. Gleich danach musste er sich ducken, um einem von oben geführten Schlag seines Vaters auszuweichen.

Er meint es wirklich ernst, fluchte er im Stillen und begegnete einem von unten geführten Schlag im letzten Augenblick, ehe sie sich wie zwei Raubtiere umkreisten und sich nicht aus den Augen ließen.

Gomar konnten sie trotzdem nicht täuschen.

Dem Südländer war trotz des offensichtlich erbitterten Kampfes natürlich nicht entgangen, dass bis jetzt noch kein Blut geflossen war. Nichts, keine noch so kleine Wunde, zeigte ihm, dass die beiden Elben seine Drohung ernst genommen hatten.

„Morag!"

Seine laute Stimme ließ die beiden Elben sich zu ihm umdrehen.

Gomar gab seinem Stellvertreter ein kurzes Zeichen, woraufhin der Südländer den Strick um Aragorns Kehle noch ein weiteres Mal enger drehte.

Der Körper des jungen Mannes reagierte auf die nun schon äußerst gering gewordene Zufuhr von Atemluft mit einem weiteren Adrenalinausstoß, der Aragorn aus seinem Dämmerzustand erwachen ließ. Mit wildem Blick sah er sich um, so gut es die erzwungene Bewegungslosigkeit zuließ; dabei rang er mühsam nach Atem.

„NEIN!" Elladan wollte sich auf Morag stürzen, doch die Spitzen der Krummsäbel der drei hinter ihm stehenden Wachen richteten sich nun seitlich gegen die Kehle des Elben. Gezwungenermaßen blieb er stehen, und mehr als sein verzweifelter Blick konnte seinen menschlichen Bruder nicht erreichen. Die Hoffnungslosigkeit, die er in Aragorns grauen Augen erkannte, ließ ihn innerlich beinahe zerbrechen.

„Glaubt ihr Elben etwa, dass ich mich von euch schon wieder an der Nase herumführen lasse?" Gomars Stimme bebte vor Wut. „Denkt ihr, dieses Schauspiel könnte mich täuschen?"

Er rief einem seiner Männer, die neben Elladan standen, etwas in seiner Muttersprache zu. Noch ehe der Zwilling wusste, was geschah, holte dieser mit dem Säbel aus.

Elladan, dessen Blick noch immer an den plötzlich schreckgeweiteten Augen Aragorns hing, bekam keine Gelegenheit, um zu reagieren. Bereits einen Augenblick später fiel er auf die Knie, aus einem tiefen Schnitt blutend, der quer über seinen Rücken verlief.

Sein Schmerzensschrei mischte sich mit der Wut Elronds, der von fünf Männern zurückgehalten werden musste, um nicht an die Seite seines Sohnes zu eilen.

Zufrieden mit der endlich sichtbaren Reaktion der Elben, trat Gomar dicht an Elrond heran und zog den kunstvoll verzierten alten Dolch aus seinem Gürtel, den er dem Elbenherrn vor kurzem abgenommen hatte.

„Ihr nehmt mich offenbar immer noch nicht ernst," flüsterte er mühsam beherrscht. „Dabei sollte jemand deines Alters eigentlich wissen, wen er unterschätzen kann und wen nicht."

Elrond, der sich noch immer nicht aus der brutalen Umklammerung der Südländer befreien konnte, ließ Gomar nicht aus den Augen. Als dieser ihm unerwartet den Rücken zukehrte und sich seinem ältesten Sohn zuwandte, konnte er seine Furcht nur schwer unterdrücken. Sie vervielfachte sich noch, als Gomar leicht zur Seite trat, damit der Elb das Nächste auch wirklich mitbekam.

Sein Herz setzte beinahe aus, als Gomar weiteren seiner Männer ein Zeichen gab. Die eilten hastig hinzu und zogen auf ein unverständliches Kommando hin den sich heftig wehrenden Elladan wieder auf die Füße zurück, ließen ihn jedoch nicht los.

„Ich habe mich wohl getäuscht, als ich dachte, Aragorn sei genug Motivation für dich, Elb. Dann muss ich den Einsatz wohl noch etwas erhöhen..."

Er ließ die Spitze des Dolches spielerisch über die Kehle Elladans gleiten. Dabei spiegelten sich die Flammen des Lagerfeuers in der glänzenden Klinge und ließen sie für einen Augenblick aufblitzen.

Für Elrond blieb plötzlich die Zeit stehen. Das Aufglitzern der Klinge verband sich bei ihm mit dem kurzen Aufblitzen einer früheren Vision.

... ein Körper lag vor ihm auf dem Boden. Bar jeder Regung, nur schwach von Atem beseelt... Elrohir... Eine Waffe ragte aus seinem Körper... ein Dolch... sein Dolch!

Der Elbenherr schloss die Augen.

In keinem Moment seines langen Lebens hatte er je so deutlich den Wunsch verspürt, diese Welt verlassen zu können, wie jetzt. Es würde sicher alles viel einfacher werden, wenn er den Elben, die vor ihm gegangen waren, folgte. Dann blieben seine Söhne sicher am Leben.

Er glaubte es nicht ertragen zu können, als er plötzlich den Verdacht nicht mehr los wurde, seine Vision die ganze Zeit falsch interpretiert zu haben.

Elrond erstarrte.

Es konnte nicht anders sein. Seine Söhne waren eineiige Zwillinge. Sie glichen einander wie Spiegelbilder. Auch, wenn er sie stets mühelos auseinandergehalten hatte – die Plötzlichkeit jener ersten Vision und ihre verwirrenden Bilder mussten seinen inneren Blick getrübt haben. Vielleicht war Elrohir nie gemeint gewesen, sondern Elladan, der durch den Dolch seines Vaters sterben würde!

Hätten ihn die Hände der Südländer nicht gehalten, wäre Elrond Gomar sicher ohne zu zögern an die Kehle gesprungen. So jedoch hatte er keine andere Möglichkeit, als hilflos mit anzusehen, wie dieser den Dolch dicht an Elladans Kehle brachte. Schließlich ritzte die scharfe Klinge dessen Haut auf und Blut begann langsam den Hals des Zwillings hinunterzulaufen.

Elrond hörte, dass Aragorn unterdrückt schluchzte, doch er hatte jetzt keinen Blick für ihn. In diesem Augenblick galt es, das Leben seines ältesten Sohnes zu retten.

„Hört auf damit, ich bitte Euch!"

„Dann kämpft auf Leben und Tod miteinander, so wie ich es von euch verlangt habe. Tut ihr es auch weiterhin nicht, werde ich entscheiden, wer sein Leben verliert. Höchstwahrscheinlich werde ich es ihm nehmen, doch wer weiß? Möglicherweise nehme ich dir deines."

Unerwartet kam er zu Elrond hinüber. Er musterte die Züge des Elbenherrn, als wolle er sie sich einprägen, starrte kurz den Dolch an – und zog ihm die schmale Klinge eine Sekunde später nun gleichfalls langsam, aber mit genau bemessenem Druck, über den Hals.

Es war nicht das erste Mal, dass der Elb von der Schneide einer Waffe verletzt wurde, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass es jedesmal heftig schmerzte. So konnte er trotz seines festen Willens einen Schrei nicht unterdrücken, während die Hände der Südländer noch fester zupackten, als befürchteten sie einen plötzlichen Befreiungsversuch.

Gomar allerdings genoß das Schauspiel. „Ich wollte nur für Chancengleichheit sorgen. Siehst du, Elb, so schnell kann es dein Leben sein, das hier im Schnee versickert."

Die Böswilligkeit in der dunklen Aura des Südländers war kaum zu ertragen, doch Elrond schaffte es, den Blick zu heben und ihn mit noch stärkerem Hass zu erwidern, während er sein Blut warm am Hals entlang rinnen spürte.

„Meine Frau und ich haben meinem Sohn das Leben geschenkt. Es ist nicht an dir, es ihm wieder zu nehmen. Mein Leben hingegen gebe ich bereitwillig, wenn ihn das rettet," antwortete Elrond leise, doch er sah dabei nur seinen Sohn an.

Elladan erwiderte den Blick ruhig und mit einem Lächeln. Wenn es wirklich keine andere Möglichkeit gab, Estel zu retten, dann würde er lieber durch die Hand seines Vaters sterben als durch die des Südländers.

„Lass uns kämpfen, Ada – für Estel... und die Hoffnung, die auf ihm liegt," flüsterte Elladan auf Sindarin. „Ich habe keine Angst."

Elronds Blick ruhte lange auf seinen Sohn. Selbst Gomar unterbrach dieses Schweigen nicht, da ihn die Seelenqual in Augen und Gesichtern der Elben viel zu sehr befriedigte.

Dann schien Elrond zu einer Entscheidung gekommen zu sein. Er wandte sich nun erneut Gomar zu, doch diesmal schreckte ihn der in den dunklen Augen liegende Wahn nicht ab.

„Versprecht Ihr, dass der Sieger dieses Kampfes und Aragorn am Leben bleiben?"

„Ich hatte nie vor, Aragorn zu töten. Als Sklave hat er viel mehr Nutzen für mich. Und ich zeige mich noch großzügiger. Der Sieger des Kampfes wird mit ihm gehen. Zwar wird er sein Schicksal teilen, doch er bleibt am Leben, vorausgesetzt, er wendet sich niemals gegen mich. DAS kann ich dir versprechen."

„Wir kämpfen!" erwiderte Elrond kurz.

Auf ein Zeichen Gomars hin ließen die Südländer ihn und Elladan los. Elrond streckte die Hand nach seinem Schwert aus, das ihm Gomars Männer zu Beginn dieser Auseinandersetzung abgenommen hatten.

Gomar nickte seinen Untergebenen erneut zu, woraufhin die Elben ihre Schwerter wiederbekamen. Gomar entfernte sich unterdessen vom Kampfplatz. Er blieb neben dem Baum stehen, an den Aragorn gefesselt war. Als er diesen bei Bewusstsein vorfand, stahl sich ein Lächeln auf seine Züge.

„Wie schön, dass du an diesem Schauspiel wieder teilhaben kannst." Er hockte sich zu Aragorn hinunter und flüsterte ihm ins Ohr: „Pass gut auf, denn gleich wird einer deiner wunderschönen Elben sterben!"

„Ich flehe dich an, Gomar..." Gequält sah Aragorn, wie Vater und Bruder sich für ihren allerletzten Kampf bereitmachten. „Verlange von mir, was immer du willst! Du kannst mich quälen, wann immer es dich danach verlangt, und ich werde betteln, wenn du es möchtest! Ich werde ein gehorsamer Sklave sein, wie du es erwartest. Doch bitte... erspare ihnen das!"

Aragorn war es längst egal, dass er seinen Stolz aufgab, solange er damit seine Familie rettete. Hoffend sah er zu seinem Peiniger empor – und deutete dessen Gesichtsausdruck richtig.

„Wenn einer von beiden stirbt, werde ich ihm schon bald folgen. Du wirst nicht allzu viel Freude an mir haben. Das schwöre ich dir!"

Gomar schnaubte nur amüsiert.

„Ich verrate dir jetzt etwas, Aragorn. Ob du noch lange lebst oder schon bald stirbst, darüber kann ich mir später noch Gedanken machen. Aber glaub mir, ich werde schon dafür sorgen, dass dich noch viel Zeit erwartet. In Moment will ich nur, dass du leidest. Eigentlich hatte ich dafür aufwendige Pläne für die Zeit nach unserer Rückkehr gemacht. Doch wenn ich dich jetzt sehe, weiß ich, dass dies hier eine wunderbare erste Gelegenheit ist, deine Leidensgrenzen zu testen! Und für dich ist es ein erster Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Das Gleiche gilt für denjenigen der beiden, der dein Schicksal teilen wird..."

Er lachte und wandte sich dann wieder den beiden Elben zu, die sich inzwischen kampfbereit gegenüberstanden.

„Kämpft und entscheidet selbst, wer lebt und wer stirbt!"

Elrond schien in Gedanken versunken, als Elladan zum Schlag ausholte. Nur in letzter Sekunde parierte er den Angriff und zog sich unter den folgenden Schlägen seines Sohnes Schritt für Schritt zurück, als könnte er sich nicht entscheiden, wirklich auf Leben und Tod gegen seinen Sohn zu kämpfen.

„Kämpfe, Ada!" flüsterte Elladan, als er die gerunzelte Stirn Gomars und dessen unheilverkündenden Blick in Aragorns Richtung sah. Doch Elrond schien in einem Traumzustand zu verharren.

Elladan kämpfte jetzt offensiver und drängte seinen Vater mit jedem Angriff dichter gegen einen Baum. Die Schwerter kreuzten sich vor ihren Oberkörpern. Der jüngere Elbe starrte seinem Vater schwer atmend in die Augen. Ihre Blicke ruhten ineinander.

Ada, ich bitte dich. Gib diesem Südländer keinen weiteren Grund, Estel zu quälen," bat Elladan. „Habe keine Furcht davor, dass du mich töten könntest. Lass die Valar entscheiden, wer von uns beiden diesen Kampf überlebt."

„Solange du lebst, gibt es Hoffnung, mein Sohn," erwiderte Elrond ruhig und von der Verzweiflung, die ihn durchdrang, war in seiner Stimme nichts zu spüren.

„Das gilt auch für dich, Ada!"

Als Elrond nichts erwiderte, packte Elladan der Grimm. Er war nicht bereit, die Selbstaufopferung seines Vaters einfach so zu akzeptieren. Schließlich riss er sich von ihm los, um sein Schwert erneut zu heben.

Elrond tauchte unter dem kommenden Schlag hindurch. Der kraftvolle Schwung, der auf keinen Widerstand stieß, ließ Elladan um die eigene Achse wirbeln. Trotzdem sah er aus den Augenwinkeln heraus, wie Gomar mit dunkler Miene Anstalten machte, sich Aragorn zuzuwenden.

Aus Angst um seinen menschlichen Bruder stürmte Elladan erneut auf seinen Vater zu.

„Wehr dich!" schrie er, während nun wirkliche Wut in seinen Hieben lag.

Bei dem nun folgenden Schlagabtausch ließ Elrond es zu, dass sein Sohn ihm das Schwert aus der Hand schlug und er selbst zu Boden ging.

Auf diesen Augenblick schien Gomar nur gewartet zu haben.

Er trat näher an die Kämpfenden heran und hob Elronds Schwert auf.

„Wir haben einen Sieger!" verkündete er triumphierend. „Doch der Verlierer lebt noch. Damit habe ich ein Problem," stellte er nüchtern fest.

Er wandte sich Elladan zu, blieb jedoch auf Abstand, da er nicht wusste, wie der bewaffnete Elbe in dieser Situation, noch dazu dermaßen in die Enge getrieben, reagieren würde.

„Töte ihn!" forderte er.

„NEIN!" Dieses eine Wort erklang aus zwei Kehlen. Leise und herzzerreißend verzweifelt von Elladan, sowie laut und wutentbrannt von Aragorn.

Gomar war mit wenigen Schritten an der Seite des Menschen und schlug hart zu. Die Wucht riss Aragorns Kopf trotz der engen Fesseln so stark zur Seite, dass die Stricke um seinen Hals daraufhin noch ein ganzes Stück tiefer ins Fleisch schnitten. Blut lief ihm nun aus beiden Mundwinkeln und mischte sich mit Schweiß, Schmutz und den Resten alten, längst getrockneten Blutes, doch Aragorn bemerkte es gar nicht. Er sah nur die Verzweiflung in den Augen seines Bruders.

„Von dir will ich nichts hören. Dies ist nicht deine Zeit, zu schreien. Du wirst noch oft genug Gelegenheit dazu haben. Doch nicht hier und jetzt. Es ist die Zeit der Elben, doch für einen von ihnen ist sie abgelaufen!"

Gomar wandte sich wieder Elladan zu.

„Töte ihn!" forderte er noch einmal.

Das Schwert in Elladans Hand zitterte, als er zusah, wie sein nun unbewaffneter Vater vom Boden aufstand.

„Ich kann nicht," flüsterte er.

Elrond trat ein Stück dichter an seinen ältesten Sohn heran, bis die Schwertspitze seine Schulter berührte. Er ergriff die Klinge, richtete sie langsam auf sein Herz und brachte der Waffe einen gewissen Widerstand entgegen. Es bedurfte nur eines kleinen Stoßes und das Metall würde Blut schmecken. Dann ließ Elrond die Klinge los und streckte wie einladend die Arme leicht nach vorne aus.

„Denk an Estel, mein Sohn. Seine Zeit ist noch nicht gekommen. Für uns ist es kein Abschied für immer. Ich habe mehr als genug Leben in den vielen Jahrtausenden enden sehen. Nun ist es an der Zeit, auf die andere Seite zu gehen. Wenn man mich dereinst aus Mandos' Hallen entlässt, werde ich meine Frau ... deine Mutter in die Arme schließen. Wir werden auf deinen Bruder und dich warten, wenn unser Volk Mittelerde verlässt. Amin mela alle [Ich liebe dich]. Und nun tu' es!"

Das ruhige Lächeln auf Elronds Elrond trieb Elladan Tränen in die Augen.

Als dieser Elladans Zögern sah, übte er stärkeren Druck auf die Schwertspitze aus. Wenn es sein musste, würde er sich freiwillig in das Schwert seines Sohnes stürzen. Es war besser, als sein eigenes Kind sterben sehen zu müssen.

Elladan durchschaute jedoch die Absicht seines Vaters und ließ das Schwert entsetzt fallen.

„Es tut mir leid. Ich kann nicht..." wiederholte Elladan mit schwacher Stimme und ließ den Kopf hängen.

„Aber ich!" Gomar winkte Fari'yan heran.

„Nimm das Schwert und töte ihn." Dabei wies er auf Elrond, während Elladan verzweifelt um sich schlug und von vier Südländern zu Boden gezwungen wurde.

Fari'yan hob das Schwert auf und sah es nachdenklich an. Noch am Vormittag dieses Tages hatte er insgeheim mit dem Gedanken gespielt, dem Irrsinn Gomars wirklich ein Ende zu setzen. Doch dessen Peitsche hatte jeden einzelnen Moment dieses Gedankenspiels wirkungsvoll aus ihm herausgeprügelt. Er konnte das Brennen der Striemen noch immer auf seinem Körper spüren. Außerdem sah er die Gesichter seiner Kameraden. Nicht wenige von ihnen fanden Gefallen an diesem morbiden Schauspiel und fieberten dem Moment entgegen, da die Klinge des Schwertes das Leben eines ansonsten unsterblichen Wesens beenden würde. Dass ausgerechnet er diese Klinge führen sollte, hatte er sich allerdings nicht träumen lassen.

Langsam hob er das Schwert, bis die von seiner Hand geführte Spitze erneut über Elronds Herz schwebte.

Er hatte keine Wahl – und der Elbe auch nicht. Einer von ihnen würde jetzt und hier sterben ... und er würde es nicht sein. Fari'yan holte tief Luft.

„Nein!" Rivars Stimme ertönte von weiter hinten, doch sie war klar zu verstehen.

Der alte Einsiedler hatte dem Drama bislang schweigend zugesehen, doch jetzt konnte er sich nicht mehr beherrschen. Schwach und nach wie vor vergeblich zerrte er an den Fesseln, die ihn am Baum hielten.

„Fari'yan, bitte tu' das nicht. Aragorn hat schon seinen leiblichen Vater verloren. Nimm ihm nicht auch noch den, der ihn aufgezogen hat wie seinen eigenen Sohn. Das Töten muss endlich ein Ende haben. Es ist genug Blut geflossen."

Gomar glaubte sich verhört zu haben, doch dann wandte er sich langsam zu Aragorn um. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. „Das ist ja viel besser, als ich es mir je hätte erträumen können."

Der Südländer sah aus, als hätte er ein unerwartetes Geschenk bekommen und könnte es gar nicht erwarten, es aufzumachen.

„Dieser Elbe ist dein Pflegevater, der gekommen ist, um dich zu retten?"

Obwohl Aragorn ihm keine Antwort gab, lachte Gomar schallend. Allen Anwesenden, auch seinen eigenen Männern, jagte er damit einen Schauer über den Rücken. „Das ist so bösartig gut vom Schicksal, dass es auch mir hätte einfallen können."

Aragorn sah ihn mit Augen, die vor unterdrückter Tränen brannten, an. Nur ein einziges Wort verließ seine Lippen: „Bitte!"

Gomar kniete sich zu ihm. Ihre Blicke trafen sich auf gleicher Höhe. Einen Augenblick lang musterte Gomar seinen Gefangenen intensiv.

„Du bittest mich, ihn zu verschonen?"

Aragorn nickte und wagte es nicht, den Blickkontakt zu Gomar zu unterbrechen, doch bevor der Südländer weitersprechen konnte, wusste Aragorn bereits, dass alles Flehen vergeblich sein würde. Erwartungsgemäß wurde Gomars Blick gleich darauf hart und unerbittlich.

„Ich hatte mir vorgestellt, dich langsam, über Jahre hinweg, zu quälen und das zu genießen. Daran hat sich nichts geändert, doch dies hier ist fast noch besser. Ich werde deinen elbischen Pflegevater töten, während du mit dem Gedanken weiterleben musst, dass er starb, um dich zu retten."

Aragorns Blick ging zu Elrond und die darin liegende Verzweiflung ließ diesen an seinem Entschluss zweifeln. Doch es gab kein Zurück mehr.

Gomar erhob sich unterdessen, dann winkte er Fari'yan zu. „Töte ihn endlich! Und tue es langsam!"

„Amin mela alle, Estel [Ich liebe dich]!" Ein letztes Mal sah Elrond Aragorn an, dann – nach einem letzten Blick auf Elladan – schloss er die Augen.

Die Zeit schien still zu stehen.

wird fortgesetzt