Da ich ManuKu nächste Woche auch einen Kindergeburtstag für meine Kleine veranstalten werde, kann ich den Hilferuf von Elanor8 nicht ignorieren. Da braucht man im Vorfeld wirklich jede Art von Entspannung!

Also kommt hier jetzt das vorletzte Kapitel!

Haltet noch ein wenig durch, Ihr tapferen Leser da draußen, denn wir verkünden Euch das baldige Ende dieser Geschichte! Mit Teil 33 kommt dann das letzte Kapitel, an dem wir allerdings noch schreiben. Also habt nochmals ein wenig Geduld. Ihr werdet den Ausgang dieser Geschichte in Kürze lesen können.


Schuld und Sühne
von
Salara und ManuKu


Teil 32

Legolas und Elrohir waren inzwischen in einem weiten Bogen so dicht ans Lager herangeschlichen, wie es die Nähe der überall postierten Wachen zuließ. Dann stoppten sie, als die steil emporragenden Wände der von den Südländern als Lager auserwählten Felsgruppe ihnen das Weiterkommen so gut wie unmöglich machten.

Von ihrem momentanen Standpunkt aus bot sich den Elben keine direkte Einsicht in die Vorgänge im Lager. An ein Hineingelangen war noch viel weniger zu denken. Einzig der Weg über die Felsen hinweg schien ihnen noch offen zu stehen, denn die Südländer bewachten die steinernen Grate nicht so stark wie das ebene Waldland.

Die beiden Elben suchten sich in der Nähe der Felsen einen vor zufälligen Blicken geschützten Ort. Ratlosigkeit lag zwischen ihnen, als sie sich dort dicht an die Erde schmiegten.

Legolas lag mit dem Rücken auf dem Boden und schaute nachdenklich in den sternenbesetzten Nachthimmel hinauf, als erhoffte er sich von dort ein Zeichen der Valar.

„Was machen wir jetzt?" unterbrach Elrohir die Gedankengänge seines Freundes. „Wir können uns doch nicht wirklich wie Zwerge durchs Erdreich bis ins Lager wühlen."

Der Elbenprinz erwiderte nichts. Stattdessen blieb sein Blick an den Sternen haften, die wie kostbare Edelsteine durch die Lücken in den zuvor dichten Wolken glitzerten. Er empfand die gleiche Besorgnis wie der Zwilling, doch ebenso wie dieser wusste auch er sich keinen Rat.

Elrohir schien nicht wirklich eine Antwort erwartet zu haben, denn er spähte kurz über den Rand des kleinen Felsens hinweg, hinter dem sie lagen. Dann musterte er die steinernen Klippen und Zacken, die sich jedoch in seinen Augen als beinahe unüberwindliches Hindernis entpuppten. Sein scharfer Blick vermochte ihre Umrisse im spärlichen Sternenlicht mühelos auszumachen.

„Uns wird wirklich nichts anderes übrig bleiben, als über die Felsen zu klettern," überlegte er leise, doch für Legolas gerade noch hörbar. „Das ist unsere einzige Chance, ungesehen ins Lager zu kommen. Doch selbst dann bleibt der Weg für uns unsicher und die Gefahr einer Entdeckung groß. Sogar das Heulen des Windes kann man vernehmen, wenn er zwischen den Felsen hindurchweht. Wie sollten wir da unentdeckt bleiben? Ein falscher Schritt, ein fallender Stein und schon..."

Er verstummte plötzlich und starrte angestrengt in die nächtliche Finsternis, dann packte er Legolas mit einem festen Griff am Handgelenk. Als er dessen Aufmerksamkeit auf sich gerichtet sah, ließ er ihn mit blitzenden Augen los. „Was hältst du davon, durch die Felsen zu gehen?"

„Wie meinst du das?" Der Prinz blinzelte ihn verständnislos an.

Trotz des Ernstes der Lage konnte Elrohir nur mit Mühe ein befreites Auflachen unterdrücken. Voller Hoffnung wies Elronds jüngerer Sohn zu den Felsen hinüber. „Dort! Sieh nur..."

Neugierig geworden, drehte Legolas sich auf den Bauch, dann schaute er vorsichtig über ihre Deckung hinweg zu der in einiger Entfernung erkennbaren Felsformation. Gerade, als er Elrohir fragen wollte, was dieser meinte, sah auch er es.

„Ein Höhlenzugang!" flüsterte er und spürte, wie neue Hoffnung ihn erfüllte.

„Genau." Elrohir klang, als gäbe es nun keinerlei Zweifel mehr am Erfolg ihrer Unternehmung. „Auf unseren Jagdausritten haben Elladan und ich oft festgestellt, dass viele Höhlen in diesem Gebiet zwei oder mehr Zugänge haben. Je näher man dem Nebelgebirge kommt, desto häufiger trifft man auf solche „Hintertüren". Gerade dieser Teil des Gebirgsvorlandes ist so sehr von Gängen und Tunneln durchsetzt, dass man erstaunt ist, nicht auch in jedem einen Zwerg anzutreffen. Sollten die Valar uns wohlgesinnt sein, dann führt dieser Gang dort durch den Felsen hindurch und bringt uns vielleicht dichter an das Lager heran, in dem Ada, Estel und Elladan sind."

Erwartungsvoll sah er Legolas an. „Also, was sagst du? Versuchen wir es?"

Der Elbenprinz war gewillt, die gerade neu aufkeimende Hoffnung festzuhalten. Die Chancen, dass jener Eingang sich als Zugang zu einer einfachen Höhle erwies und nirgendwohin führte, waren vergleichsweise groß. Andererseits waren in den letzten zwei Tagen schon so viele ans Unwahrscheinliche grenzende Dinge geschehen, dass dies hier auch durchaus ein weiteres sein mochte. Wenn dem so war, durften sie die Chance nicht vergeben. Außerdem war Legolas inzwischen beinahe alles recht, solange er nicht weiter gezwungen war, tatenlos abzuwarten.

Entschlossen nickte er Elrohir zu.

„Wir haben ohnehin keine andere Wahl. Vielleicht ist das unsere einzige Chance, deiner Familie zu helfen! Also dann..." Er schob sich geschmeidig in die Höhe. „Lass uns diesen Zugang genauer untersuchen."

Einige lautlose Augenblicke später betraten die beiden Elben die Höhle. Sie folgten einem schmalen Gang, der immer wieder in kleinere Gewölbe führte, bis sie schließlich eine größere Kaverne betraten, die in ein grünliches Schimmern getaucht war.

Elrohir wäre beinahe in Legolas hineingelaufen, da dieser urplötzlich stehenblieb.

„Was ist?"

Er folgte dem Blick des Elbenprinzen und begriff dessen Verzückung. Was er sah, verschlug auch ihm die Sprache.

Vor ihnen erstreckte sich eine Grotte, die von einem nahezu kreisrunden See ausgefüllt war. Doch es war nicht der See selbst, der sie so in seinen Bann zog, sondern sein grünes Schimmern, das vom Grund an die Oberfläche gelangte und sich – dem Schein unzähliger, im Kerzenlicht funkelnder Smaragde gleich – sanft an den schartigen Felswänden brach. Und auch das Wasser selbst hatte eine ungeheure Anziehungskraft, denn es schien wie aus kostbarster Seide gewirkt zu sein.

Es war ein wundervoller Anblick, der die für alles Schöne empfängliche Elben bis ins Innerste ansprach. Doch bevor sie sich völlig von der Schönheit und dem leisen Flüstern des Wassers gefangen nehmen lassen konnten, drang von fern das metallische Klingen aufeinander treffender Schwerter an ihr Ohr.

Elrohir wurde als erster aus seiner Versunkenheit gerissen.

Wie ein gerade Erwachter zerrte er den erstaunlich benommen wirkenden Legolas am Arm mit sich, bis sie aus diesem Teil der Höhle heraus waren. An ihrem anderen Ende hatte er einen Gang erspäht, dem er nun weiter folgte. Mit ihnen ging die Hoffnung, das sein Ende sie in die Nähe des Lagers der Südländer führen würde.

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Amin mela alle, Estel (Ich liebe dich)!" Ein letztes Mal sah Elrond Aragorn an, dann – nach einem letzten Blick auf Elladan – schloss er die Augen.

Fari'yan holte zu einem mächtigen Stoß aus, um dem vor ihm stehenden Elben das Schwert durch die Brust zu treiben.

Der erwartete Todesstoß kam nicht. Stattdessen vernahm Elrond ein seltsam vertraut klingendes, in Moment jedoch nicht definierbares Sirren. Überrascht öffnete er die Augen wieder.

Der Südländer war mitten in der Bewegung erstarrt. Dann – Augenblicke später – ließ Fari'yan das Schwert langsam fallen. Gleich darauf fiel er lautlos zu Boden. Erst da gewahrte Elrond den langen Pfeil, der im Rücken des Kriegers steckte.

Der Elbenfürst hatte den Anflug des Geschosses gehört, das sein Ziel mit tödlicher Präzision durchbohrt hatte. Erst einen Sekundenbruchteil später kam das Erkennen der Machart des Pfeils: er war elbisch!

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Mit der gleichen Überraschung starrte auch Aragorn die im Flammenschein grünlichgelb schimmernden Federn am Schaft des Pfeils an.

Diese Pfeile würde ich überall wiedererkennen... Trotz seiner Schmerzen und der überwältigenden Erschöpfung durchströmte eine so noch nie gekannte Freude die Adern des jungen Mannes. LEGOLAS!

Doch bevor die Hoffnung vollends in ihm hochsteigen konnte, schnellte Gomar auf ihn zu. Er zog den elbischen Dolch, den er Elrond abgenommen hatte, dann durchschnitt er die Fesseln, die Aragorn an den Stamm gepresst hatten. Im nächsten Augenblick fühlte dieser sich bereits unsanft in die Höhe gezogen. Gleich darauf presste der kühle Stahl der Klinge sich gegen seine Kehle.

„Ich überlasse dich ihnen nicht," fauchte Gomar und umklammerte den nach wie vor wehrlosen und zum Stehen zu schwachen Mann. „Eher bringe ich dich um!"

Die Spitze des Dolches, die sich gleich darauf in Aragorns Hals bohrte, bezeugte, wie ernst der Südländer seine Drohung meinte, als er zusammen mit seinem „lebenden Schutzschild" langsam seitlich um das Kampfgeschehen herum auf die Pferde zuzuschleichen begann...

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Es war, als hätte das Lager bis zum Zeitpunkt von Fari'yans Tod den Atem angehalten, doch nur wenige Augenblicke später brach ein ungeheurer Tumult aus.

Legolas und Elrohir bekamen keine Gelegenheit, sich über die unerwartete Bestätigung ihrer Hoffnung zu freuen, das Lager der Südländer erreicht zu haben. Schon der erste flüchtige Blick auf das sich ihnen bietende Bild hatte beiden fast das Blut in den Adern erstarren lassen. Noch ehe sich in Elrohir die Furcht um seinen Vater zu ihrem ganzen Ausmaß entfalten konnte, hatte Legolas bereits reagiert und den Herrn von Bruchtal durch seinen kühnen Schuss gerettet. Durch diese Aktion hatten sie allerdings auch ihre Anwesenheit verraten.

Da sie so ihr Überraschungsmoment vertan hatten, traten sie nun aus dem Schutz der Höhle heraus. Den beiden Neuankömmlingen gelang es noch, ein paar Südländer mit Pfeilen niederzustrecken, ehe sie in Nahkämpfe verwickelt wurden. Mit einer Routine, die nur Jahrhunderte intensiver Übung hervorbrachten, zogen sie ihre Schwerter und Dolche und stellten sich den angreifenden Gegnern.

So gern Legolas sich auch zu Aragorn durchgeschlagen hätte, um ihn zu befreien, so unmöglich war es ihm in diesem Moment. Der Weg zu seinem Freund war ihm durch wenigstens ein Dutzend angreifender Krieger versperrt, und Elrohir erging es nicht viel anders.

Bereits nach den ersten Hieben begriff er, dass Elrohir und er allein der Übermacht der Südländer nicht lange standhalten würden. Die ihnen zahlenmäßig überlegenen Feinde mussten mit einem weiteren Kämpfer konfrontiert werden, sollte der verzweifelte Befreiungsversuch nicht doch noch in einem Gemetzel enden. Legolas sah ein, dass ihm nur eine Wahl blieb: er musste die restlichen Gefangenen so schnell wie möglich befreien.

„Das schaffen wir nicht allein," rief er Elrohir auf Sindarin zu und deutete mit einer raschen Kopfbewegung auf die Bäume, an die man die Gefangenen gefesselt hatte. „Teilen wir uns auf, um sie loszuschneiden."

Elrohir verstand und nickte bestätigend, um sich gleich darauf unter einem gut gezielten Hieb eines Krummschwertes hinwegzuducken. Er sah aus den Augenwinkeln, dass Legolas sich nach rechts bewegte, auf Rivar und Assat zu. Letzterer zerrte ungeduldig, aber erfolglos an den Stricken die ihn hielten, während Rivar nur noch wie ein Schatten seines früheren Selbst aussah.

Ebenso wie Legolas wusste auch Elrohir, dass sie mit Assat an ihrer Seite einen weiteren, wenn auch durch seine unbrauchbare Hand eingeschränkten, Kämpfer auf ihrer Seite haben würden.

Hieb um Hieb, Schritt um Schritt kämpfte der Elbenprinz sich also auf den Menschen zu.

Elrohir, der dem Waldelb so gut wie möglich den Rücken freihielt, schlug mit ausgeklügelten Hieben, die sogar Glorfindel stolz gemacht hätten, innerhalb kürzester Zeit mehrere Gegner zu Boden. Daraufhin bot sich ihm unerwartet eine Lücke in den Reihen seiner Angreifer, die er augenblicklich nutzte. Er wandte sich entschlossen in Aragorns Richtung.

Einen Südländer, der sich ihm mit kampfbereit ausgeholtem Säbel in den Weg stellte, schmetterte er mit einem mächtigen Hieb seines Schwertes zur Seite. Dann – zwei Schritte später – stand er plötzlich Gomar gegenüber.

Einen Augenblick lang erstarrten beide mitten in der Bewegung und maßen sich mit abschätzenden Blicken.

Gomar begriff binnen Sekunden, dass er hier einem zum Äußersten entschlossenen Widersacher gegenüberstand. Er ahnte, dass der Elb, dessen frappierende Ähnlichkeit mit dem anderen, zuvor gefangenen Elben ihm erst jetzt auffiel, ihn niemals an sich vorbeilassen würde. Nicht, solange er Aragorn noch in seiner Gewalt hatte.

„Lass ihn los," bestätigten gleich darauf Elrohirs Worte seine Annahme.

„Zwing mich doch dazu, Elb!" Er spie das letzte Wort wie eine Beleidigung aus, während er die Schneide des Dolches tiefer in Aragorns Hals presste.

„Diese Absicht habe ich!" Elrohir packte seine Waffe fester, während er Gomar keine Sekunde lang aus den Augen ließ.

Wie ernst Elrohir es meinte, erkannte Gomar an dessen Zügen, die nun wie aus Stein gemeißelt schienen und bar jeder Nachsicht ihm gegenüber waren. Denselben eisigen Ausdruck hatte er zuvor schon im Antlitz der beiden anderen Elben wahrgenommen, als er Aragorn vor ihren Augen gequält hatte.

„Du willst ihn?" Gomar spürte, wie das Blut Aragorns an der Schneide herablief und warm über seine Finger tropfte. Der Körper des jungen Mannes in seinen Armen stand durch den fortgesetzten Blutverlust und der totalen Erschöpfung kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch. „Dann versuch' doch, ihn dir zu holen! Aber beeil dich, Elb! Er lebt nicht mehr sehr lange."

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen und mit dem plötzlichen, instinktiven Wissen, dass man ihn niemals entfliehen lassen würde, zog er die Dolchschneide – für Elrohir unerwartet – ein winziges Stück an Aragorns Hals entlang.

Sofort wurde ein dunkelroter Schnitt sichtbar, aus dem Blut zu quellen begannen. Fassungslos starrte Elrohir auf die Wunde, ehe sein Blick sich mit dem seines menschlichen Bruders kreuzte. Aragorns Lippen versuchten Worte zu formen, doch kein Laut verließ die Kehle, die vom stundenlangen Schreien schon viel zu heiser war, um noch mehr als einen dumpfen Schmerzenslaut von sich geben zu können.

Elrohir begriff, dass Aragorn keine Kraft mehr besaß; weder, um die Strapazen weiterhin zu überstehen, noch um sich gegen den Südländer auf irgendeine Art zu wehren. Das hieß, dass er dem Elben so auch keine Möglichkeit zum Angriff verschaffen konnte.

Wieder versuchte Aragorn etwas zu sagen. In einem Moment plötzlicher Klarheit wusste Elrohir, was sein jüngerer Bruder ihm mitzuteilen versuchte: Achte nicht auf mich. Beende es. Töte ihn...

Was musste Aragorn durchlitten haben, um seinen Tod wie eine Wohltat in Kauf zu nehmen, solange seine Qual dadurch beendet wurde? Grenzenlose Wut ließ jede Farbe aus Elrohirs Gesicht weichen.

„Du Ausgeburt der finstersten Tiefen Ardas..." begann er, doch er verstummte sofort, als Gomar daraufhin den Schnitt an Aragorns Hals erweiterte. Hilflos musste Elrohir mitansehen, wie das Blut von der Halswunde langsam auf die ebenso blutige und schrecklich zerschnitte Brust seines Bruders rann, um in den schorfigen Wunden zu versickern.

Ihm schien es wie ein schlechtes Vorzeichen und so war er einen Moment wie paralysiert.

Gomar erkannte seine wohl einzige Chance und nutzte die Unaufmerksamkeit des Elben. Mit einer blitzschnellen Bewegung warf er Elronds Dolch nach Elrohir und zog im nächsten Augenblick seinen eigenen, um Aragorn mit ihm auch weiterhin als Schutzschild vor sich her zu treiben. Doch statt zu den Pferden steuerte er nun zur Höhle. Das unerwartete Auftauchen der beiden Elben hatte ihm mit einiger Verzögerung klargemacht, dass sie einen zweiten Ausgang besitzen musste. Ihn galt es zu finden – und für sich zu nutzen!

Aragorns Augen indessen waren vor Entsetzen aufgerissen, als er den Zwilling getroffen zu Boden fallen sah.

Elrohir! Nein, das darf nicht sein. Nicht du, Bruder. Nicht meinetwegen...

Mit einer Kraft, von der er nicht geahnt hatte, dass sein geschundener Körper sie noch besaß, widersetzte er sich Gomar und drehte den Kopf, um Elrohir nicht aus dem Blick zu verlieren. Der Elb lag reglos am Boden und seine Augen schlossen sich gerade.

„Dein schöner Elb ist hinüber!" Gomars Stoß ließ Aragorn fast vornüber fallen, doch der Griff des Südländers bewahrte ihn vor diesem Schicksal. „Und jetzt los! Geh schon! Weiter!"

Erbarmungslos schob der Südländer Aragorn weiter vor sich her, während das nun einsetzende unterdrückte Schluchzen des jungen Mannes in seinen Ohren wie Begleitmusik klang...

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Nur einen winzigen Bruchteil, bevor die Klinge in seinen Körper eindrang, gelang es Elrohir, sich ein Stück zu drehen. So durchstach die Spitze des Dolches, die eigentlich auf sein Herz gerichtet war, stattdessen seine Seite.

Ungläubig und schwer atmend starrte er auf die elbischen Verzierungen der Waffe, während er langsam auf die Knie fiel.

Das ist Adas Dolch... stellte ein seltsam unbeteiligter Teil seines rasch schwindenden Bewusstseins fest.

Es war die wohl schrecklichste Erkenntnis, dass er die Waffe seines eigenen Vaters im Körper hatte! Dass sie ihn vielleicht sogar tödlich verwundet hatte, sagte dem Elben die Tatsache, dass ihm das Atmen mit jedem verstreichenden Augenblick schwerer fiel.

Elrohirs Blick wanderte in die Richtung, in der er seinen Vater das letzte Mal vor Ausbruch des Kampfes gesehen hatte, doch er konnte ihn nicht entdecken. Und so hatte er das Bewusstsein bereits verloren, noch bevor er rücklings zu Boden fiel, seine Augen sich schlossen und er reglos liegen blieb.

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Legolas, der gerade Rivar und Assat von den Fesseln hatte befreien können, sah Elrohirs Fall.

Mit einem grimmigen Aufschrei wandte er sich sofort in Gomars Richtung. Noch im Laufen feuerte der Elbenprinz einen Pfeil auf den Anführer der Südländer ab, traf ihn durch die Kombination aus Bewegung, Wut und fehlender Konzentration jedoch nur im Arm.

Gomar ließ den Dolch daraufhin sichtlich überrascht und mit einem Schmerzensschrei fallen. Grimmig starrte er Legolas entgegen. Dann rief er Morag ein paar Worte zu und stieß seinen Gefangenen in die Arme seines Stellvertreters.

Dieser packte Aragorn mühelos, denn dessen Hände waren immer noch auf dem Rücken gefesselt und Kraft zur Gegenwehr konnte der junge Mann angesichts Elrohirs Schicksal nicht mehr aufbringen.

Während Gomar sich den Pfeil aus dem Oberarm riss, lief er, Deckung suchend, hinter Morag her zur Höhle und verschwand schließlich darin, ohne dass Legolas ihn noch einmal mit seinen Pfeilen getroffen hatte. Augenblicke später kam statt seiner Morag wieder heraus und stellte sich mit gezogenem Schwert vor den Höhleneingang.

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Elrond, dem die letzten Gedanken des gefallenen Zwillings galten, hatte inzwischen Elladan von den ihn festhaltenden Südländern befreit. Nach ihren Schwertern greifend, die man bei ihrer Entwaffnung recht achtlos zu Boden geworfen hatte, versuchten sie nun gemeinsam, sich der auf sie einströmenden Gegner zu erwehren.

Der Herr von Bruchtal sah sich dabei einem besonders verbissen dreinschauenden Hünen gegenüber, der ihn an Größe fast um Haupteslänge übertraf. Doch da für den Elben viel auf dem Spiel stand, trieb er den Südländer mit wuchtigen Schlägen vor sich her, bis dieser stolperte, zu Boden fiel und so den Blick auf das Kampfgetümmel dahinter freigab.

In diesem Augenblick erstarrte die Welt um Elrond herum.

Er sah wie in Zeitlupe, dass sein jüngerer Sohn auf die Knie fiel und verständnislos die in seinem Körper steckende Klinge betrachtete, während Gomar Aragorn erbarmungslos fortzerrte.

Plötzlich traf es Elrond mit voller Wucht: seine Vision hatte sich doch noch bewahrheitet!

Schmerzerfüllt schloss er einen Moment die Augen. Es hatte nichts geholfen, Elrohir zu zwingen, dem Lager der Südländer fern zu bleiben. Er hätte wissen müssen, dass seine Söhne zu stur waren, um angesichts einer Gefahr für die Familie ihr eigenes Leben nicht für das der anderen einzusetzen.

Ich hätte meinen Sohn mit betäubenden Mitteln in die Bewusstlosigkeit schicken müssen, um ihn an Ort und Stelle zu halten. Vielleicht hätte ich es tun sollen... Vielleicht...

Die Gedanken und Selbstvorwürfe drehten sich in Elronds Kopf wie ein grausames Karussell und ließen ihn blind für seine Umgebung sein. Nun hatte die Waffe, die Gomar ihm abnahm, Elrohir wahrscheinlich den Tod gebracht. Die Ereignisse schienen der Vision zu folgen.

Von Trauer und unbändigem Schmerz erfüllt, nahm er die Bewegung zu seinen Füßen eher unbewusst war. Ohne auch nur einen Blick an seinen Feind zu verschwenden und mit dem Anblick seines gefallenen Sohnes vor Augen, rammte er dem sich aufrappelnden Südländer sein Schwert bis ans Heft in den Körper.

Bevor der Herr von Bruchtal jedoch auch nur einen Schritt in Richtung Elrohir machen konnte, ließ ihn der Zuruf Elladans innehalten und zurückschauen.

Ada, die Wachen! Sie kommen!" Elladan zeigte alarmiert die Felshänge hinauf.

Die auf den drei Seiten postierten Wachen kletterten nun auch in den Talkessel hinab, um ihrerseits in den Kampf einzugreifen.

Elrond resignierte endgültig. Es blieb nur ein Wunsch, Elrohir erreichen und sich von der Schwere seiner Verwundung ein eigenes Bild machen zu können, ehe die neue Welle der Angreifer sie erreichte. Es lebten noch sehr viele derer, die sich bei Legolas' Ankunft im Lager befunden hatten, und die kämpften mit erbittertem Eifer gegen die Elben und Assat. Durch ihre von den Hängen herabeilenden Kameraden würde sich eine Südländerübermacht ergeben, der die Elben trotz aller Entschlossenheit nicht gewachsen sein würden.

Der Elb packte seine Waffe fester. Ein letztes Mal sah er zu Elrohir hinüber, der sich noch immer nicht regte, dann legte sich plötzliche tiefe Ruhe über die lichte Seele Elronds.

Dies war das Ende! Und es würde das Ende seiner Familie sein. Er hatte von vornherein vermutet, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen sein würde, und sich dennoch nicht von seinem Vorhaben, Aragorn allein zu retten, abbringen lassen. Nun würde er Seite an Seite mit seinen Söhnen sterben. Kurzes Bedauern erfasste sein Herz, doch dann begegnete er dem Blick Elladans. Auch seine Züge zeigten jene Ruhe, die mit dem Wissen des Unvermeidlichen kam. Auf Elladans Lippen lag ein Lächeln, das zudem jedes Bedauern ausschloss.

Elrond hielt den Blick seines ältesten Sohnes einen Augenblick fest und versuchte, sich jedes Detail einzuprägen und als letztes Bild mitzunehmen, bevor sich seine Augen vor dieser Welt verschließen würden.

Amin khiluva lle a' gurtha ar' thar (Ich folge dir in den Tod und darüber hinaus), ada," sagte Elladan mit fester Stimme und seine Finger schlossen sich um den Griff seines Schwertes.

Tenna' ento lye omenta (Bis wir uns wiedersehen), ion-nín," erwiderte Elrond. Dann straffte sich seine Gestalt, als er sich ebenfalls für die von den Hängen hereinstürmenden Südländer bereitmachte.

Noch ehe der erste Hieb fiel, erfüllte plötzlich ein Sirren die Luft. Im nächsten Moment regneten unzählige Pfeile auf die verdutzten Angreifer herab und streckten die meisten von ihnen nieder. Aus den Baumschatten des Zugangs zum Felskessel traten gleich darauf ein Dutzend Elben mit gespannten Bögen hervor. Den Vorteil nutzend, den ihnen ihr überraschendes Auftauchen verschaffte, setzten sie mit ihrem Eingreifen das Verhältnis von Südländern gegen Elben innerhalb von Sekunden ins richtige Maß.

Für Elrond kam diese neuerliche Wendung so unerwartet, dass er sich – im Gegensatz zu dem bereits zu seinem Zwillingsbruder hinüberhastenden Elladan – nur zögernd von seinem Erstaunen erholte. Bereits im Begriff, seinem Sohn zu folgen, entdeckte er plötzlich Glorfindel unter den sichtbar werdenden Elbenkriegern. Der blonde Kämpfer gab seinen Männern letzte Anweisungen, dem sichtbar angestrengt kämpfenden Assat zu Hilfe zu kommen.

Der Herr von Bruchtal verhielt unschlüssig seinen Schritt, gewahrte, wie Elladan sich neben Elrohir kniete und nach dessen Verletzung zu sehen begann. Wissend, dass sein Sohn nach ihm der wohl beste Heiler in diesem Teil Ardas war, entschied er sich, dem Gondoliner Krieger die wenigen Schritte entgegenzugehen.

Der sah ihn kommen, doch seine Miene spiegelte die Besorgnis wider, die ihn angesichts des leblos daliegenden Elrohirs gerade packte. „Was ist geschehen, mein Lord?"

„Mir nichts." Elrond schüttelte den Kopf. „Doch ich fürchte, meine Kinder hatten nicht so viel Glück. Komm, ich will nach meinem Sohn sehen..."

Noch während er seinen hellhaarigen Berater mit sich zu ziehen begann, waren seine Gedanken bereits vorausgeeilt. Nun konnte er zu Elrohir, sich um ihn kümmern, dafür sorgen, dass nicht auch die letzte Konsequenz seiner Vision wahr wurde...

Mitten in seinen Gedanken erklang unvermittelt ein schwacher Warnruf. Noch ehe Elrond oder Glorfindel die Ursache dafür erkennen konnten, stellte Rivar sich mit ausgebreiteten Armen vor den Elbenherrn. Im nächsten Augenblick riss er die Augen auf, dann sackte er mit einem Seufzer gegen Elrond.

Der fing ihn überrascht auf. Es dauerte ein paar Sekunden, bis der Elb erfasste, welches Bild sich ihm bot.

In Rivars Oberkörper steckte ein Wurfdolch, der eigentlich das Herz des Elben hätte treffen sollen!

Mit den Reflexen eines guten Kämpfers reagierte Glorfindel sofort und streckte den Südländer, der es gewagt hatte, auf den Herrn von Bruchtal zu zielen, mit einem Pfeil nieder. Er wartete nicht, bis der Werfer völlig zu Boden gegangen war, sondern drehte sich zu Elrond zurück.

Der hatte bereits auf den ersten Blick gesehen, dass für Rivar jede Hilfe zu spät kam. Er ließ das Messer daher unangetastet in der Wunde stecken, um ihm nicht noch mehr Schmerzen zu bereiten. Stattdessen lagerte er den alten Einsiedler so bequem, wie es ihm möglich war, auf den Boden. Dann sah er müde zu dem Gondoliner empor.

Die Sorge um Elrohir war für Elrond fast unerträglich, doch das Opfer Rivars ließ sie den Elb ein weiteres Mal in den Hintergrund schieben. Nie zuvor hatte er etwas gesagt, das ihm so schwer fallen würde wie seine nächsten Worte.

„Geh du zu Elladan, ich bitte dich, mein Freund. So wie er hast auch du ein großes Heilwissen. Ich weiß, dass ihr zusammen in der Lage seid, alles Erforderliche für meinen Sohn zu tun. Bald schon werde ich bei Euch sein, denn der alte Mann hier liegt im Sterben. Er rettete mir, Prinz Legolas und Aragorns Vater so oft das Leben, dass er es nicht verdient hat, jetzt allein zu sterben."

Glorfindel nickte stumm und eilte davon, ergriffen von der Geste des Elben. Die Unsicherheit um das Leben seines eigenen Sohnes zurückzustellen, um einem Menschen das Sterben zu erleichtern, war mit Sicherheit das größte Geschenk, dass dieser je jemandem gemacht hatte und machen würde.

Still hatte Elrond inzwischen den Kopf des alten Einsiedlers in seinen Schoß gebettet. Während die grauen Augen des Elben sich bekümmert verfinsterten, strich er ihm sanft das Haar aus der Stirn.

Die federleichte Berührung genügte, den alten Mann noch einmal aus der bereits einsetzenden Apathie des Todes zu reißen. Seine grünen Augen, die nun trüb vor Schmerz und bereits mit dem abwesenden Blick des scheidenden Lebens behaftet waren, irrten unstet durch die Gegend. Schließlich blieben sie auf dem Antlitz des Elben hängen, das dicht über ihm schwebte.

„Schon wieder habt Ihr mir das Leben gerettet, mein Freund!" Elrond lächelte so gefasst wie möglich zu dem Einsiedler hinab, doch die in ihm tobenden Gefühle ließen seine Stimme zittern und straften die vorgetäuschte Ruhe hörbar Lügen.

„Ich... konnte doch nicht... zulassen..." Ein Husten unterbrach die geflüsterten Worte Rivars, während ein dünner Blutfaden aus seinem Mundwinkel zu rinnen begann.

Sanft wischte der Elb das Blut fort, doch das Wissen um den unmittelbar bevorstehenden Tod Rivars schnürte ihm fast die Kehle ab.

„Nicht sprechen, ich bitte Euch," sagte er. Seine Stimme klang brüchig, doch Rivar lächelte nur wissend.

„Geht zu Euren Söhnen ... sie ... brauchen Euch mehr ... als ich ..." Wieder ließ ein Hustenanfall seine Brust erbeben. „Ich sterbe ... ich kann es ... fühlen ..."

„Es tut mir so leid, Rivar. Ich wünschte, ich hätte es verhindern können..."

„Was geschehen soll ... ist längst festgelegt ... es ist nicht ... an uns... unser Schicksal verändern zu wollen..."

Ein Schatten legte sich auf Rivars Gesicht. Seine letzten Augenblicke auf dieser Welt waren angebrochen.

„Wieso habt Ihr Euch dann vor mich gestellt?"

„Weil es Euer ... Schicksal ist, Aragorn ... zur Seite zu stehen ... noch für sehr ... lange Zeit ... Ich bin glücklich... ihm Eure Hilfe ... erhalten zu haben ... dieses letzte ... Mal..."

Elrond sah, wie der Lebensfunke unvermittelt aus den Augen des Mannes floh, der Aragorns Familien so große Dienste erwiesen hatte – der menschlichen wie der elbischen.

„Möge Eure Seele einen leichten Weg in die Kreise der Menschen haben, Be'Nat Rivar'Odan. Euer Opfer war nicht umsonst. Ich schwöre, solange an Aragorns Seite zu bleiben, wie er meiner Unterstützung bedarf. Die unsterblichen Lande werden mich erst sehen, wenn er das Erbe angetreten hat, für das er geboren wurde!"

Mit einer leichten Berührung seiner schlanken Finger schloss er Rivars Lider, dann hielt er für einen Moment selbst inne. Der Verlust des Menschen ging ihm nahe. Doch zum Trauern hatte er keine Zeit. Vor seinem inneren Auge stand nun ein Bild, dass er wahrscheinlich nie wieder vergessen konnte: Elrohir, getroffen von seiner Klinge. Und es war dieses Bild, das ihn wieder auf das Hier und Jetzt reagieren ließ.

„Elrohir..."

Wie ein Erwachender hob Elrond den Kopf, dann ließ er Rivars entseelten Körper vorsichtig zu Boden gleiten und sprang auf. Nun konnte ihn nichts mehr davon abhalten, nach seinem reglos daliegenden Sohn zu sehen.

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Die eintreffenden Elben aus Bruchtal brauchten nicht lange, um auch die letzten Südländer zu besiegen. Elbische Pfeile und Schwerter trafen sicher ihr Ziel und ließen kaum Überlebende. Die, die es schafften, der Wut der Elben zu entgehen, flüchteten Hals über Kopf.

Legolas kam diese Erleichterung sehr gelegen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es ihn nämlich erhebliche Mühe gekostet, sich zum Höhleneingang vorzuarbeiten. Immer wieder hatte sich ihm ein Südländer in den Weg gestellt, der es jedoch nur wenige Augenblicke später schon bereute und mit seinem Leben dafür zahlte.

Durch die Hilfe von Glorfindels Männern gelang es Legolas endlich, den Höhleneingang zu erreichen. Dort sah er sich Morag gegenüber, der mit gezogenem Schwert dem Elben den Zugang verwehrte.

„Lass mich durch!" Legolas konnte sich nur noch mühsam beherrschen. Jede Sekunde, die Aragorn mit dem wahnsinnigen Gomar allein war, konnte ihm den Tod bringen. „Oder du teilst das Schicksal deiner Leute!"

„Ich teile es seit über zwanzig Jahren, Elb. Dies ist nicht die Zeit, die Treue zu meinem Herrn in Frage zu stellen. Wenn du hier durch willst, musst du mich zuerst besiegen."

„Dann hast du deinen Tod gewählt."

Langsam zog Legolas seine beiden Zwillingsschwerter aus dem Rückengurt und kreuzte sie kampfbereit vor der Brust.

Auch Morags Griff um seinen Säbel wurde fester. Der Südländer zögerte kurz, wusste jedoch, dass ihm keine Wahl blieb. Gomars Anweisung, den Eingang zu verteidigen, war sein Todesurteil gewesen, denn der Elb würde ihm keine Chance lassen.

Mit einem südländischen Kampfschrei auf den Lippen stürmte er todesmutig auf Legolas los. Nach nur wenigen Schlägen, in denen Klinge auf Klinge traf, fiel der Südländer leblos zu Boden.

Ohne ihm noch einen weiteren Blick zu schenken, sprang der Elbenprinz über den gefallenen Krieger hinweg und drang in die Tiefe der Höhle ein. In Gedanken hoffte er inständig, dass er nicht zu spät kommen würde.

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Gomar schob Aragorn unterdessen weiter in die Höhle vor. Das Blut von der Pfeilwunde hatte seinen Ärmel tiefrot gefärbt und lief nun als schmales Rinnsal über sein Handgelenk hinweg. Die Wut, die in ihm brannte, weil man ihm seine verdiente Rache nehmen wollte, färbte langsam auch das Weiß seiner Augen rot.

Unsanft stieß er Aragorn gegen die Höhlenwand, dann presste sein Unterarm dem jungen Mann zum wiederholten Mal die Kehle zusammen, so dass diesem kaum Luft zum Atmen blieb. Nur Zentimeter trennten beide Gesichter.

„Glaubst du wirklich, deine Elben könnten dich befreien? Glaubst du, ich würde mir deinen Tod entgehen lassen, nach all den Jahren der Suche?"

Der Südländer schüttelte den Kopf.

„Oh nein! Ich mag hier mein Grab finden, doch es wird gleich neben dem deinen liegen! Ich lasse nicht zu, dass sie dich mir nehmen. Niemals!"

Ohne Vorwarnung verschwand der Druck von Aragorns Hals, dann holte Gomar aus. In der nächsten Sekunde traf ein wuchtiger Schlag Aragorns Kiefer und schleuderte ihn herum. Ein zweiter Schlag folgte, dann ein dritter. Schließlich prasselten die Hiebe auf Aragorns Kopf und Körper nieder, und nur einigen konnte er ausweichen. Die auf dem Rücken gefesselten Hände hinderten ihn daran, das Wenige an Gegenwehr zu leisten, das seine Kräfte und sein Lebenswille noch zuließen.

Es dauerte nicht lange, bis die Knie unter ihm wegknickten und er schließlich blutend auf dem Rücken lag. Erst dann stellte Gomar seine Schläge ein.

Der Südländer kam näher und kniete sich neben sein Opfer, das nur noch halb bei Bewusstsein war und aus geschwollenen Augen zu ihm empor blinzelte. Mit einem an Besessenheit grenzenden Gesichtsausdruck zog er einen weiteren Dolch aus einer Gürtelscheide.

„Zeit, es zu Ende zu bringen. Ich hatte mir zwar etwas Anderes für dich ausgedacht, doch ehe man dich mir entreißt, wähle ich lieber die sicherste Methode."

Gomar hob den Dolch zum letzten, todbringenden Stich, doch Aragorn gelang es mit einem letzten verzweifelten Kraftaufwand gegen seinen geschundenen Körper, dem Südländer die Klinge aus der Hand zu treten. Sie rutschte leise klirrend seitlich neben den Höhleneingang.

Damit waren Aragorns Kraftreserven erneut aufgebraucht. Schwer atmend und hart am Rande der Bewusstlosigkeit sah er, wie der wütende Gomar aufstand und sich nach der Waffe bückte, mit der er ihm das Leben nehmen wollte.

Die Finger des Südländers hatten die schmale Klinge noch nicht berührt, als er plötzlich innehielt. Dann erklang ein dumpfer Schlachtruf und kurz darauf zeigte das Klirren von Schwertern einen ganz in der Nähe stattfindenden Kampf an. Schon bald trat wieder Stille ein, doch Gomar wusste, was das hieß. Lauernd postierte er sich neben dem Zugang zu diesem Bereich der Höhle, dann wartete er.

Der in einem Nebel aus Schmerz und Erschöpfung gefangene Aragorn erstarrte, als er Legolas im Durchgang auftauchen sah.

„Vorsicht, links von dir," rief er warnend, doch in ebendiesem Moment griff Gomar auch schon an.

Der Elb war dennoch gerüstet. Geistesgegenwärtig tauchte unter dem Dolchstreich hinweg, so dass dessen Klinge nur den Bogen auf seinem Rücken traf.

Verbissen kämpften beide Gegner nun gegeneinander: der eine für das Leben seines Freundes, der andere, um es einem erklärten Todfeind nehmen zu können. Schnell wurde klar, wessen Grund zu kämpfen stärker und damit motivierender war.

Legolas drängte den Südländer, der durch die Pfeilwunde am Oberarm in seinen Bewegungen behindert wurde, immer weiter vor sich her und weg von Aragorn. Schlag auf Schlag zwang der Elb ihn in einen schmalen Gang hinein, der in jene Höhle führte, deren Decke und Wände diesen leichten grünen Schimmer des darin befindlichen Sees wiedergaben.

Doch anders als bei seiner Ankunft bemerkte Legolas diesmal gar nicht, dass er sich dem Wasser näherte. Nur die zahlreichen blutenden Verletzungen Aragorns vor Augen, trieb er den Südländer unbarmherzig immer weiter auf den Rand des Höhlensees zu.

Es war nur ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit, als Gomar sich zum Wasser umdrehte, um zu sehen, welcher Spielraum ihm noch zum Kämpfen blieb. Legolas vergab diese Chance nicht. Der Blick Gomars war noch auf das Wasser gerichtet, als sich eines der elbischen Zwillingsschwerter in den Bauch des Südländers bohrte.

Mehr vor Überraschung als vor Schmerzen schrie dieser laut auf, dann starrte er dem blonden Elben mit weit aufgerissenen Augen ins Gesicht. Ungläubig griff er schließlich nach der Hand, die die tödliche Klinge führte. Fast schien es, als wollte er das Schwert aus seinem Körper ziehen, doch Legolas wischte Gomars Hand voller Abscheu von seinem Griff.

Stattdessen ergriff er den Südländer am Kragen und zog ihn noch ein Stück weiter in die Klinge hinein, bis sich ihre Gesichter beinahe berührten.

„Du wirst nie wieder einen meiner Freunde bedrohen oder ihm Schmerzen zufügen," zischte der Elb wutentbrannt. Vor seinem inneren Auge sah er einmal mehr Elrohir zu Boden stürzen. „Du wirst auch nie wieder jemanden töten, denn du wirst selbst dem Tod nicht entfliehen. Ich übergebe dich hier und jetzt an ihn!"

Mit diesen Worten stieß Legolas den Südländer angewidert von sich, der seinen Dolch zu Boden poltern ließ und sich mit beiden Händen schwankend die Bauchwunde hielt. Die dunklen Augen Gomars waren in diesem Moment zum ersten Mal seit vielen Jahren frei von jenem Wahnsinn, der ihn ruhelos von den südlichen Landen bis nach Bruchtal getrieben hatte. Nun wohnte nur noch eines darin: das Begreifen, dass es vorbei war. Endgültig!

Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Legolas' Geduld war erschöpft. Der Elb gab ihm einen letzten Tritt, der Gomar über einen kleinen Absatz hinweg ins Wasser beförderte. Er drehte sich im Fallen und fiel dann kopfüber in den See.

Eine unscheinbare, blassrosa Wolke breitete sich nun von Gomars Leib her im Wasser aus. Die Blutschleier verwirbelten, um gleich darauf für die Dauer weniger Herzschläge von einer Kaskade winziger, leuchtend heller Blitze durchzuckt zu werden. Dann war das gespenstische Schauspiel auch schon vorbei und der Tote trieb reglos vom Ufer fort.

Legolas starrte ihm hinterher und das Bild des mit dem Gesicht im Wasser liegenden Südländers brannte sich in seinen Geist ein. Für einen schnellen Moment fragte er sich, ob dies wirklich das Ende des Albtraums war oder ob die Dämonen Mittelerdes den dunklen Geist dieses Ungeheuers wieder auferstehen lassen würden.

Doch nichts dergleichen geschah.

Nach einer Weile ergriff eine Strömung die Leiche und zog sie unter Wasser. Legolas' Blick hing an dem kleinen Strudel, von dem aus noch ein paar kleine Luftblasen aufstiegen, bis die Oberfläche des beinahe kreisrunden Sees wieder glatt und eben dalag.

Nun, da der Kampf vorbei war, ließ auch die Anspannung endlich nach. Als der Elb sich seiner Umgebung bewusst wurde und sie aufmerksam betrachtete, fiel sein Blick auf das leuchtende Wasser. Dessen grünes Schimmern zog ihn so machtvoll in seinen Bann, dass er für einen Augenblick alles um sich herum vergaß. Nichts hatte plötzlich mehr Bedeutung als die Schönheit dieser unterirdischen Höhle mit ihrem geheimnisvoll wirkenden See.

Wie es sich wohl anfühlte, dieses Wasser?

Fast schon soweit, diese Frage durch einen Test zu klären, ließ ihn ein verzweifelter Ruf aus der Nebenhöhle aufhorchen.

War das Aragorn?

Die Sorge um den Freund weckte ihn aus seinem entrückten Zustand.

ARAGORN!

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Wie schon so oft in der letzten Zeit spielte die Zeit Aragorn auch dieses Mal einen Streich.

Er wusste nicht mehr, wie lange er schon zu dem Durchgang gestarrt hatte, durch den Legolas zusammen mit Gomar verschwunden war, doch wenn die Zeit sich nach seinen Schmerzen bemaß, mussten seither Ewigkeiten vergangen sein.

Durch Gomars Schläge waren seine Augen nun fast vollends zugeschwollen und ließen ihn nicht mehr als vage Bilder sehen. Nicht mehr erkennend, was um ihn herum vor sich ging, lauschte der junge Mann angestrengt. Eine Weile hörte er das Klingen von Metall auf Metall, doch dann trat plötzlich Stille ein.

Es war diese Stille, die ihm jede Hoffnung raubte und ihm einen blutüberströmten Legolas vorgaukelte, der sein unsterbliches Leben für seine Rettung gegeben hatte.

Die Furcht, nach Elrohir nun auch noch seinen Freund verloren zu haben, ließ ihn die letzten Kräfte aktivieren, die noch nicht von Gomar aus ihm herausgeprügelt worden waren. Mühsam schob er sich millimeterweise an der Höhlenwand empor auf die Beine, um am Ende völlig entkräftet wieder auf die Knie zu fallen.

„Legolas..." Es war mehr ein Murmeln als ein Rufen und Ausdruck seiner letztendlichen Kapitulation, doch es genügte.

Rasch näherten sich ihm gleich danach Schritte aus dem Höhlengang. Angestrengt spähte er in diese Richtung, doch er sah nicht viel mehr als einen langgezogenen Schatten, der in die Vorhöhle hineinkroch.

Heftiges Herzklopfen ließ ihn mühsam nach Atem ringen, während Aragorn unverwandt zum Gang lugte. Das Blut rauschte in seinen Ohren und so konnte er nicht unterscheiden, ob die Schritte, die sich in seine Richtung bewegten, der leichte Gang eines Elben oder der schwere Tritt eines Südländers war.

Als sich ihm plötzlich eine Hand auf die Schulter legte, zuckte Aragorn zusammen.

„Alles wird gut, mellon nîn." Das war unverkennbar Legolas' Stimme.

Der Elbenprinz zog den körperlich und seelisch schwer misshandelten Menschen in seine Arme und barg ihn darin wie ein Kind, während er gleichzeitig die Fesseln zerschnitt, die Aragorns Handgelenke mit hässlichen Marken gezeichnet hatten.

Aragorn spürte, dass er nun frei und in Sicherheit war und gab sich endlich jener Bewusstlosigkeit hin, die schon seit einer Weile an ihm zerrte. Nachgiebig sackte er in den Armen des Freundes zusammen.

„Jetzt wird alles wieder gut," wisperte Legolas tonlos und presste seine Stirn gegen die Schläfe des Menschen in seinen Armen. „Du lebst und ich werde mich um dich kümmern, Estel. Sei unbesorgt. Ruh dich aus. Es ist jetzt vorbei..."

Für eine Weile war Legolas einfach nur damit zufrieden, mit seinen feinen Sinnen dem leichten Schlag des Herzens zu lauschen, das das Blut durch Aragorns Adern trieb. Die Anspannung der Verfolgungsjagd und des Kampfes fiel von ihm ab und eine nie gekannte Erleichterung durchflutete den Prinzen.

Jetzt würden die Dinge wieder so werden, wie sie sein sollten!

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Elladan hatte nicht einmal gemerkt, dass Glorfindel längst bei ihm kniete und mit vorsichtigen Fingern die Eintrittsstelle des Dolches betastete. Er war neben seinem Bruder auf die Knie gefallen und starrte auf Elrohirs geschlossene Augen. Das blasse Gesicht und die Reglosigkeit seines Zwillings ließ ihn das Schlimmste befürchten.

Gwanur nín?" flüsterte er atemlos und nahm die Hand seines Bruders vorsichtig in seine. Fragend sah er seinen Vater an, der sich in diesem Augenblick zu ihnen gesellte und mit verschlossenem Gesichtsausdruck, die Wunde seines Sohnes zu untersuchen begann.

Erst jetzt, da er den Handbewegungen seines Vaters besorgt folgte, erkannte Elladan, welche Waffe die Wunde verursacht hatte.

Ada, das ist dein Dolch." Elladan war fassungslos.

„Ich weiß," erwiderte der Herr von Bruchtal tonlos und konzentrierte sich weiter auf die Wunde. Nach genauerer Untersuchung erkannte Elrond, dass die Verletzung Elrohirs weniger schlimm war, als auf den ersten Blick ersichtlich. Der Elbenzwilling hatte das Bewusstsein nicht durch die Schwere der Wunde verloren, sondern durch den Schock.

Elrond atmete innerlich auf. Dass sein Sohn hier sterben würde, war zwar nie Teil seiner Vision gewesen, doch die schonungslose Härte der visionären Bilder hatte ihn trotzdem das Schlimmste befürchten lassen.

„Hab' keine Sorge, Elladan, er wird wieder gesund werden," sagte er schließlich hörbar erleichtert, zog dann vorsichtig den Dolch aus der Wunde und presste in Ermangelung von Verbandsmaterial den Umhang seines Sohnes auf den Einstich, um den Blutfluss zu stoppen. Erst, als er sicher war, dass die Lebenszeichen Elrohirs auch weiterhin stabil blieben, gestattete er es sich endlich, zu seinem ältesten Sohn aufzusehen.

Im gleichen Augenblick, in dem ein erleichtertes Lächeln über Elladans Gesicht huschte, erklang ein unterdrückter Schrei aus der Höhle. Er war leise, doch die empfindlichen Sinne der Elben vernahmen ihn sofort.

„Aragorn!" Elladans Augen schnellten zur Höhle hinüber.

Das Wissen, dass die Verwundung Elrohirs nicht lebensbedrohlich war, schien noch nicht bis zu ihm durchgedrungen zu sein. Er war immer noch wie gelähmt. Alles in ihm drängte danach, seinem menschlichen Bruder zu Hilfe zu eilen, andererseits brachte er es auch nicht fertig, seine Hand aus der seines Zwillingsbruders zu winden. Elrohir stand ihm näher als jedes andere Wesen Mittelerdes. So sah er seinen Vater und Glorfindel flehentlich an.

„Ich weiß schon, was zu tun ist und werde mich um meinen Bruder kümmern Bitte, geht und helft Estel. Schon so lange sind Legolas und er allein mit diesem Südländer in der Höhle. Ich fürchte das Schlimmste für die beiden und möchte damit nicht Recht behalten müssen. Bitte, Ada..."

Elrond teilte die Ängste seines Ältesten, denn seine Vision hatte ihm zu Aragorns Schicksal keinen Hinweis gegeben. Also nickte er bestätigend, stand auf und wandte sich den Felsen zu. Glorfindel schloss sich ihm wortlos an. Die Ungewissheit dessen, was sie in der Höhle vorfinden würden, machte ihre Schritte schwer und zögernd.

Und während sie die Höhle betraten, erstrahlte über allem ein sternenbedeckter Nachthimmel, der sich nicht von dem beeindruckt zeigte, was in dieser Nacht geschehen war.

xxx

wird fortgesetzt