Tears of Sorrow
Breathe easy
Stille.
Es ist schon weit nach Mitternacht.
Über uns erstreckt sich ein Himmel wie aus Wachs, fast schwarz und sternklar. Wenn man den Kopf in den Nacken legt und aufblickt zu den Sternen, kann man sich in diesem Anblick verlieren. Man fühlt sich plötzlich klein und unbedeutend angesichts dieser Millionen von Sternen, die schillernd und funkelnd über uns wachen. Am hellsten von allen leuchtet Earendil. Doch heute ist sein Glanz getrübt, denn auch er nimmt Abschied. Auch ihm zerreißt es beinahe das Herz. Der letzte Abschied von seinem schönsten Kind.
Leise rauscht der Wind über die Felder des Pelennor Ein leises Knarren von Ästen ist das einzige weitere Geräusch außer unseren Atemzügen. Das blasse Licht des schwindenden Mondes schimmert silbern auf den Zweigen des Weißen Baumes von Gondor.
Wir sitzen schon seit Stunden hier, seit dem farbenprächtigen Sonnenuntergang, und schweigen uns an. Jeder von uns kennt die Worte, die gesprochen werden müssen, die jedoch keiner von uns aussprechen will. Aber irgendwann muss dieser Schritt getan werden. Das weiß sie und das weiß ich auch.
„Bist du mir böse?", reißt mich irgendwann ihre Stimme aus meinen trauernden Gedanken. Ich sehe sie an, ihr weißes, schönes Gesicht, sehe die Tränen in ihren Augen glänzen. Ihre Stimme ist schwach, nichts von dieser unterschwelligen Bestimmtheit, mit der sie früher immer sprach, ist noch übrig. Noch bevor ich über ihre Frage nachdenken kann, versetzt mir der Ausdruck ihres Gesichts einen Stich ins Herz. Wie konnte ich nur glauben, dass sie bei dieser Entscheidung nur ihre Liebe zu Aragorn vor Augen hatte? Wie konnte ich nur glauben, dass ihr meine Meinung dazu gleichgültig ist? Dass es ihr egal ist, ob ich ihre Entscheidung billigen und verstehen kann oder nicht? Wie konnte ich nur glauben, dass sie mich nicht ebenso liebt wie ich sie...?
Wider Willen schleicht sich ein bitteres Lächeln auf mein Gesicht. „Nein, das kann ich nicht sein, Arwen.", antworte ich meiner geliebten Tochter. „Nicht dir. Ich mag deine Entscheidung nicht verstehen können, aber ich muss sie akzeptieren. Dies war deine Wahl."
Sie sieht mich an, leise Verzweiflung liegt in ihrem Blick. Ein schlechtes Gewissen.
„Ada?", fragt sie mit tränenerstickter Stimme. „Wird... wird Naneth mich verstehen?"
Überrascht blicke ich sie an. Niemals hätte ich gedacht, dass ihr dies so schwer auf dem Herzen liegt. „Natürlich wird sie das, Kind. Sie will nur, dass du glücklich bist – und ich auch."
„Aber...", wispert sie. „Du warst dagegen, Ada."
Ihr laufen silbern schillernde Tränen über die Wangen – und ich fühle mich mit einem Mal schuldig wie niemals zuvor in meinem Leben. Wie komme ich eigentlich dazu, ihr diesen Abschied so schwer zu machen? Ich sollte mich für sie freuen, dass sie jemanden gefunden hat, den sie liebt. Den sie so sehr liebt, dass sie dafür ihre Unsterblichkeit aufgibt. Den sie so sehr liebt, dass sie lieber einen winzigen Augenblick mit ihm zusammen sein will... als für immer allein.
Welches Recht habe ich, ihr ein schlechtes Gewissen einzureden? Mit diesem Unterton zu reden, au dem sie ganz deutlich heraus hören kann, dass ich sie immer noch nicht verstehen kann? Ich mache es ihr doch nur schwerer, als es ohnehin schon für sie ist. Sie muss die ganze Zeit gedacht haben, dass ich wütend auf sie bin. Sie muss gedacht haben, ich würde sie nicht mehr lieben.
„Das war ich wirklich, Arwen.", antworte ich ihr schließlich und lege einen Arm um sie. „Doch... was man nicht ändern kann, gewinnt man lieb. Es reicht mir zu sehen, wie deine Augen leuchten, meine Tochter, wenn du Aragorn ansiehst. Mir reicht dieses Lächeln auf deinem Gesicht, um jede Ablehnung zu vergessen.", füge ich so sanft wie möglich hinzu. „Denk nicht an mich, Arwen. Du sollst die Zeit, die euch beiden bleibt, nicht mit Gedanken an mich verschwenden... versprich mir nur eines."
Sie lehnt sich an mich. „Alles, was du willst, Ada...", entgegnet sie.
„Komm, schau mich an, Undómiel. Versprich mir eines, und sei gewiss, ich werde damit leben lernen. Aber nur, wenn du mir versprichst, niemals zu bereuen, was du entschiedst. Blicke nicht zurück. Nimm es leicht. Wenn du mir das versprechen kannst, Arwen, kann ich in Frieden ziehen."
Sie löst sich von mir, wischt die Spuren der Tränen von ihrem Gesicht und schaut mich an. „Das tue ich, Ada. Ich verspreche es dir. – Ich weiß, worauf ich mich eingelassen habe. Wartet nicht auf mich, denn ich werde nicht kommen. Kein Schiff kann mich je in den Westen bringen."Ihre Stimme gewinnt wieder etwas von der alten Stärke zurück. „Aber ich denke an dich, Ada."
„Ich weiß... noch einige Jahre, dann werden wir gehen. Und wenn es soweit ist, werden wir noch einmal miteinander reden, Kind. Ich will nicht, dass du mir dann sagst, dass es eine falsche Entscheidung war – denn das war es nicht. Selbst ich muss das erkennen, Arwen. Denk immer daran, dass du nur noch dieses eine Leben hast. Blicke nicht zurück. Bereue nicht. Lass dir dein Herz nicht schwer machen."
Sie nickt, lächelnd dieses bezaubernde Lächeln, mein Abendstern.
„Ada? Sag Naneth, dass ich sie liebe... und dass ich sie nie vergessen werde."
„Das werde ich, Arwen. Und auch wir werden dich für immer in unserem Herzen behalten, selbst wenn du diese Welt verlassen hast. – Doch nun genug der trüben Worte, mein Kind. Jetzt und hier genieße dieses Leben. Wir werden uns noch einmal sehen."Ich stehe auf.
Sie erhebt sich ebenfalls. „Das werden wir gewiss, Ada.", sagt sie leise und geht hinein.
Ich sehe ihr lächelnd hinterher. Ich sagte ihr, sie solle sich das Herz nicht schwer machen lassen. Das sollte auch für mich gelten. Noch einige Jahre. Keine lange Zeit für Elben – kein Grund zu trauern. Meine Tochter würde glücklich sein, hatte nach all dem Gram endlich ihr Lachen wieder gefunden. Doch selbst wenn der Abendstern eines Tages verlöschen sollte... sie wird es leicht nehmen. Ich werde es auch, ihr zuliebe.
Im Osten zeigt sich ein schmaler Silberstreif am Horizont. Es ist Zeit für den Aufbruch. Obwohl Arwen nun die Königin Gondors ist, wird sie immer meine geliebte Tochter bleiben – und ihr Glück ist wichtiger als meine Trauer.
TBC...
