Elanor: Vielen lieben Dank... hier kommt das zweite und letzte Kapitelchen... und ich drück dir alle Daumen, falls du dich entschließt, auch mal was zu schreiben ;)
One last whisper
Stille.
Es ist schon weit nach Mitternacht.
Über mir erstreckt sich ein Himmel wie aus Wachs, schwarz und beinahe sternenklar. Ich lege den Kopf in den Nacken und blicke auf, verliere mich in diesem Anblick. Fühle mich plötzlich klein und unbedeutend angesichts dieser Millionen von Sternen, die schillernd und funkelnd über die Unsterblichen Lande wachen.
Ich sitze hier – allein. Atme die kühle, klare Nachtluft ein. Es riecht nach Salz, das Meer ist nah. Sein Rauschen wird vom Wind weit in die Unsterblichen Lande hinein getragen. Es ist allgegenwärtig, genau wie dieser glitzernde Sternenhimmel.
Erinnerungen steigen in mir auf. Schon einmal saß ich unter einem solchen Himmel – doch damals war ich nicht allein. Damals verabschiedete ich mich... und der Gedanke daran zerreißt mir beinahe das Herz.
Als wäre es gestern gewesen höre ich ihre Worte. Ihre traurige, samtweiche Stimme klingt noch in meinen Ohren und ich sehe – ich sehe ihr Gesicht, das schönste Gesicht unter diesem Himmelszelt, Earendils liebstes Kind... von Trauer verdunkelt der Stern ihrer Seele.
Der Abschied von ihr war wohl das schlimmste, was mir je widerfahren ist... dachte ich. Ich dachte, nichts könnte schlimmer sein als der Schmerz, den ich dabei empfand, die Lande Mittelerdes immer kleiner werden zu sehen am Horizont, mit dem Wissen, dass sie immer noch dort war – und dass es kein Schiff geben würde, dass sie jemals wegbringen konnte aus dieser Heimat, die sie sich erwählt hatte.
Wie sehr schmerzten diese langen Wochen auf See, ohne sie... doch der Schmerz verblasste mit den Jahren in diesen Landen voller Wärme und Licht und Glückseligkeit. Wurde zu einer unmerklichen kleinen Schramme unter der Oberfläche, eine winzige Narbe, unbedeutend im Angesicht des blühenden Lebens um einen herum.
Aber heute Nacht... heute Nacht kehrten sie zurück, die Erinnerungen an unseren letzten Abschied, das Gespräch, das wir führten, im silbernen Licht der Weißen Stadt Minas Tirith. An ihre Worte und an meinen Entschluss, es ihr nicht schwer zu machen – nicht schwerer, als es ohnehin schon war für sie.
Ein Lufthauch reißt mich aus diesen Gedanken.
„Was starrst du in den Himmel?", fragt eine leise, belustigte Stimme hinter mir... eine Stimme, die nur scheinbar amüsiert klingt, denn ich höre Furcht in ihr mitschwingen. Eine ungute Vorahnung hat auch sie befallen. Sie hat es ebenfalls bemerkt.
Das unmerkliche Flackern des hellsten aller Sterne. Der leise Schleier über seinem sonst so klaren silbernen Schein.
Das Erlöschen Earendils.
Sie setzt sich neben mich, greift haltsuchend nach meiner Hand. „Ich fühle, dass etwas geschehen wird... auch wenn mein Herz sich weigert, daran zu glauben, Elrond. Sag mir, dass nicht wahr ist, was ich spüre..."Flehentlich klingt ihre Stimme. Ihre Haut ist kühl – nein, das ist sie nicht. Ich bilde mir nur ein, den leisen Hauch der Sterblichkeit zu fühlen, den ich damals spürte, als ich Arwens Hände ergriff. Ich weiß, dass es eine Illusion ist – und doch scheint es so real, als säße ich wieder unter diesem Baum, in dieser Nacht, in fernen Landen.
„Das kann ich nicht tun.", höre ich mich endlich antworten, als wäre ich jemand anders, jemand, den ich gar nicht kenne. Und obwohl mir diese Worte schwerer fallen als alle, die ich je ausgesprochen habe, müssen auch diese gesprochen werden.
Wieder überkommt mich dieser Schauer, der Hauch der Vergänglichkeit.
Ich sehe Celebrían an... sie fühlt es auch. Leise Panik steht in ihren Augen, überschattet von Trauer.
Der Verlust Arwens war schwer gewesen für sie. Jahrelang hatte sie gewartet in den Gärten Valinors, gewartet auf unsere Kinder, ihre Eltern, auch auf mich. Noch heute sehe ich, wie das freudige Funkeln in ihren Augen langsam erlosch, als sie Arwen nicht bei uns fand. Wie glitzernde Tränen in ihre Augen traten, als ich ihr zerrissenen Herzens von dem berichtete, was geschehen war – von ihrer Tochter, die nun sterblich war und dem Schicksal Luthiens folgte, von ihrer Tochter, die sie niemals mehr wiedersehen würde – von ihrer Tochter, die es beinahe zerbrach bei dem Gedanken daran, dass ihre Mutter sie nicht würde verstehen können.
Eine Windböe kommt auf, lässt sie leicht schaudern. Nicht der Kälte wegen, sondern auf Grund der Botschaft, die die Luft in sich trägt. Wir rücken näher zusammen, harrend der Dinge, die geschehen werden – wie wir wissen. Obgleich wir es nicht wahr haben wollen.
Vorsichtig fange ich ihre Tränen mit einer Fingerkuppe auf, nachdem es vorbei ist. Es war nur ein kurzes Blitzen, ein fallender Stern, ein verzweifeltes Flackern Earendils – und nun ist es geschehen.
Arwen ist tot.
Unsere Tochter hat uns verlassen, für immer, ist wieder vereint mit dem, den sie liebte – so sehr, dass sie bereit war alles dafür aufzugeben. Das Licht des Abendstern ist endgültig verloschen.
Im Osten zeigt sich ein schmaler Silberstreif am Horizont. Obwohl Arwen nun nicht mehr ist, wird sie immer unsere geliebte Tochter bleiben – und wir akzeptieren ihre Entscheidung.
Der leise Hauch des Todes erhebt sich noch einmal und verstummt.
Ende
