Kapitel 3: Eine unglaubliche Geschichte
Man gab
Pálith zu Essen und zu Trinken, und langsam fühlte sie
sich auch kräftiger. Doch aufstehen konnte sie noch nicht; das
wäre auch zu früh, wie der Heiler meinte, der auf
Anweisungen Legolas' hin, gekommen war. Sie war noch sehr blass, was
eine Folge des hohen Blutverlustes war und wirkte dadurch kränker
als sie war.
Es war nun später Abend und Pálith
war bereit, den anderen zu erzählen, was sie hierher geführt
hatte. Zumindest soviel, wie sie sich erinnern konnte. Auch
Thranduil, der das Denken beendet hatte und sich gerade in einen
Sessel neben dem von Legolas fallen ließ, hatte Interesse an
ihrer Geschichte und sah sie erwartungsvoll an. Dann begann
Pálith:
"Mein Name ist Pálith, Darnlons Tochter
und ich stamme aus einer Randprovinz Ithiliens. Vor sehr vielen Tagen
machte ich mich auf den Weg nach Rohan, wo mein Bruder lebt und sich
als Schmied verdingt. Er ist ein sehr guter Schmied, müsst ihr
wissen. Mein Bruder stellt vor allem Hufeisen her, die besten weit
und breit. König Éomer hat ihn zu sich nach Edoras
bestellt, damit er diese nun für seine prächtigen Pferde
schmieden kann. Tamion, mein Bruder, war sehr erfreut über des
Königs Angebot.
Er arbeitete schon seit Monaten dort,
als eines Tages eine Nachricht bei uns im Haus eintraf. Tamion
schrieb, dass er sich einsam ohne seine Familie fühle, und dass
wir ihn doch besuchen mögen. Nun ja, uns ging es grad finanziell
nicht sehr gut, darum musste mein Vater viel arbeiten und zu Hause
bleiben. Er ist ebenfalls Schmied. Darum habe ich mein Pferd
gesattelt und mich allein auf den Weg nach Edoras gemacht.
Ich
weiß nicht mehr, wie lange ich schon ritt, aber der Mond stand
an jenem Abend schon sehr früh am Himmel. Aus diesem Grund habe
ich mich nach einem geeigneten Lagerplatz umgesehen. Als die Nacht
schließlich herein brach, brannte mein Feuer schon hell und
stark und wärmte mich. Ich glaube, ich bin dann auch bald
eingeschlafen. Aber dann, mitten in der Nacht, schreckte ich auf, da
ich etwas hörte. Erst nach einigen Augenblicken stellte ich
fest, dass es sich um Gesang handelte. Es hörte sich wunderschön
an und ich war davon überzeugt, dass er von Elben stammte. Sie
mussten ganz in der Nähe sein. Ich machte mich auf, nach ihnen
zu suchen. Schon nach kurzer Zeit entdeckte ich sie dann. Sie liefen
gen Norden und ich war so von ihnen und ihrem Gesang fasziniert, dass
ich ihnen folgte. Ich war froh, dass sie mich nicht bemerkten. Keine
Ahnung, wie lange ich ihnen folgte, aber Tag und Nacht wechselten oft
und ehrlichgesagt weiß ich nicht, warum ich ihnen so lange
folgte. Irgendwann, es war
wieder Nacht, schienen sie angekommen
zu sein; sie stellten sich im Kreis auf und dann..."
Legolas
und Thranduil sahen sie erwartungsvoll an.
"Ich weiß
nicht mehr, was dann war. Plötzlich wachte ich hier auf. Seit
heute morgen versuche ich mich zu erinnern. Aber ich sehe nur
Schatten, entsetzliche Schatten, kein Ton dringt zu mir durch. Es
muss etwas Schreckliches passiert sein, dessen bin ich mir sehr
sicher."
"Nun", sagte Thranduil, "Vielleicht
wurdet ihr ja von hinten angegriffen und die Elben haben euch
gerettet und hierher gebracht. Das wäre eine plausible
Erklärung." Legolas sah seinen Vater an. "Glaubst du
nicht auch, Vater, dass sie sie dann zu uns gebracht und nicht
einfach irgendwo im Wald liegengelassen hätten?" Er wusste
darauf keine Antwort. Pálith starrte an die ihr
gegenüberliegende Wand. "Ich weiß, es klingt
unglaublich, aber ich glaube, dass diese Elben mich damals
angriffen." Stille.
Thranduil sah sie an, als ob sie
gerade behauptet hätte, Eru sei nicht der Erschaffer der Welt.
Dann sprang er von seinem Sessel auf und schrie: "Seid ihr euch
dessen bewusst, was ihr da gerade sagtet? Was ihr meinem Volk damit
unterstellt?" Sein Gesicht wurde rot vor Zorn. "Legolas!
Sag du doch auch etwas!" Doch Legolas schüttelte nur den
Kopf. "Setz dich Vater."
Sprachlos und wütend
stapfte Thranduil aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich
zu. Legolas erhob sich aus dem Sessel und setzte sich auf die
Bettkante. "Und ihr wisst wirklich nicht mehr, was in jener
Nacht geschah, was ihr gesehen habt?" Pálith schüttelte
den Kopf. "Aber ich bin davon überzeugt, dass es etwas
schreckliches gewesen sein musste. Und, wie gesagt, ich glaube, sie
haben mich angegriffen." Legolas nickte, tief in Gedanken
versunken. Pálith sagte lange Zeit nichts. Dann fragte sie
vorsichtig: "Glaubt ihr mir denn?"
Legolas sah sie
an. "Wisst ihr, es ist schwer solch einer Geschichte glauben zu
schenken. Was mich interessieren würde, ist, warum ihr hier so
ruhig liegt, umgeben von Elben, wenn ihr doch, wie ihr glaubt, von
eben solchen angegriffen wurdet." Pálith überlegte,
dann antwortete sie: "Ich habe das Gefühl, dass ihr mit
diesen Elben nichts gemein habt. Außerdem glaube ich, würde
ich einem dieser Elben wieder begegnen, dass ich mich schlagartig
wieder erinnern würde."
"Darauf würde ich
mich nicht verlassen. Manchmal löscht unser Gedächtnis
schreckliche Erinnerungen um uns zu schützen." Pálith
ließ den Kopf hängen. Legolas, der ihre Gedanken zu
erraten schien, holte tief Luft und sagte dann: "Dennoch glaube
ich euch. Als ich euch fand, hattet ihr überall Wunden, die von
einer sehr feinen Klinge stammen könnten. Das ist zwar noch kein
Beweis dafür, dass Elben mit dieser Sache zu tun hatten, aber
ausgeschlossen ist es auch nicht."
Es gab noch viel
mehr, dass Legolas sagen wollte, aber er hielt es für das Beste,
wenn sie erst einmal schlafen würde.
Legolas
klopfte an der Tür des Arbeitszimmers, in dem sein Vater sich
mal wieder verkrochen hatte. "Vater, ich muss mit dir reden!
Mach jetzt sofort die Tür auf!" Er hörte, einen Stuhl
rücken und bald öffnete sich die Tür. "Komm
rein", murmelte Thranduil und sein Sohn trat ein. Sobald die Tür
wieder geschlossen war, fing Legolas an.
"Vater, wir müssen
in der Sache mit Pálith was unternehmen."
"Rauswerfen
müssen wir sie!" Vater und Sohn sahen sich zornig an.
"Das
kann nicht dein Ernst sein, Vater!"
"Glaubst du ihr
etwa? Elben die einen Menschen angreifen?"
"Du weißt
genau, dass das in der Vergangenheit schon öfter vorgekommen
ist!"
"Du sagst es: In der Vergangenheit! Es war noch
nie so ruhig in Mittelerde wie in diesen Tagen!"
"Ja.
Findest du das nicht seltsam?"
"Wieso seltsam? König
Elessar und König Éomer regieren weise und
vorrausschauend. Ich hoffe du wirst Grünwald auch einmal so
regieren." Ach, wie er diese Diskussionen hasste. Ja, er würde
irgendwann mal Grünwald regieren, aber jetzt noch nicht!
"Warum sollte sie lügen?" Thranduil war vom
Enthusiasmus seines Sohnes ganz und gar nicht begeistert. "Ich
weiß es nicht! Bist du nun zufrieden? Ich weiß es einfach
nicht. Vielleicht will sie und ausspionieren, wer weiß das
schon?" "Und darum lag sie schwerverletzt vor den Toren
Calenardhs? Ihre Verletzungen waren so schwerwiegend, dass sie auch
hätte sterben können!" Thranduil wurde zusehends
wütender. "Sie geht morgen! Freiwillig oder nicht!"
Legolas schüttelte nur den Kopf und erwiderte: "Sie wird
erst dann gehen, wenn sie wieder bei vollen Kräften ist!"
Bevor sein Vater darauf antworten konnte, war Legolas schon aus der
Tür heraus.
Pálith hatte einen unruhigen Schlaf.
Alles was ihr in den letzten Tagen zugestoßen war, spielte sich
in ihren Träumen nochmals ab. Sie sah die Elben, klar und
deutlich vor sich; was sie mit ihr machten. Sie sah das Messer,
kunstvoll gearbeitet, mit vielen Verzierungen; sie spürte
förmlich, wie sich die Klinge in ihre Haut bohrte. Sie schrie.
Lasst mich! Warum nur...?
Sie schrie wirklich. Legolas kam
ins Zimmer gestürmt und versuchte nun sie aufzuwecken. Er rief
ihren Namen und drückte sie in die weichen Kissen, da sie sich
unkontrolliert hin und her warf. Dann beruhigte sie sich wieder und
öffnete die Augen. Der Traum war vorbei, erinnern konnte sie
sich an nichts. "Erinnert ihr euch wirklich nicht mehr, was ihr
gerade im Traum erlebt habt?" Pálith schüttelte nur
den Kopf. "Es tut mir so leid. Ich bereite euch nur Kummer und
Ärger." "Nein, das ist nicht wahr. Ihr seid jetzt mein
Gast und ich bestehe darauf, dass ihr wenigstens so lange hier
bleibt, bis ihr wieder bei Kräften seid!"
